Seit heute halte ich also die Unterlagen zum SPD-Mitgliedervotum in der Hand.
Das ist
in vielerlei Hinsicht teuer für die Partei.
Finanziell
haut diese innerparteiliche Demokratie, die sich CDU und CSU ersparen können,
weil deren Mitglieder ohnehin niemals aufmucken würden, richtig rein.
1,5
Millionen Euro mindestens. Das wundert mich wenig, wenn ich die farbig
bedruckten Seiten, die Hochglanz-Stimmkarte und all die bunten Umschläge betrachte,
die mir heute ins Haus flatterten.
Politisch
wird es ebenfalls brutal.
Ein
großer Teil der Mitglieder wird ob des Ergebnisses beleidigt schmollen.
Die
richtig Linken werden während der mutmaßlichen nächsten Groko unablässig
Munition in die Hände bekommen und von der Ununterscheidbarkeit der „großen“
Parteien reden.
Anders
als die in dieser Hinsicht von 2009-2013 als Generalsekretärin und von
2013-2017 als Ministerin total versagende Andrea Nahles werden die SPDler in
den kommenden Jahren intensiv darauf hinweisen müssen, weswegen sie in der Regierung
sind, was sie konkret erreichen und insbesondere was die Alternative wäre.
Sie
müssen mindestens wöchentlich mit großem Tamtam erklären welche Entscheidungen
die Bundesregierung traf, wie entschieden worden wäre, wenn die SPD allein zu bestimmen
hätte und insbesondere auch, was geschehen wäre, wenn CDU/CSU/FDP/AFD ihre
rechte Bundestagsmehrheit genutzt hätten.
Man kann
Teil der Regierung sein, vertrauensvoll mit den Partnern zusammen arbeiten und
dennoch offen kommunizieren worin die Kompromisse bestehen, weil die
Unionsseite mit ihrer koalitionsinternen 3/5-Mehrheit blockiert.
Ja, es
gibt keine Bürgerversicherung und keinen Familiennachzug.
So ist
das in einer Koalition. Aber die SPD muss das den Bürgern ununterbrochen unter
die Nase reiben: Seht her, wir behalten eine Zweiklassenmedizin gegen den
ausdrücklichen Willen der Sozis, weil die Unionsseite verbissen für die
Privilegien weniger und die Gewinne der Versicherungskonzerne kämpft, statt
sich dem Bürger verpflichtet zu fühlen.
(Wenn man nicht
steinreich ist, hat man als Privatversicherter auch nichts zu lachen.
Meine
Privatversicherung hat mir meinen monatlichen Beitrag gestern um 80
EURO erhöht! Nach 60 Euro Erhöhung im Jahr 2017. PLUS 140 Euro jeden Monat. Das
können sie, weil ich ohnehin nicht wechseln kann, weil es keine
Bürgerversicherung geben wird und weil sie sich heute über ihre CDU freuen.
Nun liegt mein
monatlicher Krankenkassenbeitrag höher als meine Monatsmiete in der Hamburger
Innenstadt. Als Selbstständiger muss ich das natürlich immer zahlen. Auch wenn
ich keine Aufträge habe oder krank bin. Krankheit kann ich mir nicht leisten.
Irgendjemand muss schließlich diese monatlichen Fixkosten verdienen.)
Ich
verzeihe der SPD, daß sie keine Bürgerversicherung durchdrücken konnte, die es
mir ermöglicht hätte, meine Rückstellung bei der PKV in eine andere
Versicherung zu überführen und zu wechseln.
Das ist
Realpolitik. Ich zürne mit der Union.
Ich
würde es aber der SPD nicht verzeihen, wenn sie zukünftig den Eindruck machte,
sie wäre sich einig mit der Union und verfolge das Ziel einer einheitlichen und
gerechten Krankenversicherung nicht mehr.
Die SPD
kann in der nächsten Groko sehr konkret einiges für bedürftige Menschen
verbessern.
[…..] Für
den Alltag vieler Menschen allerdings würden die Vereinbarungen in einer Reihe
von Punkten echten Fortschritt bedeuten, sie würden handfeste Erleichterungen
mit sich bringen. Nicht selten tragen sie genau dort die Handschrift der
Sozialdemokraten. Die Einigung will Geringverdiener entlasten, Sozialleistungen
ausbauen, Familien unter die Arme greifen, Rentner unterstützen, ein Zeichen
gegen die Wohnungsnot setzen, kräftig in Kitas und Ganztagsschulen investieren,
die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erschweren. Die möglichen
Koalitionspartner machen sich außerdem um Europa verdient, indem sie es
ausbauen möchten und auf Distanz zur bisherigen rigiden Sparpolitik Berlins
gehen.
Jene Genossen, die an
die Einigung den Anspruch haben, sie möge ein Glanzstück sein, werden den
Vertrag wohl ablehnen. Wer aber nüchterner an die Sache herangeht, der kann
guten Gewissens mit Ja stimmen. Denn das Papier taugt als Grundlage für eine
solide arbeitende Regierung mit etwas geschärftem Blick für den sozialen
Zusammenhalt. Und dass die SPD, eine Partei, die bei der Bundestagswahl auf
knapp über 20 Prozent abgesackt ist, neben anderen Ministerien die
Riesen-Ressorts Außen, Finanzen und Arbeit und Soziales bekommen soll, ist ein
nahezu atemberaubender Verhandlungserfolg der Sozialdemokraten. [….]
Unerfreulich
ist das sprachliche Niveau des Koalitionsvertrages.
Die vagen Worthülsen und der Pathos im Anschreiben der SPD-Verhandler.
Aber
geschenkt. Das sind Politiker und nicht Herta Müller oder Goethe.
Außerdem
ist ein Groko-Vertrag keine einklagbare Garantie für Regierungshandeln, sondern
eine Absichtserklärung, welche die Richtung vorgibt.
Wir
sehen schließlich jeden Tag was unvorhergesehen auf Deutschland zukommt.
Die Bundesregierung
muß oft ad hoc reagieren und in dem Fall habe ich lieber sechs Sozi-Minister an der
Front als noch mehr Ausfälle à la Dobrindt und Scheuer.
Auch
wenn es SPON verächtlich eine „Angstentscheidung“ nennt….
[….]
Aus Angst in die GroKo
Die SPD stürzt in
Umfragen immer weiter ab. Das trifft die ohnehin schon verunsicherten Genossen
schwer. Beim Mitgliedervotum über die GroKo könnte das Stimmungstief der
Parteiführung allerdings sogar helfen.
[…..]
… bleibt
richtig, daß bei einem „Nein zur Groko“ politisch konkret gar nichts erreicht
werden könnte.
Dann
blieben nur noch zwei Möglichkeiten:
·
Entweder
eine Minderheitsregierung, die de facto ein radikaler Rechtsschwenk wäre, weil
sich CDU/CSU dann auf die gemeinsame Mehrheit mit der AfD stützen würden.
·
Oder
Neuwahlen, bei denen die SPD als erwiesenermaßen regierungsunfähige Partei
hinter die AfD zurück fiele.
Beides
ist klar noch unerfreulicher als eine Groko-IV.