Samstag, 23. April 2022

Legendenbildung.

Das muss man wirklich neidlos anerkennen: Im Punkt Dreistigkeit ist Friedrich Merz allen anderen Bundespolitikern weit voraus.  Einfach sagenhaft, wie er dem Urnenpöbel vormacht, die SPD habe die letzten 16 Jahre auf der Hardthöhe gesessen und außerdem ganz allein die Wirtschaftspolitik bestimmt. Daher trage die sozialdemokratische Partei die Alleinschuld für die völlig heruntergewirtschaftete Bundeswehr und die Abhängigkeit von russischer Energie.

Eilfertig springen der Faschisten-Bewunderer Melnyk und große Teile der Presse dieser Legende bei und raunen schaudernd von einem „Putin-Problem der SPD“. Melnyk und Selenskyj empören sich über die Erdgaslieferungen aus Russland nach Deutschland. Wer wollte noch mal unbedingt, daß möglichst viel Gas durch Pipelines geschickt wird? Ach ja, die Ukraine, die nämlich prächtig daran verdiente.  Pro Tag werden 109 Millionen Kubikmeter Gas durch die Ukraine geleitet, das sind 60 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, die etwa 26 Millionen europäische Haushalte mit Gas versorgen. Ein riesiges Geschäft für Kiew, da das ukrainische Energieunternehmen Naftogaz Milliarden mit den Transitgebühren verdient.

[….] Naftogaz ist heute der größte Steuerzahler der Ukraine sowie das ertragsreichste Staatsunternehmen. Mit seinen rund 1,3 Milliarden US-Dollar Nettogewinn steuert der Energiekonzern satte 15 Prozent zu den Staatseinnahmen bei. Das gilt auch für das aktuelle Jahr: Laut den eigenen Angaben des Unternehmens trug Naftogaz bereits im Zeitraum Januar bis November 2019 mit seinen Steuern und Abgaben erneut fast 14 Prozent zu den gesamten Staatseinnahmen bei. [….]

(Georgi Gotev, 17. Dez. 2019)

Die Ukraine hängt als Milliarden-absaugender Finanzparasit an den russischen Gaslieferungen. Da ist es nur naheliegend, daß Westeuropa und Russland mit Nordstream 2 eine Offshore-Trasse planten, um a) mehr Gas zu liefern und b) von den horrenden ukrainischen Gebühren befreit zu werden. Da ist es nur naheliegend, daß Kiew strikt gegen Nordstream2 ist. Bis zum 24.02.2022 waren Melnyk und Selenskyj also ganz begeistert von den russischen Gaslieferungen nach Deutschland. Es ist schon arg verlogen, nun genau über diese Lieferungen zu klagen, die sie selbst so gern wollten.

[…] Nordstream 2 sollte nie ein Ersatz für bestehende Leitungen sein. Gegenüber der Ukraine wurde das ausdrücklich vereinbart. Heute wird unsere „Abhängigkeit“ von der russischen Energie kritisiert. Ein Kriegsgrund? War es nicht gerade die Ukraine, die immer am Bezug russischen Gases interessiert war? Gab es jemals Mahnungen ukrainischer Regierungen „kauft nicht so viel Gas aus Russland“? Im Gegenteil! Die Ukraine forderte: Lasst möglichst viel Gas durch unsere Leitungen fließen. Neunmalklug ist man am besten hinterher! Für Merkel, Steinmeier und andere gibt es keinen Grund für eine Entschuldigung. Verhandeln ist immer besser als schießen!“  […]

(Klaus von Dohnanyi, 22.04.2022)

Jetzt fordern Norbert Röttgen und andere CDU-Männer den Rücktritt von Manuela Schwesig, weil sie sich für Nordstream 2 einsetzte. Dabei waren alle Abstimmungen zu dem Thema im Mecklenburg-Vorpommerschen Landtag einstimmig. Jeder einzelne CDU-Abgeordnete stimmte auch dafür.

CDU-Politiker und insbesondere CSU-Größen suchten immer den Kontakt zu Putin, luden ihn ein, besuchten ihn, waren stolz auf die Händedruckbilder.

Sogar dem erzkonservativen NZZ-Mann Alexander Kissler stößt diesen Maß an Unionsheuchelei inzwischen sauer auf.

