Dienstag, 21. August 2018

Ein Land erledigt.


Griechenland ist den EU-Rettungsschirm los.
Das Durchatmen der Regierung in Athen ist nur zu gut zu verstehen.
Endlich Schluß mit der demütigenden Behandlung durch die anderen Euro-Länder.

 [….] Für seine Ansprache hat sich Tsipras einen symbolischen Ort ausgesucht: die Insel Ithaka im Westen des Landes. Hier endete das monumentale Epos der Odyssee - der Irrfahrt des Odysseus. Und so spricht auch der griechische Regierungschef von einer Odyssee seines Landes seit 2010, die jetzt zu Ende geht:
    "Griechinnen und Griechen, heute ist ein Tag der Erlösung. Es ist aber auch der Beginn einer neuen Ära. Dabei werden wir nicht den Fehler machen, zu vergessen, was wir aus den Sparprogrammen gelernt haben. Wir werden nie die Ursachen vergessen und diejenigen, die unser Land in die Notlage geführt haben."
Tsipras trägt ein weißes Hemd, im Hintergrund das strahlend blaue Ionische Meer und die Bucht, in die Odysseus nach dem Trojanischen Krieg heimkehrte - so schildert es der antike Dichter Homer. Immer wieder bedient sich Tsipras auch in seiner Ansprache der griechischen Mythologie. Alle Fernsehsender des Landes übertragen die Rede. [….]

Die Know-Nothings von der AfD haben inzwischen vergessen, daß sie sich einst als Anti-Euro-Partei gründeten und die armen Schlucker in Europas Süden aus der gemeinsamen Währung drängen wollten.
Mit den Heimatvertriebenen haben sie Opfer gefunden, die in der Skala des Elends noch weit unter den Griechen stehen und auf die es sich effektiver eindreschen lässt.

Aber die Austeritäts-Gläubigen in Brüssel klopfen sich schon mal auf die Schultern. Rechne man alles zusammen wären innerhalb von acht Jahren 260 Milliarden Euro „Hilfe“ aus Europa nach Griechenland geflossen.
Nun sei das Land saniert und könne wieder auf eigenen Füßen stehen – allerdings verlangen Troika und Juncker von der griechischen Regierung eine Haushaltspolitik, die jährlich ein Etat-Plus von 3,5% ausmacht.

Soweit die von Deutschland und insbesondere Schäuble geprägte EU-Sicht auf das nun so erfolgreich abgeschlossene Kapitel „Griechenlandrettung“.

Um die acht Jahre a posteriori so rosig zu sehen, muss man allerdings mehrere Schichten griechische Tomaten auf den Augen haben und weite Teile der Realität ausblenden.

[…] Griechenland-Rettung: Ein trauriges Stück EU-Geschichte geht weiter
„In Brüssel feiert man sich heute, weil Griechenland aus dem ESM-Programm aussteigt und an die Finanzmärkte zurückkehrt. Für die Griechen ändert sich wenig, die Rezessions- und Verarmungspolitik ist auf Jahrzehnte festgeschrieben“, sagte Alexander Ulrich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages. Ulrich weiter:
„Unter der beschlossenen verstärkten Kontrolle muss Griechenland weiter kürzen, sobald die unrealistisch hoch angesetzten Konsolidierungsziele verfehlt werden – unter strikter Überwachung von EU-Kommission und mit den finanziellen Waffen der EZB im Nacken. Man nennt es nicht 4. Programm, um den Imageschaden zu vermeiden. Doch für die Menschen in Griechenland ist es genau das.
Wirtschaftskommissar Moscovici hat Recht, wenn er die Rettungspolitik gegenüber Athen und die mangelnde Legitimation der Eurogruppe kritisiert. Dass in der EU die Menschen eines Landes über Jahre hinweg derart ausgepresst werden, um die Forderungen von Banken zu bedienen, die sich verzockt haben, ist ein Skandal.“ […..]

Fast die gesamten 260 Milliarden Euro waren aber nicht etwa ein großzügiges Geschenk, sondern sind Kredite, die Griechenland mit horrenden Zinsen über eine lange Laufzeit zurückzahlen muss.
Ein sehr gutes Geschäft für Geberländer wie Deutschland, die auf dem Kapitalmarkt sonst keine so hohen garantierten Zinsen bekommen.

(….) Was im deutschen Polit-Sprech als großzügig und solidarische „Griechenlandhilfe“ vermarktet wird, ist in Wahrheit das Gegenteil, nämlich Ausbeutung.
Umverteilung vom armen Griechenland ins reiche Deutschland.

[….]  Deutschland gilt als Zahlmeister Europas. An der Rettung Griechenlands hat die Bundesrepublik allerdings ganz gut verdient. Die
Die Griechenland-Krise hat Deutschland einen ordentlichen Gewinn beschert. Seit dem Jahr 2010 hat die Bundesrepublik insgesamt rund 2,9 Milliarden Euro an Zinsen erhalten. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor.
Der Regierungsantwort zufolge gab es seit 2010 vor allem Gewinne aus Ankäufen griechischer Staatsanleihen im Zuge des "Securities Market Programme" (SMP) der Europäischen Zentralbank (EZB), die bei der Bundesbank anfielen und dem Bundeshaushalt überwiesen wurden. Auch die Bundesbank kaufte in großer Zahl die Staatspapiere. [….]

