Sonntag, 29. Oktober 2017

Sozi-Nabelbeschau.



Warum nur bin ich damit geschlagen ein Sozi zu sein?
Und das auch noch im Zeitalter der sozialen Medien, in dem sich jedes Parteimitglied über „die da oben“ und mangelnde Mitsprache beklagt, während man aber genau das tut – bei allem mitreden und auf Facebook/Twitter zu jedem Pipifax seinen Senf dazu gibt.
Als ob zu den goldenen Zeiten Willy Brandts in den 1960ern und 1970ern die 1,1 Millionen SPD-Mitglieder immer in Echtzeit über jede Petitesse per Tweet und Email informiert worden wären und alles kommentieren konnten.
Gleichzeitig sinkt aber die Aufmerksamkeitsspanne auf Trump-Niveau herab.
Mit Gerd-Schröder wird einzig und allein „HartzIV“ verbunden. Ganz so, als ob er nur aus Bosheit Bundeskanzler geworden wäre und sofort systematisch den Armen schaden wollte.

Dabei hat Schröder so viel erreicht, das jetzt vergessen ist.
Es ist keine Kleinigkeit weltweit Vorkämpfer gegen den massenmörderischen Irakkrieg zu sein, nach über 50 Jahren endlich an die in Deutschland versklavten Zwangsarbeiter zu denken und damit zu beginnen die Ehe für alle zu öffnen.

Dazu schreibt ein SPD-Mitglied aus dem linken Bremerhavener Verband:

SCHRÖDER sieht nur sich und nicht das Volk! Sein eigener Hintern ist ihm am nähesten
(Susy S., 29.10.17)

Ausgerechnet Schröder so etwas zu unterstellen, ist nicht nur bösartig, sondern insbesondere auch faktisch falsch.
Er hat die Agenda und die vorgezogenen Neuwahlen angesetzt, weil er es für Deutschland absolut notwendig hielt und eben gerade nicht an sich und sein Amt dachte, sondern die Interessen des Landes vor seine Persönlichen stellte.
Das ist das Paradebeispiel von "NICHT am Sessel kleben" sondern etwas für richtig Erachtetes durchzuziehen, auch wenn man weiß damit sein Bundeskanzleramt zu verlieren.
So viel Selbstlosigkeit ist bei der allseits beliebten Merkel undenkbar.

Große Aufregung auch um ein WDR-meme, welches sich mit den vier Stunden Sonntagsarbeitszeit beschäftigt, die viele Verkäufer dieses Jahr zu leisten haben, weil der 24.12. auf einen Sonntag fällt.
Die arbeiterfreundlichen Basis-Sozis sind fürchterlich empört und drohen mit Boykott.


Aufruf zum Boykott!
Bitte geht nicht mehr an heilig Abend einkaufen, gönnt dem Personal auch mal ein langes Wochenende. Laßt den Umsatz in den Keller purzeln damit so etwas nicht wiederholt wird.
+++ teilen ausdrücklich erwünscht +++
# darüber nachdenken ist auch erwünscht.

Die brutale homophobe und misogyne Religion "Christentum" ist ohnehin schon mit Feiertagen überrepräsentiert und nun soll ich mich ereifern, weil sich zwei Christen-Rudimente gegenseitig in die Quere kommen?

Die Sonntagsruhe geht auf ein Gebot des christlichen Gottes zurück.

"Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf daß dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken."
(2.Mose 23:12)

Derselbe Gott feiert aber im Jahr 2017 Geburtstag an einem Tag, an dem man nicht arbeiten soll, aber um ihn zu ehren irgendwie auch einkaufen soll.

1.)
Ich will meine Wochenplanung nicht von christlichen Vorgaben abhängig machen.

2.)
Wieso denken altgediente linke Sozis immer noch flexible Arbeitszeiten und lange Ladenöffnungszeiten richteten sich gegen die Arbeitnehmer?
Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere in einer Single-Stadt wie Hamburg freuen sich nicht nur die Kunden, wenn sie auch um 22.00 Uhr in den Supermarkt gehen können, sondern für viele Verkäufer ist das auch sehr willkommen. Sie arbeiten deswegen ja nicht mehr, sondern haben dafür zu einer Zeit frei, in der sie mehr damit anfangen können. Außerdem sind die klassischen Nebenjobs, beispielsweise für Studenten, gar nicht möglich, wenn Geschäfte nur Mo-Fr, 10.00-18.00 Uhr aufhaben, weil sie zu den Zeiten an der Uni sein müssen.

3.)
Wißt Ihr Sozis eigentlich wie viele Millionen Menschen ganz regelmäßig sonntags arbeiten? Pfleger, Krankenschwestern, Chirurgen, Taxifahrer, Blumenverkäufer. Köche, Polizisten, Seeleute, Busfahrer, ich, Feuerwehrleute, Musiker, Gastronomen, Kellner, Putzfrauen, Straßenbahnfahrer, etc.
Bei Verkäufer geht es nun um einen einzigen Sonntag im Jahr 2017 und da auch nur um vier Stunden. Zudem sind die beiden folgenden Tage – Montag und Dienstag (=Erster und Zweiter Weihnachtstag) – ganz frei für sie.
Insbesondere in Pflegediensten arbeiten nicht wenige Menschen und die müssen an jedem Feiertag und Sonntag da sein. Auch am ersten und zweiten Weihnachtstag, wenn die Verkäufer schon wieder chillen können.
Wieso wird nun ausgerechnet um Verkäufer mit einer vergleichsweise minimalen Zusatzarbeit so ein Theater veranstaltet?

