Samstag, 23. Mai 2020

Notfall-Sex

Du bist so peinlich!“ schleuderte ich vor etwa dreißig Jahren meinem Kommilitonen Carsten entgegen.
Wir saßen in einer kleinen Gruppe mittags in einem Café gegenüber des Instituts für anorganische Chemie, weil wir keine Lust hatten mit den Massen in die Mensa zu gehen. Auf einmal klingelte Carstens Handy. Natürlich drehten sich alle um und glotzen, weil es eins der ersten Mobiltelefone war. Fast alle hielten das für völlig überflüssigen Schnickschnack. Das sollte sich gar nicht erst ausbreiten und den Alltag ruinieren.
Ich hoffte immer, Carsten würde das Ding im Spind lassen, aber er vergaß es nie und so mußte man mit peinlichem Geklingel rechnen.
Weswegen er angerufen wurde, war uns freilich klar: Ein Freier, der ihn zum Quicki abrief.
Ich bewunderte ihn für den offenen Umgang mit seiner Methode das Studium zu finanzieren. Heute ist er Professor für makromolekulare Chemie in den Niederlanden und wirkt mit Freienhäuschen und Familie wie ein Abziehbild des Spießertums.
Damals war er ein höchstens durchschnittlich attraktiver blonder, sehr dünner Junge, der aber stets den Schalck im Nacken hatte.
Wir hatten alle Jobs oder zumindest Nebenjobs. Während ich aber um die zehn D-Mark in der Stunde verdiente, bekam Carsten 100 Mark für 30 Minuten; mindestens. Er brauchte nur drei bis vier dieser kurzen Dates in der Woche, um gut über den Monat zu kommen.
Ich war sicher nicht der einzige, der ihn heimlich um das leicht verdiente Geld beneidete, während man bei Studentenjobs für Zeitarbeitsagenturen stumpfsinnig und sehr lange für ein paar Kröten jobben musste.
Einige Semester lang hatte ich eine Stelle als „STEP-Betreuer“ (STEP = Studieneingangsphase), das war schon quasi der Jackpot. Das dauerte immer fünf Wochen zu Semesterbeginn Arbeit von 8.00 bis 17.00 Uhr, aber die Bezahlung nach Stunden wurden bis zu den Semesterferien gestreckt, so daß man nach den fünf Wochen auch ohne zu arbeiten monatlich ein paar hundert Mark bekam. Aber die elf Stunden täglich waren durchaus mühsam, weil ich für die Sicherheit im Labor für die Anfänger zuständig war. Das hieß die Augen überall zu haben, während motivierte Schulabgänger beherzt Chemikalien zusammen gossen und mit Wonne danach trachteten Büretten, Thermometer, Kühler und Pipetten so weit oben anzufassen, daß sie unter der Hebelwirkung brachen und sich in die Hände kreischender Erstsemester bohrten.
Während dieser fünf Wochen lag mein eigenes Studium natürlich brach und ich geriet in enorme Zeitnot, während Carsten in Ruhe seinen eigenen Aufgaben im Fortgeschrittenen-Labor nachgehen konnte.

Wäre ich doch nur nicht so verklemmt gewesen.
Zur Prostitution hatte ich schon immer ein entspanntes Verhältnis, weil ich einerseits als Hamburger Jung natürlich den Anblick von Straßenhuren gewöhnt war. Sie standen damals nicht nur auf der Reeperbahn, sondern zum Beispiel auch an der heute todschicken durchgentrifizierten Langen Reihe.
Noch heute bin ich davon überzeugt, daß das „älteste Gewerbe der Welt“ nicht verbietbar ist und ärgere mich über die Kriminalisierung von Nutten, während die über eine Million Freier in Deutschland pro Tag unbehelligt bleiben.
Natürlich muß mit voller staatlicher Gewalt gegen Zwangsprostitution und Kinderprostitution vorgegangen werden. Aber alles, das auf freiwilliger Basis   geschieht, geht niemand etwas an.

Ich verwende den Begriff „Prostitution“ auch weiter gefasst.
Modeln, traditionelle Ehen, Strippen, Tanzen, Schauspielern – vieles funktioniert nach dem Prinzip „Körper gegen Geld“. Wer, außer notgeilen Schwulen guckt bitte sehr Ringen?

Noch 1997 stimmte die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Sie waren der Meinung, der Ehemann und Ernährer habe ein Recht darauf seine Frau zum Sex zu zwingen; diese dürfe sich in der Ehe nicht verweigern. DAS nenne ich pervers. Noch heute spricht man vom „Vollzug der Ehe“ wenn Geschlechtsverkehr gemeint ist.