Aber wen interessieren schon Fakten, wenn Teile der Regierung auf radikalem rechtspopulistischem Kurs sind? (….)
(Aus den Augen, aus dem Sinn, auf der Tagesordnung, 13.07.2018)

Westeuropäische Banken, insbesondere Deutsche und Französische verdienen nun wieder an Griechenland, ziehen von den Griechen mühsam erwirtschaftete Zinsen aus dem Land ab.
Sie verdienen also an den nach Athen transferierten Milliarden, die wem noch mal zu Gute kamen? Ach ja:

[…..]   Da wurde mittels Kreditausfallversicherungen auf den Kursverfall griechischer Anleihen gewettet. Die Prämien stiegen. Mit ihnen stiegen die Anleihezinsen: "Bereits im Mai 2010 waren sie für Griechenland unbezahlbar." Weil nun aber, gegründet auf "neoliberale" Annahmen, das strukturelle Defizit hochgerechnet wurde, habe Griechenland büßen müssen. Die ersten zwei Tranchen der Milliardenkredite gingen nur an die Gläubiger, darunter prominent deutsche und französische Banken. […..] 

Wie ist es möglich ein Land, das wesentlich zum Wirtschaftsboom der Export-Nation Deutschland beitrug, doppelt auszupressen?
Das erklärt der Wirtschaftsprofessor Stephan Schulmeister in seinem Buch "Der Weg zur Prosperität" (Ecowin Verlag, 2018): Durch eine Fülle neoliberaler Annahmen wurde Griechenland als strukturell defizitär heruntergerechnet.
Was nicht in die Realität der Schäubles dieser Welt passte, wurde passend gemacht.
Indem griechische Arbeitslose, die nach den von Schäuble aufgezwungenen neoliberalen Brutal-Maßnahmen immer noch arbeitslos waren, zur „strukturellen Arbeitslosigkeit“ gerechnet wurden, waren sie selbst Schuld und die Troika behielt Recht.

[…..]  […..] Für nachgerade perfide hält [Prof Schulmeister], wie bei der EU-Kommission mit Arbeitslosenstatistiken umgegangen werde: Es wird unterschieden zwischen "strukturell" Arbeitslosen und echten Arbeitslosen. Strukturell arbeitslos sind alle, die nicht arbeiten können oder "freiwillig" arbeitslos sind (landläufig nennt man das "faul"). Schulmeister legt dar, wie die Zahl der strukturell Arbeitslosen aufgebläht werde: "Als Teil des Konzeptes wird angenommen, dass flexible Arbeitsmärkte jeden durch ,Schocks' verursachten Anstieg der Arbeitslosigkeit rasch korrigieren." Daraus folge: "Wenn die Arbeitslosigkeit hoch bleibt oder weiter steigt, dann muss sie strukturell bedingt sein."
Also: Der arbeitslose Friseur und die arbeitslose Klempnerin gelten ganz schnell als arbeitsunwillig. […..]

Deutschland ist wesentlich am enormen griechischen Defizit mitschuldig, indem es den konservativen Tsipras-Vorgänger-Regierungen hunderte Panzer andrehte und sich bis heute beharrlich weigert die von den deutschen Nazis erpressten Milliarden zurückzuzahlen.

(…..)  Die Griechen sparen bekanntlich dermaßen, daß es quietscht. 
Große Teile Athens mutieren zu Slums, Nierenpatienten können sich ihre Dialyse nicht mehr leisten und Hunger wird wieder alltäglich.
Es trifft, wie immer im Kapitalismus, diejenigen, die nichts dafür können.

Deutschland ist der große Profiteur der Schande von Griechenland.
 Dort wird das einfache Volk ausgepresst nachdem die griechische Regierung Deutschen Rüstungsfirmen Milliarden-Aufträge erteilt hatte, hunderte Panzer kaufte, U-Boote bestellte. 
Deutsche Anleger freuen sich über die Dividenden, die ihnen griechische Staatsanleihen bringen. Deutsche Banken, als die griechischen Kreditgeber verdienen üppig am Hellas-Desaster. 
Ganz Griechenland fungierte als Absatzmarkt für deutsche Waren, die mit hartem Euro bezahlt wurden. (….) (…………………)

[…..] Athen kauft nicht nur Schiffe, U-Boote und Flugzeuge, sondern baut auch die größte Panzerarmee in der Europäischen Union auf. 1612 Kampfpanzer meldete die griechische Regierung Anfang Juli dem Waffenregister der Vereinten Nationen.
Gut 1000 davon sind deutsche Leopard-1- und Leopard-2-Panzer. Die haben sich die Griechen weit über zwei Milliarden Euro kosten lassen. […..]  Nach der Jahrtausendwende will Athen seine Armee gut und teuer modernisieren. Im März 2003 bestellt es beim Münchener Panzerbauer KMW 170 neue Leopard-2-Panzer. 30 Panzer werden in Deutschland gebaut, 140 in Lizenz beim Staatsbetrieb Hellenische Verteidigungssysteme (HDS) in Griechenland. Gesamtauftragswert: 1,72 Milliarden Euro.
2005 wird sich Athen auch mit der Bundesregierung über den Kauf von 330 gebrauchten Leopard-1 und -2 einig, die die Bundeswehr aussortiert. [….]

