Vor ca
zehn Jahren waren TV-Berichte über HartzIV-Betrüger groß in Mode.
In immer
neuen Reportagen folgten Kamerateams Kontrolleuren des Sozialamts, die
aufdeckten, wie es sich angeblich Arme gemütlich machten in der sozialen Hängematte.
Seit dem
assoziiert man „Flachbildfernseher“ mit Sozialhilfe.
Jeder
kannte den von der BILD gehypten „Florida-Rolf“, der von der Arge finanziert
paradiesisch am Strand lebte.
Unfassbares
Verhalten der angeblich Arbeitssuchenden zeigte Rita Knobel-Ulrich in ihrer
inzwischen legendären Reportage „Arbeit, nein danke!“ (2005) über die ARGE
Hamburg-Harburg.
Natürlich
sind solche Berichte reißerisch und ungerecht.
Natürlich
gibt es Betrüger, die sich mit viel Geschick ein gemütliches Leben vom Sozialstaat
finanzieren lassen.
Natürlich
gibt es umgekehrt Hunderttausende (insbesondere Ältere), die gar keine Hartz-Gelder
bekommen, obwohl sie Ansprüche geltend machen könnten.
Natürlich
gibt es insbesondere viele Kinder, die unter HartzIV in beschämend ärmlichen
Verhältnissen aufwachsen müssen.
Das
generelle Problem an staatlichen Leistungen ist aber, daß damit immer Neid und
Missgunst gefördert wird. Der deutsche Michel kann nicht gönnen. Er erträgt es
nicht, daß jemand anders etwas bekommt, daß er selbst nicht auch haben kann.
Daß man „die
faulen Arbeitslosen“ alle zum Spargelstechen schicken sollte, daß ihnen die
Bezüge noch deutlich gekürzt gehörten, war damals Mainstream. Sich über
kettenrauchende „Prekariatler“, die den ganzen Tag tumb „Unterschichten-Fernsehen“
glotzen und Fastfood fressen aufzuregen, war sehr populär. Parteien, die für
eine Aufstockung der sozialen Leistungen standen wurden abgestraft.
So kamen
CDU und FDP wieder an die Macht.
Der Hype
HartzIV-Empfänger zu bashen, ist mittlerweile vorbei.
Aber es
entsteht eine neue Neid- und Missgunst-Bewegung; diesmal richtet sie sich gegen
Heimatvertriebene.
Exemplarisch
steht dafür das widerlich-hetzerische Verhalten des Innenministers
de Maizière, der sich öffentlich darüber empörte, daß
einige Syrer noch so viel Geld hätten Taxis zu fahren.
Statt
seine Macht als Mitglied der Bundesregierung zu nutzen, um Verständnis und
Empathie FÜR die Flüchtlinge zu fördern, lenkt er die Volksemotionen in xenophobe Bahnen.
Die
ausländerfeindliche Stimmung, die mit Hilfe vieler C-Politiker offenbar weiter
steigt, führt zu völlig schwachsinnigen Regelungen wie der Umstellung auf Sachleistungen.
Und
wie schon bei den beiden vorherigen Gaga-Gesetzen der CSU, die sich als
rechtswidrig erwiesen – Herdprämie und Anti-Ausländermaut – setzten Crazy
Horsts Berliner Epigonen beim heutigen Koalitions-Flüchtlingsgipfel
eine besonders schwachsinnige Maßnahme zur Bürokratieaufblähung und Schikane
durch:
Die Koalition will Bargeldzahlungen "so weit wie möglich" durch Sachleistungen ersetzen.
Die Koalition will Bargeldzahlungen "so weit wie möglich" durch Sachleistungen ersetzen.
Das
ist höchstwahrscheinlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und wird einen
erheblichen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. Also CSU pur.
Man
stelle sich nur die Probleme vor, die entstehen, wenn all die Apfel-Allergiker
mit ihren zugeteilten Äpfeln dastehen und die Mandel-Allergiker die
entsprechenden Kekse nicht essen können.
Irrsinn
hoch drei.
