Willy Brandt war Europäer, Internationalist, multilingualer
Friedensnobelpreisträger für die europäische Aussöhnung. Er war von 1976 bis
1992 Präsident der Sozialistischen Internationale; dem Zusammenschluss aus 147
Parteien, sowie ab 1977 bis zu seinem Tod, Chef der Nord-Süd-Kommission (der Regierungsmitglieder
aus 20 Staaten angehörten.)
Helmut Schmidt leite Jahrzehnte als international
angesehenster deutscher Staatsmann das Interaction Council. Er war
Architekt des Euro, des G7, des Nato-Doppelbeschlusses und etablierte die französisch-deutsche
Achse.
Helmut Kohl war im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern
kein Intellektueller und zudem persönlich nicht integer. Er kam also nach 1998
nicht für internationale Aufgaben oder als Ratgeber in Frage. Dennoch, Kohl und
Hans-Dietrich Genscher, nahmen Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer
Länder, engagierten sich für die EU. Kohls bester politischer und in seinen
letzten Jahren offenbar auch persönlicher Freund war der Anti-Europäer Viktor
Orbán. Ihn wollte der Oggersheimer auch als Trauerredner 2017, während die von
ihm verachteten Söhne genau wie der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin
fern bleiben sollten.
[…] Helmut Kohl war neben
und trotz aller historischen Leistungen auch ein sehr kleinlicher,
patriarchalischer Mensch mit einem Elefantengedächtnis, dessen er sich selbst
rühmte. Wer einmal bei ihm in Ungnade gefallen war, aus welchem Grund auch
immer, ob Politiker, Journalist oder Familienmitglied, hatte so gut wie keine
Chance, wieder an seinem Hof zugelassen zu werden. Diese Rachsucht wollte er
offenbar über seinen Tod hinaus vermachen, ausgeführt von seiner Witwe Maike
Kohl-Richter.
Demnach hat Kohl angeblich
verfügt, dass Angela Merkel, die amtierende Kanzlerin, nicht bei seiner
Trauerfeier reden soll. Denn Merkel hatte sich Ende 1999, auf dem Höhepunkt der
CDU-Spendenaffäre, öffentlich von ihm losgesagt und erklärt, weshalb er trotz
seiner großen Verdienste für die Partei nicht mehr deren Ehrenvorsitzender sein
konnte. Das verzieh ihr Kohl nie. Genauso wenig wie Wolfgang Schäuble, dem Kohl
verübelte, dass dieser ihn vor der Wahl 1998 zum Rücktritt drängen wollte, weil
Kohl seinen politischen Zenit längst überschritten hatte.
Auch Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier sollte nach Kohls Willen angeblich nicht reden. Denn
der hatte nach dem Regierungswechsel 1998 öffentlich kritisiert, dass in den
sogenannten Bundeslöschtagen brisante Akten im Kanzleramt beseitigt worden
waren. Damit beschäftigte sich später ein Untersuchungsausschuss des
Bundestags. Kohl fühlte sich offensichtlich in seiner Ehre gekränkt. Reden
sollte stattdessen ausgerechnet Viktor Orbán, ein Anti-Europäer, der die
Grundrechte und die demokratische Freiheit in Ungarn mit Füßen tritt. Kohl, der
Ur-Europäer, hat ihn trotzdem schon vor Jahren zu einer Art politischem
Ziehsohn gemacht. Vielleicht weil beide das antikommunistische Denken teilten,
vielleicht aber auch nur, weil Orbán, nach dem Umbruch von 1989/90 politisch
heimatlos, Kohl als Vorbild erwählte.
Welch verrückte Vorstellung:
Dass der ungarische Premier beim Staatsakt statt der Bundeskanzlerin und des
Bundespräsidenten Kohl rühmen sollte – es hatte vermutlich nur einen einzigen
Grund: Kohl wollte es seinen alten Gegnern heimzahlen. Diese persönliche und
politische Kategorie stand für ihn schon immer über vielem anderen. [….]
(ZEIT, 24.06.2017)
Gerd Schröder und Joschka Fischer reparierten die Wunden.
Unter Schröder erreicht Deutschland höchstes internationales Ansehen.
(….) Joschka Fischer und
Gerhard Schröder waren 1998 auch keine fertigen Außenpolitiker, aber sie hatten
sich Jahre lang intensiv vorbereitet, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessert,
waren auf Reisen gegangen, hatten Fachbücher verschlungen.
