Samstag, 9. November 2019

Ich feiere nicht.


Das ist heute wieder mal der emotional-politische Overkill, kollektives Jubilieren der journalistischen Klasse und in keinem Bericht fehlen die Schlüsselworte „Freude“, „Tränen“ und „Trabbi“.
So schreibt Olaf Wunder in einem mehrseitigen Artikel über den Tag als nach dem Mauerfall über 100.000 Trabbis durch Hamburg rollten:

[….] Herzergreifend, mit was für einer Freundlichkeit die Gäste willkommen geheißen werden! Viele, ob „Ossis“ oder „Wessis“, weinen vor Freude, aber niemand schämt sich seiner Tränen.
„Was war das doch für eine Euphorie! Wunderbar!“, erzählt Freya Steps, eine Frau aus Bahrenfeld, die damals in der Zentrale der Allianz-Versicherung am Großen Burstah arbeitete. [….]

Natürlich gibt es diese einschneidenden politischen Daten, an die man sich erinnert.
Mondlandung und 9/11.
Die Freude über den Mauerfall vor 30 Jahren ist allerdings ein Ritual, bei dem verzweifelt Bedeutung suggeriert wird.
Zu keinem 09.Novemer fehlen die gnatschigen Hinweise auf die nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West. Als ob das etwas Schlechtes wäre! Vive la différence! Nordfriesen und Franken sind auch nicht gleich, Hamburger und Niederbayern frönen einer völlig anderen Kultur. Zum Glück!
Nur bezüglich der Ossis gilt auf einmal das Ideal der völligen Homogenität.
Da aber alle Statistiken penibel Unterschiede auflisten, gilt es in kollektiver Autosuggestion den 09.11.1989 als Jahrhundert-Glückstag aufzubauschen.
Für viele war das selbstverständlich ein großer Tag, Hunderttausende DDRler konnten das erste mal legal und angstfrei ihr kleines Land verlassen.

Aber wenn wir mal ehrlich sind, waren zumindest die meisten Wessis herzlich desinteressiert. Ich zum Beispiel habe gar keine Erinnerung an den Donnerstag im November, als „die Mauer aufging“.

(….) In jeder Generation gibt es nur ein Handvoll Weltmedienereignisse, die sich so ins kollektive Bewußtsein eingravieren, daß sich jeder daran erinnert wo er an dem Tag war.

In den letzten Einhundert Jahren waren es das Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914, der Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918, der „schwarze Freitag“ am 25. Oktober 1929, die „Reichskristallnacht am 09.November 1938, der Weltkriegsausbruch am 01. September 1939, das Kriegsende am 08.Mai 1945, die Krönung Elisabeth II. am 02. Juni 1953, das Kennedy-Attentat am 22. November 1963 und die Mondlandung  21. Juli 1969.
Es folgten die Maueröffnung am 09. November 1989 und schließlich der 09. September 2001.

Während ich den allerletzten Termin außerordentlich genau erinnere, muß ich zu meiner Schande gestehen, daß mein 09.11.89 von den aktuellen und bekannten Bildern überdeckt wird.
Was ich an dem Tag tat weiß ich nicht mehr.
Dabei gibt es durchaus politische Ereignisse, die ich sehr bewußt erinnere.
Ich saß am gemütlichen Montag, den 03.Oktober 1988 mit einer Freundin im Café Cocteau unweit der Reeperbahn in der Wohlwillstraße und soff Vodca, als der Wirt die Musik runterdrehte und durchsagte, daß soeben Franz Josef Strauß an seinem Erbrochenen erstickt sei und sich nun bei den „Barmherzigen Brüdern“ befände.
Darauf wurde erst einmal angestoßen.
Donnerstag, den 17. Januar 1991 war ich gerade aus Berlin kommend direkt zu einer privaten Party in der Talstraße, ebenfalls direkt an der Reeperbahn, aufgeschlagen, als die Musik ausging und wir erfuhren, daß soeben „Desert Storm“ begonnen hätte. Das war zwar nicht wirklich überraschend, aber doch so empörend, daß ein Kumpel und ich für ein Taxi zusammenlegten und mitsamt meiner dreckigen Klamotten, die ich noch aus Berlin dabei hatte, zum US-Konsulat fuhren.
Es war mitten in der Nacht und wir wurden schon 50m davor von der Polizei abgedrängt. Es trafen laufend mehr Demonstranten ein, die vergeblich ihren Protest vorbringen wollten.
Irgendwann zückte ich meinen US-Pass, hielt ihn den nächsten Polizisten ins Gesicht und sagte ihm auf Englisch, daß ich sofort meinen Konsul sprechen müsse. Bizarrerweise klappte das sogar. Die wütenden Leute um mich herum hörten sogar kurz auf zu skandieren, als ich durch die Absperrung auf das Gelände des US-Generalkonsulates geführt wurde.
Man brachte mich bis zu einem Nebeneingang, in dem ein Vertreter des Generalkonsuls auf mich wartete. Ich sagte ihm, daß ich hiermit offiziell gegen die US-Kriegspolitik George Bushs protestieren wolle und wurde zurück gebracht. Eine Aktion von 120 Sekunden und total sinnlos. (…..)

