Als digital immigrant, der nicht mit Twitter und Co
aufgewachsen ist und ein halbes Jahrhundert ohne Smartphone lebte, sehe ich
unter welch fundamentalem Wandel nicht nur die Kommunikation untereinander,
sondern auch die Interaktion von „denen da oben“ mit „denen da unten“
unterliegt.
Die Konsumenten haben sich gegenseitig ausschließende
Wünsche an ihre Volksvertreter und Regenten.
Es gibt gleichzeitig die Klage von den altmodischen
Parteien, die noch auf Papier gedruckte Zeitungen herausgeben, per Fax
kommunizieren und Briefe schreiben und von den neumodischen Parteien, die auf
jeden Trend springen und weite Teile ihrer älteren Wählerschaft im Stich
lassen, weil sie nur noch Social Media machen.
Aber ein Kompromiss ist nur gut, wenn niemand völlig
zufrieden ist.
Verschiedene Kommunikationsebenen schließen einander aber
nicht aus. Eine Partei ist kein Einmannunternehmen.
So wurde mir eine Parteivorsitzende Andrea Nahles verkauft.
Sie verstünde sich auf alle klassischen
SPD-Kommunikationswege, habe ein Gefühl für alle Gremien. Als Ergänzung gab es
Generalsekretär Klingbeil, den jungen Mann für’s Digitale, der Teens und Twens
anspreche.
Das war allerdings eine Doppelpleite, da Andrea Nahles wie
niemand anders in der Partei nur auf einen winzigen Kreis Getreuer hört und
eben gar keine Antennen für die Mitglieder an das Basis hat. Immer wieder
sorgte sie für Stürme der Entrüstung (Müntefering absägen, Schulz wird
Außenminister, Maaßen wird Staatssekretär), setzte sich in die Pfälzer Provinz
ab und war über Tage nicht zu erreichen – nichts ahnend von dem Aufschrei, den
sie provoziert hatte.
Das berühmte Gespür für die Partei, das Gerd Schröder hatte,
ging ihr vollkommen ab.
Wie sich herausstellte, sind die Digitalboys Klingbeil und
Kühnert genauso unfähig. Keineswegs konnten sie die Partei zu einer angesagten
modernen Twitter-Tiktok-Insta-Partei machen, die auf junge Leute anziehend
wirkt.
Dabei bin ich mit Klingbeil seit dem Amtsantritt Eskens und
Borjans durchaus versöhnt, da er als einziger lautstark politisch gegen AfD,
aber auch Schwarzgelb vorgeht und in den klassischen Medien bemerkenswert bemerkbar dagegenhält.
Das wäre eigentlich die Aufgabe des
Bundestagsfraktionsvorsitzenden und der Bundesparteivorsitzenden, aber alle drei erwiesen sich bekanntlich als TOTALAUSFALL.
Also liebe SPD; ihr habt mehrere Aufgaben. Da ist einerseits
das Regieren. Das klappt hervorragend. Die Minister sind ein ganz großes Plus
und viele Landesregierungschefs – Tschentscher – brillieren ebenfalls.
Das zweite Standbein ist die parlamentarische Arbeit, die
siehe Causa Högl/Bartels/Kahrs ein einziger
Trümmerhaufen ist.
Dritter wichtiger Faktor ist der Parteiapparat, der ganz
unabhängig von den parlamentarischen Arbeit und den konkreten Regierungsmaßnahmen innerhalb
des Kräfte-kosmos im Plenum mit „den Menschen draußen im Lande“ auf Tuchfühlung
gehen soll.
Die Partei muss kommunizieren können, für ihre Positionen
werben, ihre Konzepte so bekannt machen, daß der Bürger auch unabhängig von
Wahlterminen weiß wofür die SPD steht und welche Köpfe sie vertreten.
Dabei geht es nicht nur um ausgefeilte Steuermodelle und
Rentenkonzepte, sondern auch um die Vibes,
ein Gefühl, das man mit Sozialdemokratie verbindet.
Wie leider auch die übergroße Mehrheit empfinde ich Saskia
Esken persönlich als außerordentlich unsympathisch. Das muß an sich noch nicht
bedeuten ein schlechter Regierungspolitiker zu sein. Aber als Parteipolitiker
ist das von großem Nachteil, da die meisten Wähler eben gerade nicht die
Regierungskonzepte der Parteien studieren, sondern aus dem Bauch entscheiden.
Es kann nur von Nachteil sein, wenn während eines quälend
langen Urwahl-Prozesses für eine neue SPD-Doppelspitze ausnahmslos jeder, der
schon persönlich mit Esken zusammenarbeite – sei es bei ihrem Job als
Elternvertreterin, in ihrem BW-Landesverband, oder auch ihre Fraktionskollegen
in Berlin – dringend davon abrät diese Frau zur Chefin zur machen.
Niemand, der sie kennenlernte, mag sie.
Gewählt wurde sie dennoch, weil Kühnert für sie trommelte
und weil sie nicht Olaf Scholz ist.
