Montag, 14. März 2022

Erkenntnisse umsetzen

Es war Glück und Pech zugleich, daß mir die Schule sehr leicht fiel. Obwohl ich viel schwänzte und allen erdenklichen illegalen Substanzen zugeneigt war, machte mir das Abitur keine Sorgen.
Eine Woche vor den Abiklausuren gab es schulfrei, um sich vorzubereiten. Das bedeutete für mich, daß ich mit den Typen aus der Stufe unter mir saufen gehen musste, weil „meine Leute“ alle lernten. Am Abend vor der ersten Klausur zeigte ich einigen von Ihnen die „Talking Heads“-Nacht im Stairway am Neuen Pferdemarkt. Das war sehr feuchtfröhlich und lustig.

Ich fand es klug von mir, Fächer gewählt zu haben, für die man sich nicht vorbereiten musste. Mathe, weil es so einfach war, Deutsch, weil es Spaß machte und Naturwissenschaften, weil da alles logisch und strukturiert erschien.

Und ich war jung, bzw schnell. Ein Jahr hatte ich gewonnen, weil ich früher dran war; also mit 18, statt wie üblich mit 19 Jahren, das Abiturzeugnis in der Hand hielt und fast zwei weitere Jahre, weil ich als Amerikaner nicht zum Bund, bzw Zivildienst musste.

Mit 18 Jahren über meine Zukunft zu bestimmen, war die erste echte große Fehlentscheidung meines Lebens. Ich hatte mit keinen „Erwachsenen“, niemand in der Familie gesprochen, weil ich das unter „Schulangelegenheiten“ abhakte. Dafür hatte sich nie jemand interessiert. Meine Eltern haben kein einziges mal nach Hausaufgaben gefragt oder mitbestimmen wollen, welche Fächer/Freizeitaktivitäten ich wählte. Schule war für Schüler. Also mein Business.

Wäre ich nur meinen Neigungen gefolgt, hätte ich Germanistik oder Politologie studiert. Irgendeine vermeidlich rationale Stimme in meinem Kopf flüsterte mir allerdings ein, das wären brotlose Künste, das liefe auf eine Karriere als Taxifahrer hinaus. Naturwissenschaften hingegen böten ziemlich sicher einen Job und ein überdurchschnittliches Einkommen. Außerdem war mir das bisher immer so leicht gefallen, auch wenn es mich nicht im Innersten begeisterte.

Die ausschlaggebende Überlegung war aber, daß ich nicht, wie bei der Nachrüstungsdebatte Anfang der 1980er Jahre um den NATO-Doppelbeschluss, die Stationierung der Pershing-II-Raketen oder der Volkszählung von 1987, machtlos sein wollte. So oft hatte ich demonstriert, mir den Mund fusselig geredet und die Mehrheit wählte doch tumb Kohls CDU und CSU mit ihrer Atompolitik.

Bei anderen großen Problemen der Zeit würde aber das große politische Debattieren womöglich unnötig, indem man eine wissenschaftliche Lösung präsentierte. So dachte ich damals.

Die ganz großen politischen Brocken meines damaligen Umfeldes waren nach Tschernobyl 1986 und den gehäufte Leukämie-Fällen in der Umgebung meines Nachbar-AKWs Krümmel, der Ausstieg aus der Atomkraft, das Beenden der Dünnsäure-Verklappung in der Nordsee, das durch „sauren Regen“ verursachte Walsterben und das durch Fluor-Kohlenwasserstoff-Treibgase entstandene Ozonloch.

Mit meinen 18 Jahren erkannte ich darin einen denkbar simplen Zusammenhang aus Ursache und Wirkung.

Dafür brauchte ich keinen Chemie-Leistungskurs in der Schule, um zu wissen, daß die Kohlenstoff-Halogen-Verbindung (z.B. C-Cl) immer giftig ist, weil der Mensch nicht über die biochemischen Möglichkeiten verfügt, diese Bindung aufzuspalten. Alle hochproblematischen Supergifte der Zeit – Dioxin, Lindan, FCKW, chemische Kampfstoffe, DDT, aber auch das Perchlorethylen (aus der Reinigung) – weisen diese toxische C-Cl-Bindung auf.  Die, meiner Ansicht nach, lösbare Aufgabe, bestand nun also darin, die durchaus vorhandenen ungiftigeren Alternativen zu finden, bzw die laborchemisch möglichen Alternative technisch in Massenproduktion günstig hinzubekommen.

