Ich bin ein typisches Kind der 80er und kaum etwas beleidigte mich mehr, als der Kommentar meiner zehn Jahre jüngeren Cousine aus New York, mit der ich gemeinsam auf Video einen Ausschnitt des legendären 1985er Live-Aid-Auftritts von „U2“ sah.
Sie war (und ist) ein riesiger Bono-Fan und deswegen war ich auch so freundlich das alte selbst aufgezeichnete VHS-Video auszugraben. U2, naja. Nicht so mein Ding, aber zugegebenermaßen eine gute Live-Band.
An den U2-Auftritt von 1985 in London erinnerte ich mich noch gut, weil Bono erstens breit wie eine Haubitze war und zweitens auch noch zwischendurch ins Publikum hopste und seine verzweifelte Rest-Band zehn Minuten immer den gleichen Akkord spielen mußte.
Ich fand’s ja lustig. Meine Cousine hingegen starrte nur auf seine FRISUR und wiederholte immer was für eine „horrible decade the 80s“ gewesen wären, die „most horrible“ sogar.
Hä?
Offensichtlich stehen die 80er heutzutage für eigenartige Frisuren und (in Deutschland) für die NDW, die neue deutsche Welle. (Ideal, Extrabreit, Falco,..)
Das ist aber natürlich ganz falsch.
Abgesehen davon, daß die NDW tatsächlich eigentlich nur 1981 stattfand (in dem Jahr gab es allerdings wirklich viele ganz neue Musikstile!) und die Frisuren nicht häßlich, sondern COOL waren, gab es in den 80ern diverse Neuerungen, auf die wir ruhig stolz sein können.
Um mit dem Unwichtigsten anzufangen: Die Mode unterschied sich von den (tatsächlich grauenvollen 1970ern) nicht nur stilistisch, sondern vor allem durch ihre Diversifikation.
Die Jugendlichen sahen endlich nicht mehr einheitlich aus.
Natürlich waren die neu entstandenen apolitischen und angepassten Popper mit den geföhnten Scheiteln, den Pastelfarben, den Karottenhosen, den Marco-Polo-Shirts und Lacoste-Polohemdchen, den weißen Lederkrawatten und Barracuda- und La Scarpa-Stiefeln sehr auffällig.
(Diese Stiefel hatte ich übrigens auch - die waren ja so ungeheuer bequem! Den trauere ich heute noch nach)
Das Schöne war aber, daß daneben genauso selbstverständlich Jungs in Mod-Kutten oder riesenhaft aufgetürmten Irokesen-Frisuren oder was auch immer rumliefen.
(Ich war optisch natürlich eher den Gothics zugeneigt, behaupte aber meinen eigenen Stil gehabt zu haben.)
Von heutigen Jugendlichen habe ich keine Ahnung; die interessieren mich nicht.
Aber nach meinem oberflächlichen Eindruck ist es vorbei mit der Diversifikation.
Ich finde, daß alle Mädchen gleich aussehen und die Jungs erst Recht.
Die trauen sich zwar heutzutage ALLE Haargel zu benutzen, ohne Angst zu haben für schwul gehalten zu werden. Aber damit machen sie alle das gleiche. Entweder es sind kleine Justin Biebers mit ins Gesicht geföhnten Haaren oder sie stellen die Vorderpartie mit Gel hoch.
Und wer über Bartwuchs verfügt, MUSS natürlich so einen Goatee haben.
Ohne geht es nicht.
Außer Musik und Haaren könnte man aber durchaus noch andere Themen der 80er ansprechen.
Ganz nebenbei haben wir nämlich einige fiese dicke Zöpfe abgeschnitten, die von der 68ern übersehen wurden.
Durch Margaret Thatcher wurde auf einmal klar, daß Frauen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu höchsten Regierungspositionen taugen.
Schwule und Lesben konnten erstmals ganz normal sichtbar sein, ohne schon durch ihre bloße Anwesenheit ein Skandal zu sein.
Es wurde sogar schick schwule Freunde zu haben und selbst unter verstocktesten Konservativen sprach sich rum, daß in den schwulen Diskos die beste Musik gespielt wurde.
Dabei spielte natürlich auch AIDS eine Rolle. Ebenfalls ein Kind der 80er. Natürlich ein äußerst Ungeliebtes, aber immerhin verursachte der HI-Virus enorme Aufklärungskampagnen, die doch einiges ans Tageslicht brachte, das vorher stets in der Schmuddelecke versenkt war und sich nun auf einmal als ganz normal heraus stellte.
Achtung wurde plötzlich auch den Viechern entgegengebracht.
Die Restaurants wurden ihren „Nizza-Salat“ nicht mehr los, weil jeder wußte, daß in den Thunfisch-Netzen Delphine verendeten. (An die Thunfische selbst wurde noch nicht gedacht).