Fischer ist heute ein
international gefragter Experte, der eine Gastprofessur für internationale
Wirtschaftspolitik an der Woodrow Wilson School der amerikanischen Princeton
University zur „Internationale Krisendiplomatie“ innehatte. Er ist Gründungsmitglied und Vorstand des
European Council on Foreign Relations und Senior Strategic Counsel der Albright
Group, LLC. Die ehemalige Professorin, UN-Botschafterin, US-Außenministerin und
internationale Politikexpertin Madeleine Albright mag ohne den Rat ihres
Freundes Joschka Fischer nicht auskommen.
Gerhard Schröder entwickelte
sich ebenfalls zu einem extrem erfolgreichen Außenpolitiker, der 2001-2003
weltweit die Opposition gegen den Bush-Blair-Kriegswahn organisierte und exakt
das Chaos vorhersah, das auch eintraf.
Unter Schröder genoss Deutschland vermutlich das beste internationale
Ansehen seiner Geschichte.
Das Gespann Fischer/Schröder
war die einzige Regierung, die im Nahen Osten gleichermaßen Respekt bei allen
Parteien genoss. Sie initiierten einen Ost-West-Dialog mit Paris, Warschau und
Moskau, waren die treibenden Kräfte in der EU. Schröder-Deutschland erarbeitete sich so
viel Vertrauen, daß der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler
Schröder sich sogar gegenseitig bei EU-Gipfeln vertraten. Chirac stimmte für Deutschland ab und Schröder für
Frankreich. Gleichzeitig näherten sie
sich Russland und der Türkei so weit an, daß echtes Vertrauen herrschte. Nie
war Russland auf einem so demokratischen pro-westlichen Weg wie 2001, als Putin
im Bundestag auf Deutsch sprach. (…)
(Außenpolitische Positionierung, 24.05.2021)
2001 klingt aus heutiger Sicht wie Utopia. Die Türkei und
Russland werden immer noch von denselben Figuren regiert (Erdoğan wurde 2002 Ministerpräsident, Putin 2000 Präsident). Zu
trauen ist ihnen nicht mehr, eine EU-Mitgliedschaft für die Türkei oder eine
NATO-Mitgliedschaft Russlands sind vom Tisch.
Wandel durch Handel funktioniere eben nicht,
halten nun 99% der Journalisten hämisch der Merkel-Regierung vor. Steinmeier,
Merkel und Maas hätten eben bezüglich Russland alles falsch gemacht, wissen sie
nun a posteriori. Vor dem 24.02.2022 war ihnen das allerdings noch nicht
aufgefallen.
Richtiger ist „Wandel NUR durch Handel“ funktioniert
nicht. Russland nur als gleichermaßen zuverlässigen, wie billigen
Rohstofflieferanten zu betrachten, der ansonsten tun kann was er will, war
offenbar falsch. Der 69-Jährige Putin ist sicherlich nicht mehr der Putin im
Alter von 49. Ich glaube eher nicht, daß es zwangsläufig so kommen musste, weil
das alles in seinem Charakter vorbestimmt gewesen wäre. Es war eher eine
komplexe multikausale Entwicklung, die auch nicht allein von Angela Merkel
abhing. Aber das ist eine müßige Diskussion, da man weder das eine, noch das
andere rückwirkend beweisen kann.
Klammert man aber die aus deutscher Sicht
außenpolitischen Desaster Türkei und Russland aus, sieht man in vielen anderen
Staaten auch erschreckend radikale, nationalistische antieuropäische
Strömungen. Das Vereinigte Königreich verließ die EU, in Polen und Ungarn regieren
Rechtspopulisten. Fast wäre das dieses Jahr auch schon in Frankreich passiert.
In Italien ist ein Wahlsieg der Putin-freundlichen Faschisten sehr
wahrscheinlich. In weiten Teilen Süd- und Osteuropas ist Brüssel extrem
unbeliebt.
Merkel ist nicht für Putins Charakter verantwortlich,
aber sehr wohl trug sie als über 16 Jahre mächtigste Führungsfigur Europas zur
Erosion der EU bei.
Anders als alle Amtsvorgänger im Bundeskanzleramt, fühlte
sie sich nie der europäischen Idee verpflichtet. Es gibt keine wesentliche
politische Initiative, die auf sie zurück ginge. Für Merkel reichte es in
Brüssel immer aus, in Marathon-Nachtsitzungen den kleinsten gemeinsamen Nenner
zu finden.
Leidenschaft konnte sie nicht entwickeln. Es wurden nicht
die besten Deutschen nach Brüssel geschickt, sondern die Trottel wie Oettinger,
die sie im hiesigen Wahlkampf nicht mehr brauchen konnte.
