Andy Grote, der Hamburger Innensenator, ist ein Kiez-Gewächs.
Der 53-Jährige Sozi gehört zum Distrikt St. Pauli-Süd, engagierte sich im Problem-Bezirk Hamburg-Mitte, zog 2008 für St. Pauli in die Hamburger Bürgerschaft ein und wurde 2012 rotgrüner Bezirksamtsleiter in „Mitte“; lebt bis heute auch selbst auf dem Kiez. Nach dem überraschenden Rücktritt des Hamburger Innensenators Michael Neumann, machte Olaf Scholz Grote im Jahr 2016 zu dessen Nachfolger.
Rund um die Reeperbahn hatte er den Unsinn mit den Hamburger „Gefahrengebieten“ erlebt. Während der CDU-Regierung in Hamburg (2001-2011) war diese Regelung in das Polizeirecht gekommen und auch mit Hilfe der Grünen, in Person des Grünen Justizsenators Till Steffen (in der schwarzgrünen Regierung 2008-2011) ausgeweitet wurden. Drei Gefahrengebiete – eines in St. Georg, zwei in St. Pauli – wurden dauerhaft eingerichtet, so daß die Polizei ohne konkrete Anlässe allerlei Maßnahmen (Durchsuchen, Kontrolle, Festsetzen) durchführen konnte. Als Innensenator schaffte Grote die hochumstrittenen Gefahrengebiete ab, die alle Bewohner ganzer Stadtteile unter Verdacht gestellt hatten und großes Misstrauen gegenüber der Polizei zur Folge hatte.
Ein Innensenator hat es in Hamburg traditionell sehr schwer, da die sehr Polizei-feindliche linke Szene hier so stark ist, wie sonst nur in Berlin und Leipzig.
Seit den Hafenstraßen-Zeiten in den 1980er Jahren und den Kämpfen um die bundesweit berühmte Rote Flora, ist die linksautonome Bevölkerung ein Machtfaktor.
Die 150-Sekunden-Reportage „Sondereinsatzkommando Wand und Farbe“ der Sendung Extra3 von 1994 ist immer noch ein Klassiker und illustriert sehr schön das Verhältnis von Polizei und Autonomen in Hamburg
Bemerkenswert ist aber wie besonnen die SPD-Senate vorgehen. Bürgermeister von Dohnanyi fand in den 80er Jahren eine friedliche Regelung, die bis heute hält. Die Rote Flora wurde trotz der geifernden Forderungen von CDU und AfD nie geräumt, man fand einen belastbaren Modus Vivendi zwischen Polizei und autonomer Szene.
(….) 1981 wurde der aristokratische Nadelstreifen-Sozi Klaus von Dohnanyi (*1928) Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und tat seinen berühmten Gorbatschow-Schritt. In einer total festgefahrenen Lage, half er sich, indem er die Perspektive wechselte.
(………) Die Hafenstraßenbewohner rüsteten sich 1987 zur finalen Schlacht, hatten ihre Häuser mit NATO-Draht verbarrikadiert und hocken mit Wurfgeschossen bewaffnet auf den Dächern, während 5.000 schwer bewaffnete Polizisten anrückten, um dem „Schandfleck“ endgültig ein Ende zu bereiten. Bei einer Erstürmung wurde mit Todesopfern gerechnet, weil beide Seiten zahlreich und zum Äußersten entschlossen waren.
Dann aber griff von Dohnanyi
ein, stoppte die unmittelbar bevorstehende Räumung, bestand auf einer
„politischen Lösung“, weil er daran glaubte, sich friedlich mit den Bewohnern
verständigen zu können. Das politische Risiko für ihn
war gewaltig; er wäre sicherlich die längste Zeit Bürgermeister gewesen, wenn
die Hausbesetzer mit Gewalt reagiert hätten.
Tatsächlich verstanden sie aber, daß hier ein Ehrenmann sein gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale warf und stellten sich als vorbildliche Vertragspartner heraus. Man sprach vom „Hafenstraßen-Wunder“; von Dohnanyi erhielt für seinen Mut später die Theodor-Heuss-Medaille.
Der Friede konnte bis heute weitgehend erhalten bleiben, obwohl die Hamburger Polizei sicherlich nicht mit allen politischen Entscheidungen einverstanden war und den Linksautonomen demonstrativ ruppig begegnet.
Es ist aber auch bei den Uniformierten bekannt, daß die halbmilitante Szene in der Hafenstraße, der Schanze, der Flora humanistische, internationalistische Ziele verfolgt und keineswegs in erster Linie Lust an Prügelleien verspürt. Beim G20-Desaster im Juli 2017 gingen Polizeikräfte aus ganz Deutschland gegen die Demonstranten aus ganz Europa vor. (…………….)