Olaf Scholz ist nämlich mit weitem Abstand der beliebteste
SPD-Politiker und zudem auch noch der mit großem Abstand erfolgreichste Wahlkämpfer
(absolute SPD-Mehrheit in Hamburg). Erfolg und Zustimmung bei den Wählern ist
aber nach der verqueren Logik der abgebrochenen Juso-Studenten ein
Ausschlusskriterium. Daher hassen sie 22 Jahre nach seinem rotgrünen
Durchmarsch mit 41% für die SPD immer noch Gerd Schröder. Der Mann gewann
Wahlen, brachte parlamentarische Mehrheiten für Rotgrün zusammen.
Das kann Kühnert gar nicht leiden.
Dementsprechend ist er natürlich glücklich mit seiner
Parteichefin Esken, die beim Projekt Einstelligkeit sehr hilfreich sein wird.
Wir haben es am 23.02.2020 in Hamburg erlebt was passiert,
wenn eine Landespartei ein kategorisches Auftrittsverbot für Esken erteilt und
sie konsequent totschweigt: Sofort gab es wieder fast 40% für die SPD.
Vor solchen Zahlen sind der Berliner Kühnert (SPD 15%) und die Baden-Württembergerin
Esken (SPD 11%) in ihren Landesverbänden absolut
sicher.
Gibt es irgendetwas Positives, das sich über Esken sagen
lässt?
Ja, sogar zwei
miteinander zusammenhängende Aspekte: Sie ist eine „Digitalexpertin“, die im
Gegensatz zu anderen in der SPD-Spitze fast ausschließlich in den Social Media
unterwegs ist und die dadurch zum Glück auch persönlich nie auftaucht.
[……] Wer von
Parteikollegen wissen will, mit wem die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken viel
Zeit verbringt, bekommt keine Namen genannt, sondern zu hören: "Mit ihrem
Handy". Ob in den Sitzungen der Bundestagsfraktion oder in den Runden der
Parteispitze - Teilnehmer berichten, es vergehe kaum ein Treffen, bei dem sie
nicht darauf herumtippt. Sie twittert aus Sitzungen ihre Standpunkte; Anfang
März etwa, als es um die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus griechischen Camps
ging und sie mehr Einsatz von Innenminister Horst Seehofer forderte.
Esken streitet im Internet, [……] Wer sie anspricht, kann mit einer Antwort rechnen, egal, wie bedeutend
sie oder er ist. Das gilt selbst für jene, die ihr "ans Schienbein"
treten, wie sie mal schrieb. Einer fragte, wo denn in Corona-Zeiten die
SPD-Chefs seien, man höre so wenig von ihnen; anders als von Familienministerin
Franziska Giffey oder Finanzminister Olaf Scholz. Esken antwortete: "Ich
bin hier. Womit kann ich helfen?"
"Das ist gerade ihr Ding", sagt ein Weggefährte über die
derzeitige Lage
Es gibt Politikerinnen und Politiker, die erleben diese Tage und Wochen
als große Durststrecke, weil die Corona-Krise sie aus ihren Routinen herausgerissen
hat: Plötzlich keine wuchtigen Auftritte vor großem Publikum mehr, keine langen
Abendtermine oder Gremiensitzungen bei Keksen und Kaffee. Und es gibt Saskia
Esken, die gut mit den Umständen zurechtkommt, unter denen Politikmachen noch
möglich ist, weil sie vorher schon so Politik gemacht hat. Sie braucht all das
andere nicht wirklich: Die Auftritte vor der Presse nach Gremiensitzung in der
Parteizentrale lässt sie eher über sich ergehen. Durch ihre Rede beim
politischen Aschermittwoch in Bayern kämpften sie und ihr Publikum sich
gleichermaßen durch. [……]
Für ihren Co-Vorsitzenden Walter-Borjans, aber auch für die Vorgänger,
Andrea Nahles, Martin Schulz oder Sigmar Gabriel, ist das große Interview
wichtiger als der schnelle Tweet. Esken sendet dagegen auf ihrem eigenen Kanal,
ohne dass ihre Berater viel mitzureden hätten. [……]
Interessanterweise wird Social-Media-Nutzern automatisch
unterstellt das Medium zu verstehen, es zu beherrschen.
Nichts könnte falscher sein.
Wer seine Ansichten über Twitter verbreitet, ist noch lange
kein großer Twitterer.
Überall finden sich die Icons „Teilen auf Instagram/Twitter/Facebook“.
Dort einmal zu klicken, bedeutet noch nicht ein hipper Jugendlicher zu sein.
Man muss nicht nur agieren, sondern auch reagieren. Den schnellen
und digital-nativ-Humor verstehen, wirklich vernetzt sein, statt wahllos
Hashtags zu kreieren. Man muss an der Spitze der Bewegung stehen und blitzartig
assoziieren, Memes erstellen, Gifs fabrizieren.
