Schon lange bevor man die genauen Wirkungsmechanismen entschlüsselte
setzte man wirksame chemische Substanzen gegen bestimmte Leiden ein.
Kokain setzte man Ende des 19. Jahrhunderts als Lokalanästhetikum
und gegen Heuschnupfen ein, mischte es Anfang des 20. Jahrhunderts in die heute
noch danach benannte braune Brause.
Die Firma Bayer ließ sich 1898 den Markennamen „Heroin“
schützen und verkaufte die Substanz in kleinen Fläschchen als Mittel gegen
Husten, Kopfschmerzen und Bluthochdruck.
Das 1954 synthetisierte Thalidomid wurde Anfang der 1960er
Jahre als wunderbar wirksames Schlaf- und Beruhigungsmittel verkauft – unter dem
Name Contergan.
Auf heutigem Wissensstand schaudert man über den
leichtfertigen Einsatz dieser Substanzen.
Aber sie waren lediglich Extremfälle eines allgemeingültigen
Prinzips: Außer dem, das man erreichen möchte, gibt es immer Nebenwirkungen.
Es genügt niemals sich auf ein gewünschtes Ziel zu fokussieren.
Man muss komplexer denken und alle Konsequenzen abschätzen.
Auch dramatische Nebenwirkungen wie zum Beispiel bei einer
Chemotherapie können bei einer ethischen Abwägung durchaus gerechtfertigt sein,
wenn die Alternative der Krebstod ist.
Wer unter schweren Spannungsschmerzen, Schwindelanfällen,
Depressionen und Panikattacken leidet, ist vermutlich bereit für die Behebung
dieser Symptome klassische Psychopharmaka-Nebenwirkungen wie drastische
Gewichtszunahme, Lethargie, Libidoverlust, Impotenz oder Akne in Kauf zu
nehmen.
Für eine leichtere „vegetative Verstimmung“ aber eher nicht.
Chemiker wissen heute wie man selektiv die Konzentration
eines bestimmten Botenstoffs in den Synapsen anhebt.
So kann man wirksame Psychopharmaka designen.
Die Hirnchemie wird aber noch nicht so gut verstanden, daß
man alle Konsequenzen dieser Erhöhung abschätzen kann und wirklich weiß, welche
Abbauprodukte welches Medikaments die Arbeit anderer Neurotransmitter
tangieren.
Fast überall sind die Konsequenzen eines einzelnen Schrittes
komplizierter als auf den ersten Schritt gedacht.
Das gilt auch für Makroökonomie oder strategische
Geopolitik.
Trump denkt, wenn er eine Mauer aufstellt, kommen keine
Latinos mehr über die US-Südgrenze und das Migrationsproblem wäre damit gelöst.
So primitiv denkt auch die AfD. Und leider auch weite Teile
der EU-Regierungen. Grenzen dicht und gut ist.
Im Umkehrschluss bedeutet dies: Angela Merkel hat an allen
Migrationsproblemen Schuld, weil sie 2015 die Grenzen öffnete. So reden Trump,
AfD und Werte-Union heute noch.
Dabei ist das natürlich hanebüchen. Ja, Angela Merkels EU-,
Agrar-, Klima- und Export-Politik verschärft
die Fluchtursachen.
Aber sie ließ 2015 nicht nur nicht die Grenzen öffnen, weil nach Schengen glücklicherweise die
Grenzen offen waren.
[….] Wer nicht ganz so bösartig wie die
AfD-Nazis ist oder es gar als „Bahnhofklatscher“ oder „Rotgrünversiffter“
begrüßt heimatvertriebenen in Deutschland Asyl zu geben, ist Merkel heute
dankbar und schreibt diese Entscheidungen ihrer christlichen Grundüberzeugung
zu.
Das ist natürlich schon deswegen Unsinn, weil sich Merkel in den folgenden
drei Jahren mit maximalem antihumanen Impetus mühte alle Grenzen zu blockieren,
den Flüchtlingen das Leben schwer zu machen, Familien zu trennen, Kinder von
ihren Eltern wegzureißen, bestens Integrierte Migranten abzuschieben und jedes
Jahr tausende unschuldige Menschen im Mittelmeer elend ersaufen zu lassen.
Dennoch sitzt beispielsweise auch die bedeutende und kompetente
CNN-Journalistin Christiane Amanpour der Legende von
einer christlich überzeugten Gut-Kanzlerin auf und befragt
zum Ende ihres CDU-Vorsitzes den SZ-Journalisten Stefan Kornelius dazu.