Man trat massenhaft Greenpeace bei, weil alle Welt die Bilder von niedlichen kleinen Pelzrobbenbabys kannte, die mit Knüppeln erschlagen wurden.
Man kannte auf einmal sogar das Wort „Vegetarier“ und begann sich erstmals dafür zu interessieren, wie es den Kreaturen in Legebatterien und auf Tiertransporten wohl gehen mochte.
(Vermutlich nicht so toll.)
Sogar die Zoos mußten umdenken, weil die Besucher nicht mehr sehen mochten, wie die ausgestellten Kreaturen in engsten Käfigen Hospitalismus entwickelten.
Und schließlich sah man sogar ein, daß nicht für immer und ewig festgeschrieben war, daß es nur drei deutsche Parteien, nämlich FDP, CDU und SPD geben müsse.
Waldsterben und Atomenergie wurden echte Aufreger, die so wenig abstrakt waren, daß man in Massen zu Demonstrationen ging und die Grünen wählte.
Tatsächlich sind die 80er Jahre mit den ach so hedonistischen Poppern die Dekade, die die größten Demonstrationen gegen Krieg hervorbrachte.
In mehreren Städten gingen Hunderttausende gegen die Nachrüstung auf die Straße.
Jeder wußte was eine Pershing II oder eine SS20 war und niemand wollte die Dinger haben.
Aus meiner Schulzeit erinnere ich insbesondere ein einsetzendes Umweltbewußtsein.
Auf Klassenausflügen wurde penibel darauf geachtet, daß man seinen Abfall nicht einfach in den Wald warf und wenn ein Autofahrer seinen überquellenden Aschenbecher an einer Ampel einfach auf die Straße entsorgte, konnte es durchaus passieren, daß er sich wütende Reaktionen einfing.
Vor 25 Jahren fing ich an zu studieren. Grauenvolle Konsequenzen des massenhaften Einsatzes von DDT, von entweichendem Dioxin warfen ein extremes Licht auf die Chemie.
An der Uni, bei den Naturwissenschaftlern, war die Atmosphäre das große Thema.
Die Zerstörung der Ozonschicht durch die damals noch in Haarsprays verwendeten „FCKW“s wurde so massiv angeprangert, daß FluorChlorkohlenwasserstoffe tatsächlich geächtet und verboten wurden. Natürlich hatte die Industrie zuerst geunkt, das sei unmöglich und würde die Herstellung von Spraydosen, auch die für medizinisch notwendige Zwecke, unmöglich machen.
Aber offensichtlich gab es damals noch nicht komplett enteierte Politiker, die das trotdzem durchsetzten und Überraschung, Überraschung: Es ging auch ohne FCKWs.
Genau so ein Geschrei stimmte die Autoindustrie an, als von den Grünen initiiert das Blei aus dem Benzin verbannt wurde und Katalysatoren vorgeschrieben wurden.
Laut der Arbeitgeberlobby war auch das unmöglich, würde den Tod der deutschen Autoindustrie und den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen bedeuten.
Man hörte nicht auf das Lobbygeschwätz und siehe da: Nun müssen deutsche Autos Katalsysatoren haben und dennoch sind hier nicht alle Lichter ausgegangen.
Man wünschte sich Frau Merkel hätte einen Bruchteil dieses Mut, wenn es um einen gesetzlich vorgeschriebenen CO2-Wert geht. Aber die Frau knickt ja schon ein, wenn sich Matthias Wissmann nur räuspert.
Nun ging es an der Uni darum das Aufheizen der Erdatmosphäre zu stoppen.
Es war ja klar, daß wir den CO2-Ausstoß drastisch reduzieren müssen, um eine Klimakatastrophe abzuwenden.
In dieser Angelegenheit war ich aber eigentümlich optimistisch, weil ich mich erinnerte, daß es schon Ölkrisen und autofreie Sonntage gegeben hatte.
Das verdammte Öl würde ohnehin bald alle sein. Da blieb ohnehin nichts anders übrig, als sich nach alternativen und regenerativen Energiequellen umzusehen.
Unglücklicherweise entwickelte sich die Angelegenheit ein bißchen so wie die Frisuren.
Die Aufbruchstimmung, der Hype scheint vorbei zu sein.
Zwar traten die Prognosen ein, aber ich hatte die Doofheit und Indolenz der Gattung Homo Sapiens unterschätzt.
Kaum zu glauben aber wahr:
Die Deutschen wechseln beim Autokauf konsequent auf immer größeren Hubraum.
Ein Auto mit 70 PS war in den 80ern noch ein echter „Flitzer“; ich weiß noch, wie ich darüber staunte, daß ein GOLF GTI über hundert PS haben kann.