In ersten Reaktionen forderten natürlich AFDP und CDU Hamburgs, sowie alle konservativen Journalisten, nun müsse es aber endgültig der Neuen Flora an den Kragen gehen. Sofort stürmen und räumen! Die „Chaoten“ bekamen in dieser Lynchstimmung allerdings Hilfe von völlig unerwarteter Seite. Die Hamburger Polizei wendete sich an die Öffentlichkeit und nahm ausdrücklich die Schanzenbewohner und Rote-Flora-Aktivisten aus der Schußlinie. Man kenne sich; die Hamburger Autonomen hätten mit der G20-Gewalt nichts zu tun gehabt. Es ist eine eigenartige Form der Coexistenz der großen autonomen Szene in Hamburg und der Polizei eingetreten. (….)
(Hamburgs Law And Order-Partei, 05.05.2021)
Angesichts dieses über Dekaden friedlich gelebten Miteinanders, sind linksextreme Attacken auf Innensenator Grote besonders bedauerlich. Zumal dieser nicht etwa ein ortsfremder Stahlhelm-Politiker ist, sondern aus der kommunalen Verwaltung der Gegend um die Reeperbahn kommt und mit seiner Familie bis heute dort lebt. 2019 wurde ein Anschlag ihn verübt und zwar nicht etwa auf seinen Amtssitz oder seine Wohnung, sondern auf sein Auto, als er sein zweijähriges Kind zur Kita brachte.
[….] Der Dienstwagen des Hamburger Innensenators Andy Grote (SPD) ist am Freitagmorgen mit Steinen und Farbbeuteln beworfen worden. Nach Angaben der Polizei ereignete sich der Angriff um kurz nach 8 Uhr. Wie Grote selbst auf Twitter mitteilte, saß auch sein zweijähriger Sohn mit in dem Wagen. Der Vorfall ereignete sich, als das Auto an der Kreuzung Hein-Hoyer Straße/Simon-von-Utrecht Straße im Stadtteil St. Pauli verkehrsbedingt abbremsen musste. Mehrere maskierte Menschen hätten sich dem Fahrzeug genähert und dieses angegriffen, so die Polizei. An dem gepanzerten Dienstwagen des Innensenators entstand nur ein geringer Sachschaden. Bei einem dahinter fahrenden, zweiten Fahrzeug ging eine Scheibe zu Bruch. [….]
Liebe Linksautonome – den Senator mit Gewalt zu attackieren, ist ohnehin nicht zu rechtfertigen. Aber das zu tun, während er sein Kleinkind dabei hat und den Zweijährigen zu gefährden, ist moralisch extrem verdorben.
Wenige Wochen später begann die Corona-Zeit. Hamburg kann sich immerhin glücklich schätzen mit dem habilitierten Labormediziner Peter Tschentscher einen ausgesprochenen Fachmann als Regierungschef zu haben.
Zusammen mit der Sozial- und Gesundheitssenatorin Leonhard, sowie dem Innensenator Grote, steuerte er Hamburg besser als andere Millionenstädte durch die Pandemie.
Wenn nach anderthalb Jahren feierwütige Jugendliche die Erfolge im Kampf gegen die Pandemie immer wieder gefährden, indem sie auf Hygieneregeln pfeifen, sich nicht impfen lassen und sich eng zusammenrotten, habe ich volles Verständnis dafür, daß Andy Grote deutliche Worte findet. So geschah es auf Twitter, nachdem im linken Szeneviertel Schanze immer wieder „Cornern“ zu Massenbesäufnissen ausgeartet war.
[….] Am 30. Mai hatte sich der Hamburger Innensenator Andy Grote über die Feiern in Hamburg beschwert. „Manch einer kann es wohl nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen... Was für eine dämliche Aktion!“, schrieb er. […..]
Wie inzwischen halb Deutschland weiß, antwortete ein User; möglicherweise verärgert über Grotes eigenen kleinen Coronaregel-Fehltritt, mit den Worten „Andy, Du bist so 1 Pimmel“ und bekam Besuch von der Staatsanwalt.
An dieser Stelle möchte ich zwei Dinge festhalten:
Erstens finde ich es absolut richtig, wenn gegen Hass und Beschimpfungen im
Internet vorgegangen wird. Der Anschlag auf Grotes zweijährigen Sohn hat
gezeigt, welche Folgen das haben kann.
Zweitens war es nicht Grote, der dem Pimmel-Kommentator die Polizei auf den Hals hetzte. Das kann er gar nicht.
Dafür gibt es unabhängige Staatsanwaltschaften, mit denen der Innensenator nichts zu tun hat. Zudem muss ein Durchsuchungsbefehl von einem unabhängigen Richter unterschrieben werden.