(….) Stichwort Reparationen Griechenland. Stand 2017, 72 Jahre nach Kriegsende: Immer noch weigert sich die deutsche Bundesregierung das Geld, welches die deutsche Wehrmacht 1944 geraubt hatte zurück zu zahlen.

Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen:
„Es war eindeutig die blutigste Besatzung von allen nicht-slawischen Ländern. Weit über 30.000 exekutierte Zivilisten, darunter auch viele Frauen und Kinder. Systematisch zerstörte Infrastruktur und Wirtschaft. Plünderorgien, vom Raubbau in den Bergwerken, die für die deutsche Seite interessant war, bis hin zum Abtransport von Olivenöl und von Lebensmitteln. Und daraus resultierten die mindestens 100.000 Hungertoten vom ersten Besatzungswinter.“ 

Die deutschen Besatzer pressten dem ausgeplünderten Land zudem Millionen-Kredite ab. Jeden Monat musste die griechische Nationalbank eine so genannte Zwangsanleihe aufbringen.

Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen:
„Damit wurden dann vor allem solche Kosten und Ausgaben der Wehrmacht gedeckt, die nicht unter die normalen Besatzungskosten in einem Krieg fallen. Das waren dann die Kosten für die Kriegsführung im östlichen Mittelmeer. Selbst Rommels Nordafrikafeldzug wurde zum Teil von den Griechen mitfinanziert.“

Bemerkenswert ist: Noch kurz vor Kriegsende hatten die Nazis mit der Rückzahlung der Zwangsanleihe begonnen, wie aus Dokumenten hervorgeht, die Hagen Fleischer entdeckt hat. Eine von Nazi-Deutschland selbst berechnete und anerkannte Restschuld von 476 Millionen Reichsmark blieb aber offen.

Heute entspricht das rund 10 Milliarden Euro. Geld, das griechische Regierungen schon seit Jahrzehnten zurückverlangen.

Deutschland bekleckerte sich wahrlich nicht mit Ruhm in der „Eurokrise“.
Berlin verdiente gut, ja, aber es zerstörte das immanent wichtige Vertrauen in Europa. Vertrauen, daß Merkel 2015 fehlte, als sie Hilfe bei der Verteilung der Flüchtlinge anmahnte.

Die Bundesregierung versagt aber insbesondere dabei ihren eigenen Bürgern zu erklären wie enorm wichtig die europäischen Absatzmärkte für Deutschland sind. Nun sogar noch viel mehr nachdem England aus der EU austritt und Trump Handelskriege anzettelt.
Prosperierenden Staaten im Süden Europas sind im ureigenen Interesse Deutschlands – und zwar von Portugal im Westen bis zur Türkei im Osten.
Die europapolitisch stets abwesende Merkel hat es leider immer noch nicht begriffen und kann sich nicht aufraffen Macron kräftig bei seinem proeuropäaischen Kurs zu unterstützen. Möglicherweise ihr schwerster politischer Fehler überhaupt. Dafür bezahlen wir vielleicht noch Generationen, wenn die EU von Rechtsextremen zerschossen wird.

 [….] Weite Teile Südeuropas haben sich noch immer nicht von den Euro-Turbulenzen der Nullerjahre erholt. Eine Generation junger, arbeitsloser Europäer hat Angst, abgehängt zu bleiben. Weil die EU ihr Wohlstandsversprechen nicht mehr einlösen kann, suchen viele nach Schuldigen und machen die deutsche Sparpolitik für ihre Lage verantwortlich. [….] In Deutschland wiederum hat sich ein gefährliches Narrativ breitgemacht: Die anderen wollen nur unser Geld. Es gibt das ungute Gefühl, dass es immer wieder "die fleißigen Deutschen" sind, die "den faulen Südeuropäern" ihre Schuldenmacherei finanzieren. [….]
Die Bundeskanzlerin muss auf die Sorgen und Nöte der Südeuropäer eingehen, wenn sie nicht dauerhaft mit den Le Pens, Salvinis und anderen Antieuropäern zu tun haben will. Um es klar zu sagen: Deutschland muss bereit sein, mehr zu geben. Diese Einsicht ist nicht nur ein Gebot politischer Schwerkraft, es ist auch ökonomisch sinnvoll. Die Bundesrepublik hat vom Euro so sehr profitiert wie kaum ein anderes Land. Es liegt also im deutschen Interesse, die Währungsunion zu stärken und vor der nächsten Krise zu bewahren. [….]