[….] AMANPOUR: [….] Because clearly, you remember way back in
2000, you quoted it, she quoted it, she talked about her vision as being the
market plus humanity. So, she's obviously a conservative economist, if I could
put it that way, but she has tried to have a compassionate, Christian, humane
government and policy. And of course, we
saw that when she allowed these immigrants fleeing war and devastation in their
own country in 2015 to come in. That seems to
have backfired on her. How does she go forward with that very issue now?
KORNELIUS: Well, on immigration issue, you are right. It totally backfired and she not only was liberal or welcoming to those migrants because she was liberal mind or had an open heart, but because she's a very pragmatic and clear-thinking woman. Not the German chancellor, not a single politician in Europe would have been able to stop 15,000 migrants a day crossing the German border.
So, I guess she didn't close the borders or didn't send them back for several reasons. She would have destabilized vast parts of east and southeast Europe, she would have sent an extremely devastating message about Germany's culture to the outside world. And she couldn't have lived up to the promises in the end anyway because those people would have turned around and come through the back door. You cannot seal off Germany. This is not possible.
So, what she did is she put in policies in place with Turkey, with other neighboring countries across the Mediterranean and Northern Africa to
basically channel this flow of migrants and actually trickle it down. It's definitely it's too many people coming to Europe. Now, that took time.
And that was the basic mistake, she communicated badly and she now pays a huge price for that. She lost power for that in Germany. This is the single issue which has turned against her and it will be the issue which she will be compelled to deal with for the remaining time in her office. But [….] things she could do or have to do with European unity, with the rise of populism in Europe. [….]
KORNELIUS: Well, on immigration issue, you are right. It totally backfired and she not only was liberal or welcoming to those migrants because she was liberal mind or had an open heart, but because she's a very pragmatic and clear-thinking woman. Not the German chancellor, not a single politician in Europe would have been able to stop 15,000 migrants a day crossing the German border.
So, I guess she didn't close the borders or didn't send them back for several reasons. She would have destabilized vast parts of east and southeast Europe, she would have sent an extremely devastating message about Germany's culture to the outside world. And she couldn't have lived up to the promises in the end anyway because those people would have turned around and come through the back door. You cannot seal off Germany. This is not possible.
So, what she did is she put in policies in place with Turkey, with other neighboring countries across the Mediterranean and Northern Africa to
basically channel this flow of migrants and actually trickle it down. It's definitely it's too many people coming to Europe. Now, that took time.
And that was the basic mistake, she communicated badly and she now pays a huge price for that. She lost power for that in Germany. This is the single issue which has turned against her and it will be the issue which she will be compelled to deal with for the remaining time in her office. But [….] things she could do or have to do with European unity, with the rise of populism in Europe. [….]
Ich stimme Stefan Kornelius in dieser causa vollständig zu. Der Syrienkrieg
lief damals schon 5 Jahre, Millionenfaches Sterben fand statt, Kinder lagen
krepiert an den Mittelmeerstränden rum und Merkel musste erkannt haben, daß es
keinen EU-Konsens gibt die Flüchtlinge zu verteilen und anzuerkennen.
Sie wird einfach abgewogen haben, daß eine abrupte Grenzschließung a)
technisch und rechtlich unmöglich war und b) aus den drei von Kornelius
genannten Gründen noch schlimmer gewesen wäre.
(….)
Wenn Trump die US-Mexikanische Grenze schließt, lässt das
die Migranten natürlich nicht verschwinden, sondern verschärft die Not in den
Herkunftsländern noch
Genauso unterkomplex geht Trump auch an „den Iran“ heran,
den er als monolithische Einheit des Bösen sieht.
Also raus aus dem Iran-Atomabkommen und Verschärfung der
Sanktionen.
Das schadet dem Iran und wird ihn schwächen.
Tatsächlich gibt es nicht „den Iran“, sondern ein heterogenes
und fragiles System mit stark divergierenden Kräften.
Eine große Mehrheit der Bevölkerung gehört zur Mullah-kritischen
U30-Generation, von der mehr als die Hälfte einen akademischen Abschluss hat.
Sie sind internetaffin und haben gründlich die Nase voll von
dem ewigen Konflikt mit Amerika und den strengen Religionswächtern. Sie setzen
auf ihren vermeidlich liberalen Hoffnungsträger Präsidenten Hassan Rohani, der gegen
das viel konservativere geistliche Oberhaupt Ali Chamenei steht und vom
ultrakonservativen Hussein Salami, dem Kommandeur der Revolutionsgarden
bekämpft wird.
Über ein Jahr erfüllte der Iran mustergültig die Bedingungen
des Atomabkommen und bekam dafür nur ökonomische Schwierigkeiten, da die USA
auf immer mehr Sanktionen beharrten.
Das schwächte Rohani, verlagerte die Gewichte auf die
USA-hassenden Hardliner und brachte die westlich orientierte Jugend wieder auf
Linie.