(….) Verbot gemischtkonfessioneller Ehen, Frauenwahlrecht und Homosexualität  gab es ebenso wie die legale Prügelstrafe, die Todesstrafe
und Folter noch bis ins 20., teilweise sogar bis ins 21. Jahrhundert wird man verblüfft ausrufen.

Und mit unserer wunderbaren deutschen Verfassung durften Frauen weder ohne Zustimmung des Mannes eine Arbeitsstelle annehmen, noch ein Konto eröffnen. Sie durften sogar in der Ehe straflos vergewaltigt werden.

Wussten Sie, [….] dass eine Ehefrau bis in die 50er Jahre hinein nicht ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten durfte? Unglaublich, aus heutiger Sicht, dass wir diese Rechte erst seit ein oder zwei Generationen besitzen. Denn für uns sind das Recht auf Arbeit sowie das Wahlrecht mittlerweile selbstverständlich.
[….] Die Möglichkeit zu arbeiten und selbst über das eigene Leben zu entscheiden war in der Jugend unserer Eltern und Großeltern noch alles anderes als selbstverständlich. Großmutters Satz "Das hätte es früher nicht gegeben!" ist in vielen Fällen leider traurige Wahrheit.
So galt bis Ende der 50er Jahre das "Letztentscheidungsrecht" des Ehemannes in allen Eheangelegenheiten. Und dieses Recht hatte es in sich: Beruf, Führerschein, Kindererziehung, eigenes Geld und Konto - all das wurde per Gesetz zu Gunsten des Mannes geregelt. So hatte der Ehemann das Recht, über das Geld seiner Ehefrau frei zu verfügen. Und das betraf nicht nur ihr Einkommen, sondern auch das Geld, das sie mit in die Ehe gebracht hatte. Frauen konnten noch nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen. Der Mann konnte sogar den Job seiner Frau ohne deren Zustimmung kündigen.
Diesen Missständen wurde erstmals am 1. Juli 1958 begegnet, als das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf Grundlage des bürgerlichen Rechts in Kraft trat. Mit dem neuen Gesetz wurden unter anderem die Vorrechte des Vaters bei der Kindererziehung eingeschränkt. Es sollte jedoch noch bis zum Jahr 1977 dauern, bis Frauen ohne Einverständnis ihres Mannes erwerbstätig sein durften und es keine gesetzlich vorgeschrieben Aufgabenteilung in der Ehe mehr gab.
[….] Frauen durften  [….]  bis 1958 nur dann ihren Führerschein machen, wenn ihr Mann oder ihr Vater die Erlaubnis dazu erteilte.

(….) Auch aktuelle Koalitionspolitiker stimmten noch 1997 gegen das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe, weil sie offensichtlich der Ansicht waren, es wäre das natürliche Recht eines Mannes die Frau sexuell zu penetrieren, auch wenn sie sich dagegen wehre.
25 Jahre sperrten sich CDU und CSU erfolgreich gegen die Strafbarkeit von Ehefrauen-Vergewaltigung. Erst 17 Jahre nach einer entsprechenden UN-Konvention folgte das deutsche Parlament.

Am 15. Mai 1997 stimmten von den anwesenden 644 Abgeordneten 471 für den Gruppenantrag und 138 dagegen, 35 enthielten sich der Stimme.

Alle Abgeordneten der Linken, der Grünen und der SPD stimmten für Ulla Schmidts Gruppenantrag.
Die Unions- und FDP-Politiker, die weiterhin Männer straflos sexuelle Gewalt anwenden lassen wollten waren: (……..)

Richtigerweise konnten Rot und Grün diese Form der Zwangsprostitution unter Strafe stellen.

Die sozialen Medien haben sich partiell zu einem echten Problem für Zuhälter entwickelt, da sie überflüssig werden, wenn Huren und Callboys sich selbst vermarkten können.
Ein großer Teil des Sex-Geschäftes ist in die virtuelle Welt abgewandert. Das ist zu begrüßen, weil es die Anbieter vor Gewalt und Krankheiten schützt.
Es liegt aber in der Natur der Sache, daß nicht alle Freier auf den realen physischen Kontakt verzichten wollen.
Aber Corona ist ein schwerer Schlag für das Geschäft.
Unter den selbstständigen Nutten herrscht nun bittere Not.

