Montag, 23. Februar 2015

Kommunikationsunfähigkeit.



War das bei Monitor oder Panorama, daß die CSU-Bundesminister nach Christian Schmidts Ausfällen über den amerikanischen Schwarzwälderschinken gefragt wurden wofür eigentlich TTIP steht und dann blamiert rumeierten?

Also TTIP ist schon lange ein Triggerwort geworden, das seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat.
Nur der Vollständigkeit halber; TTIP steht für "Transatlantic Trade and Investment Partnership" und ist auf beiden Seiten des Atlantiks ungefähr so beliebt wie Fußpilz und Mundfäule zusammen.

Ich will an dieser Stelle gar nicht erst anfangen auf die inhaltlichen Kritikpunkte einzugehen; das kann man überall detailliert nachlesen – zum Beispiel hier.


Letztendlich ist es doch alles nur eine Frage der Ehrlichkeit.
Statt über die Vor- und Nachteile von Genmais und Chlorhuhn zu reden, lautet die eigentliche Frage an alle Befürworter:
Weshalb versucht Ihr den Verbraucher so massiv zu täuschen?
Wenn Gen-veränderte Produkte tatsächlich so völlig unbedenklich sind und wenn es hier tatsächlich um FREIhandel geht, dann könnte die Lösung ganz einfach sein.
 Genmais ins deutsche Lebensmittelregal, aber mit einer riesengroßen Aufschrift:

„genetically engineered / genetisch manipuliert“

Ich kann mir gut vorstellen wie beliebt das Zeug bei den Kunden wäre.
Die Lebensmittelindustrie wehrt sich so exzessiv gegen die Kennzeichnungspflicht, wie sich die TTIP-Befürworter gegen öffentliche Verwandlungen wehren.
Was eigentlich genau ausgehandelt wird, wissen wir genauso so wenig, wie wir wissen wo genau verhandelt wird und wer da eigentlich verhandelt.
Ja, Herr Gabriel, es mag ja theoretisch sein, daß TTIP Vorteile bringt, aber durch ihre exzessive Geheimniskrämerei haben sie leider alles zunichte gemacht.

Mir geht es fast gar nicht mehr um das Abkommen und die dubiosen Klagemöglichkeiten einzelner Konzerne gegen Steuerzahler vor dubiosen Geheimgerichten, sondern um das sagenhafte Kommunikationsdesaster der Bundesregierung. Wie kann man nur derart unfähig sein?
Der Urnenpöbel ist ohnehin nicht besonders helle und zudem immer gerne bereit die größten Sauereien wie Waffenexporte und Tierquälereien stoisch zu schlucken.
Es überhaupt zu schaffen diese phlegmatische Masse durch noch nie dagewesene Dumm-PR zu 97% gegen TTIP aufzubringen, ist eine große Leistung!

Herr Vizekanzler, daß sie nun beim Umgang mit dem Wähler offiziell auf die Methode „Champignon“ setzen – im Dunkeln halten und mit Scheiße füttern – wirft ein ganz schlechtes Licht auf Sie.

Bei der neuesten PR-Peinlichkeit von Muttis größten Fan; Steffen Seiberts Bundesregierungsfacebookseite; sieht man sehr schön, auf welch unterirdischem Niveau gedacht wird:
Man zeigt Gabriel als einsichtigen Mann, der die TTIP-Kritiker ausdrücklich lobt.

Das Freihandelsabkommen TTIP soll den transatlantischen Handel beflügeln - gut für beide Seiten. Der öffentlichen Kritik bekundet Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Respekt. Und sie wirkt: „Wir werden entschlossen und konsequenter nachsteuern“, sagt Gabriel.

Was der Vizekanzler und Wirtschaftsminister im nächsten Halbsatz sagte, wird lieber vertuscht.

Immer mehr Deutsche misstrauen dem Handelspakt zwischen EU und den USA, jetzt verschärft sich der Streit über TTIP: SPD-Chef Gabriel wirft der Protestbewegung Panikmache vor - und die Aktivisten brüllen einen Parteigenossen nieder.
Die Freihandelsfans sitzen im Trockenen, auf Polsterstühlen und Flüsterteppichen, zum Lunch gibt es Karotten-Ingwer-Suppe und gedämpftes Geflügel. Die Freihandelsgegner stehen im Regen, es sind ein paar Grad über null, Funktionsjacken und Schirme helfen leidlich. Protest ist unbequem. Selten wurde das so deutlich wie am Montag in Berlin.
[….] Die vier Buchstaben TTIP sind längst zum Reizbegriff für viele Deutsche geworden. Nirgendwo in Europa ist der geplante Pakt so unbeliebt wie hier, dabei spielt Deutschland eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen zwischen EU und USA. Die Bundesregierung will das Handelsabkommen unbedingt, allen voran Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
[….] Aus Sicht der Befürworter sind die Gegner immun gegen alle Argumente. Man müsse "Horrorszenarien und Mythen mit Fakten begegnen", sagt Gabriel bei der Veranstaltung der Wirtschaftsverbände. Er kritisierte die TTIP-Bewegung am Montag scharf, warf ihr Angstmacherei vor - und wenig Faktenwissen. Der Attac-Slogan "TTIP ist böse" etwa sei ziemlich platt, dagegen seien bayerische Bierzelt-Reden "ein Kongress für feinsinnige Argumentation".   [….]