[….] Der aussenpolitische Experte der CDU, Norbert Röttgen, forderte nun als einer der Ersten Schwesigs Rücktritt. Es sei «völlig ausgeschlossen», dass die Ministerpräsidentin im Amt bleibe, sofern die persönlichen Vorwürfe zuträfen. Die «langjährigen geheimen Verstrickungen» der SPD mit dem russischen Staat müssten aufgedeckt werden. Doch auch die CDU in Mecklenburg-Vorpommern votierte Anfang 2021, als man noch gemeinsam mit der SPD in dem nordostdeutschen Bundesland regierte, für Putins trojanisches Pferd. Im Landtag erklärte die Fraktion damals, man befürworte «unverändert den Bau der Pipeline, ebenso jetzt die Errichtung der Stiftung, die neben dem Klimaschutz auch den Bau der Pipeline absichern soll». Die «partnerschaftlichen Beziehungen mit Russland» dürften nicht abgebrochen werden. Ein Untersuchungsausschuss soll nun Licht in Schwesigs persönliche Verantwortung bringen. War sie wirklich, worauf neue Enthüllungen hindeuten, eine Art Gehilfin von Putin? Generell sieht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Politiker Hendrik Wüst ein «nachhaltiges Putin-Problem» bei der SPD. Die «grosse Nähe der Vergangenheit» lähme die Partei. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert eine parlamentarische Enquête-Kommission, um die «Verstrickungen der SPD» zu untersuchen. Der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries spricht vom «Russland-Sumpf der SPD» und fordert die Grünen und die FDP auf, statt der «Ampel» ein «Stabilitätsbündnis mit der CDU» zu bilden. [….] Unter der christlichdemokratischen Regierungschefin Angela Merkel wurde der Bau von Nord Stream 2 selbst dann nicht gestoppt, als Russland die Krim annektiert hatte. [….] Traditionell eng sind die Bande der CSU mit Moskau. Noch zu Zeiten des Kalten Kriegs antichambrierte Ministerpräsident Franz-Josef Strauss im Kreml. Für bayrische Wirtschafts- und Energieinteressen war auch seinen Amtsnachfolgern kein Weg zu weit. Edmund Stoiber rühmte 2017 das «stabile und positive Verhältnis zu Russland».Ein Jahr zuvor hatte sich Horst Seehofer in Moskau dafür ausgesprochen, die Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs in der Ukraine aufzuheben. Der heutige CSU-Chef Markus Söder wurde Anfang 2020 von Putin im Kreml empfangen. Zu Beginn dieses Jahres warnte er vor «immer härteren Sanktionen» gegen Russland. An Nord Stream 2, so Söder, solle Deutschland festhalten. [….]

(NZZ, 20.04.2022)

Im Moment schwelen drei gewaltige CDU-Skandale.

1.)

Konrad Adenauer instrumentalisierte Jahrelang die hochrangigen Nazis Reinhard Gehlen und Hans Globke, um mit Geheimdienstmitteln die SPD auszuspionieren. Dagegen war Nixons Watergate lächerlich. Der CDU-Kanzler hatte sogar einen Spion in die SPD-Zentrale eingeschleust und hätte sofort in Schimpf und Schande zurücktreten müssen, wenn irgendetwas davon bekannt geworden wäre.

[…]  Die SPD hat mit Entsetzen auf die Enthüllung reagiert, dass Konrad Adenauer die Parteispitze fast zehn Jahre lang mit Hilfe zweier Informanten ausspionieren ließ. Die Sozialdemokraten forderten die CDU auf, die Vorgänge aufzuarbeiten. "Es ist ein ungeheuerlicher und in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl beispielloser Vorgang, dass der erste demokratische Bundeskanzler seine Macht systematisch unter Missachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien ausbaute und festigte", sagte SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert am Samstag der Süddeutschen Zeitung. "Es wird Zeit, sich als deutsche Christdemokratie einer kritischen Aufarbeitung zu stellen." Die Aufdeckung dieses "skrupellosen Machtmissbrauchs lässt Teile unserer bundesrepublikanischen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht erscheinen". […]

(SZ, 09.04.2022)

Der heutige Herr im Konrad-Adenauer-Haus, Friedrich Merz schweigt sich dazu aus.

2.)

Der sächsische CDU-Polizeiminister Wöller leistete sich eine so endlose Kette von Nepotismus- und Rechtsextremismus-Skandalen, daß selbst Andi Scheuer dagegen wie ein anständiger Minister wirkt. Selbst die rechten Polizeigewerkschaften waren von ihrem Chef entsetzt.

[…] "Der Fisch stinkt vom Kopf her" - mit harten Worten hatten die beiden großen Polizeigewerkschaften Wöllers Rücktritt gefordert. Anlass war dessen Personalpolitik im Innenministerium. So hatte Wöller den erfahrenen Leiter der Kommunikationsstelle Polizei durch den ehemaligen Landesvorsitzenden der Jungen Union ersetzt. Der brachte wenig Wissen für den Job mit, galt aber als Wöllers Vertrauter. Der Personalrat schaltete sich ein; schließlich kam noch heraus, dass eine frühere Studienfreundin von Wöllers Frau künftig die Polizeischule in Rothenburg leiten sollte. [….]