Heute gilt ein Kleinwagen mit 75 PS als echte Gurke, mit der man sich eigentlich nicht auf die Autobahn trauen kann, weil man ja beim Laster-Überholen nicht in Gang käme.
Dabei ist genau das eingetreten, was wir doch so lange prophezeit bekommen hatten:
Das Klima heizt sich auf und die Benzinpreise steigen enorm.
Statt einer rationalen Regierung haben wir zu allem Übel auch noch vollkommen geistig verwirrte Kamikaze-Politiker in den wichtigen Ministerien.
Ich kann es zwar nicht fassen, aber die FDP will den größten Irrsinn des deutschen Finanzsystems noch ausbauen: Die Pendlerpauschale soll erhöht werden, findet Herr Rösler!
Dabei könnte kaum etwas mehr gaga sein, als den ständigen Berufsverkehr individuell zu fördern.
Pendler, die außerhalb der Stadt leben, sind gewissermaßen schon automatisch subventioniert, weil sie draußen gesünder und billiger wohnen und zudem auch noch die umsonst zur Verfügung gestellte Infrastruktur der Städter nutzen.
Die Pendlerpauschale gehört abgeschafft und nicht ausgebaut.
Eine höhere Pendlerpauschale ist nichts anderes als eine Subvention des ohnehin schon in Gewinnen erstickenden Öl-Oligopols.
Röslers Bande will die Bürger dazu animieren mehr zu tanken - und das letztendlich auf Kosten der Steuerzahler, die dann noch mehr Geld zu BP, Shell und Co schaufeln müssen.
Völlig gaga.
Natürlich lügen Rösler, Röttgen und Laumann auch wie gedruckt, denn die Pendlerpauschale ist in Wirklichkeit eine reine Entfernungspauschale, die auch Bahnfahrer, Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV-Benutzer gelten machen, obwohl die gar nicht vom Benzinpreis betroffen sind.
Zudem stellt das Statistische Bundesamt fest, daß nur 14% aller Autofahrten für den Weg zur Arbeit anfallen - der Rest wird rein privat gefahren.
Also kann Röslers Vorschlag 86% des verbrauchten Benzins gar nicht verbilligen.
Der wahre Irrsinn ist und bleibt aber der Ökologische:
Die aktuelle Debatte um den Benzinpreis und die Anhebung der Pendlerpauschale offenbart aber vor allem, wie gestrig die Politik in puncto Mobilitätswandel und Umgang mit der Ressource Erdöl argumentiert. Denn das Benzin zu verbilligen, steht dem Bestreben, den Verbrauch auf Sicht zu drosseln, exakt entgegen.Patrick Döring beispielsweise setzte sich am Sonntagabend bei Günter Jauch nicht nur für die Erhöhung der Pendlerpauschale ein, sondern bestand auch darauf, dass Menschen, die mehrere zigtausend Kilometer im Jahr berufsbedingt zurücklegen, dies in einem gut ausgestatteten, komfortablen Auto tun können. Die Luxuslimousine unter dem Hintern, der Sprit im Tank subventioniert - sicher ist das nicht nur in Patrick Dörings Welt eine schöne Vorstellung.Aber die Zeit der automobilen Maßlosigkeit ist vorbei. Die Realität sieht so aus: Die Ressource Öl ist endlich. Allein China und Indien werden ihren Ölbedarf bis zum Jahre 2030 Prognosen zufolge mehr als verdoppeln. Die bittere Wahrheit ist: Benzin wird immer teurer werden, daran ändern auch kurze Milderungsmaßnahmen nichts. Jeder soll fahren, was er will. Aber wer sich angesichts dieser Faktenlage für ein durstiges Auto entscheidet, darf hinterher nicht jammern. Genügsame Autos gibt es nämlich genug.
Der Irrsinn wird in Amerika allerdings noch viel weiter getrieben.
Hier scheint sich die Erkenntnis, daß man irgendwann mal weniger Benzin und Öl verbrauchen MUSS noch gar nicht durchgesetzt zu haben.
Insbesondere die geistig total retardierten Republikaner sehen die Lösung aller Probleme in immer mehr und immer billigerem Öl. Als ob sie es herzaubern könnten.
Rick Santorum macht jetzt Horror-Videos. In seinem Anti-Obama-Filmchen in Hitchcock-Ästhetik hält sich ein Bürger wegen zu hoher Benzinpreise - derzeit 0,80 Euro der Liter - die Zapfpistole in suizidaler Absicht an den Kopf.
Man ist endgültig auf dem intellektuellen Niveau Sarah Palins angekommen:
Drill, baby, drill!
