Montag, 21. Juni 2021

Mainstreamkulturwandel.

Ende der 1980er Jahre studierte ich schon, lebte allein, verdiente Geld, verbrachte meine Zeit in der Uni oder „auf der Piste“. Da fühlte ich mich durchaus erwachsen und wunderte mich dementsprechend, als um 1990 herum aus den USA eine massive Welle der „Jugendkultur“ über Deutschland hereinbrach.

Es gab nun Boybands und während die Musiker wenige Jahre zuvor noch versuchten durch Sangestalent zu überzeugen, spielten auf einmal makellose Körper, Muskeln und choreographierte Tanzeinlagen die Hauptrolle.

Mit „The New Kids On The Block” ging es los und ob des sagenhaften Erfolges gab es bald so viele gecastete künstliche Jung-Tanz-Popgruppen, daß ich schon den Überblick verloren hatte, bevor ich mich damit beschäftigen konnte.

Als Jung-Mann wurde man vor völlig neue Probleme gestellt; so musste man entsprechend der plötzlich auftauchenden Werbung mit nackten Muskelmodels plötzlich auch gut riechen und deckte sich mit Lagerfeld-, Cool Water und Zino-Davidoff-Parfum ein.

Die TV-Entsprechung war die neue weltweit megaerfolgreiche Teenie-Serie „Beverly Hills 90210“.   Ich erinnere mich an eine Abschiedsparty eines ehemaligen Schulfreundes, der einen Job in L.A. bekommen hatte. Irgendjemand sagte ihm er solle „Brenda und Brandon Walsh“ grüßen. Ich verstand nicht sofort und so wurde mir von lauter anderen Leuten, die allesamt schworen „den 90210-Scheiß“ garantiert nicht zu gucken, detail- und kenntnisreich darüber berichtet. Eine ultraerfolgreiche Teenagerserie, in der alle reich und schön sind.

Da ich schon bei der „Lindenstraße“ – noch so etwas, das alle doof fanden, aber erstaunlicherweise dennoch akribisch verfolgten – nicht mitreden konnte, sah ich mir in den nächsten Wochen auch einige Folgen „Beverly Hills 90210“ an.

Tatsächlich war die Produktion qualitativ deutschen Serien um Lichtjahre voraus.   Die Autos und die Villen der Serienfiguren waren natürlich atemberaubend. Die perfekte Kulisse für lauter Typen, die auch nur aus Oberfläche bestanden und außer ein paar amourösen Verwicklungen keine Probleme kannten.

Ein echtes Drama entspann sich nur, wenn einer der Protagonisten in den Verdachte geriet, sich finanziell einschränken zu müssen.

Ich kann nicht bestreiten, daß diese fremde Welt eine gewisse Faszination auf mich ausstrahlte, musste aber recht bald wieder aufhören die Serie zu verfolgen, da ich eine optische Aversion gegen mehrere Schauspieler entwickelte.

Da war zunächst einmal die schon im Teenageralter grotesk durch Schönheits-OPs suboptimierte Tori Spelling, dann dieses vollkommen ausdruckslose Mondgesicht Shannon Doherty, der ewig debil grinsenden Muskelmann Ian Ziering, der grotesk weiße künstliche Zähne zeigte und eigenartige krisselige blonde Schamhaare auf dem Kopf trug und natürlich diese physiognomisch extrem abstoßende Jennie Garth, die einen viel zu kleinen runden Neunaugen-Mund hatte, wie man ihn ein Vierteljahrhundert später dann wieder bei Donald Trumps typischen Gesichtsausdruck sah, wenn er den analen Schließmuskel nachmacht.

Ich verstand aber als junger Twen vor allem eins nicht; wieso war es nun auf einmal für die Teens so ein Kult Teen zu sein, daß sie ihrer speziellen Teen-Kultur frönen wollten?

Zehn Jahre vorher, als ich ein Teen wurde, wollte ich immer erwachsen sein und hoffte möglichst bald dem Teeni-Alter mit seinen rechtlichen Einschränkungen und der Schule zu entkommen!  Ich konnte die Zeit kaum abwarten endlich 18 zu werden, selbstständig zu leben, Führerschein machen, alles zu dürfen.

(…..) und auch in meiner Teenagerwelt dominierten diese Themen.

An erster Stelle die Nachrüstungs-Debatte der frühen 1980er.   In den Schulpausen sprachen wir über SALT- und START-Abkommen, opponierten gegen den NATO-Doppelbeschluss, kannten sämtliche Spezifikationen der Pershing-II und SS20-Raketen. Ronald Reagan mit seinem SDI-Weltraum-Raketenprogramm, seinen militärischen Attacken auf kleine Länder, war für uns das Feindbild schlechthin.

Die sandinistische Freiheitsbewegung Nicaraguas hatte Che Guevara als Jugendidol ersetzt, wir sorgten uns um die ausgebeutete Kaffeebauern Mittelamerikas, trugen Palästinenser-Schals, eruierten das Leben in Kibbuzim, während wir Backgammon spielten.

