Freitag, 7. März 2025

Was ist Satire?

Neunte Klasse, Deutsch-Unterricht beim Herrn Pfahl. Das war eine komische Type. Erst versuchte er uns linguistische Fachbegriffe beizubringen – was ist ein Oxymoron? Was ist eine Metapher? Was ist Pleonasmus? – konnte damit aber nicht viel Interesse wecken und ging daher dazu über, uns Mini-Geschichten von Günther Kuhnert und Marie-Luise Kaschnitz-Gedichte interpretieren zu lassen.

Ich schrieb damals sehr gute Klausuren, litt aber ein bißchen  darunter, daß Herr Pfahl meine Deutscharbeiten so gut wie gar nicht kommentierte.

Es stand einfach die Note mit seinem Unterschriftenkürzel PF drunter. „1- Pf.“ Es hatten nicht etwa alle Schüler so gute Noten; insofern beschwerte ich mich nicht. Aber es blieb ein schales Gefühl. Schon ein paar Jahre später, im Deutsch-Leistungskurs, in dem extrem hart zensiert und jeder Fehler empört ausgewalzt wurde, dämmerte mir, was in der Neunten los war: Pfahl hatte meine Arbeiten vermutlich gar nicht gelesen. Oder maximal überflogen. Inzwischen hatte ich zu meiner Empörung auch Geschichten darüber gehört, wie sehr er dem Rotwein zugeneigt war. 40 Jahre später sehe ich das natürlich anders und habe volles Verständnis dafür, ob des Gesülzes von 36 Jung-Teenagern zu einem Kaschnitz-Gedicht zum Alkoholiker zu werden. Das kann kein Mensch aushalten. Oh Graus, und im nächsten Jahr kam auch noch Kafka, der uns Zehntklässler natürlich vollends abdrehen ließ. Wir nannten es „philosophieren“, aber es dürfte sich eher um „schwafeln“ gehandelt haben.

Wenn ein Teenager mir gegenüber heute die Namen Kaschnitz, Kuhnert, Kafka oder Hesse in den Mund nimmt, renne ich sofort schreiend weg.

Dabei sind diese Autoren tatsächlich der perfekte Unterrichtsstoff für die Mittelstufe, da man auch mit schwach entwickelten Hirnen, sehr leicht Zugang bekommt, die Phantasie angeregt wird. Der Clou dabei ist, daß der Stoff das Erwachsenwerden überlebt. Heute lese ich solche Texte zwar ganz anders, aber sie sind immer noch gut. Kaschnitz (1901-1974) schrieb 1951 ihr berühmtes „Hiroshima“, welches Generationen von Schülern interpretieren mussten. Ein Gedicht, das 30 Jahre später perfekt in meine NATO-Doppelbeschluss-Anti-PershingII-Haltung passte, so daß ich es weitere 40 Jahre später tatsächlich immer noch (fast) auswendig kann.

Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich,
Auferstandene aus Staub für ihn.

Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.

Hiroshima, die Enola Gay (der B-29-Bomber der 509th Composite Group der United States Army Air Forces) und ihr Pilot Colonel Paul W. Tibbets, jr. waren mir damals stets gegenwärtig und wurde in der Folgezeit immer mehr zu Ikonen der Popkultur. Jeder wußte, Tibbets hatte das Flugzeug nach seiner geliebten Mutter Enola Gay Tibbets genannt und so sangen beispielsweise OMD im Jahr 1980:

Enola Gay
Is mother proud of little boy today?
Ah-ha, this kiss you give
It's never ever going to fade away

Paul Warfield Tibbets, der den Tod von mindestens 160.000 Menschen verursacht hatte, starb tatsächlich erst 2007 im Alter von 92 Jahren, ohne je Gewissenbisse bekommen zu haben. Hochzufrieden und mit Auszeichnungen überhäuft.

Kaschnitz verfügte 1951 offenkundig über prophetische Gaben.

Der Wahnsinn der Menschheit zeigt sich in unserer Lernunfähigkeit und Verdummung. 2025 lautet der EU-Common-Sense: Aufrüstung und mehr Atombomben! Dabei sind diejenigen, die heute über das US-Atomwaffenarsenal gebieten, noch viel irrer als Harry S. Truman Paul Tibbets vor 80 Jahren.

Donald Trump und Defense Secretary Pete Hegseth sind intellektuell schwer minderbemittelt und moralisch völlig verkommen.

Der konservative Claude Malhuret findet im französischen Senat passende Worte.

[….] »Europa befindet sich an einem kritischen Punkt seiner Geschichte. Der amerikanische Schild bricht weg. Die Ukraine steht vor der Gefahr, im Stich gelassen zu werden. Russland wird gestärkt. Washington ist zum Hof von Kaiser Nero verkommen: Ein zündelnder Führer, unterwürfige Höflinge und ein Clown auf Ketamin, der damit beauftragt wurde, den öffentlichen Dienst zu säubern.