Ich erinnere den 27. September 1998 als ob es gestern wäre, als endlich nach der gefühlten Kohl-Ewigkeit eine rotgrüne Bundesregierung gewählt wurde.
Ich werde sich auch nie vergessen, als 4. November 2008 der erste schwarze US-Präsident gewählt wurde.
Aber diese schwülstigen 89er Erinnerungen sind aufgepropft und überhöht.
Wie friedlich war denn die Revolution für die in der DDR lebenden Vietnamesen und Mosambikaner, die nun auf den Straßen gejagt wurden?

Sind wir mal ehrlich; die DDR war wirtschaftlich am Ende, wie alle anderen kommunistischen Diktaturen auch.
Sie war bereits seit 1982 in gewaltigen Zahlungsschwierigkeiten und überlebte nur noch dank der D-Mark-Milliarden, die der CSU-Chef Franz-Josef Strauß nach Ostberlin pumpte.
Die Christenunion war die Retterin der kommunistischen Diktatur. Und dafür gab es einen Grund: Der bayerische Ministerpräsident war schlicht und ergreifend zu blöd; ein echter Tölpel hatte sich von den schlaueren SED-Genossen austricksen lassen.

[…..] Franz Josef Strauß rettete die DDR 1983 mit einem Milliardenkredit, im Gegenzug baute das Ost-Regime Selbstschussanlagen ab - so die Legende. Doch SPIEGEL-Recherchen zeigen nun: In Wahrheit hat Erich Honecker den CSU-Chef ausgetrickst. [….] Die DDR stand 1983 vor der Zahlungsunfähigkeit, und ausgerechnet der lautstarke Antikommunist Strauß half ihr aus der Klemme. Kurz vor seinem Besuch bei Honecker vermittelte der bayerische Ministerpräsident einen Milliardenkredit westlicher Banken. [….] Die gängige Version, die sich in Geschichtsbüchern, Strauß-Biografien, Nachschlagewerken und TV-Dokumentationen findet, ist die: Strauß habe seinem Verhandlungspartner Honecker "menschliche Erleichterungen" abgetrotzt, etwa bei Familienzusammenführungen oder Ausreisen. Vor allem aber habe er erreicht, dass die DDR danach die etwa 60.000 barbarischen Selbstschussanlagen des Typs SM-70 an der innerdeutschen Grenze abbaute. [….] Strauß sei gegenüber der DDR-Führung "an die äußersten Möglichkeiten" gegangen, lobte sein einstiger Adlatus Peter Gauweiler. Auch Tochter Monika Hohlmeier verbreitete diese Deutung der Geschichte - nur leider ist sie falsch.
Denn der große Verhandlungserfolg war keiner. Zwischen Milliardenkredit und Abbau der Selbstschussanlagen besteht kein direkter Zusammenhang. Der einstige Dachdeckerlehrling Honecker hat den "Jahrhundertpolitiker Strauß" (CSU-Chef Horst Seehofer) einfach ausgetrickst.
Das zeigen Dokumente, die nun der SPIEGEL ausgewertet hat. Die Papiere stammen von der Stasi oder sind vom Auswärtigen Amt und dem Bundesarchiv veröffentlicht worden, teilweise schon vor längerer Zeit.
Danach war Honecker bereits vor den Verhandlungen über den Milliardenkredit entschlossen, die Todesautomaten abzubauen. Er hatte damit offenbar auch bereits begonnen. Und beides war in Bonn bekannt. Honecker hatte es selbst erzählt, am Montag, dem 13. September 1982. […..]

Verglichen mit der Wirtschaftsleistung der BRD war die DDR klein und schwach, aber mit Klugheit konnten sie in einigen Bereichen den Erzkonkurrenten im Westen weit übertrumpfen.
Das galt für jedermann sichtbar im Sport, aber das DDR-Politbüro konnte manches mal den Westen austricksen, der DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski war seinen westlichen Verhandlungspartner geistig weit überlegen und insbesondere der Geheimdienst war extrem erfolgreich; gehörte international zu den Großen, während der westliche BND eine reine Lachnummer war, über die sich Agenten aller anderer Nationen bis heute kaputtlachen.

Es fällt heute leicht über die unbedarften, unmodischen, unwissenden Ossis des Jahres 1989 zu lachen.
Denen konnte man den ganzen Schrott andrehen, den hier keiner mehr haben wollte und insbesondere mit Pornoheftchen konnte man Ossis gefügig machen wie einst die Conquistadores Urvölker mit Glasperlen.

