Als die
CDU ab 1969 erstmals in der bundesrepublikanischen Geschichte in der Opposition
saß, witterte sie Verrat, den Ausverkauf deutscher Interessen und die baldige
Einführung des Kommunismus.
Willy
Brandt nannten sie „dieser Frahm!“, um mit maximaler Perfidie Unsachlichkeit
ins Spiel zu bringen.
Brandt
konnte man aus konservativer Sicht nicht trauen, weil er a) unehelich als Sohn der
ebenfalls unehelich geborenen Martha Frahm geboren wurde, b) am 26. Februar 1914
im Pastorat II St. Lorenz notgetauft wurde (die christliche Kirche erlaubte
keine Taufen von unehelichen Kindern in der Gemeindekirche!), c) für die linke von
Hitler verbotene Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) 1934 ins
Exil nach Norwegen ging, um gegen die Nazis zu kämpfen und d) im Jahr 1938 vom
NSdAP-Regime als Vaterlandsverräter ausgebürgert wurde, so daß er die Norwegische
Staatsbürgerschaft annehmen mußte.
Noch
Dekaden nach 1945 galten diese familiären Voraussetzungen als großer Makel.
So einer
war amoralisch und verräterisch.
Tatsächlich
wurden die schlimmsten Befürchtungen der Unionsparteien bald bestätigt.
Die
Brandt-Scheel-Regierung begann mit den kommunistischen Regierungen in Moskau,
Prag, Warschau und sogar Ost-Berlin zu sprechen.
Schockierend.
Unter Adenauer, Erhardt und Kiesinger waren das die Todfeinde, die man
verachtete und international schmollend ignorierte.
Man trug
die Nase hoch und höher, biederte sich bei den USA an und wollte im Übrigen
abwarten bis der Warschauer Pakt einsah sich geirrt zu haben.
Brandt
hingegen empfand die Trennung Europas als pervers, konnte die Mauer durch
Berlin, deren Errichtung er als Bürgermeister miterlebt hatte, nie akzeptieren.
Daraus zogen er und seine Berater einige bemerkenswert einfache Schlüsse, für
die aber niemand zuvor die Kraft aufgebracht hatte:
·
Die
Realität ist anders als wir uns das wünschen, aber wir müssen die Tatsachen
akzeptieren.
·
Veränderungen
lassen sich nicht erzwingen; schon gar nicht militärisch.
·
Um
die Kriegsgefahr zu minimieren, muß man mit dem Gegner ins Gespräch kommen.
·
In
den Gesprächen muß eine Vertrauensbasis aufgebaut werden.
·
Um
miteinander sprechen zu können, müssen erst einmal die notwendigen Kanäle dafür
geschaffen werden.
Es
begann das inzwischen legendäre politische Tauwetter, das den kalten Krieg
deutlich entspannte, die Mauer durchlässiger machte und zudem Deutschland
höchste Anerkennung verschaffte – Brandt bekam 1971 den Friedensnobelpreis.
Brandt
war dabei der Front-Mann, der für die notwendige Unterstützung und
Wahlergebnisse sorgte.
Der
eigentliche Akteur war aber der immer noch unterschätzte Jahrhundertstratege
Egon Bahr.
Sein
berühmter Plan vom „Wandel durch Annäherung“ war das theoretische Rüstzeug und
seine unermüdliche jahrelange diplomatische Mission in Osteuropa war die Praxis.
Der
heute 93-Jährige Bahr, der wie Kollege Helmut Schmidt (96) noch voll
berufstätig ist und täglich ins Büro geht, war als „Nichtarier“ auch nicht nach
dem Geschmack der Unionsparteien.
Schon unter
Außenminister Brandt (1966-1969) hatte Bahr als Ministerialdirigent und Leiter des
Planungsstabes im Auswärtigen Amt eine „Politik der kleinen Schritte“
ausgetüftelt, die er ab 1969 als Staatsminister im Bundeskanzleramt umzusetzen
begann.
Er wurde
Unterhändler in Moskau, Ostberlin und Warschau und handelte als
Bevollmächtigter der Bundesregierung den Moskauer Vertrag, den Warschauer
Vertrag, das Transitabkommen sowie den Grundlagenvertrag aus.