Politiker aus der Generation Printmedium, die auf einmal
twittern wollen, wie Erika Steinbach, Horst Seehofer oder der Papst, halten
soziale Medien einfach für eine andere Art Papier. Man gibt ein paar Sätze ab
und schafft damit Fakten.
In Wahrheit sind Twitterfeeds – wenn ich das nicht-twitternder
Digital-Geront sagen darf – aber weit weniger geduldig als Papier. Man muss sie
im Auge behalten, moderieren, eingreifen, kommentieren.
Ich ärgere mich daher schon seit Jahren über das Social-Media-Team
der SPD. Da wird ein Schaubild oder ein Zitat rausgehauen und fertig. Egal was
für ein Shitstorm folgt. Auch wenn alles gekapert wird, sich Trolle austoben
und die bösartigsten Falschmeldungen über die SPD verbreiten. Niemand fühlt
sich bemüßigt noch einmal draufzusehen, geschweige denn einzugreifen.
Dabei gibt es da durchaus Möglichkeiten, wenn man etwas von
dem Medium versteht und über die Waffe Humor verfügt.
Eskens Digitalaffinität bedeutet offenbar aber auch nur, daß
sie gern twittert und nicht etwa, daß sie gut dabei wäre.
Vor drei Tagen generierte die SPD-Chefin wieder einmal einen
Shitstorm.
[…..] Esken hat mit einer Äußerung über die Bezüge von Bundestagsabgeordneten
eine rege Debatte angestoßen. Hintergrund ist die Diskussion um die künftige
Bezahlung ihrer Vorgängerin und Ex-Parteichefin Andrea Nahles, die letztes Jahr
ihr Amt niedergelegt hatte und im Sommer Präsidentin der Bundesanstalt für Post
und Telekommunikation werden soll. Dieser Posten soll alles in allem hoch dotiert
sein. Wie die Bild jüngst berichtete, soll Nahles mehr als 10.000 Euro
monatlich erhalten. Der Twitter-Nutzer Michael Johansen fragte Esken deshalb am
Donnerstag nach der Rechtfertigung des Gehaltes, was „durchaus interessant“
sei. Denn „ich zum Beispiel arbeite im Einzelhandel und finanziere damit einen
Teil ihrer Diäten.“
[…..] Eskens kurze Antwort: „Und ich zahle daraus nicht nur Steuern, ich
kaufe davon auch jeden Tag ein. Wer finanziert jetzt wen?“ […..]
Andrea Nahles legte Wert darauf einen Versorgungsjob zu
bekommen, der verglichen zu ihrem Ministergehalt bescheiden ist, um eben nicht
als „raffgierig“ dazustehen. Das ist ihr formal gelungen. 10.000 Euro monatlich
sind viel weniger als andere Ex-Politiker ihres Kalibers abkassieren. Für so
eine Summe würden Pofalla, Hildegard Müller, Wissmann, von Klaeden, Daniel Bahr,
Philip Rösler, Dierk Niebel gar nicht erst aufstehen.
Esken und Nahles begreifen aber nicht, daß sie in der
Social-Media-Welt nicht an rationalen Politiker-Maßstäben gemessen werden,
sondern am persönlichen Empfinden jedes einzelnen Users. Für den
Otto-Normal-Twitterer sind aber sichere +10.000,- im Monat durchaus viel Geld.
Daher bringt es ihn in Rage, wenn ihm das als Bescheidenheit verkauft wird.
Ich finde diese Rage übrigens nicht angemessen. Wer sich
über die angeblich so üppigen leicht verdienten Politiker-Gehälter beklagt,
kann ja gern selbst Politiker werden, wenn er das für so einen lockeren Job
hält. Alle Parteien suchen händeringend Mitglieder und Mandatsträger.
Die Rage an sich war aber zu erwarten und es zeugt von
erstaunlicher Social-Media-Ignoranz, wenn Esken das nicht vorhersieht.
Auch der zweite Teil der „Affäre“, Eskens schnippische
Entgegnung, sie finanziere mit ihrem Gehalt den Einzelhandel mit, so wie der
Einzelhändler mit seinen Steuern ihr Gehalt mitfinanziere, ist rein formal
richtig.
Aber es zeugt von einer gewaltigen Ignoranz, daß sie nicht
vorhersah, welchen Shitstorm sie dafür ernten würde. Politiker und ihre Diäten
sind immer ein extrem heikles Thema. Es ist fast unmöglich sachlich darüber zu
sprechen, ohne Ärger von den Wutbürgern zu bekommen.
Weiß Esken denn gar nichts?
Und so kommen wir zum dritten Teil der Affäre:
Der Esken-Twitter-Feed ist ein
Musterbeispiel dafür, wie SPD-Hasser und Politikverachter angezogen werden und
sich die Diskussion immer mehr gegen Esken und die SPD aufschaukelt. Aber
offenbar hat Esken seit drei Tagen nicht mehr eingegriffen, lässt es laufen.
Kein Humor, keine Richtigstellung, keine Entschuldigung.
Sie kann es eben nicht. Sie kann auch Digitales nicht.