Öl ist teuer und knapp? Dann bohren wir eben nach mehr.
War da etwa was im Golf von Florida?
Obama, der sich noch 2007 und 2008 rudimentär vernünftig gezeigt hatte und eine grüne Energiepolitik angekündigt hatte, verabschiedet sich ebenfalls von der Ratio und macht auf Populismus.
Energie ist gerade Obamas Thema Nummer eins. Der Ölpreis ist in den vergangenen fünf Monaten um mehr als 30 Prozent nach oben geschnellt. Der Benzinpreis nähert sich vier Dollar pro Gallone – gut einem Dollar pro Liter. In den USA, wo die Leute extrem niedrige Ölpreise gewohnt sind, ist das ein Allzeithoch.
Aber keine Sorge! Obama lässt nun verstärkt offshore bohren und durch Fracking und andere Techniken sollen nun bisher vollkommen unzugängliche Ölquellen ausgebeutet werden.
3.000 Meter tief unter dem Präriegras liegt eine 360 Millionen Jahre alte ölhaltige Schieferformation. So ist das an sehr vielen Stellen in Amerika.[…] Erschließen die Amerikaner weiter so schnell neue Quellen wie zuletzt, gehört Nordamerika schon in wenigen Jahren wieder zu den führenden Ölproduzenten der Welt.Unmöglich, hätten die Experten noch vor Kurzem gesagt. Noch größer ist die Veränderung beim Erdgas. Nach Schätzungen des Industrieverbands National Petroleum Council verfügt das Land über Gasvorkommen, mit denen sich der Bedarf hundert Jahre lang decken ließe.[…] Das Energie-Comeback der USA ist fast ausschließlich neuen Fördermethoden zu verdanken. Horizontale Bohrer sind im Einsatz, die unter der Erde viel größere Ölfelder erschließen können als die herkömmlichen vertikalen Bohrer, und dazu kommt eben noch das sogenannte Fracking. Energiegiganten wie Halliburton, Hess, Schlumberger und Exxon erschließen allein in North Dakota insgesamt 200 neue Quellen pro Monat. […]Klingt alles nach unbegrenzten Möglichkeiten, bloß ist der neue Energieboom hochgradig umstritten – und könnte auf Dauer das Land spalten.Vor allem das Fracking gilt als Umweltsünde. Zwischen 6.000 und 8.000 Tonnen Sand und mehrere Hundert Tonnen Chemikalien müssen in ein Bohrloch gepumpt werden, um den Schatz zu heben, außerdem bis zu 34 Millionen Liter Wasser.[…] Barack Obama [ist] überzeugt: Die neuen Bohrtechniken könnten dem Land Millionen neuer Jobs bringen – besonders den Arbeitern mit geringer Ausbildung. Sie versprächen anhaltendes Wachstum, ja, sie könnten den Amerikanischen Traum beleben.[…] Die Schwerindustrie reagiert. Der Chemieriese Dow Chemical verbraucht rund 700 Millionen Kubikmeter pro Tag, was dem täglichen Gasbedarf Australiens entspricht, und wegen der niedrigen heimischen Erdgaspreise werden jetzt Milliarden in neue Anlagen in Texas und Louisiana investiert. […]Die größte Sorge der Umweltschützer gilt dem Trinkwasser, das durch die Fracking-Chemikalien verschmutzt werden könnte. Dass die Bohrunternehmen nicht sagen wollen, was genau sie in den Boden spritzen, macht sie umso nervöser. Die Rezepte müssten aus Wettbewerbsgründen geheim bleiben, sagen die Firmensprecher. Doch zu den Substanzen gehören laut Studien Benzole, Formaldehyd und Methanol – allesamt krebsverdächtig.Das Gesetz schützt da kaum. Für das Fracking gibt es bisher gar keine einheitlichen Regeln. Der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney, zuvor Chef des Energiekonzerns Halliburton, sorgte dafür, dass die Methode von den US-Bundesvorschriften für den Wasserschutz ausgenommen wurde. [sic!]Wenn es nur das Wasser wäre: In Ohio hat Fracking nach Ansicht der Behörden mehrfach Erdbeben ausgelöst. Fördertürme, Pipelines und Schmutzwasserpools würden Gegenden wie die Catskills in eine Industrielandschaft verwandeln, und neue Wirtschaftszweige wie nachhaltige Landwirtschaft und Tourismus, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben, würden geopfert.(DIE ZEIT, 29.3.2012 Nr. 14)
Statt also in Bildung zu investieren und innovativ zu werden, zu regenerativen Energien zu forschen, lautet das Motto in Amerika „Zurück in die Vergangenheit“
Mehr Arbeitsplätze für ungelernte Malocher, mehr Öl, mehr Verbrauch.