[….] Der Einzelhandel verdiente gut an den Ost-Besuchern. [….]
100 Mark Begrüßungsgeld, damit kam ein DDR-Besucher nicht sehr weit. Zumal überall in der Stadt die Geschäftemacher lauerten: Juweliere lockten mit angeglichenen Super-Rabatten, Kaufhäuser holten Ladenhüter aus dem Lager und machten sie zu Geld. Den unerfahrenen Ostdeutschen konnte man eben noch alles andrehen. [….]
Besonders große Anziehungskraft auf DDR-Bürger hatte die Reeperbahn. Das Beate-Uhse-Kaufhaus war voll mit Männern aus dem Osten, die beim Blättern in diversen Magazinen Stielaugen bekamen. Der Kassierer der Live-Peep-Show stand kurz vorm Nervenzusammenbruch. Während er sonst mit seinem Lautsprecher verzweifelt Kunden anlockte, musste er jetzt versuchen, des Ansturms Herr zu werden. „Nein, nicht zu dritt in eine Kabine“, brüllte er. „Nervt doch woanders rum, wenn ihr kein Geld mehr habt.“ […..]

Aber niemand kann im Ernst behaupten, es handelte sich um eine spezifisch ostdeutsche Grunddämlichkeit.
Wäre Deutschland im Jahr 1945 entlang anderer Grenzen geteilt worden, so daß beispielsweise Bayern und Baden-Württemberg eine sowjetisch besetzte Zone geworden wären und dafür Brandenburg und Meckpomm von den USA und Westeuropa als Bollwerk gegen den Warschauer Pakt gepampert worden, würden sie heute über die Südis lachen, die sich alle 1989 übers Ohr hauen ließen.

Generell mögen es Menschen in Diktaturen zu leben, da Demokratie anstrengend ist. Pluralität schafft Verunsicherung. Nicht jeder mag Selbstverantwortung.
Auch in den Demokratien ist der Ruf nach einem „starken Mann“ populär; das zeigen die Wahlergebnisse in den USA, in Brasilien, in Russland, in der Türkei, auf den Philippinen, in Israel.
Demokratische Werte wie Minderheitenschutz, Redefreiheit oder liberaler Strafvollzug sind unpopulär.
Große Teile der Bevölkerung rufen gern nach „schärferen Gesetzen“, ersehnen Verbote, schreien „Kopf ab“ und haben keine Lust sich um Transgender oder ethnische Minderheiten zu sorgen.
Sie haben gern Ordnung, Polizei, die durchgreift und Richter, die streng und schnell alles wegsperren.
Auch das ist eine Form der „Ostalgie“ – damals war alles so geordnet und sicher und homogen. Keine Streiks, keine schrägen CSD-Umzüge, keine Existenzsorgen.

Die totale Planwirtschaft funktioniert aber offenbar wirtschaftlich nicht sehr gut.
Wenn man wie in Vietnam oder China als „kommunistisches“ Land mit strenger Überwachung und allmächtiger Parteiführung dennoch marktwirtschaftliche Methoden zuläßt, kann man prächtig gedeihen – ohne Menschenrechte und ein paar Tausend Regimegegner weniger, die jedes Jahr geköpft werden.

Die andere Möglichkeit ist sich wie Nordkorea abzuschotten.
Das fiel der DDR aber im Gegensatz zu anderen Warschauer-Pakt-Diktaturen extrem schwer, da es stets ein zweites Deutschland nebenan gab, dessen Fernseh- und Radiowellen empfangen werden konnten, deren offenbar steinreiche Bewohner das Land bereisten.
Rumänien und Polen hatten hingegen kein prosperierendes West-Rumänien und West-Polen als Dauerkonkurrenten im Blick.

Diese perfide Konkurrenz-Situation, der Geldmangel  und insbesondere der ideologische Verlust des großen Bruders „Sowjetunion“ brachten die DDR schließlich zu Fall.
Es wäre früher oder später ohnehin dazu gekommen.
Lange vor den Ossi-Dissidenten in Leipzig und Dresden hatten schon die Polen und Ungarn ihre Regime in den Grundfesten erschüttert.
Beim Prager Frühling hätten freiheitsliebende Tschechen um Alexander Dubček beinahe schon 1968 die sozialistische Diktatur abgeschüttelt; sie konnte sich nur durch sowjetische Panzer behaupten.
Auch Josip Tito in Belgrad lockerte sein Land lange vor der DDR und nebenan in Ungarn herrschte lange der sogenannte „Gulaschkommunismus“ – ja man war zwar Teil des Ostblocks, aber nahm die Partei auch nicht allzu ernst.

Die SED saß hingegen besonders fest im Sattel, weil das deutsche Volk sich gern unterordnet und zudem traditionell große Freude an der Denunziation hat.
Da muckt man nicht so auf. Aber irgendwann musste es halt doch kommen.
Ob da ein paar mehr oder weniger Menschen in irgendwelchen ostdeutschen Kirchen Lieder sangen oder nicht, ist irrelevant.
Unter den Bedingungen musste das Regime irgendwann kollabieren.