Riesige Aufmerksamkeit zogen allabendlich auch die Vorgänge in Warschau um Lech Walesa und die Gewerkschaft Solidarność auf sich. Wir waren zwar außerordentlich NATO-kritisch, freuten uns aber auch über die derben Tritte, die dieses kleine aufmüpfige Polen dem Warschauer Pakt versetzte.

In Ungarn herrschte doch ohnehin nur noch „Gulasch-Kommunismus“, der Steinzeit-Kommunist Nicolae Ceaușescu tanzte ebenfalls aus der Reihe, ließ Rumänien trotz des Boykott-Aufrufs aus Moskau an den Olympischen Spielen von 1984 teilnehmen. Das sozialistische Tito-Jugoslawien verstand sich sogar als „blockfrei“.

Die deutsche Politik spiegelte die enorme Bedeutung der Außenpolitik wider.   (….)

(Außenpolitische Positionierung, 24.05.2021)

Ich wollte immer erwachsen sein, interessierte mich für erwachsene Themen, freute mich, wenn ich von Erwachsenen als „erwachsen“ betrachtet wurde und mochte es, wenn Erwachsene mir bescheinigten, die Musik, die ich ihnen vorspielte oder die neuen Romane, die ich ihnen empfahl, wären durchaus für sie interessant.

Aber die Folgegeneration tickte offensichtlich anders. Beverly Hills 90210. Lagerfeld-Parfum und Boybands waren speziell für sie ersonnen worden. Niemals hätten sich Erwachsene dafür erwärmt.

 In den folgenden Jahren, beschleunigt durch das Internet, bildeten sich immer schneller neue Jugendkulturen heraus, die ich längst nicht mehr verfolge.

Das muss ich in meinem Alter auch nicht. Die Jugend von heute mag ich ohnehin nicht.

„Beverly Hills 90210“ (1990-2000), die Schwesterserie „Melrose Place“ (1992-1999) und der dritte megaerfolgreiche Serienhit „Friends“ (1994-2004) zeigen von heute aus betrachtet, allerdings auch, wie extrem sich amerikanische Serien entwickelten.

Diese sinnlosen problemfreien TV-Phantasien, in der jede einzelne Rolle weiß, hetero, schlank, mit makelloser Haut und perfekten Zähnen besetzt ist, wirken nur eine Generation später, wie völlig aus der Zeit gefallen.

Six Feet Under, Northern Exposure, The Sopranos, Breaking Bad spielen intellektuell zehn Ebenen höher. Die Charaktere sind hochkomplex, die Handlungsstränge meisterlich durchdacht und kein Casting-director würde heute noch alle Rollen straight and white besetzen. Natürlich gibt es jetzt auch People of Color, Queere und in jeder denkbaren anderen Hinsicht minderheitenaffine Personen, die 1990 niemals für Hollywoods Hochglanz-Serienprojekte gecastet worden wären.

So viel die AfD, Hedwig Beverfoerde, CSU, PP, PI, Werteunion, Kirche und Sachsen-CDU auch rumnörgeln mögen: Ich vermisse die Zeiten nicht, als die komplette Jugendkultur aus schönen weißen Heteros bestand.

Früher war nicht alles besser!
Es ist gut, daß heute in einer Vorabendserie ein schwules Paar nicht wie beim ersten Männerkuss 1990 in der Lindenstraße, so sehr homophobe Gefühle triggert, daß die CSU gleich den Bayerischen Rundfunk die böse Szene rausschneiden lässt, weil sie fürchtet ihre Bayern könnten anderenfalls eine Herzinfarkt erleiden.

Heute würde wohl kaum ein Hollywoodproduzent eine ganz große Serie aufziehen und sie wie FRIENDS nur mit weißen Heteros besetzen.

Nun gibt es auch mal eine Lesbe oder einen Schwarzen zu sehen, ohne das lesbisch sein oder schwarz sein, überhaupt zum Thema wird.    Und das ist auch gut so.

Tori Spelling, geboren 1973, die 1990 eine Hauptrolle in „Beverly Hills 90210“ übernahm, nachdem ihr Vater Aaron Spelling, diese extra für sie hineinschreiben ließ, passte gut in die Szenerie.

Rolle und Schauspielerin vermischen sich. Spelling wurde ebenfalls in Los Angelas geboren, ihr Vater war der extrem mächtige Produzent Aaron Spelling und Schriftsteller-Mutter Candy, 75, brachte schon 600 Millionen Dollar mit in die Ehe. Mit den Taufpaten Dean Martin und Barbara Stanwyck musste sie quasi selbst berühmt werden.

Mama Candy Spelling verwurstete sogar ihren letzten Umzug als Reality-TV-Format und ließ sich 2011 in einem Zweistunden-Special dabei filmen, wie sie ihr 5.300-Quadratmeter Haus mit 123 Räumen verkaufte  - für lumpige 85 Millionen Dollar. Sie wollte sich verkleinern zog in ein lediglich 1.700 Quadratmeter großes Penthouse in New York, das sie für den Spottpreis von 35 Millionen Dollar kaufte.

Macht so viel Ruhm und Reichtum nun glücklich?

Leider kann man es an dem Gesicht der heute 48-Jährigen Tori schlecht ablesen.