CSU-Troll Scheuer und der braune Sachse de Maizière meinen
die Heimatvertriebenen mit Heringsfilet in Tomatensoße von
Deutschland abschrecken zu können.
Weswegen
die hier lebenden Ausländer, die dem deutschen Staat pro Kopf 3.300 Euro im
Jahr mehr Geld einbringen als sie kosten und damit Deutschlands Haushalten einen Überschuss von 22 Milliarden Euro pro Jahr
bescheren, angesichts der Überalterung und des Fachkräftemangels überhaupt so
dringend ferngehalten werden sollen, bleibt das Geheimnis der Unionsparteien.
[….]
Deutschland, im August 2015: Die Zahl der
Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist stark gestiegen, die Stimmung gegen
Asylbewerber mancherorts feindselig. Innenminister Thomas de Maizière (CDU)
macht sich ein Bild von der Lage und besucht unter anderem die Registrierstelle
im niederbayerischen Deggendorf. [….] De
Maizière muss wohl bei seinem Besuch zu dem Ergebnis gekommen sein, dass es den
Flüchtlingen in Deutschland zu gut geht. Er fordert: mehr Sachleistungen,
weniger Taschengeld.
Klingt nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 1993, das in dieser Version bis August
2012 in Kraft war. Darin war als Sollwert der Gutscheine und Geldleistungen für
Alleinstehende ein Betrag von 360 D-Mark angegeben. Fast 20 Jahre lang kein
Inflationsausgleich, keine Neuberechnung, keine Anpassung, nichts. Der Betrag
lag um 40 Prozent unter dem Niveau der Regelsätze der Sozialhilfe und von Hartz
IV.
Wie menschenwürdig ist
es, wenn Menschen faktisch entmündigt werden?
Sachleistungen, das
sind zum Beispiel Einkaufsgutscheine oder Chipkarten, mit denen die Flüchtlinge
nur in bestimmten Geschäften einkaufen können - Lebensmittel, die ihren
Ernährungsgewohnheiten entsprechen würden, sind dort häufig nicht erhältlich.
In Bayern erhielten Flüchtlinge bis zum vergangenen Jahr Essenspakete. Dagegen
gab es massive Proteste, in München traten Asylbewerber in den trockenen
Hungerstreik. Der UN-Ausschuss hatte Deutschland schon im Jahr 2011 für diese
Praxis gerügt.
Der bayerische
Flüchtlingsrat hat einen Bestellschein aus dem Jahr 2006 online gestellt, der
einen Einblick in die monatliche Essensausgabe für Erwachsene gibt. Auf der
Liste fanden sich unter anderem: Semmeln, Heringsfilet in Tomatensoße,
vegetarischer Bohneneintopf. Das kann man sicherlich alles essen. Bleibt die
Frage, wie menschenwürdig es ist, wenn Menschen faktisch entmündigt werden,
sich ihre Lebensmittel selbst aussuchen zu können.
Hinzu kommt der Aspekt
der sozialen Ausgrenzung: Den Flüchtlingen wird die Möglichkeit genommen, in
einer Alltagssituation der einheimischen Bevölkerung zu begegnen. Der
Integration dient das sicherlich nicht. [….]
Hier
versagt die Politik nicht nur, nein, sie verschlimmert die Verhältnisse,
schafft Bürokratie und Mehrkosten – mit dem einzigen Zweck dem xenophoben
Michel Zucker zu geben.
In diese
Kategorie gehört auch das neue Lieblingsprojekt der C-Parteien; Transitlager.
Gemeint damit
ist eine rechtliche extrem fragwürdige Schikane-Maßnahme, die sehr teuer ist
und das eigentliche Problem noch verstärkt.
Der
einzige Sinn: Der rechte Stammtisch soll applaudieren und so die abflachenden
Zustimmungskurven der Union wieder in Schwung bringen.
Für die
ARD-Tagesthemen sprach Marion von Haaren dazu einen sehr guten Kommentar.
Internierungslager
an den Grenzen sind populär und populistisch.
