Donnerstag, 28. September 2017

Grokos.

Die erste große Koalition auf Bundesebene bedeutete für die SPD etwas eigentlich Unmögliches.
Die Sozis, geführt von einem Widerstandkämpfer und einem ehemaligen KPD-Funktionär, der vier Jahre im berühmten Moskauer Hotel Lux lebte, mußten ein stockkonservatives ehemaliges Mitglied der NSDAP zum Kanzler wählen.
CDU und CSU vertraten ein zutiefst reaktionäres, homophobes, frauenfeindliches und klerikales Weltbild.
Um Willy Brandt maximal zu verunglimpfen, nannte ihn der hochgeehrte Konrad Adenauer gern „dieser Frahm“ um den fürchterlichen Makel von Brandts unehelicher Geburt zu betonen.
Ein unehelich geborener Bastard könne nicht die Regierung Deutschlands führen, so die einhellige Meinung bei den C-Unionisten.

Warum sollte die SPD eigentlich solche Typen, die 17 Jahre am Stück regiert hatten erneut zum Kanzler machen?

Es gab politische, inhaltliche und auch taktische Gründe dafür.
Seit 36 Jahren hatte es kein SPD-Mitglied mehr in einer nationalen deutschen Regierung gegeben. Erfolgreich hatten die Rechten uns Sozis so sehr als Moskaus verlängerten Arm und vaterlandslose Gesellen diffamiert, daß man den Einmarsch der Roten Armee befürchtete, wenn Brand oder Wehner etwas zu sagen hätten.
Und genau deswegen mußte die SPD damals auch in die Groko eintreten.
Sie mußte die Partei als regierungstauglich vorstellbar machen und außerdem mit ihren Ministern so überzeugen, daß sie die gewohnten CDU-Ressortchefs übertrafen.

Bei der Bundestagswahl am 3. Oktober 1965 gewann Ludwig Ehrhard 47,6% und die FDP 9,5% der Stimmen; es reichte locker für schwarzgelb, aber im Streit um Steuererhöhungen ließ die FDP die Regierung Erhard platzen.
Bevor es zu Neuwahlen kam, schloss die SPD ein Bündnis mit der CDU, trat in die erste GroKo ein und wählte Kurt-Georg Kiesinger, den Baden-württembergischen „Häuptling Silberzunge“ zum Kanzler. Mit Finanzminister Strauß saß ein weiteres ultrakonservatives ehemaliges NSDAP-Mitglied in der Bundesregierung.
Statt sich aber von diesen schwarzen Riesen dominieren zu lassen, diktierten die außerordentlich fähigen Greenhorns der SPD das Geschehen:
Außenminister und Vizekanzler Willy Brandt, Justizminister Gustav Heinemann, Wirtschaftsminister Karl Schiller, Verkehrsminister Schorsch Leber, Herbert Wehner für gesamtdeutsche Fragen, Carlo Schmid als Bundesratsminister und dem legendären „Ben Wisch“ als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Hinzu kamen später Horst Ehmke und Erhard Eppler.
Der intellektuell überragende Helmut Schmidt führte als rhetorisches Jahrhunderttalent die SPD-Bundestagsfraktion von 1967 bis 1969.
Die sozialdemokratische Crème de la Crème des 20. Jahrhunderts fand zusammen, generierte enorme Zustimmung in der Bevölkerung und schaffte 1969 das bis dahin für völlig unmöglich Gehaltene:
Sie führte selbst eine Bundesregierung an, nachdem sie bei der Bundestagswahl am 28.09.1969, heute genau vor 48 Jahren, stolze 42,7% geholt hatte.

Während Kiesinger noch feierte, in der sicheren Annahme weiter zu regieren, hatten Willy Brandt und Helmut Schmidt als Meistertaktiker die FDP an Bord geholt; es begann die „sozialliberale Ära“ unter Bundeskanzler Brandt, der auch international so brillierte, daß er 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Mit sehr guten Ministern, genialer Taktik und ausgeklügelter Programmatik, kann man also durchaus als Juniorpartner in eine CDU-geführte Bundesregierung gehen, die Union so an die Wand regieren, daß man am Ende selbst das Kanzleramt an sich reißt.

2005 versuchte die SPD dieses Kunststück zu wiederholen.
Auf dem Papier sah die Angelegenheit viel einfacher aus als 1966.
Es hatte inzwischen drei sozialdemokratische Bundeskanzler gegeben, so daß niemand mehr grundsätzlich bestritt, daß Sozis regieren können. Außerdem lag die stärkere Partei CDU nicht bei 47,6%, sondern bei mauen 35,2%; gerade mal einem Prozentpunkt vor der SPD. Es würde also statt Junior- und Seniorpartner eher zwei Parteien auf Augenhöhe geben.