[….] Die Sex-Branche ist vom Corona-Lockdown schwer getroffen: Seit zwei Monaten dürfen Prostituierte wegen der Corona-Maßnahmen nicht arbeiten. Mit einem Hygienekonzept soll sich das nun ändern.
[….] Laut des Verbands würden gerade in der Sexarbeit viele von der „Hand in den Mund“ leben und kaum Rücklagen haben. Das sorgt dafür, dass viele Beschäftigte schon von Armut betroffen sind. Mit dem entwickelten Hygienekonzept fordert der Verband nun die Gleichbehandlung von Sexarbeit mit vergleichbaren körpernahen Dienstleistungen, wie beispielsweise nichtmedizinische Massagen. [….]

Das Internet bietet anderseits auch für Gelegenheitsprostituierte Alternativen.
Ein Glück für alle Jungen und Schönen.
Ein Glück auch, daß ich inzwischen alt und häßlich bin und daher nicht darüber nachdenken muss, ob „Onlyfans“ für mich als Zusatzverdienst in coroanbedingten finanziellen Engpässen moralisch in Frage käme.

[….] Die grassierende Arbeitslosigkeit treibt immer mehr junge Frauen dazu, Nacktbilder von sich zu verkaufen.
[….] Die Plattform Onlyfans [macht] brachliegendes Potenzial nutzbar: Auf der Seite, die von einem ehemaligen Investmentbanker gegründet wurde, geht es darum, eigene Nacktbilder zu verkaufen. Auf Onlyfans kann sich jeder ein Profil einrichten, seinen Körper fotografieren und für die Bilder einen Preis festlegen. [….] Eine der erfolgreichsten unter ihnen sagte der amerikanischen Elle kürzlich, die Plattform sei so etwas wie "der Bauernmarkt der Pornografie": Das Produkt gehe vom Erzeuger direkt an den Verbraucher.
[….]  Die grassierende Arbeitslosigkeit in den USA im Zuge der Corona-Krise hat nun allerdings auch hier Entwicklungen beschleunigt, die sich schon vorher abzeichneten. Zum einen sind die Nutzerzahlen in die Höhe geschossen. Und zum anderen wird die Website überschwemmt von Anfängerinnen, die den Profis die Abonnenten streitig machen.
Gerade Frauen, die ihren Lebensunterhalt bislang als Influencerinnen bestritten haben, eröffnen nun Onlyfans-Accounts, weil sie für das Influencen in der Regel angewiesen sind auf glitzernde Strände und Hotelfoyers, diese aber bis auf Weiteres geschlossen sind. Zumindest das Kokettieren mit der Plattform ist im englischsprachigen Raum zu einer Art dunkler Stilübung geworden. Als Beyoncé die Plattform kürzlich in einem Song erwähnte, zählte das Unternehmen einen Anstieg der Nutzerzahlen von 15 Prozent. [….]

Skeptisch bin ich allerdings, ob das Prostitutionsprinzip, das ganz grundsätzlich natürlich auch für die Politik gilt, im engeren körperlichen Sinne auch parteipolitisch nutzbar ist.

Die heute in den rechtsextremen Sumpf abgedriftete CDU-Frau Vera Lengsfeld konnte damit keine Erfolge feiern.


 Ihr CDU-Landesverband Berlin versuchte es diese Woche erneut mit plumpen sex-sells Methoden.
Ihr neues Logo imitiert das der Porono-Plattform „Pornhub“.
Ob das beim Wähler zieht?

[….] Pornhub oder doch CDU-Werbung?
  Die Farbe Orange und die CDU - das war schon immer eine recht vertrackte Angelegenheit. Als sich die Bundespartei 2005 mit dieser Farbe zierte, war die Kritik vernichtend: Altbacken wirke das und billig noch dazu. Vor zwei Jahren wechselte die CDU Deutschlands ihre Farben wieder schleichend zum Schwarz-Rot-Gold, vor allem, um den Rechtspopulisten die Nationalfarben nicht zu überlassen.
[….]
Dafür schmückt sich nun seit Anfang der Woche die Berliner CDU mit dem Orange. [….] Das neue Logo, Orange auf Schwarz, ist Teil einer umfassenden Imagekampagne mit dem Titel #aufgehtsberlin. "Wir erfinden uns gerade neu", sagte Wegner bei der Präsentation. [….] Dabei sind die Christdemokraten nun vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen. Aufmerksame Twitternutzer haben jedenfalls eine kuriose Parallele bemerkt - zum Portal von Pornhub, einem der größeren Anbieter von Sexfilmen im Internet. Die Ähnlichkeit ist tatsächlich frappierend: von der Farbgebung, Orange auf schwarzem Grund, bis hin zur schnörkellosen Schrift. [….]