Insbesondere in Moskau betrat er Neuland und richtete viele heute noch bestehende Gesprächskanäle ein. Das dauerte manchmal Monate, da man in völlig verschiedenen politischen Welten lebte. Man mußte sich langsam kennenlernen, einander verstehen und schließlich vertrauen.
Insbesondere in Moskau betrat er Neuland und richtete viele heute noch bestehende Gesprächskanäle ein. Das dauerte manchmal Monate, da man in völlig verschiedenen politischen Welten lebte. Man mußte sich langsam kennenlernen, einander verstehen und schließlich vertrauen.
Bahr
berichtete später von einem Moskau-Besuch seines damaligen Chefs Außenminister
Scheel. Er erwartete das Schlimmste; Scheel könnte ihn womöglich aus der
Sowjetunion abziehen, weil die Rücksprachen mit Bonn damals aufgrund der
mangelnden Technik nicht so möglich waren wie jetzt.
Was
genau Bahr eigentlich den ganzen Tag bei konspirativen Treffen mit sowjetischen
Diplomaten und Geheimdienstlern trieb, konnte der deutsche Außenminister gar
nicht wissen.
Vorsichtig
nutze Bahr die erste Gelegenheit, als er abhörsicher mit Scheel allein war, um
ihn auf den aktuellen Stand zu bringen.
Aber
seine Sorge war unberechtigt. Scheel winkte ab, wollte die Details gar nicht
auf der Stelle wissen und sagte nur: „Machen sie weiter, machen sie weiter, die
Regierung steht hinter ihnen!“
Und so
gelang das unfassbare mitten im kalten Krieg, als man sich gegenseitig so
misstraute, daß man Atomwaffen auf einander gerichtet hatte und gewaltige Mauern
mit Selbstschussanlagen zwischen sich erbaute:
Die Lage
entspannte sich, die Eiszeit hörte auf.
Deutschland
setzte damit ein Signal für die ganze Welt. Nicht nur CDU und CSU standen den
Brandt-Bahr-Plänen äußerst skeptisch gegenüber; auch London und Washington
schmollten zunächst einmal.
Allerdings
änderten die NATO-Partner dann ihre Meinung und unterstützten Berlin.
Die Welt
wurde sicherer und friedlicher. Westdeutschen durften durch die DDR fahren und
ihre Verwandten im Osten besuchen.
Breschnew,
den man im Westen zunächst als Inkarnation des Bösen betrachtet hatte, stellte
sich bei näherem Hinsehen als vernünftiger Mann heraus, der aus den Erfahrungen
während des Weltkrieges den Schluß gezogen hatte, „so eine Scheiße“ (Helmut
Schmidt) nie wieder zu machen.
Legendär
das Treffen von Leonid Breschnew und Bundeskanzler Schmidt in dessen kleinen
Häuschen in Hamburg-Langehorn.
Schmidt
hatte ihn von Bonn aus eingeladen mit zu ihm nach Hause zu kommen. Daraufhin
bestieg Breschnew ganz unprätentiös eine Bundeswehr-Boeing 707, um von
Köln-Bonn nach Hamburg-Fuhlsbüttel zu kommen.
Der
Führer des gewaltigen Warschauer Pakts ausgeliefert in einer kleinen
Nato-Maschine – das wäre vor Bahrs Vertrauenspolitik undenkbar gewesen.
Breschnews
sah sich Schmidts Umgebung in Langenhorn genau an und mutmaßte, es müsse sich
um einen Funktionärsstadtteil handeln, da es so viele kleine Einzelhäuschen
gab.
Daß in
Westdeutschland völlig normale Durchschnittsverdiener in solchen Häusern
wohnten, war ihm bis dahin unbekannt.
Man
hockte dann in den beengten Verhältnissen zusammen, während Loki Schmidt nebenan
in der Küche Butterbrote schmierte und erzählte sich gegenseitig aus dem Leben.