Tatsächlich stellte die SPD im Kabinett Merkel I sogar mehr Minister als die CDU/CSU:
Müntefering (später Scholz), Steinmeier, Steinbrück, Gabriel, Tiefensee, Zypries, Ulla Schmidt und Wieczorek-Zeul leisteten fachlich solide Arbeit, waren aber noch sichtlich angeschlagen vom rotgrünen Machtverlust, überließen Frau Merkel ermattet das Feld.
Spitzenkandidat der nächsten Wahl wurde der sehr sehr fromme protestantische Christ Frank-Walter Steinmeier, der die sehr sehr fromme protestantische Christin Angela Merkel nicht angreifen wollte, lau und lustlos durch den Wahlkampf stolperte, bis er unsanft beim schlechtesten SPD-Ergebnis seit Hitlers  Zeiten, nämlich 23% aufschlug.
Zeit für tabula rasa. Nun müssten eigentlich Köpfe rollen.
 Es rollte auch der Kopf des Parteivorsitzenden Franz Müntefering, aber Steinmeier klammerte sich an den Gremien vorbei als erstes den ganz wichtigen Posten des Bundestagsfraktionsvorsitzenden und Oppositionsführers, bevor die neue Bundestagsfraktion überhaupt zusammentreten konnte, um zu diskutieren, wen sie gern als Chef hätten. Die Überrumpelten konnten nur noch abnicken.
Mit dem alten Personal, dem Schröderianer noch aus Hannoveraner Zeiten und der so frommen wie lauten Andrea Nahles sollte nun der Merkelkrake entschieden entgegen getreten werden.
Nahles sollte die Partei inhaltlich neu positionieren, möglichst detaillierte Pläne ausarbeiten.
Die CDU jagen, die Agenda 2010 modifizieren, neue Bande zu R und G knüpfen.

Unglücklicherweise ist Nahles aber Nahles, eignet sich also nicht zu intellektueller Grundsatzarbeit. Sie konnte sich nicht gegen Gabriel durchsetzen, ließ die programmatischen Baustellen liegen, konnte nie klar formulieren.
Sie scheiterte daran Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen, legte sich unnützerweise mit den Säkularen an, indem sie einen laizistischen Arbeitskreis in der SPD verbieten ließ, griff die CDU nicht an, förderte keinen innerparteilichen Diskurs, schaffte keine neuen Strukturen in der Partei, erkannte nicht die Möglichkeiten des Internets, umschiffte in der Bevölkerung populäre Themen wie Patientenverfügung und Sterbehilfe, weil sie nicht über ihren eigenen stramm religiotischen Tellerrand gucken konnte, verpennte den 2013ner Wahlkampf total, war nicht mal über den Kandidaten eingeweiht und bescherte uns den dummerhaftesten Slogan aller Zeiten – das WIR entscheidet – einem von einer ausbeuterischen Zeitarbeitsfirma geklauten Spruch.

Bei der Bundestagswahl von 2013 vergrößerte sich dann der Abstand von der CDU zur SPD.
Man holte wieder die alten Säcke in die Groko Merkel II, Nahles selbst ging in die Regierung, ließ aber den lieben Gott einen guten Mann sein.
Zu den ganz drängenden Fragen der vergangenen Legislatur – Flüchtlinge, Grenzen, Abschiebungen, Pegida, AfD, Rassismus, brennende Asylunterkünfte – tauchte Nahles ab, äußerte sich nie, während Kollege Heiko Maas ständig für humanistische Werte in die Bresche sprang.

2017, das bisher miserabelste SPD-Wahlergebnis von 2009 noch unterschreitend, wiederholt die SPD ihren Fehler.
Muksch aus einer Groko kommend schmollt der Spitzenkandidat öffentlich. Man wolle sich in der Opposition programmatisch erneuern.
Um der personellen Tabula Rasa zu entgehen, überlistet er wie 2009 Herr Steinmeier die Basis und verkündet im Hinterzimmer ausgeklüngelte Personalien. Nahles, die so schön 2009-2013 versagt hat, solle die Bundestagsfraktion führen und die Bundestagsabgeordneten, die das aus der Zeitung erfuhren, sollten einfach zustimmen, statt selbst zu entscheiden.

Herr Schulz hat ein Herz für Versager. Nachdem Hubertus Heil als Generalsekretär den Bundestagswahlkampf von 2009 mit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten abschloss, holte ihn Schulz 2017 erneut für denselben Posten, den Heil dann auch mitdemselben Ergebnis ausfüllte: Schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten.