Mein
Vater wurde vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Greensboro, PA geboren.
Eine Gemeinde in Greene County, in der heute die stattliche Anzahl von 260
Personen lebt.
Fast
alle Einwohner waren coal-miner. Mein Opa besaß als einer der wenigen einen
Anzug, den er voller Stolz und mit sauberen Fingern trug.
Meine
Großmutter dachte vermutlich, das große Los gezogen zu haben, weil sie den
einen Mann geangelt hatte, der einen Schreibtischjob hatte.
Sie
bekamen natürlich schnell Kinder – wie sollte es anders sein bei streng
gläubigen Katholiken?
Mein
Vater war der dritte Sohn der jungen Familie und man zog um nach Bobtown, die
größere Kohle-Stadt des Bezirks. So mußte sich der gesellschaftliche Aufstieg
anfühlen.
In
Bobtown ist verglichen mit Greensboro schon richtig was los.
[….] As of the census of 2000, there were 742
people, 340 households, and 207 families residing in the town.
The racial makeup of the township was 95.5% White, 1.4% Hispanic, 0.4%
Black, 0.3% Native American, and 2.1% from two or more races.
There were 322 households, out of which 23.3% had children under the age
of 18 living with them, 50.3% were married couples living together, 10.6% had a
female householder with no husband present, and 33.5% were non-families. [….]
The median income for a household in the
town was $40,038, and the average income for a household was $54,545. [….]
(Wiki)
In
Bobtown lebte auch Großonkel Frank, der sogar ein eigenes Haus auf einem Hügel
besaß. Als Rentner pflegte er mit einem geladenen Gewehr auf der Veranda zu
sitzen, drohte auf jeden „Neger“ zu schießen, der sich seinem Besitz nähern könnte.
Mein
Vater und seine Brüder gingen in die Sonntagsschule, wie alle in dem streng
katholischen Kaff.
Dort
unterrichtete der pyknisch-polnischstämmige Priester die Jungs über die größten
Gefahren der Welt.
Erstens
Masturbation und zweitens Juden.
Über die
Wichserei befragte er jeden einzeln im Beichtstuhl, wie man Juden erkenne
erklärte er in großer Runde. Diese hätten keine einzelnen Zehen, sondern noch
sichtbar Huf-artige Füße.
Dort
leben immer noch Verwandte von mir. Die Lieblingscousine meines Vaters, die
fast ihr ganzes Leben in Washington verbrachte und nach ihrer Pensionierung
nach Bobtown zurück zog, um ihre hochbetagte Mutter zu pflegen, sagte mir immer
Bobtown sei der toteste Ort der USA.
Der
soziale Aufstieg wurde allerdings kurz nach dem siebten Geburtstag meines
Vaters jäh ausgebremst, als mein Opa mit einem Herzinfarkt tot zusammenbrach.
Schon
blöd für meine Großmutter; da hat sie den einzigen Mann, der nicht jeden Morgen
in die Kohlegrube fährt, um den man immer bangen muß und dann gibt der so früh
den Löffel ab.
Hartz IV,
Kindergeld oder Grundsicherung gab es nicht.
Oma
musste jeden blöden Job annehmen, während sie ihre drei kleinen Jungs entweder
bei Großonkel Frank parkte, so daß sie ihm auf seinem privaten Hochsitz bei der
Ausschau nach sich nähernde „Neger“ helfen konnten, oder aber sie blieben
tagsüber beim Pastor in der Kirche.
Ich weiß
nicht ganz genau was dort vorgefallen ist, außer daß mein Vater bis zu seinem
Lebensende in Wut geriet, wenn er Priester sah und sich weigerte detailliert zu
erzählen.
Keiner
der drei Brüder sprach darüber. Verbrieft ist aber der Vorfall, daß sie in
irgendeinem Nachtschrank Kondome fanden, diese natürlich für „wonderful
balloons“ hielten, aufbliesen, im Vorgarten damit spielten und dann so von dem
Priester verprügelt wurden, daß meine Oma ihre Kinder schnappte und noch in
derselben Nacht mit ihnen nach New York fuhr und nie wieder kam.
Ich kann
nur erahnen wie es sich für die Kleinen anfühlte durch Manhatten zu gehen, wenn
man vorher nur Greensboro, Bobtown, den Priester und Großonkel Frank kannte.
Später
auf dem College teilte sich mein Vater ein Zimmer mit einem schwulen, jüdischen
Kunststudenten und vergaß nie zu erzählen, daß er am ersten Abend
sicherheitshalber doch auf dessen nackte Füße schielte, als er aus dem Bad kam.
Keine Hufe. Fünf Zehen. Pro Fuß.
Typisch ist, daß auch in unserer Familie die nachfolgenden Generationen ein extremes
Verhältnis zur Kirche behielten.