Wieso ich trotz der Deppen an der Sozi-Basis noch Mitglied bin?
Natürlich weil die Basismitglieder anderer Parteien noch größere Deppen sind und man außerhalb der Parteien noch viel weniger bewirken kann.
Zudem kann man bei Sozis ob der tradierten 150 Jahre alten Grundsätze sicher sein, daß die meisten keine Ausgrenzung, Entrechtung anderer, keinen Rassismus, keinen Chauvinismus und keine Überheblichkeit akzeptieren.
Ich behaupte, die Arschloch-Quote unter SPD-Mitgliedern ist verglichen zu anderen Parteien minimal.
Sozis fiele nicht ein sich als „Partei der Besserverdienenden“ zu inszenieren oder dumpfem Rassismus zu frönen.
Grundsätzlich eher gute Menschen, die nicht ihren Ressentiments gegen Dunkelhäutige frönen oder Homosexuelle ausgrenzen, sind allein deswegen leider noch nicht automatisch klug und haben immer Recht.
Alle Menschen, außer mir natürlich, irren sich gelegentlich.
Da muss man zufrieden sein, wenn man sich unter Leuten bewegt, die weniger Unsinn als andere verbreiten.

 Zu allem Übel kam gestern auch noch die Parteizeitung „Vorwärts“ hier vorbeigeflattert, die ich ausnahmsweise von A bis Z durchlas.
Erst ein langer Aufsatz von Martin Schulz, dann einer von Hubertus Heil und schließlich ein Interview mit Andrea Nahles.
Letztere ist bekanntlich meine Intimfeindin und ich halte sie für extrem ungeeignet als SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende.
Erschreckenderweise sind ihre Aussagen noch die Sinnvollsten.
Martin Schulz hingegen versteht es auf zwei Zeitungsseiten Text nicht einmal konkret zu werden und lediglich Floskeln aneinander zu reihen.
Die inzwischen so hohlen Sozi-Lieblingsworte „anpacken, zupacken, Neustart, Erneuerung, neu denken, Zukunft, Signale setzen, gemeinsam, ehrlich, wir, große Herausforderungen“ verwendet Schulz reichlich.
Was das konkret heißen soll, sagt er nicht.

[…..]Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteigeschichte: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen. Unser Neustart wird umfassend sein […..]  Wahlniederlagen senden deutliches Signal
[…..] dass wir vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteiengeschichte stehen. Das niederschmetternde Ergebnis bei der Bundestagswahl […..] sind ein sehr deutliches Signal an uns: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen.
[…..] 2017 muss symbolisch stehen […..] als Neuanfang für die SPD, den Start eines Prozesses, der uns besser macht, durch den wir uns neu aufstellen und der unsere Partei wieder mehrheitsfähig macht. […..] Unser Neustart wird umfassend sein – organisatorisch, strukturell, strategisch. […..]  Eines ist mir dabei wichtig: dass wir von der Vergangenheit lernen, aber dass wir uns vor allem auf die Zukunft konzentrieren.
[…..]  Genau darum muss es uns gehen: um unsere Erneuerung und Modernisierung.
[…..] Ich möchte, dass sich an diesem Erneuerungsprozess so viele Menschen wie möglich beteiligen […..] Ausgangspunkt muss die Analyse sein, wie sich unsere Welt in den vergangenen Jahren verändert hat und was unsere Vision einer besseren, gerechteren und zukunftsfähigen Gesellschaft ist. […..] Es geht um eine optimistische Vision der Zukunft. […..] wir müssen uns auch weiterentwickeln und mutig die Zukunft beschreiben. […..] In den nächsten Jahren geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie – in Deutschland, aber auch in ganz Europa. […..]  Wenn uns der mutige Aufbruch gelingt, werden unserem großartigen Erfolg in Niedersachsen bald auch wieder Erfolge bei Bundestagswahlen folgen. Vor uns liegt viel Arbeit. Lasst sie uns gemeinsam anpacken! [….]

Soll das ein Witz sein? Nach der guten alten Regel „Fünf Euro ins Phrasenschwein“, wäre die Sozi-Sau aber schlachtreif.
Wer schreibt ihm so ein Nichts? Er wird das doch hoffentlich nicht selbst verfasst haben?

Das ist ein linguistisches Lehrbeispiel dafür wie man es nicht machen sollte.
Aneinandergereihte Phrasen aus einem billigen Management-Motivationsseminar, die gut klingen, aber alles und nichts bedeuten können.
Nach einem guten Monat Analysezeit ist Schulz nicht mehr eingefallen als diese Null-Aussagen, die jeder unterschreiben kann und denen niemand widersprechen würde?

Etwas erschreckend, daß sowohl der linke Flügel mit dem 12-Punkte-Plan von Ralf Stegner, als auch die Analyse des rechten Scholz-Flügels viel besser und fundierter erscheinen, als das elende Blabla des Parteichefs.
Ich befürchte, wir werden Mr. 100% austauschen müssen, wenn wir irgendwann mal wieder eine Bundesregierung stellen wollen.
Das kann ja was werden beim kommenden Bundesparteitag vom 07.-09.12. im CityCube in Berlin.