Dienstag, 20. Februar 2018

Alternativlos


Seit heute halte ich also die Unterlagen zum SPD-Mitgliedervotum in der Hand.
Das ist in vielerlei Hinsicht teuer für die Partei.
Finanziell haut diese innerparteiliche Demokratie, die sich CDU und CSU ersparen können, weil deren Mitglieder ohnehin niemals aufmucken würden, richtig rein.
1,5 Millionen Euro mindestens. Das wundert mich wenig, wenn ich die farbig bedruckten Seiten, die Hochglanz-Stimmkarte und all die bunten Umschläge betrachte, die mir heute ins Haus flatterten.


Politisch wird es ebenfalls brutal.
Ein großer Teil der Mitglieder wird ob des Ergebnisses beleidigt schmollen.
Die richtig Linken werden während der mutmaßlichen nächsten Groko unablässig Munition in die Hände bekommen und von der Ununterscheidbarkeit der „großen“ Parteien reden.

Anders als die in dieser Hinsicht von 2009-2013 als Generalsekretärin und von 2013-2017 als Ministerin total versagende Andrea Nahles werden die SPDler in den kommenden Jahren intensiv darauf hinweisen müssen, weswegen sie in der Regierung sind, was sie konkret erreichen und insbesondere was die Alternative wäre.
Sie müssen mindestens wöchentlich mit großem Tamtam erklären welche Entscheidungen die Bundesregierung traf, wie entschieden worden wäre, wenn die SPD allein zu bestimmen hätte und insbesondere auch, was geschehen wäre, wenn CDU/CSU/FDP/AFD ihre rechte Bundestagsmehrheit genutzt hätten.

Man kann Teil der Regierung sein, vertrauensvoll mit den Partnern zusammen arbeiten und dennoch offen kommunizieren worin die Kompromisse bestehen, weil die Unionsseite mit ihrer koalitionsinternen 3/5-Mehrheit blockiert.

Ja, es gibt keine Bürgerversicherung und keinen Familiennachzug.
So ist das in einer Koalition. Aber die SPD muss das den Bürgern ununterbrochen unter die Nase reiben: Seht her, wir behalten eine Zweiklassenmedizin gegen den ausdrücklichen Willen der Sozis, weil die Unionsseite verbissen für die Privilegien weniger und die Gewinne der Versicherungskonzerne kämpft, statt sich dem Bürger verpflichtet zu fühlen.

(Wenn man nicht steinreich ist, hat man als Privatversicherter auch nichts zu lachen.
Meine Privatversicherung hat mir meinen monatlichen Beitrag gestern um 80 EURO erhöht! Nach 60 Euro Erhöhung im Jahr 2017. PLUS 140 Euro jeden Monat. Das können sie, weil ich ohnehin nicht wechseln kann, weil es keine Bürgerversicherung geben wird und weil sie sich heute über ihre CDU freuen.
Nun liegt mein monatlicher Krankenkassenbeitrag höher als meine Monatsmiete in der Hamburger Innenstadt. Als Selbstständiger muss ich das natürlich immer zahlen. Auch wenn ich keine Aufträge habe oder krank bin. Krankheit kann ich mir nicht leisten. Irgendjemand muss schließlich diese monatlichen Fixkosten verdienen.)

Ich verzeihe der SPD, daß sie keine Bürgerversicherung durchdrücken konnte, die es mir ermöglicht hätte, meine Rückstellung bei der PKV in eine andere Versicherung zu überführen und zu wechseln.
Das ist Realpolitik. Ich zürne mit der Union.
Ich würde es aber der SPD nicht verzeihen, wenn sie zukünftig den Eindruck machte, sie wäre sich einig mit der Union und verfolge das Ziel einer einheitlichen und gerechten Krankenversicherung nicht mehr.

Die SPD kann in der nächsten Groko sehr konkret einiges für bedürftige Menschen verbessern.

 […..] Für den Alltag vieler Menschen allerdings würden die Vereinbarungen in einer Reihe von Punkten echten Fortschritt bedeuten, sie würden handfeste Erleichterungen mit sich bringen. Nicht selten tragen sie genau dort die Handschrift der Sozialdemokraten. Die Einigung will Geringverdiener entlasten, Sozialleistungen ausbauen, Familien unter die Arme greifen, Rentner unterstützen, ein Zeichen gegen die Wohnungsnot setzen, kräftig in Kitas und Ganztagsschulen investieren, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erschweren. Die möglichen Koalitionspartner machen sich außerdem um Europa verdient, indem sie es ausbauen möchten und auf Distanz zur bisherigen rigiden Sparpolitik Berlins gehen.
Jene Genossen, die an die Einigung den Anspruch haben, sie möge ein Glanzstück sein, werden den Vertrag wohl ablehnen. Wer aber nüchterner an die Sache herangeht, der kann guten Gewissens mit Ja stimmen. Denn das Papier taugt als Grundlage für eine solide arbeitende Regierung mit etwas geschärftem Blick für den sozialen Zusammenhalt. Und dass die SPD, eine Partei, die bei der Bundestagswahl auf knapp über 20 Prozent abgesackt ist, neben anderen Ministerien die Riesen-Ressorts Außen, Finanzen und Arbeit und Soziales bekommen soll, ist ein nahezu atemberaubender Verhandlungserfolg der Sozialdemokraten. [….]

Unerfreulich ist das sprachliche Niveau des Koalitionsvertrages. Die vagen Worthülsen und der Pathos im Anschreiben der SPD-Verhandler.


Aber geschenkt. Das sind Politiker und nicht Herta Müller oder Goethe.
Außerdem ist ein Groko-Vertrag keine einklagbare Garantie für Regierungshandeln, sondern eine Absichtserklärung, welche die Richtung vorgibt.

Wir sehen schließlich jeden Tag was unvorhergesehen auf Deutschland zukommt.
Die Bundesregierung muß oft ad hoc reagieren und in dem Fall habe ich lieber sechs Sozi-Minister an der Front als noch mehr Ausfälle à la Dobrindt und Scheuer.

Auch wenn es SPON verächtlich eine „Angstentscheidung“ nennt….

[….] Aus Angst in die GroKo
Die SPD stürzt in Umfragen immer weiter ab. Das trifft die ohnehin schon verunsicherten Genossen schwer. Beim Mitgliedervotum über die GroKo könnte das Stimmungstief der Parteiführung allerdings sogar helfen. […..]

… bleibt richtig, daß bei einem „Nein zur Groko“ politisch konkret gar nichts erreicht werden könnte.

Dann blieben nur noch zwei Möglichkeiten:

·        Entweder eine Minderheitsregierung, die de facto ein radikaler Rechtsschwenk wäre, weil sich CDU/CSU dann auf die gemeinsame Mehrheit mit der AfD stützen würden.

·        Oder Neuwahlen, bei denen die SPD als erwiesenermaßen regierungsunfähige Partei hinter die AfD zurück fiele.

Beides ist klar noch unerfreulicher als eine Groko-IV.