(SZ, 22.04.22)

Der selbst sehr rechte und skandalaffine Ministerpräsident Kretschmer musste nun die Reißleine ziehen.

[….] Innenminister Roland Wöller hinterlässt politische Verwüstungen. Sein Nachfolger wird gut zu tun haben.  Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) ist sich bis zum Schluss treu geblieben. Er, der Kritik immer abschmetterte, sich keinen Fehler eingestehen konnte, dachte trotz der jüngsten Skandale gar nicht daran zurückzutreten. Er überließ es Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), ihn zu entlassen.  [….]

(Antonie Rietzschel, 23.04.22)

3.)

Ministerpräsident Wüst belügt nach dem gewaltigen Mallorcagate die Wähler, tut so, als ob er von den Eskapaden nichts mit bekommen hätte (als ob das so viel besser wäre) und belässt zwei Skandalminister im Amt.

[….] Niemand hat was gesagt? Nichts, nicht mal unter ziemlich besten Freunden? Man glaubt kaum, was am Freitag im Landtag Nordrhein-Westfalens zur "Mallorca-Affäre" zu hören war. Also zur hemmungslosen Reisefreudigkeit mehrerer Kabinettsmitglieder der schwarz-gelben Landesregierung unmittelbar nach der Flutkatastrophe im Juli 2021.

Zur Erinnerung: Ende Februar gestand die (inzwischen geschasste) Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) öffentlich ein, sie sei nur einen Tag nach dem Jahrhunderthochwasser mit 49 Toten in NRW zurück nach Palma geflogen. Schon das war, na ja, moralisch kühn. Einen Monat später, am 24. März, musste die Politikerin einräumen: Sie verbrachte nicht nur vier, sondern gleich neun Tage unter der Sonne. Das war verwegen - und dann wurde es dummdreist. Denn am 7. April kam heraus: Heinen-Esser hatte noch die Bauministerin, den Europa-Minister und die Integrations-Staatssekretärin dorthin eingeladen, um den Geburtstag ihres Ehemanns zu feiern.  Hendrik Wüst, Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in drei Wochen, will von all dieser Feierlust nach der Todesflut nichts gewusst haben. [….]

(Christian Wernicke, 22.04.22)

Diese drei CDU-Skandale und die Putin-Affinität der Union verschweigen Friedrich Merz und Hendrik Wüst.

Sie verschweigen auch jede eigene Programmatik, schlagen keine CDU-Politik vor, lassen jede konstruktive Mitarbeit vermissen.

Stattdessen gibt es nur ein Thema: An allem ist die SPD schuld und alle Sozis sollten zurücktreten.

[….] Hendrik Wüst soll der Ampel-Regierung auf Bundesebene den ersten empfindlichen Knacks verpassen, umso deutlicher teilt der CDU-Ministerpräsident beim Wahlkampfauftakt gegen die SPD aus. Doch mit Inhalten punkten weder er noch Friedrich Merz. [….]  Die Ampel-Regierung in Berlin habe bei Waffenlieferungen an die Ukraine, der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland, den Sanktionen gegen Moskau und der militärischen Unterstützung der Ukraine immer lange gezögert. "Noch nie war Deutschland so teilnahmslos und isoliert in Europa wie heute", sagte Wüst und in Richtung Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Der Zauderkurs des Kanzlers der SPD ist ein schlimmer Irrweg." Die SPD generell habe ein "Putin-Problem", findet Wüst und nannte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Sie steht wegen des Baus der Ostsee-Gasleitung in der Kritik. Das "Russland-Problem" der Sozialdemokraten ziehe sich bis nach NRW, wo SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty Schwesig verteidigt habe, so Wüst weiter.  CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte zuvor in seiner etwa 45 minütigen Rede leidenschaftlich das getan, was er am besten kann: Oppositionsarbeit. Den lautesten Applaus bekam der gebürtige Sauerländer für seine Aussage in Richtung Manuela Schwesig: "Dieser rote Sumpf da oben an der Küste, der muss ausgetrocknet werden." [….]

(SZ, 23.04.2022)

In welcher Partei war noch mal Bundeskanzlerin Merkel? Und in welchem Bundesland hatte sie ihren Wahlkreis?

CDU goes GOP. Gut möglich, daß der Urnenpöbel mit Unterstützung von BILD und SPIEGEL auf die Legendenbildung von der Skandalpartei SPD mit ihrem „Putin-Problem“ hereinfällt und nun wieder CDU wählt.