Wochenend
und kein Sonnenschein, da nahm ich mir zum Glück allein die aktuelle ZEIT vor.
Es ist nicht neu, daß in der
einst so vorbildlichen Qualitätszeitung konservative Leitartikel und schwer religiotische Kirchenhuldigungen
stattfinden.
Inzwischen
vergeht aber keine Woche, in der die ZEIT nicht schwere Religiotie verbreitet.
Grundsätzlich
freue ich mich natürlich darüber, wenn religiöse Themen von einer
ernstzunehmenden Warte aus erörtert werden; erst recht wenn es sich um Papst
und Kurie dreht.
Der
Katholizismus ist eine unerschöpfliche Quelle des Wahnsinns.
Aber eben nicht
nur das, denn die Christlich-totalitäre Megaorganisation beeinflusst auch alles
andere - Politik, Kultur, Psychologie, gesellschaftliche Debatten.
Die kurialen
Kabale, die wir im Moment erleben sind dabei ein Sahnehäubchen.
In
der ZEIT vom 14.06.12 darf Religiotin Evelyn Finger nicht nur ihre Rubrik „Glauben und Zweifeln“ auf eine Doppelseite aufblasen, sondern sie schreibt auch noch
den Leitartikel der Titelseite: „Rettet den Papst.“
Bis
hierhin habe ich immer noch keinerlei Einwände. Es interessiert mich sogar in
besonderem Maße, was eine so klar prokatholisch positionierte Redaktion zum
kalten Bürgerkrieg im Vatikan zu vermelden haben.
Auf
die Argumente bin ich gespannt.
Manchmal
muss man fast Mitleid haben mit dem mächtigsten Mann der Welt. Der kleine alte
Herr in Weiß und Purpur, der auf dem Kirchenthron oft so verloren wirkt und der
über seine Wahl zum Heiligen Vater von mehr als einer Milliarde Katholiken nie
besonders glücklich schien, muss jetzt ganz allein die Kirche retten. […] Man
möchte rufen: Rettet den Papst!
1.)
Mitleid
mit dem Mann, der 30 Jahre lang systematisch dafür sorgte, daß Myriaden Kinder weiterhin von ihren Priestern sexuell belästigt wurden konnten, indem er alle
Ermittlungen an sich zog und die Strafverfolgung blockierte? Nein, Mitleid muss
man gar nicht haben.
2.)
Die
mächtigsten Männer der Erde sind vielleicht Herr Obama oder Herr Hú Jǐntāo oder Herr Gates oder Herr Zuckerberg. Das kann man
verschieden definieren. Aber Ratzinger hat nicht nur keine Armeen, sondern es
hören nicht mal seine eigenen Anhänger auf ihn. 98% der katholischen Frauen praktizieren Verhütungsmethoden, die der Papst streng verbietet.
3.)
Insbesondere dieser Papst praktiziert einen Faible für Prachtentfaltung wie es ihn hunderte Jahre nicht mehr gab. Seine Kostüme sind eher goldbeladen, mit Perlen bestickt.
4.)
Wenn
Ratzinger so verloren wirkte, würde er nicht ständig massiv auf Treue zum Papstamt und Gehorsam bestehen.
5.)
Selbstverständlich
war Ratzinger glücklich, als er Papst wurde. Darauf hatte er systematisch
hingearbeitet und gleich bei seinem ersten großen Auftritt beim Weltjugendtag
von Köln sah man ihn, wie er sich strahlend feiern ließ. Als Vorgänger JP-II
starb, brachte sich der Panzerkardinal mit einer „Bewerbungsrede“ in
Stellung. Das haben damals
alle so beurteilt, als sich Ratzi mit Macht in das Sedivakanz-Vakuum gedrängt
hat. Er war Dekan der Kurie, also der formal höchste Kardinal außerhalb
der Regierung (Kardinalstaatssekretär) und normalerweise sitzt der zwar dem
ganzen Prä-Konklave-Ablauf vor, verhält sich aber traditionell ganz neutral. Davon
ist Ratzi stark abgewichen, indem er bei der Beerdigung diese lange und
programmatische Rede hielt, die in der Tat allen Kardinälen signalisierte „So
würde ICH das machen“
6.)
Natürlich
muss Benedikt nicht die Kirche retten. Im Gegenteil. Er ist doch offenbar
schwer damit beschäftigt die Gläubigen zu Millionen zu vertreiben und sich
massiv unbeliebt zu machen, indem er seinen Verein politisch nach rechtsaußen
und gesellschaftlich in finstere Mittelalter führt.
Und
wer hilft ihm künftig, die Glaubensgemeinschaft der Christen zu führen, die ihn
zwar nicht alle lieben (Reformkatholiken) und auch nicht alle brauchen (Protestanten),
aber deren Religion er nun mal personifiziert?
1.)