Mein damaliges ICH erlebte durchaus Fortschritte, die zwar von allerlei Gejammer der Industriebosse und konservativen Politikern begleitet wurden, aber doch so überzeugend waren, daß sie Realität wurden.

Anders als in den Merkel-Jahren, wurden Autokonzerne nicht wie rohe Eier behandelt, denen man Verpflichtungen zu niedrigerem CO2-Ausstoß nicht zumuten mochte. Die ersten „Kats“ kamen 1985, aber 1993 waren sie EU-weit Pflicht. Und siehe da, dafür verschwand sogar das hochgiftige Blei aus dem Benzin und dennoch gingen Mercedes, BMW und VW nicht Pleite.

Siehe da, Haarspray-Dosen funktionierten auch mit einem Pumpsystem oder Halogen-freien Treibgasen. Nicht zu glauben, auch die Rheinische Farbindustrie überlebte es, als sie ihre versiffte Schwefelsäure wieder aufarbeiten musste, statt wie vorher billig alles in die Nordsee zu kippen (und damit die gesamte Tierwelt zu ermorden).

Schon im ersten Semester wurden wir animiert, die „alternative Vorlesungsreihe“ zu besuchen, in der alle erdenklichen Umweltprobleme debattiert wurde. In den folgenden Semestern arbeitete ich selbst als STEP-Tutor (Studieneingangsphase) für die Erstsemester. Ich zeigte ihnen die Abläufe, passte im Labor auf, daß sie sich nicht versehentlich in die Luft jagten und besprach in dieser hochpolitisierten Zeit, die enormen Aufgaben, die auf uns Chemiker zukämen.

Die Themen der späten 1980er, die immer ausführlich an meinem Fachbereich debattiert wurden, waren die Endlichkeit der fossilen Energieträger, die Möglichkeiten der technischen Chemie Verbundverpackungen zu recyclen, die zunehmende Antibiotika-Resistenz durch den weltweiten Verschreibungswahn und natürlich auch der besondere Zugang unserer Nuklearchemie-Leute zum AKW Krümmel, das ich natürlich auch schon besichtigt hatte.

Aber wieso sollte das nicht funktionieren? Dünnsäureverklappung, FCKWs, bleihaltiges Benzin waren wir doch schließlich genauso losgeworden, wie das Todknüppeln von Robbenbabys für die Pelzindustrie oder das Delphin-Morden als Thunfisch-Beifang.

Zeitsprung 35 Jahre.

Daß im Jahr 2022 in Deutschland gewaltige SUV-Spritschlucker, die 10 bis 20 mal so viel Leistung wie mein damaliger 34 PS-Panda, die beliebtesten Autos sind, hätte ich mir in meinen pessimistischsten Träumen nicht vorstellen können.

Daß wir immer noch 100 Millionen Tonnen Erdöl und 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr in Deutschland verbrennen, auch nicht.

Wieso haben wir die Massentierhaltung immer grotesker intensiviert?

Warum hacken wir 35 Jahre später schneller denn je unsere letzten Urwälder ab?

[….] Studie zum Regenwald:  Amazonas nähert sich Kipppunkt

Der Amazonas hat eine Schlüsselrolle für das Weltklima und die Artenvielfalt - doch für Fleischproduktion und Rohstoffe wird immer mehr Regenwald abgeholzt. Einer neuen Studie zufolge könnte sich ein Großteil dadurch in Savanne verwandeln.  Der Regenwald im Amazonasgebiet hat seit Anfang der 2000er-Jahre kontinuierlich an Widerstandsfähigkeit eingebüßt. Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelassen, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen, heißt es in der Studie eines britisch-deutschen Forscherteams, die in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" veröffentlicht ist. […]

(Tagesschau, 07.03.2022)

Wieso laufen immer noch AKWs? Gelten einigen gar als Zukunftstechnologie?

Wieso wurden 35 Jahre lang so exzessiv Antibiotika verschrieben, daß alle deutschen Krankenhäuser Brutstätten für multiresistente Bakterienstämme geworden sind, um die 50.000 Menschen an MRSA verrecken?

Warum wird im Jahr 2022 der Plastikmüllberg insbesondere in Deutschland immer größer?

Meine Generation hat offensichtlich total versagt.