Aber
auch sinnlos und menschenverachtend.
"Transitzonen
sind praktisch undurchführbar"
[….]
Pro Asyl warnt vor
"menschenrechtsfreien Zonen". Transitzonen widersprächen jedem
Grundgedanken von Rechtsstaatlichkeit.
[….]
In der SPD gibt es große Bedenken.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagt, wer Transitverfahren von Flughäfen
auf Landesgrenzen übertragen wolle, schaffe "Massenlager im
Niemandsland". Der Vorschlag sei "praktisch undurchführbar".
Die Haftlager an den
Grenzen sind nicht nur ein schwerer Eingriff in die Menschenrechte, sondern sie
sind auch absolut unpragmatisch. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie man an
diesen Grenzen für Tausende und Abertausende von Menschen diese Haftlager
errichten will. Ich war letzte Woche in Passau, ich habe mir das angeschaut,
ich habe mit den Verantwortlichen vor Ort gesprochen, mit Bundespolizei, mit
dem Oberbürgermeister: Niemand kann sich vorstellen, wie das pragmatisch
umgesetzt werden soll.
Deshalb erwarten wir
von der Union, dass sie diese unsägliche Debatte stoppt. Wir erwarten von Frau
Merkel, dass sie ihre Richtlinienkompetenz wahrnimmt und diese Debatte beendet
und dafür sorgt, dass wir zu vernünftigen, pragmatischen,
menschenrechtswürdigen und umsetzbaren Lösungen kommen.
(Anton Hofreiter, 13.10.15)
[….]
Faktisch
ist es [….] ein neues Signal der Inkompetenz der CSU, die immer wieder versucht,
ihre Stammtischforderungen in der Bundesregierung durchzusetzen, und sich am
Ende böse damit blamiert.
[….]
Dennoch sind die Eilverfahren in
Transitzonen eine Schnapsidee. Denn Transitzonen setzen Grenzkontrollen voraus,
und Kontrollen an Binnengrenzen sind nach EU-Recht nur vorübergehend möglich,
maximal zwei Jahre. Wenn die Infrastruktur aufgebaut wurde, müsste sie also
gleich wieder abgebaut werden. Was für eine Verschwendung!
Außerdem sieht
EU-Recht vor, dass Asylverfahren in Transitzonen binnen vier Wochen
abgeschlossen sein müssen.
Wie soll das gelingen,
wenn derzeit in der gleichen Zeit die Antragsteller oft nicht einmal
registriert werden können? Am Ende werden die Flüchtlinge vier Wochen an der
Grenze sinnlos inhaftiert, um am Ende doch einreisen zu können. [….]
[….] Zehntausende
im Niemandsland: Wie soll das funktionieren?
Der Vorschlag klingt,
als käme er aus einer dieser merkwürdigen Transitzwischenzonen, also nicht ganz
aus dieser Welt. Denn in dieser lassen sich die Zugänge zu einem Staat eben
nicht dichtmachen, absperren und kontrollieren wie der Sicherheitsbereich eines
Flughafens - ganz abgesehen davon, dass dies in einem offenen Land auch nicht
wirklich wünschenswert wäre.
Nicht nur, dass noch
völlig unklar ist, ob sich Transitzonen an den europäischen Binnengrenzen
überhaupt mit EU-Recht vertragen und gar dem Grundrecht jedes Flüchtlings auf
individuelle und unvoreingenommene Prüfung seines Asylgesuchs. Vor allem aber
stellt sich die Frage: Wie soll das in der Praxis funktionieren? Die ehrliche
Antwort wäre: Wird es eben nicht.
[….]
Der Aufwand wäre ungleich größer,
moralisch wie materiell. Zonen bräuchten Zäune, und wer kann verhindern, dass
Menschen daran vorbei durch Salzach und Inn nach Bayern schwimmen, die sich von
der lebensgefährlichen Überfahrt über die Ägäis nicht schrecken ließen? Noch
mehr Zäune, wie in Ungarn? Ums ganze Land? Das will zu Recht nicht einmal die
CSU.