Hat
Frau Finger noch nie etwas von schweren Religionskriegen gehört? Im 30-Jährigen Krieg wurde halb Europa entvölkert und der gesamte Kontinent ein Jahrhundert zurück geworfen. Katholiken haben regelrechte Genozide vollführt,
beispielsweise unter Tilly Magdeburg inklusive Kinder und Frauen ausgerottet.
Die Protestanten möchten sicherlich nicht ausgerechnet vom Papst symbolisiert
werden. Im Gegenteil - der Papst ist ja gerade das Symbol der Kirchenspaltung.
Die Gehorsamspflicht gegenüber Rom ist DAS Hindernis für jede Ökumene.
Finger
fährt fort, der Papst sei „sehr verärgert […] über sein Staatssekretariat, weil
es sich nur noch mit VatiLeaks beschäftigt, aber kaum etwas zu den jüngsten Massakern
an nigerianischen Christen gesagt hat. Er ärgert sich auch über die Untätigkeit
der päpstlichen Nuntiaturen.“
1.)
Es
stimmt zwar - wenn man den Vikileaks-Quellen glaubt - daß sich der Papst über
die Nuntiatur in Berlin ärgerte. Aber es ging dabei wieder einmal um den
unbedingten Gehorsam, den er einfordert. Sein Nuntius hat sich nicht massiv
gegen Angela Merkel gestellt, als sie es wagte die Holocaustleugnerentscheidung
des Papstes zu kritisieren.
2.)
Ratzinger
mag sich über Massaker an Christen ärgern. Ich kann das nicht beurteilen. Aber
bevor die ZEIT das einfach so widergibt, sollte sie lieber daran erinnern, daß
die Christen keinen Deut besser sind. Wieso sagt der Papst nichts dazu?
Nach den tödlichen Anschlägen auf zwei christliche Kirchen in Nigeria haben christliche Jugendliche Rache geübt. Mindestens fünf Muslime wurden getötet. Dies bestätigte der Sprecher der Spezialeinheit der nigerianischen Armee (STF), Markus Mdahyelya, am Montag. Bei den Opfern der Vergeltungsaktion handele es sich um Motorrad-Taxifahrer aus der Stadt Jos, hieß es. Die Attentäter reagierten mit dem Racheakt auf zwei Attacken auf Kirchen, bei denen am Wochenende mehrere Menschen getötet und Dutzende verletzt worden waren.
Schließlich
holt Finger zum Rundumschlag gegen die Papstkritiker aus, die ihrer Meinung
nach alle Unrecht hätten.
Viele
Kommentatoren finden, der Professor Joseph Ratzinger sei selbst schuld, weil er
kein Politiker werden, sondern ein Intellektueller bleiben wolle. Er komme von
seinen theologischen Steckenpferden nicht herunter. Er könne und wolle nicht
führen. Fahrlässig vergrabe er sich in die Bücher. Glaubensfragen
interessierten ihn allemal mehr als Macht. Und deshalb sei er unfähig zur
Politik. Ja, er ruiniere sein Amt. Wer aber das Papstamt ruiniert, der muss
sich nicht wundern, wenn ihm die Geheimakten um die Ohren fliegen und ihn die
Denunzianten überrennen. So geht die Logik der aktuellen Papstkritik.
1.)
Jein,
Frau Finger. Solche Papstbeschreibungen sind in der Tat immer gleich und wenig
überzeugend. Daß sich der kometenhaft in der vatikanischen Hierarchie
Aufgestiegene gar nicht für Macht interessiere, halte ich ebenfalls für
ausgemachten Blödsinn. Vielmehr hatte sich der jetzige Papst systematisch die
Macht im Vatikan erobert. Er ist schon 30 Jahre de facto am Drücker, weil JP-II
entweder verreist oder senil war, daß er vermutlich sämtliche Kardinalserhebungen
zu verantworten hatte. Er wußte also genau was das für ein Konklave ist, wie
sich das zusammensetzt und vermutlich hatten die auch fast alle Grund ihm
dankbar zu sein. Daß der oberste
Glaubenswächter von 1,2 Milliarden Christen so naiv war, um nicht zu wissen,
wie diese Bewerbungsrede ankommt und wie das seine Chancen steigert, ist wenig
wahrscheinlich. Außerdem hatte er ein gutes Alter. Nach einem solchen
Mammut-Potifikat wird immer ein ziemlich alter Kardinal gewählt, weil man nicht
wieder so lange mit einem Typ alles blockiert haben will. So wird Ratzi gegenüber
den Kollegen in der Sixtina argumentiert haben:
„Ey Leute, ich bin schon fast 80, aber noch einigermaßen fit. Also kann ich hier mal ein paar Jahre einhüten. Verdient hätte ich es ja nach all der Zeit. Ihr könnt sicher sein, daß ich hier keine Revolutionen vom Zaun breche, die Euch verwirren oder zum neu Nachdenken zwingen. Ich schreibe nur ein paar hochgeistige Texte und ihr könnt Euch derweil sortieren, in welche Richtung es dann nach mir weitergehen soll…“
Das hat er ja auch eingehalten. Keine Reformen! Dafür aber den doofen Säkularen mal gezeigt was eine Harke ist und diese eigenartigen Ökumene-Bestrebungen vom ollen Karol zurück genommen.