Jetzt lese ich in der Hamburger Morgenpost angesichts des Ukraine-Krieges und der scheinbar über Nacht hereingebrochenen Erkenntnis, daß wir nicht unendlich viel billiges Öl und Gas zu Verfügung haben, Tipps zum Energiesparen. Wie funktioniert ein Heizungsthermostat, Benzineinsparung durch weniger Rasen, duschen statt baden, Hände mit kalten Wasser waschen, beim Zähneputzen nicht das warme Wasser laufen lassen.

Ich fasse es nicht. Das wurde schon in den 1970ern bei der Ölkrise kommuniziert.

Offensichtlich steckte Homo Demens daraufhin den Kopf in den Sand und machte ein halbes Jahrhundert alles nur noch schlimmer.

Es gibt sogar immer noch Tabus, die kaum ausgesprochen werden dürfen, ohne einen Shitstorm zu ernten.  Das Generalproblem der Menschheit ist die Überbevölkerung. Nichts richtet so viel klimatischen Schaden an, wie ein weiterer Mensch! Wir müssen unbedingt mit dem Irrsinn aufhören von „Kindersegen“ zu sprechen, Kinderkriegen zu fördern.

Und die nächstgrößere Umweltpest, die unsere Zukunft ruiniert, wird ebenfalls nicht angesprochen: Haustiere.

Ein Hund ist so umweltschädlich wie ein KfZ, weil seine Futterproduktion so einen dramatischen Energie- und Wasser-Fußabdruck hinterlässt.

[…] In vielen Artikeln lässt sich nachlesen, wie schädlich die Haltung von Rindern für das Klima ist. Doch welchen ökologischen Fußabdruck hat eigentlich der beste Freund des Menschen? Dieser Frage sind Kim Maya Yavor und Dr. Annekatrin Lehmann nachgegangen. Sie haben unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Finkenbeiner am Fachgebiet Sustainable Engineering der Technischen Universität Berlin die Ökobilanz eines durchschnittlichen Hunds erstellt.

Wieviel CO2 produziert ein Hund?

Demnach stößt ein 15 kg schwerer Hund im Laufe von 13 Lebensjahren etwa 8,2 t CO2 aus. Das entspreche laut Prof. Dr. Finkenbeiner ...

    ... 13 Hin- und Rückflügen von Berlin nach Barcelona

    ... oder fast der Menge, die bei der Produktion eines Mercedes C250 emittiert wird.

Darüber hinaus scheidet der Durchschnittshund rund 1 t Kot und knapp 2.000 l Urin aus.

Das alles hat signifikante Folgen für die Umwelt. Dessen Ausmaß überrascht sogar die Forscher. Ihre Ökobilanz ist die erste, die den kompletten Lebensweg eines Hundes umfasst - vom Tierfutter bis hin zu den Ausscheidungen. In ihre Berechnungen haben Yavor, Lehmann und Finkenbeiner alle Stoff- und Energieströme einbezogen, die in einem Produkt stecken und auf die Umwelt wirken:

    Ressourcen für das Futter

    Ressourcen für die Herstellung des Futters

    Ressourcen für die Verpackung des Futters

    Ressourcen für den Transport des Futters

    Umweltauswirkungen der Exkremente

    Produktion der Kotbeutel

    Ressourcen für die Straßenreinigung

Hund: Futter und Kot am schädlichsten für die Umwelt

Tierfutter und die Exkremente der Hunde haben den größten ökologischen Fußabdruck. Die Forscher haben verschiedene Indikatoren untersucht, sogenannte Umweltwirkungskategorien; unter anderem den Klimawandel, Ozonabbau, Ozonabbau, Smog, Versauerung von Böden oder die Landnutzung. Bei fast allen Parametern fällt das Hundefutter mit circa 90 Prozent am schwersten ins Gewicht. […]

(Agrar Heute, 21.10.21)

Aber gerade in der Pandemie fangen die Deutschen an, sich wie wahnsinnig neue Hunde zuzulegen, so daß die Züchter ihre Rüden rund um die Uhr decken lassen und doch nicht den Bedarf erfüllen.

Mein Ich von vor 35 Jahren kann es nicht glauben, daß keine einzige Partei in Deutschland wagt, diese Probleme auch nur anzusprechen.

Mein Ich von heute ist ohnehin desillusioniert und fatalistisch.

Womit hätte es Mensch denn auch verdient, zu überleben?