(….) Die PiS ist eigentlich so
rechtsradikal, daß sie in die Nazi-Fraktion "Identität und
Demokratie" (Vlaams Belang, Rassemblement National RN, Wahre Finnen, Lega,
AfD, FPÖ,..) gehört, wie es sich der ID-Chef Marco Zanni von der italienischen
Lega-Partei wünschte, aber die meisten europäischen Rechtsradikalen sind durch
Millionenkredite aus Moskau sehr Russland-hörig. Hier nimmt die traditionell
Russland-feindliche PiS eine Sonderstellung ein. Sich in diesem Sumpf eine
Mehrheit für eine EVP-Kandidatin zu suchen, kann nicht elegant sein und so
verzeihe ich den europäischen Regierungschefs das Gekungel um von der Leyen,
die aufgrund ihrer Verwurzelung in fundamental-christlichen
rechtsradikalen Schwulenhasser-Kirchen viele Fürsprecher
bei Fidesz und PiS hat. Mauscheln ist in diesem Fall
unumgänglich. Schwer zu ertragen ist aber die Personalie von
der Leyen an sich. Sie hat als Ministerin ihre Unfähigkeit vielfach bewiesen
und mit der Finanzierung von evangelikalen „Homo-Heilern“ bewiesen wie weit
rechts sie in Wahrheit steht. Die deutsche
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist auf radikal-evangelikalem Ticket
und kam mit Stimmen der rechtsextremen Babiš, Orbán und Morawiecki ins Amt, bei
denen sie sich auch sofort erkenntlich zeigte, als in ihren Ländern die
Rechtsstaatlichkeit weiter abgebaut wurde.(…)
(EU-Personal 11.09.2019)
Bei zwei Großkrisen, für die sich Brandt, Schmidt und
Schröder voll engagiert hätten und für die Kohl zumindest die Brieftasche
geöffnet hätte, beendete Merkel die europäische Solidarität.
Erst bei der Finanzkrise, als sie ihren antieuropäischen
Finanzlaien Wolfgang Schäuble erbarmungslos deutsche Austeritätspolitik
durchprügeln ließ. Aber natürlich nur bei den armen Ländern. In Deutschland
selbst tat sie das Gegenteil und legte Konjunkturprogramme auf. Dabei waren
Länder wie Griechenland hauptsächlich durch aberwitzige Importe aus
Deutschland, die mit Krediten deutscher Banken abgesichert waren, total verschuldet.
In der Folge wurden die deutschen Banken „gerettet“, damit Millionen Deutsche,
die hochverzinste südeuropäische Staatsanleihen gekauft hatten und von den
Zinsen gut lebten, nichts verloren, während in Athen und Madrid über 50% der
unter 30-Jährigen arbeitslos wurden. Merkel heizte zudem auch in Deutschland
die antieuropäische Stimmung an, indem sie öffentlich log, die Griechen arbeiteten
weniger und machten länger Urlaub als die Deutschen. Das Gegenteil ist der
Fall. Sie spielte mit antieuropäischen Stimmungen.
Mit Blick auf die Merkel-Regierung, ließ Kauder den Rest
der EU triumphierend wissen, es werde wieder deutsch gesprochen in Brüssel.
(…..) Wie verkündete es
neulich der CDU-Fraktionschef und Heckler-und-Koch-Lobbyist Kauder?
In Brüssel wird wieder deutsch gesprochen. Und leider spricht man in
Deutschland auch deutsch. Deutsch der ekelhaftesten Sorte. (….)
(Fakten und Fiktionen, 11.07.15)
Ja, da freut man sich in den anderen Staaten. Wenn Macron
einen Vorschlag nach dem nächsten macht und Berlin alles nur tumb und bräsig
aussitzt. Unter der Mithilfe Kauders sitzen nun immer mehr Deutsche
in den Schaltstellen der Brüsseler Macht. Eine tolle Sache, wenn man Europa endgültig zum
Stillstand zwingen möchte.
[….] Warum nennen wir die EU nicht gleich Deutsch-Europa?
[….] Mittlerweile sind wir Deutschen dabei, Anspruch auf so ziemlich alle
Posten in der EU zu erheben. Ein gefährlicher Trend.
[….] Phänomenale Deutschenvermehrung in Spitzenpositionen. [….]
Von einem Deutschen wird seit
Jahren der riesige Euro-Rettungsfonds ESM gemanagt: Klaus Regling, der qua Amt
möglicherweise wichtigste Mann in der kommenden Krise. Das ist der, der lange
Jahre die EU-Wirtschaftsabteilung geführt hat.
Bei der Europäischen
Investitionsbank (EIB) steht mit Werner Hoyer ebenfalls einer aus Deutschland
an der Spitze.
Die Chefin des Europäischen
Bankenabwicklungsfonds ist: eine Deutsche - Elke König.
Und der Präsident des
Europäischen Rechnungshofs heißt Klaus-Heiner Lehne - aus dem Land, nach dem
sein Name klingt.