Evelyn
Finger spricht den Katholischen Papstkritikern aber sogar ab in Sinne ihrer
Kirchen handeln zu wollen:
So
ist es aber nicht. Denn Geheimnisverrat wird nicht unbedingt von den Guten
begangen. Und Datenklau ist zunächst einmal kriminell. Das Problem von
VatiLeaks ist das Problem von WikiLeaks: Die Enthüller haben nicht unbedingt das
moralische Recht auf ihrer Seite. Und Leaken führt nicht automatisch zu mehr
Demokratie. »Die Lüge hat sich als Wahrheit verkleidet«, schimpft jetzt der
Papst und nennt den Abdruck der Geheimakten in der Presse teuflisch.
Tatsächlich sind die Papiere für Uneingeweihte kaum verständlich.
1.)
Das
soll offensichtlich heißen nur der Papst und seine Getreuen hätten das moralische
Recht auf ihrer Seite.
2.)
Die
Wahrheit ans Licht zu bringen sei also amoralisch.
3.)
Das
ist eine steile These angesichts der Tatsache, daß im siebten Jahr des
Pontifikats Ratzingers und nach einem Vierteljahrhundert Ratzinger an der
Spitze der Glaubenskongregation Kirchenleitungen immer noch verheimlichen
und vermauscheln, wenn ihre Leute Kinder ficken. Allein die US-amerikanische Bischofskonferenz räumte in ihrem euphemistischen Bericht zehn
Jahre nach dem Hochkochen der Missbrauchsfälle ein, daß in den USA 1500 Kinder
PRO JAHR von Priestern befummelt werden.
Wie Medien unter Berufung auf den Report berichteten, erhoben in den vergangenen zehn Jahren mehr als 15.000 Personen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen Kirchenmitarbeiter. Bis 2004 seien 4.392 Kleriker sexueller Vergehen beschuldigt worden; seitdem seien 1.723 hinzugekommen. Die Vorfälle, auf die sich die Anschuldigungen bezogen, seien in den 1960er-Jahren angestiegen. In den 1970er-Jahren hätten sie ihren Höhepunkt erreicht. In den 1980er-Jahren sei die Zahl der Übergriffe zurückgegangen.Das "National Review Board", eine 2002 eingerichtete kirchliche Laienkommission zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, bemängelte den Berichten zufolge die Kommunikation zwischen Diözesen und Orden über Missbrauchsverdächtige. So würden Diözesen von Ordensleitungen teils noch immer nicht über pädophile Mitglieder informiert, die in der Diözese tätig seien.
Die
Autorin der ZEIT-Titelgeschichte steht gegen Transparenz und Ehrlichkeit im
Vatikan. Das hülfe nämlich nicht. Reformen, wie sie aufmüpfige Priester und die
Gläubigen wollten, wären ein Weg in die Sackgasse.
Wie
kommt man da raus? Gar nicht. Wenn man den Vatikan reformiert, und davor hat
Benedikt Angst, dann ist der hinterher vielleicht kein Vatikan mehr. Aber wenn
man ihn nicht reformiert, dann geht er an falschem Traditionalismus zugrunde
oder zerstört sich in kurialen Richtungskämpfen selbst. Kurzum: Wer den Vatikan
reformiert, schafft ihn ab. Wer den Vatikan nicht reformiert, leistet seinem
Zusammenbruch Vorschub. Wie rettet man also den Papst? Indem man sagt: Der
Papst ist nicht an allem schuld. Geheimniskrämerei gehört zur absolutistischen Struktur
der katholischen Kirche. Am besten, sie schafft den Vatikan ab und behält nur
den Papst.
Wir kennen das schon von Frau Finger.
Als Joseph Ratzinger noch Chef der Glaubenskongregation war, erklärte er, warum Rom keine innerbetriebliche Demokratisierung braucht: »Wir wissen ja, dass die Demokratie selbst ein gewagter Versuch ist, dass das Entscheiden nach dem Mehrheitsprinzip nur einen bestimmten Rahmen menschlicher Dinge regulieren kann. Es wird zum Unding, wenn es auf Fragen der Wahrheit, des Guten selbst ausgedehnt würde.« Was wahr und gut ist, ist nicht diskutierbar? Das ist der Kern einer despotischen Theologie.
[…] Benedikt fürchtet die Demokratie. Seine Kirche soll so autokratisch werden, wie sie angeblich immer war.
(Evelyn Finger 25.9.2011)