Das heißt, durch Trumps aggressive kurzsichtige Politik
wurde garantiert das Gegenteil einer Aussöhnung erreicht.
[…..] Halten Sie eine Kapitulation Teherans für möglich, ein Nachgeben
gegenüber der USA?“
(Iranexperte des AA) Adnan
Tabatabai: „Nein. Unmöglich. Irans
Staatsideologie beruht auf dem Begriff des Widerstands. Die politische Haltung,
die Iran jetzt einnehmen muss gegenüber den USA, steckt der Führung im Blut.
Das ist deren Raison d'être.“ [….]
(STERN, 19.06.2019)
Trump ist einfach zu dumm und zu borniert, um überhaupt über
Folgen nachzudenken.
Er hält die Verhängung eines Zolls für eine monokausale
Angelegenheit, die den ausländischen Exporteur einer Ware ärgern soll.
Die sozioökonomischen Wirkungen auf US-amerikanische
Warenketten und die schlichte Verteuerung eines Produkts für US-Verbraucher
begreift er nicht. Schon gar nicht die psychopolitischen Folgen auf andere
Nationen, denen er immer wieder feindselig gegenüber tritt.
Da die fanatische Fanbase des IQ45 genauso verblödet ist und
die einstige Partei des Freihandels, die Republikaner sich kollektiv die Hoden
und das Rückgrat entfernen ließen, gefallen ihnen die neuen „Trump-Taxes“.
Die evangelikalen Spinner denken ebenfalls nur bis zu ihrer
Nasenspitze und jubeln Trump für seine unterkomplexe Kurzsichtigkeit zu.
Bisweilen mit kuriosen Folgen, wenn nicht dramatisch
Kriegsgefahren drohen.
Ausgerechnet in Amerika und ausgerechnet durch den von
christlichen Predigern bejubelten Trump werden nun die Bibeln knapp; es wird
ein regelrechter Bibelnotstand ausgerufen.
Der Grund sind Trumps Zölle.
Genau wie der gesamte Mode-Tand, den die Trumps unter ihrem
Namen verticken, in China hergestellt werden, kommen auch fast alle
amerikanischen Bibeln aus dem Reich der Mitte.
20 Millionen Bibeln werden jährlich in GODS OWN COUNTRY
verkauft – hauptsächlich Chinesische.
[….] Although
books have escaped earlier tariff hikes by the Trump administration, the latest
proposed round—a 25-percent tariff on $300 billion of Chinese goods—includes
Bibles and Christian books.
In response, leading
Christian publishers testified before the US International Trade Commission in
Washington D.C. this week to ask for exemptions.
China is the
world’s largest Bible publisher, thanks to Nanjing-based
Amity Press which has printed
almost 200 million Bibles since 1988 in
partnership with the United Bible Societies.
For the world’s
largest Christian publisher, HarperCollins Christian Publishing (HCCP), more
than three quarters of its production costs are incurred in China. Its
portfolio includes bestselling authors such as Rick Warren, as well as the New
International Version (NIV) and the King James Version (KJV) of the Bible. The
two popular translations give HCCP 38 percent of America’s Bible market, which
sees about 20 million Bibles sold annually. [….]
Seit vier Jahren wütet Trump vor christlichen Massen gegen
das böse China, während diese in 200 Millionen in China gedruckten Bibeln
blättern. 25% „oder noch viel mehr“ auf chinesische Printprodukte wären hart
für die US-Fundis.
[…..] Das
würde die Bibelbranche besonders hart treffen, schrieb Mark Schoenwald, Chef
des amerikanischen Bibel-Verlags Harper Collins Christian Publishing, in einem
Brief an den US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer vor seiner Anhörung vor
dem zuständigen Handelsausschuss. "Aufgrund der einzigartigen Papier-,
Druck- und Bindeanforderungen der Bibelproduktion gibt es einfach keine
US-Anbieter, die einen nennenswerten Teil der Menge produzieren könnten, die
benötigt wird, um die Nachfrage des US-Marktes zu erfüllen", klagte er.
Die Konsequenzen wären Schoenwald zufolge dramatisch: Manche
"Formate" könnten schlichtweg nicht mehr gedruckt werden, wenn es
tatsächlich zu den 25-Prozent-Zöllen käme. Es drohe ein
"Bibel-Engpass", der christliche Buchverlage und Buchhändler Schaden
zufügen würde. "Predigerämter, Kirchen, gemeinnützige Organisationen und
andere religiöse Einrichtungen, die zu den Hauptkunden von Harper Collins
Christian Publishing gehören, wären nicht mehr in der Lage, sich Bibeln und
Lehrmaterialien zu leisten, die sie benötigen, um hinauszugehen und Menschen zu
erreichen", schreibt Schoenwald. […..]