Möglicherweise
können es sich jüngere Menschen, die es heute gewohnt sind, daß Politiker bei
jeder Gelegenheit Privatheit und scheinbare Freundschaft inszenieren gar nicht mehr
vorstellen was für eine unglaubliche Sensation der damalige Besuch war, welch
einen Durchbruch in den internationalen Beziehungen er bedeutete.
Möglich
gemacht hatte es das reden, reden, reden.
Das Bohren
dicker Bretter, die Politik der kleinen Schritte.
Es nützt
eben nichts nur mit den Menschen zu sprechen, die einem ohnehin zustimmen.
In der
Diplomatie gilt es gerade mit denen eine Gesprächsbasis zu finden, die ganz
anderer Auffassung sind und in anderen politischen Systemen an die Macht
gekommen sind.
Heute
ist die Welt sogar noch mehr zusammengewachsen. Die Konflikte der Erde sind
mannigfacher, komplizierter, vielschichtiger und verheerender geworden.
Ohne
Zusammenarbeit ist keine Besserung möglich.
Deswegen
ist es das Falscheste, das man tun kann, wenn sich die G7 jetzt schmollend auf
den Standpunkt zurück zieht, daß Putin und Lawrow nicht mehr eingeladen werden,
weil man mit denen „zur Strafe“ nicht mehr sprechen wolle – ausgerechnet zu
einem Zeitpunkt, zu dem es wichtiger denn je ist, miteinander zu sprechen.
[…]
Gregor Gysi hat Bundeskanzlerin Angela
Merkel aufgefordert, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum G7-Gipfel
nach Deutschland einzuladen. "Da es keine Krisenlösung ohne Russland gibt,
muss man natürlich aus G7 wieder G8 machen", sagte der Linksfraktionschef:
"Eine Isolierung Russlands bringt nichts, schadet nur."
Russland war im
vergangenen Jahr nach der Annexion der Krim aus der Gruppe der acht wichtigsten
Industrienationen ausgeschlossen worden. Deutschland hat in diesem Jahr den
Vorsitz. Am Dienstag und Mittwoch findet in Lübeck das G7-Außenministertreffen
statt und am 7. und 8. Juni das Gipfeltreffen auf Schloss Elmau in Oberbayern.
Gysi begründete seine
Forderung damit, dass Putin in den Atom-Verhandlungen mit Iran und bei der
Vernichtung der syrischen Chemiewaffen eine positive Rolle gespielt habe.
"Er ist und bleibt natürlich eine wichtige Person im gesamten
internationalen Gefilde", sagte er. "Wir können uns ja nicht
aussuchen, wer Staatschef in Russland ist."
[…]
Gysi forderte die Staatengruppe auf, die
Strafmaßnahmen gegen Russland zurückzufahren. "Sie müssen dazu übergehen,
die Sanktionen gegen Russland abzubauen, um Russland wirklich wieder ins Boot
zu bekommen für etwas, das uns fehlt, nämlich eine funktionierende
Weltpolitik." […]
Gregor
Gysi hat vollkommen Recht!
Es ist außerordentlich bedenklich, daß er der einzige relevante Abgeordnete ist, der sich so äußert.
Es ist außerordentlich bedenklich, daß er der einzige relevante Abgeordnete ist, der sich so äußert.
Dabei
stimmen ihm alle Realpolitiker zu – von CDU-Horst Teltschik bis Helmut Schmidt.
Auch
Steinmeier ließ zwischen den Zeilen durchblicken, daß er es für absurd hält von
gestern bis in die heutigen frühen Morgenstunden in Berlin
mit Laurent Fabius (Außenminister Frankreichs), Pawlo Klimkin (Ukraine) und Sergej
Lawrow (Russland) die Lage in der Ostukraine zu diskutieren und dann Lawrow wie
einen unartigen Schuljungen wegschickt, während Steinmeier und Fabius rüber
nach Lübeck zum zweitägigen Außenministertreffen der G7-Staaten fuhren.
Dort
diskutiert man heute die Megaprobleme in Syrien und dem Iran, die sowieso ohne Russland
nicht zu lösen sind.
DAS IST GAGA, lieber Westen.
Aus G7
muß sofort wieder G8 werden.