[….] Als oberster Beamter der EU
gilt der Generalsekretär der Kommission: Martin Selmayr, aus Sie-wissen-schon. Im EU-Parlament heißt der
Generalsekretär Klaus Welle. Und die Generalsekretärin beim
Europäischen Auswärtigen Dienst ist Helga Schmid. Germany. Die wichtigste Fraktion im
Europaparlament wird derweil seit Jahren von einem Landsmann geleitet, das
Parlament lange Zeit von einem gewissen Martin Schulz. Selbst der Noch-Kommissionschef
Jean-Claude Juncker aus dem schnuckeligen Luxemburg wäre das nicht geworden, so
Quatremer, wenn er nicht von der deutschen Kanzlerin dort hingeschickt worden
wäre. Es gehört ein ausgeprägtes
Verständnis von der Selbstverständlichkeit Deutscher in Spitzenjobs dazu, jetzt
noch einen EU-Kommissionschef aus Germany einzufordern. Oder einen deutschen
Chef für eine in Deutschland sitzende Notenbank mit quasi-deutschen Statuten.
Warum die EU dann nicht gleich in Deutsch-Europa umbenennen? Oder Deutsch-Brüssel?
[….]
(Thomas Fricke, 28.06.19)
Und dann schließlich die Flüchtlingskrise.
Die großen Migrationsbewegungen nach dem (von Merkel
stark befürwortetem) Irakkrieg 2003 und dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien
2010 trafen auf die Länder die südlichen und östlichen EU-Außengrenzen.
Im Dublin-II-Abkommen wurde geregelt, daß die Erstaufnahmestaaten für das
Asylverfahren eines Asylantragsstellers aus einem Drittstaat zuständig waren.
Griechenland und Co gerieten schnell an ihre Grenzen, bettelten immer wieder um
Europäische Solidarität. Merkel ließ die
Südstaaten eiskalt allein, wies auf Dublin II und freute sich über die geographische
Lage Deutschlands – weit weg vom Mittelmeer.
Zweimal hatte Deutschland sich von seiner häßlichen Seite
gezeigt, Solidarität verweigert. 2015 wollte Merkel dann selbst Solidarität und
versuchte die Regeln, auf deren Einhaltung sie zuvor pochte, zu Gunsten Deutschlands
ändern.
Nun ist es Bundeskanzler Scholz, der auf Solidarität der
anderen Europäer hoffen muss, wenn hierzulande das Gas knapp wird.
Putin weiß, wie schwierig das wird, nachdem
Merkel-Deutschland Solidarität als Einbahnstraße verstanden hatte.
[….] Sanktionen haben die
Eigenart, dass sie Gegensanktionen nach sich ziehen. Insofern kann man die
russische Gaspolitik als Antwort auf den Strafkatalog des Westens
interpretieren, der wiederum als Antwort auf den Ukraine-Überfall erlassen
wurde. Wenn nun also der Gasfluss aus Russland nachlässt und möglicherweise
ganz versiegt, dann nutzt alles Zetern und Hadern nichts: Wladimir Putin
antwortet auf den Druck aus dem Westen mit den ihm zur Verfügung stehenden
Mitteln. Diese Mittel schaden Europa
sehr, Russland hingegen nur wenig. Gas trägt nicht nennenswert zum Budget des
Landes bei. [….] Europas Albtraum beginnt erst, denn die
Energieabhängigkeit verlangt nach einem verlässlichen Lieferanten. Russland
will aber nicht mehr verlässlich und vertragstreu sein, weil es exakt diese
Unberechenbarkeit ist, aus der Albträume gemacht sind. Deswegen also sinkt nun
die Füllmenge in Nord Stream 1, vielleicht steigt sie in der Pipeline
"Bruderschaft", vielleicht sinkt sie auch dort wieder und steigt in
der Jamal-Röhre, die seit Monaten schon leer ist. Jede der Pipelines endet in
einem anderen Land, jede Situation wird neue Rivalitäten, Verteilungskämpfe und
EU-Streitigkeiten auslösen. So war es von Putin geplant, so wird es kommen.
[….] Russland bringt jetzt Nord
Stream 2 unter dem Vorwand einer technischen Überlegenheit als Ersatz für Nord
Stream 1 ins Spiel, deutet auf Turbinen-Probleme und verweist großzügig darauf,
dass die Röhre ja bereits gefüllt sei. Das ist natürlich ein
vergiftetes Angebot, der perfideste Köder seit Troja. [….] Der russische
Präsident sitzt nicht nur am Rohstoff-Regler, sondern auch am politischen
Druckventil. [….]
(Stefan Kornelius,
27.07.2022)