So kreiert man Politikerverdrossenheit.
Es ist zwar nicht zu rechtfertigen sich verdrießen zu lassen, weil Verdruss letztendlich nur politische Apathie ist, die wiederum genau die Zustände festigt, die einen abstoßen.
Aber umso fahrlässiger ist es diesen Verdruss noch zu fördern.

[….]  Die Europäische Kommission wird im Frühling einen neuen Vorschlag zum Investorenschutz im Rahmen des geplanten transatlantischen Handelsabkommen TTIP vorlegen. Das kündigte Handelskommissarin Cecilia Malmström am Dienstagabend im Europaparlament in Straßburg an, wo sie den 140 Seiten umfassenden Bericht einer öffentlichen Befragung der Bevölkerung zu TTIP vorstellte.
Seit dem vergangenen März hatte die Behörde die Bürger befragt. Genau 149 399 Antworten gingen bis Mitte Juli ein. Mehr als 145 000 Absender lehnten das Handelsabkommen entweder komplett ab oder den Teil zum Investorenschutz, kurz ISDS. "Aus der Konsultation geht klar hervor, dass gegenüber dem Instrument der ISDS äußerste Skepsis herrscht", sagte Malmström. In den nächsten Wochen werde beraten, wie der Investorenschutz, auf den sowohl Unternehmen als auch die Mehrzahl der EU-Länder bestehen, aussehen könnte. Leicht wird das nicht: 97 Prozent der gerade Konsultierten lehnen solche Klauseln komplett ab. Vier Fünftel der Antworten kamen aus Großbritannien, Österreich oder Deutschland.
Die Gegenseite ist ebenfalls laut: der Lobbyverband der europäischen Industrie will die Klauseln unbedingt verabschieden. [….]  

97% massive Ablehnung und Gabriel glaubt sein TTIP-Baby mit ein paar lockeren Sprüchen auf Facebook durchdrücken zu können und damit seine Wähler zu begeistern. Der Mann reitet ein Pferd, das schon am 22.09.2013 längst gestorben war.

Unsere Wahlen sind jetzt schon nicht mehr repräsentativ. Davon profitiert Angela Merkel überproportional.

Der SPD-Parteichef sollte diese Entwicklung nicht noch unterstützen.
Er sollte sich aber auch nicht wundern, wenn es seine Partei nicht mehr auf über 23% schafft.

[….]  Die soziale Spaltung in der Stadt ist die Hauptursache für die niedrige Wahlbeteiligung an der Bürgerschaftswahl. Zu diesem Ergebnis kommt die Bertelsmann Stiftung in einer aktuellen Studie. Die Autoren der Studie sprechen daher davon, dass das Wahlergebnis "sozial nicht repräsentativ" sei. Von den mehr als 560.000 Wahlberechtigten, die am Sonntag vor einer Woche auf ihre Stimmabgabe verzichteten, kommen danach überproportional viele aus sozial schwachen Milieus. Wie berichtet lag die Wahlbeteiligung bei 56,9 Prozent – so niedrig wie nie zuvor.
Für die aktuelle Wahlanalyse gelte: Je prekärer die soziale Lage eines Stadtviertels, desto weniger Menschen gehen wählen. In den Hamburger Nichtwählerhochburgen wohnen laut Studie fast 36 Mal so viele Haushalte aus sozial schwächeren Milieus, fünf Mal so viele Arbeitslose und doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung. [….] In den Hamburger Wählerhochburgen dominierten das "konservativ-etablierte" und das "liberal-intellektuelle" Milieu. Im Ergebnis der Bürgerschaftswahl seien diese Milieus damit deutlich überrepräsentiert. Dazu gehören etwa Wohldorf-Ohlstedt (76,7 Prozent) oder Groß Flottbek (75,2 Prozent). "Das soziale Umfeld bestimmt die Höhe der Wahlbeteiligung", sagt Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung. "Ob jemand wählt, hängt stark davon ab, wo und wie er wohnt und ob in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld gewählt wird oder nicht."  Zudem verschärfe das 2011 eingeführte neue Wahlrecht die Ungleichheit. [….]