Donnerstag, 3. März 2022

Lob der Feigheit.

Feigheit gilt in allen Kulturen als Makel, daher benutzen wir in Deutschland das Adjektiv „feige“, um unser stärkstes Missfallen auszudrücken.

Die von Max Goldt so beklagten Dekorationsadjektive haben Konjunktur wie eh und je:


15.09.01 Susan Sontag kritisiert neben manch anderem, dass sämtliche Kommentatoren die Anschläge als „feige“ bezeichnen. Da hat sie natürlich Recht. Schon Ladendiebstahl erfordert Mut. Wie viel Mut braucht es da erst, ein Flugzeug zu entführen und es gegen ein Gebäude zu steuern. Man kann froh sein, dass die meisten Menschen zu feige sind, um so etwas zu tun. Sicherlich gibt es für die Attentate bessere Dekorationsadjektive, wie zum Beispiel ruchlos oder schändlich, sogar anmaßend wäre treffender als feige. Es geht den Kommentatoren aber nicht um passende Adjektive, sondern um die Souveränität und Flüssigkeit ihres Vortrags. Um diese zu erlangen, sind in der Mediensprache viele Haupt- und Zeitwörter untrennbar an bestimmte Eigenschafts- und Umstandswörter gekettet. So wie Anschläge immer feige sind, werden Unfälle grundsätzlich als tragisch bezeichnet, obwohl es mit Tragik, also einer Verwicklung ins Schicksal oder in gegensätzliche Wertesysteme, überhaupt nichts zu tun hat, wenn jemand gegen einen Baum fährt. Ein solcher Vorgang ist banal – mithin ganz und gar untragisch. Vielleicht werden die Unfälle deshalb als tragisch bezeichnet, weil das Wort so ähnlich wie traurig klingt, und traurig ist ein Unfall immerhin für die Freunde und Angehörigen des zu Schaden Gekommenen. „Traurig“ ist den Medienleuten aber zu lasch, für sie ist Tragik wohl eine zackigere und grellere Form von Traurigkeit. Genauso unpassend ist das Adjektiv, welches unvermeidbar auftaucht, wenn nach einem Erdbeben oder einem ähnlichen Unglück nach Überlebenden gesucht wird. Wie geht die Suche vor sich? Natürlich „fieberhaft“. Dabei will man doch stark hoffen, dass es Fachleute und besonnene Helfer sind, die einigermaßen kühlen Kopfes und in Kenntnis der bergungslogistischen Notwendigkeiten die Menschen suchen, und nicht, dass da irgendwelche emotional aufgeweichten Gestalten wie im Fieberwahn in den Trümmern herumwühlen. Verzichten können die Medienleute auf Adjektive nicht, denn sie sind zur Erzielung eines vollmundigen Verlautbarungssingsangs notwendig. Könnte man aber nicht mal einen angemessenen Ausdruck benutzen? Ich glaube nicht. Wir werden niemals folgenden Satz im Radio hören: „Nach Überlebenden wird fleißig gesucht.“ Dabei wäre „fleißig“ inhaltlich wie stilistisch ideal. Es ist weder abgedroschen floskelhaft noch zu auserlesen und hat daher nicht den geringsten ironischen Beiklang. Schriebe jedoch ein Journalist diesen Satz, so wäre es vollkommen sicher, dass sein Redakteur das passende Wort „fleißig“ streichen und durch das vollkommen unpassende „fieberhaft“ ersetzen würde.
(Zitiert aus: Süddeutsche Zeitung, 13.07.2002)

Heldenmut hatte in der Geschichte der Menschheit sicher Überlebensvorteile, wenn es darum ging, die eigene Wohnhöhle gegen Wölfe zu verteidigen, dem wilden Bären etwas nahrhaftes Aas abzujagen, oder seinen Klan gegen die Keulen-schwingenden Eindringlinge aus dem Nachbartal zu verteidigen.

Bis ins Mittelalter war es eine gute Idee, mutig zu sein, sich entschlossen und kampfkräftig auf den Gegner zu stürzen, wenn man seiner Familie das Überleben sichern wollte. Zumal gerade christliche Eindringlinge im Heiligen Land, in Amerika oder in Afrika, die Angewohnheit hatten, Genozide zu veranstalten und ohnehin jeden überlebenden Gegner umzubringen.

Nach der Aufklärung setzte sich allerdings zumindest partiell der Gedanke durch, man könne die Zivilbevölkerung des Feindes auch leben lassen.

Parallel wurden so perfide Waffen entwickelt, daß sie sich mit „Mut“ nicht bekämpfen ließen.

Im ersten Weltkrieg stellten die frommen abrahamitischen Herrscher und Generäle Maschinengewehre auf und ließen ihre Soldaten gegen die Maschinengehrstellungen der anderen anrennen.

Auf der türkischen Halbinsel Gallipoli (europäische Seite der Dardanellen) hatten sich 1915 die kaiserlich-deutsche Marine und das verbündete osmanische Reich enorm verschanzt, Befestigungen gebaut, Kanonen aufgestellt und das umgebende Meer vermint. Der britische Kriegsminister Churchill ließ trotzdem von Seeseite angreifen, scheiterte damit so kläglich, daß er zurücktreten musste. Später griffen die Entente-Länder von der Landseite an, indem sie die naiven und unausgebildeten australischen und neuseeländischen Truppen nach Gallipoli schickten. Sehr sehr mutig rannten Briten, Franzosen, Australier und Neuseeländer in das türkisch-deutsche Feuer. Allein, es war völlig umsonst. Gallipolli fiel nicht, aber am Ende waren über 100.000 Menschen tot.

