Mittwoch, 10. Februar 2021

Die orange Drohung

Bei einem Impeachment-Verfahren simulieren House und Senat Ankläger und Richter.

Das House brachte die Anklage, die zweite Impeachment-Klage gegen Trump, mehrheitlich und überparteilich auf den Weg.

Seither schied der schlechteste Präsident aller Zeiten aus dem Amt und die republikanische Mehrheit des Senats verschwand ebenfalls.

Die Zulässigkeit eines Verfahrens nach der Amtszeit wurde gestern mit 56 zu 44 Stimmen bestätigt. Ach sechs GOP-Senatoren waren von den demokratischen Argumenten überzeugt: Könnte man einen US-Präsidenten, wie die GOP behauptete, grundsätzlich nicht nach seinem Ausscheiden verurteilt werden, könnt er im Umkehrschluss in seinen letzten Amtswochen morden, vergewaltigen und Hochverrat begehen, ohne irgendwelche Konsequenzen zu befürchten.

In diesem Fall geht es immerhin um einen versuchten Coup, den versuch führende Parlamentarier und den Vizepräsidenten zu töten, 140 verletzte Polizisten, fünf Todesopfer und zwei weitere Polizisten, die am 06.01.2021 so traumatisiert wurden, daß sie inzwischen Suizid begingen.

„Impeached“ wird ein US-Präsident nur mit 2/3-Mehrheit. Es müssen also mindestens 67 Senatoren zustimmen.

Würden die insgesamt 100 US-Senatoren wie von den Vätern der Verfassung in diesem Fall als dem Recht verpflichtete Richter urteilen, wäre Trumps Schicksal klar:

1.   Für Trumps Schuld gibt es überwältigende Videobeweise.

2. Die Richter=Senatoren waren während der Tat selbst Augenzeugen.

3.   Die juristische Argumentation der Demokraten ist brillant und schlüssig. Einige hochkarätige Rechtsexperten sprachen gestern von der besten politischen Anklageschrift der Geschichte. „Chefankläger“ Jamie Raskin (Impeachment Manager der Demokraten) wird mit Ehrfurcht und Lob überschüttet. Sein Eröffnungsplädoyer ist schon jetzt ein Klassiker.

4.   Im diametralen Gegensatz steht Trumps Verteidiger-Team um Bruce Castor. Drittklassige Juristen, die ein desaströses Plädoyer voller sachlicher, formaler und juristischer Fehler ablieferten.

Die juristische Blamage der GOP ist so total, daß sogar Trump begriff gegen die Demokraten untergegangen zu sein.

[…..] Als erster geht Castor ans Rednerpult, nicht Schoen. Fast eine Stunde mäandert er durch seine Rede, kommt nicht auf den Punkt. Wirr, weitschweifend, einschläfernd ist das. […..]  In Florida gibt es jemand, der damit gar nicht einverstanden ist. In seinem neu eingerichteten Büro im Ressort Mar-a-Lago, außerhalb des Hauptgebäudes, verfolgt Donald Trump das Verfahren. Er sitzt, wie so oft, vor dem Fernseher. Und was er da sieht, macht ihn wütend. So berichten es unter anderem die New York Times und CNN, die mit Personen aus dem Umfeld Trumps gesprochen haben.   Frustriert sei er in diesem Moment - und irritiert. Auf einer Wutskala von eins bis zehn sei das eine acht, berichtet jemand aus Trumps Umfeld der New York Times. Und CNN weiß, dass Trump irgendwann fast den Fernseher anschreit. Trump will eine flammende Verteidigungsrede, er bekommt halbgaren Wortbrei.

Auch die Berater Trumps sind ob der Vorstellung Castors unzufrieden. Allein schon, der Gegenseite einen guten Auftritt bescheinigt zu haben, halten sie und Trump für einen Fehler. Auch dass Trumps Anwälte offensichtlich nicht auf das Video vorbereitet sind, obwohl bereits Tage vorher in Washington darüber geredet worden sei, trägt zur schlechten Laune bei. […..]

(Sebastian Giercke, 10.02.2021)

Ein Schuldiger, der seine Taten vorher selbst coram publico ankündigt, dessen Verbrechen auf tausenden Videos eindeutig festgehalten werden und der dann auch noch katastrophale Verteidiger hat, während die Staatsanwaltschaft in einer Sternstunde brilliert?
Wie dürfte das wohl ausgehen?

Wir können sicher sein, wie es für jeden einzelnen der Rioter nach einem Sturm auf das Kapitol mit sieben Toten ausginge, wenn er schwarz wäre.

Er säße längst im Knast und jeder, der auch nur mit ihm zusammen im Auto gesessen hätte, würde ebenfalls wegen „felony“ für 20 Jahre hinter Gitter schmoren, selbst wenn er persönlich gar nicht in die Nähe des Kapitols gekommen wäre.

Trump aber ist bekanntlich weiß; oder, nun ja, zumindest orange. Er ist weiß, reich und mächtig.

Außerdem sind 50% der Richter moralisch zutiefst verkommen.

Daher werden die 67 Stimmen für einen Verurteilung nicht zusammen kommen.

Trump wird auch nach seinem zweiten Impeachment mit einem Freispruch davon spazieren und damit können die Demokraten auch nicht das erstrebte Verbot für eine neue Präsidentschaftskandidatur Trumps durchsetzen.

Trump, der in so vieler Hinsicht als Präsident verloren hat, dürfte sich also immerhin bald damit brüsten als einziger US-Präsident der Geschichte gleich zwei Impeachmentverfahren „gewonnen“ zu haben.

Für Demokraten, jeden, der sich an Fakten orientiert oder auch nur einen Funken Anstand verfügt, ist es ein Desaster zu sehen, wie sich Trump wieder einmal herauswindet, weil nahezu seine gesamte Partei vollständig korrupt und verbrecherisch ist.

[…..] Vielleicht sind die Amerikaner und ihre Politiker längst so verblendet, polarisiert und eingegraben, dass die Wahrheit ihnen ohnehin egal ist. Das ändert nichts daran, dass die Bürger die bestmögliche, sorgfältigste Version der Wahrheit verdient hätten. Vielleicht wird man deshalb in einigen Jahren, falls Donald Trump wieder kandidiert und mit seinen beiden überstandenen Impeachments prahlt, zurückschauen und eine verpasste Chance bedauern. […..]

(Hubert Wetzel, 09.02.2021)

Als Demokrat kann ich mir so ein Ergebnis aber auch schönreden.

Trump war schon 2016 so abstoßend, daß er fast drei Millionen Stimmen hinten lag. 2020 lag er sogar sieben Millionen Stimmen hinter Biden.

Trump wird kontinuierlich erratischer und irrer. Träte er 2024 mit dann 78 Jahren erneut als GOP-Kandidat an, steuert er vermutlich auf einen 11-Millionen-Stimmen-Niederlage zu.

Wollen die Republikaner House, Senat oder Weißes Haus zurückerobern, sollten sie sich von Trump trennen.

Die womöglich einzige Chance dazu ist JETZT und ausgerechnet die selbst so ehrgeizigen Möchtegern-Präsidentschaftskandidaten Graham, Cruz und Rubio, schießen sich gerade in die eigenen Füße, indem sie das größte Hindernis auf ihrem Karriereweg – Trump – sogar selbst stützen.

Das ist eine parteistrategische Selbstmord-Aktion, für die der oder die demokratische/r Kandidat/in dankbar sein sollte.