Noch nie hat ein Präsident der Vereinigten Staaten vor einem Feind kapituliert. Noch nie hat er einen Aggressor statt eines Verbündeten unterstützt. Noch nie hat er die amerikanische Verfassung mit Füßen getreten, so viele illegale Dekrete unterzeichnet, Richter entlassen, die ihn aufhalten könnten, die ganze militärische Führung auf einmal entlassen, die gesellschaftlichen und politischen Gegengewichte geschwächt und die Kontrolle über die sozialen Netzwerke übernommen. Das ist kein illiberaler Trend, es ist der Beginn der Beschlagnahmung der Demokratie.

Was sollten wir angesichts dieses Verrats tun? Die Antwort ist einfach: Standhaft bleiben und sich nicht täuschen lassen. Die Niederlage der Ukraine wäre die Niederlage Europas. Die baltischen Länder, Georgien und Moldawien stehen als Nächstes auf der Liste. Putins Ziel ist, nach Jalta zurückzukehren, wo die Hälfte des Kontinents an Stalin abgetreten wurde.«  [….]

(Senator Malhuret, 06.03.2025)

Es gibt auch Neues zur Enola Gay, von der weder Hegseth, noch Vance oder Trump je gehört haben. Dafür kämpfen sich umso intensiver gegen „DEI“.

[….] In New York City, warnt unser Kongressabgeordneter Dan Goldman, nehme die Grenzpolizei ICE »wahllos« Latinos und Asiaten fest, »US-Bürger inklusive«, um sie zu inhaftieren und dann auszuweisen. Heimatschutzministerin Kristi Noem postete einen Beitrag von einem Einsatz in unserer Stadt, kostümiert mit einer ICE-Schutzweste, und sagte: »Wir holen die Drecksäcke von der Straße.« Aus Coney Island und Brighton Beach, wo weiße Immigranten leben, gab es solche Berichte nicht.

»Diversity, equity and inclusion« (DEI), die Vision der Förderung von Minderheiten in Regierung und Privatwirtschaft, ist zu einem Schimpfwort geworden, als Nachfolger von »woke« und »Affirmative Action«. Darunter gab es viele gut gemeinte, aber mitunter schlecht praktizierte und am Ende überzogene Ideen, die jetzt von den Rechten genau ins Gegenteil verdreht werden – um die Gleichstellung auszubremsen und den Fortbestand der patriarchalen »White Supremacy« zu sichern.

Trump und seine Bewegung »Make America Great Again« (»MAGA«) haben alle derartigen Maßnahmen für illegal erklärt, weil sie angeblich Weiße diskriminierten – eine absurde Umkehr der Realität. Mit einem seiner ersten Dekrete  hob Trump die staatlichen DEI-Regeln auf. Justizministerin Pam Bondi will zudem auch Privatfirmen verklagen, wenn sie ihre internen Vorschriften nicht entsprechend ändern. Viele Großkonzerne tun das bereits in vorauseilendem Gehorsam, darunter etliche, zu deren Kunden wir gehören – der Social-Media-Konzern Meta, der Discounter Target, der Onlineversandhändler Amazon. Die aus Protest zu boykottieren, ist machbar, aber nicht einfach.

Trumps Wahlsieg, freute sich der rechtsextreme Wortführer Jared Taylor, habe Weißen neuen »Glauben an Amerika« gegeben. Ein 25-jähriger Mitarbeiter aus Musks »Effizienzteam«, der »aus Versehen« Zugang zum zentralen staatlichen Zahlungssystem bekam, prahlte auf X: »Ich war rassistisch, bevor es cool war.« Seinen Job durfte er behalten.

Die Anhänger des »MAGA«-Kults zeigen sich immer enthemmter, das andere Amerika hingegen scheint wie paralysiert.  [….]

(Marc Pitzke, 02.03.2025)

In seinem Anti-Wokeness- und Anti-DEI-Wahl ließ der Verteidigungsminister nun auch Bilder der „Enola Gay“ aus dem Ministerium entfernen. Zu Linksgrünversifft. Zu schwul!


[….]  References to a World War II Medal of Honor recipient, the Enola Gay aircraft that dropped an atomic bomb on Japan and the first women to pass Marine infantry training are among the tens of thousands of photos and online posts marked for deletion as the Defense Department works to purge diversity, equity and inclusion content, according to a database obtained by The Associated Press.

The database, which was confirmed by U.S. officials and published by AP, includes more than 26,000 images that have been flagged for removal across every military branch. But the eventual total could be much higher.

In this image provided by the U.S. Air Force, the Boeing B-29 named the "Enola Gay" is seen on Tinian in the Marianas Islands. (U.S. Air Force via AP)

One official, who spoke on condition of anonymity to provide details that have not been made public, said the purge could delete as many as 100,000 images or posts in total, when considering social media pages and other websites that are also being culled for DEI content. The official said it’s not clear if the database has been finalized.

Defense Secretary Pete Hegseth had given the military until Wednesday to remove content that highlights diversity efforts in its ranks following President Donald Trump’s executive order ending those programs across the federal government.  [….]

(AP, 07.03.2025)

Willkommen im Zeitalter der Trumpanzees: Wenn man etwas vollkommen Irres liest, das wirklich nur Satire sein kann, ist es bittere US-amerikanische Realität.