Opfer Gallipolli 1915

Heute gibt es unzählige Kriegsfilme, in denen dem Mut all der gestorbenen Kriegshelden gehuldigt wird. Allein im Ersten Weltkrieg starben Millionen Soldaten, die von ihren Generalstäben vielfach leicht geopfert werden konnten, weil die Soldaten mutig waren und immer wieder ins Maschinengewehrfeuer rannten.

[….] Alle Armeen verlangten von ihren Offizieren und Mannschaften täglich den Einsatz ihres Lebens. Wie Geschütze und Munition wurden Soldaten als einzusetzendes Material betrachtet. Der Tod als ständiger Begleiter der Frontsoldaten wurde zum "Heldentod für das Vaterland" verklärt. Im Ersten Weltkrieg starben mehr als neun Millionen Soldaten, darunter über zwei Millionen aus Deutschland, fast 1,5 Millionen aus Österreich-Ungarn, über 1,8 Millionen aus Russland, annähernd 460.000 aus Italien. Frankreich hatte über 1,3 Millionen, Großbritannien rund 750.000 militärische Todesfälle zu beklagen. Hinzu kamen etwa 78.000 Tote aus den französischen und 180.000 Tote aus den britischen Kolonien. Die USA verloren nach ihrem Kriegseintritt im April 1917 rund 117.000 Mann in Europa. […]

(Lemo)

Mut zahlt sich nicht aus, wenn man es modernen Waffen zu tun hat und unterlegen ist, es sei denn, man betrachtet den Wert menschlichen Lebens als so irrelevant, daß man wie in Vietnam gewillt ist, gegen die haushoch überlegene USA mit Luftwaffe und Napalm, fünf Millionen Menschen zu opfern.

Ja, die USA mussten 1975 nach 20 Jahren Krieg geschlagen abziehen, hatten 55.000 Tote zu beklagen. Die Vietnamesen beweinten aber 100 mal so viele Tote. Sehr mutige Freiheitskämpfer, aber eben auch sehr Tote.

Was taugt denn Mut noch, wenn man sich nicht in offener Feldschlacht, sondern in seiner zivilen Stadt befindet und der übermächtige Gegner mit thermobarischen Waffen, den schlimmsten nichtnuklearen Zerstörungsmaschinen überhaupt, anrückt?

Innerhalb von Sekunden werde 24 Gefechtsköpfe der Variante »Tos-1A« abgefeuert und verteilen am Kilometer entfernten  Einschlagsort  ein explosives Aerosol großflächig in der Luft.

[….] So kommt es auf einem relativ großen Areal zu einer heftigen und sehr heißen Explosion mit einer großen Druck- und Hitzewelle. Aber weil der Luftsauerstoff verbraucht wurde, entsteht ein Unterdruck – in der Folge kommt es zu einer zweiten, entgegengesetzten Druckwelle, die wie ein Sog den Sauerstoff akkumuliert und weiteren Schaden anrichtet.  Dadurch gibt es auch in Tunnels und Bunkern kaum ein Entkommen vor diesen thermobarischen Explosionen. »Das ist eine furchtbare und völkerrechtswidrige Waffe. Die Explosion kann den Menschen unter anderem die Lunge zerreißen«, sagt Neuneck.  [….]

(SPON, 02.03.2022)

Der Ukraine-Krieg geht nicht gut aus, weil für Putin nach seinem gewaltigen diplomatischen und politischen Einsatz, Verlieren keine Option ist.

Umso schlimmer, daß sich die russische Armee in der ersten Woche aufgrund des erbitterten Widerstands so schwer tat, denn Putin kann mit Atomwaffen, Hyperschallraketen und grausamen Vakuumbomben nachlegen.

Und er wird es tun, da die NATO-Staaten die einzigen sind, die ihn (womöglich) militärisch aufhalten könnten, dies aber mit guten Gründen ausgeschlossen haben. Russland muss also „nur“ die Ukrainer schlagen.

Das wird umso brutaler und blutiger, je mehr Waffen Kiew zur Verfügung gestellt werden und je mutiger sich die Ukrainische Führung geriert.

Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, unterstützt von seinem ebenfalls in Kiew weilenden Bruder Wladimir und insbesondere Präsident Selenskyi sind bedauerlicherweise derartig mutig, daß sie weltweit für ihre Eier („balls“) gefeiert werden.

Das ist schlecht, denn Mut generiert Mut. Ukrainer werden ermutigt, tausende Freiwillige strömen in die Ukraine, um gegen die Russen zu kämpfen. Immer mehr europäische Länder schicken Waffen.

Gewinnen kann Selenskyj aber nicht, weil Putin nicht verlieren darf – sonst würde er womöglich doch noch den Atomknopf drücken.

Für den Ukraine-Krieg gibt es keine guten Lösungen mehr. Nur sehr Schlechte und Katastrophale.

Die für das Volk beste Option wäre es, wenn die Klitschkos und Selenskyjs nun so mutig wären, sich richtig feige zu verhalten. Aufgeben, sich ergeben, fliehen, abhauen, bei Biden unterkriechen oder sich Putin ergeben, die Kapitulation unterschreiben.

Nur so könnten die Waffen ruhen, nur so könnte sich Putin beruhigen, nur so könnte der Westen etwas aushandeln.  Nur so müssten ganz normale Bürger in der Ukraine nicht mehr fürchten von als Kollateralschäden ums Leben zu kommen.