Man möge mir verzeihen, wenn ich schon wieder in volatilen demoskopischen Daten bade, die (ja, ich weiß es) keine Wahlergebnisse, sondern bloß augenblickliche, ungenau gemessene Stimmungen widerspiegeln.
Aber seit einer knappen Generation lag die Union in der Sonntagsfrage nicht mehr hinter der SPD. Das möchte ich jetzt bitte genießen. SPD 23%, CDUCSU 22%, Grüne 18%.
[…..] Etwas mehr als einen Monat vor der Bundestagswahl ist die SPD erstmals seit Jahren in einer Sonntagsfrage wieder stärkste politische Kraft in Deutschland. Im am Dienstag veröffentlichten Trendbarometer des Forsa-Instituts für RTL und n-tv kommen die Sozialdemokraten auf 23 Prozent, die Union erreicht 22 Prozent. Die SPD gewinnt im Vergleich zur Vorwoche zwei Prozentpunkte hinzu, die Unionsparteien büßen einen Punkt ein. In der Datenreihe des Instituts landen die Sozialdemokraten damit erstmals seit fast 15 Jahren auf einem höheren Wert als die Union. Die jetzt für die Union ermittelten 22 Prozent sind laut Forsa der schlechteste Wert, den das 1984 gegründete Institut jemals für CDU und CSU berechnet hat. Die Grünen rutschen um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent ab und liegen auf Rang 3. […]
Die Erklärungen für den gegenwärtigen sozialdemokratischen
Erfolg sind recht unumstritten:
Ein progressives, sehr konkretes Programm in Kombination einem hochseriösen,
erfahrenen Spitzenkandidat, der Ruhe ausstrahlt.
[….] Mutig, programmatisch sattelfest und geschlossen - das offenbar war das Langfristrezept, auf das nicht nur Scholz setzte, auch der stellvertretende Bundesvorsitzende Kevin Kühnert, der seine Partei als Jusochef so oft quälte und doch aus früheren Fehlern lernte: "Bei Martin Schulz sind wir ja mit überschwappender Euphorie, aber ohne programmatische Einigung gestartet. Und haben gesehen: Da geht einem der Treibstoff auf halber Stecke aus." Jetzt haben sie mit Scholz ein Modell "seriöse Langeweile" aber als Treibstoff immerhin ein sehr progressives Programm. Womöglich ist das ein Grund, warum jetzt funktioniert, was lange brauchte, meint Kühnert: "Vielleicht ist es anders herum sinnvoller: Erst die inhaltliche Klärung zu haben, mit ein bisschen weniger Euphorie in den Wahlkampf reinzugehen - zumindest, was die Herzenswärme gegenüber dem Kandidaten angeht. Dafür ist so ein hanseatisches Gemüt vielleicht auch einfach nicht so gemacht." Aber dafür wisse man, dass nicht so viele Tretminen auf die Partei warteten. [….]
CDU und Grüne versuchten es genau umgekehrt. Von ihnen gibt es jeweils nur ein vages Programm, in das man alles und nichts reinlesen kann. Im Gegensatz dazu sollte der jeweilige Kandidat strahlen und nicht von programmatischen Fesseln ausgebremst werden.
Auch das ist ein politisches Wahlkonzept, das funktionieren kann. Könnte.
Dafür braucht es aber nicht nur schillernde Spitzenkandidaten, sondern auf faktenfeste überzeugende Redner.
Wie wir aber inzwischen wissen, haben Schwarze und Grüne auf eine/n falsche/n Kandidate/in gesetzt.
Laschet behauptet, es gäbe keinen Spielraum für Steuersenkungen und wenn doch, dann nur für die kleineren und mittleren Einkommen. Im CDU-Wahlprogramm stehen aber Unternehmenssteuererleichterungen und der Wegfall des Soli für die 10% der reichsten Deutschen. Das sind einseitige Steuererleichterungen für die Superreichen.
Entweder Laschet weiß das nicht – dann wäre er in so einem wichtigen Punkt nicht informiert und somit inkompetent als Kanzler.
Oder Laschet weiß es besser und lügt - dann wäre er in so einem wichtigen Punkt moralisch untragbar.
Bei einem vagen Programm muss umso mehr der Spitzenmann vorlegen.
Dummerweise fällt dem CDU-Chef selbst nicht ein, was er eigentlich als Kanzler tun will.
[….] In einem Interview mit "Focus Online" wurde Laschet nach drei Punkten gefragt, die ihm politisch wichtig sind. Ihm fielen allerdings nur zwei ein. "Digitalisierung" finde er sehr wichtig, so Laschet am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Osnabrück. Außerdem wolle er Bürokratie abbauen, um Industrie und Klimaschutz besser miteinander vereinbaren zu können. Ob ihm noch ein dritter Punkt einfalle, fragte die Reporterin. Da geriet Laschet ins Schlingern und hatte offenbar spontan keine Antwort parat: "Joa, was machen wir noch ..." [….]
Auch die Grünen liefern stetig neue Peinlichkeiten.
Nach dem desaströsen Laschet-Werbspot mit Holocaust, legen nun die Grünen ein Liedchen vor, von dem sich dem Zuhörer die Zehennägel hochbiegen.
Zum Mitschämen. Ich fasse es nicht. Was für Irre sitzen denn bitte im Baerbock-Wahlkampfteam? Das ist nicht nur eine Frage des (schlechten) Geschmacks, sondern auch strategisch deprimierend falsch, weil so etwas garantiert zum Shitstorm einlädt. Es erinnert fatal an die Nahles-Sangeseinlage am Bundestagsrednerpult. Aber das war ein Fehler einer einzelnen Person. Außerhalb des Wahlkampfes.
An „ein schöner Land“ wirkten aber offensichtlich viele
Menschen aus der Parteispitze mit. Und keinem fällt auf, daß man damit nur Hohn
und Spott generiert? Der Werbespot an sich ist also weniger das Problem, als
die gruselige Erkenntnis, daß im Grünen-Hauptquartier immer noch so sagenhaft
unprofessionell agiert wird, daß niemand rechtzeitig warnt.
Annalena Baerbock hat ihren Laden ganz offensichtlich nach wie vor nicht im
Griff.
Wie sollte sie dann in der Lage sein, ein 82-Millionen-Volk anzuführen?
[….] Der Spot richtet sich nach Angaben der Grünen vor allem an Menschen über 60 Jahren, die eher konservativ eingestellt sind. Der Parteivorstand mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war zuvor in die Entwicklung des Werbespots eingebunden. In den sozialen Netzwerken sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Auf Twitter landete in kurzer Zeit das Wort »cringe« in den Trends, was häufig ein Gefühl des Fremdschämens ausdrücken soll. Einige lobten den Spot aber auch als Ohrwurm und passend für die gewünschte Zielgruppe. Außerdem äußerten sich mehrere Prominente. »Vielleicht WOLLEN die Grünen gar nicht gewählt werden!?«, fragte der Satiriker Jan Böhmermann auf Twitter. [….]
Noch bin ich bloß die Ü50-Alterskohorte, aber als jemand, der auch in absehbarer Zeit in die Ü60 aufrücken wird, empfinde ich eben diese Zuschreibung als besonders perfide von den Grünen. Alte sollen also gar keinen Geschmack haben?
Heute starb der Rolling-Stones-Schlagzeuger Charlie Watts im Alter von 80 Jahren. Rolling Stones. 80. Und die Grünen glauben, mit über 60 höre man grausige Volkslieder? Was für eine Unverschämtheit.