Wer im Internet gegen Menschen hetzt, bekommt völlig zu Recht gelegentlich Besuch von der Staatsanwaltschaft.
[….]„Dass in diesem Fall die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung veranlasst hat, ist deren autonome Entscheidung, auf die auch niemand von außen Einfluss nimmt“, erklärte Grote am Donnerstag. Aber allen müsse klar sein: „Wenn wir gegen strafbare Hass- und Beleidigungstaten im Netz konsequent vorgehen wollen, dann sind hierzu auch häufig Durchsuchungen erforderlich.“ Das möge für den einen oder anderen überraschend sein, aber inzwischen fänden solche Durchsuchungen auch regelmäßig statt. Natürlich gebe es schwerwiegendere Fälle, räumte Grote unter Hinweis auf rechtsextremistische Taten oder sexualisierte Übergriffe auf Frauen im Netz ein. „Andererseits wollen wir doch eigentlich alle, dass auch im Netz respektvoll mit uns umgegangen wird.“ Und bei aller Berechtigung auch harter, verbaler Auseinandersetzungen müsse sich niemand beleidigen lassen, auch nicht im Netz. „Nicht nur als Politiker wird man häufig mit Häme, Hass und Beleidigungen im Netz konfrontiert“, sagte Grote. Wenn dabei die Qualität einer Straftat erreicht werde, dann rate er allen ausdrücklich immer, Anzeige zu erstatten, damit die Tat auch verfolgt werden könne. […..]
(RND, 09.09.2021)
Der Fortgang der Causa ist bekannt. Erst tauchten „Andy, Du bist so 1 Pimmel“-Aufkleber rund um seine Wohnung auf dem Kiez auf, dann bemalte die Rote Flora mit einem Verweis auf die eingangs erwähnte „SOKO Wand und Farbe“ von 1994 ihre Hauswand mit dem Pimmel-Zitat.
Die Polizei geriet angesichts der vielen „so 1 Pimmel“-Zitate in ein Dilemma.
Sie durfte es wegen des Polizeirechts („Legalitätsprinzip“) nicht ignorieren, machte sich aber zunehmend lächerlich, weil sie gegen all die Pimmelschreiber in Hamburg nicht gewinnen konnte.
[….] Nachdem die Polizei zuletzt „Pimmel-Aufkleber“ in der Stadt abkratzte, rückte sie nun am Sonntag zur Roten Flora für Malerarbeiten aus. Eine niedrige zweistellige Zahl an Einsatzkräften – die genaue Anzahl will die Polizei auf MOPO-Anfrage aus Gründen der „Einsatztaktik“ nicht nennen – sicherte die Plakatwand und andere Beamte übermalten den Spruch. Am Montagmorgen war allerdings der alte Spruch wieder angepinselt worden. Also folgte prompt ein erneuter Auftritt der Polizei-Malerkolonne. Und am Abend schlug wiederum die Rote Flora zurück und ergänzte den Spruch gleich noch mit einer Strichliste als „Ergebnis-Anzeige“ (3:2 für die Flora) und einem Aufruf zu Grotes Rücktritt. [….]
Was kostet das ständige Übermalen die Polizei? „Die Kosten werden nicht gesondert berechnet, das Übermalen geschieht durch ohnehin im Dienst befindliche Einsatzkräfte“, so Polizeisprecher Florian Abbenseth. Den Spruch einfach stehen zu lassen und damit Ressourcen zu sparen komme allerdings auch nicht in Frage, weil eine Beleidigung im Raum stehe. „Auch wenn die Polizei sich gerne mit anderen Dingen beschäftigen würde, greift hier ein Dilemma: Die Polizei unterliegt dem Legalitätsprinzip und ist bei Anhaltspunkten für das Vorliegen von Straftaten zum Einleiten strafprozessualer Maßnahmen per Gesetz verpflichtet“, begründet Abbenseth das Vorgehen. […..]
Die Polizei und Grote stecken nun also mitten im „Pimmelgate“, haben sich zur internationalen Lachnummer gemacht.
Welchen Ausweg gibt es da noch?
Richtig, nur einen: Polizei und Senator lassen ihr Ego bei Seite und handeln nach dem Motto „der Klügere gibt nach“.
Genau das geschah heute.
[….] Die Polizei stellt das Übermalen nun ein, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. Man habe entschieden, dass man »aus dieser Spirale rausmüsse«.
Auch eine Entscheidung Grotes trug demnach dazu bei: Der Innensenator hatte der Staatsanwaltschaft kürzlich signalisiert, dass er nicht gewillt sei, bei jeder neuen Beleidigung dieser Art einen Strafantrag zu stellen. Daher könne die Polizei auf eine Anzeige in diesen Fällen verzichten, sagte die Sprecherin. [….]
Gut gemacht.