Mein
Vater brach sobald er volljährig war mit dem Katholizismus – eine interessante
Gemeinsamkeit mit meiner Mutter, die einen Kontinent entfernt in einer anderen
Konfession ebenfalls an ihrem 18 Geburtstag ihren Kirchenaustritt vollzog.
Seine Brüder
hingegen wurden immer katholischer und blieben bis zu ihrem Tod weit frommer
als es ihre Mutter je gewesen war.
Es gibt
die Anekdote meiner Eltern von dem schwulen Priester, der sich bei einer Taufe
eines Neffens in New York derartig tuntig und affektiert gerierte, daß meine
Eltern auf der letzten Kirchenbank nur mit kräftigen gegenseitigen Fußstritten
ins Schienbein ihre Lachkrämpfe unterdrücken konnten.
Es wurde
aber doch bemerkt. Mein Onkel stellte sie empört zur Rede, wie kämen
sie dazu sich in der heiligen Kirche so aufzuführen und ständig zu lachen?
Meine Mutter platze damit heraus, ihr täte es leid, aber der Priester sei so
tuckig, daß sie es nicht unterdrücken konnten. Mein Onkel verstand das Wort gar
nicht, überlegte minutenlang, kam dann mit hochrotem Kopf zurück und bellte sie
an, ob sie etwa damit andeuten wolle, der Priester sei homosexuell?
So eine Unverschämtheit. Das gäbe es nicht in der Kirche.
So eine Unverschämtheit. Das gäbe es nicht in der Kirche.
Wir, der
atheistischen Zweig der Familie haben in den folgenden Jahrzehnten natürlich
viel darüber gesprochen, gerätselt wieso die anderen so felsenfest zur RKK
stehen.
Inzwischen
glaube ich, daß mein Onkel nicht bewußt negierte, etwas nicht wahrhaben wollte.
Er hat
wirklich geglaubt „so etwas“ gäbe es nicht in der RKK.
Und
trotz seiner eigenen Kindheit und der Erfahrung mit dem dicken polnischen
Priester, war er außer sich vor Entsetzen, als 2002 die Missbrauchsskandale der
Katholiken durch die US-Presse schwappen.
Er, der
tägliche Kirchengänger konnte es nicht fassen, daß sich sowas in einer Kirche
abspielte, während meine Eltern keine Sekunde überrascht waren und ohnehin nie
etwas anderes von Priestern erwartet hatten.
Nachdem
diese Generation tot ist, frage ich meine US-Cousins gelegentlich, ob es ihnen
nicht schwer fiele jede Woche zehn Prozent ihres Gehaltes „freiwillig der
Kirche zu spenden“, wenn sie doch wüßten, daß damit die Milliardenzahlungen an
die von katholischen Priestern vergewaltigen kleinen Jungs gezahlt werden
müssten.
Dafür
zehn Prozent des Lohnes freiwillig geben?
Als mein
Vater ähnliche Diskussionen mit seinen Cousins führte, glaubten sie ihm einfach
nicht. Er war ja Atheist und käme eh in die Hölle, also müsse er schlecht über
die Kirche reden.
Ich bin
in einer anderen Lage, weil das myriadenfache Kinderficken der US-Priester
nicht nur in der gesamten Presse dokumentiert, sondern auch von zwei Päpsten
offiziell eingeräumt wurde.
Nun habe
ich, der böse Atheist, die Fakten auf meiner Seite.
Aber die
Gläubigen nehmen diese Informationen hin, sind entsetzt, bedauernd auch die
Opfer, aber sie scheinen es nicht emotional mit ihrer Kirche zu verquicken.
Die
Täter-Priester sind immer irgendwelche anderen. Böse. Wölfe im Schafspelz, die
eigentlich nie was in der Kirchen zu suchen hatten.
Offensichtlich
können Kirchisten die hochkriminellen Bösartigkeiten ihrer Geistlichen völlig
von ihrem eigenen Glauben abtrennen.
Für
rational denkende Menschen ist das schwer zu verstehen.
Es waren
schließlich nicht einzelne, wenige Priester, die Kinder brutal verprügelten und
sexuell missbrauchten, sondern es handelt sich um ein Massenphänomen.
[….]
Ermittlungsbehörden im US-Bundesstaat
Pennsylvania haben erschütternde Details über das Ausmaß von sexuellem
Missbrauch und dessen Vertuschung in der katholischen Kirche der USA
recherchiert. Die Behörden beschuldigen mehr als 300 namentlich genannte
katholische Priester, sich des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig
gemacht zu haben - bis hin zur Vergewaltigung. "Obwohl die Liste von
Priestern lang ist - wir denken nicht, dass wir alle gekriegt haben", sagte
der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro. [….]
Und zwar
ein Massenphänomen, das sich überwiegend auf kleine Jungs bezieht und das es
eben nicht in anderen christlichen Konfessionen in annähernder Häufigkeit gibt.
Könnte
es noch offensichtlicher sein, daß Zölibat, abstruse Sexualmoral und das Verbot
von Frauenpriestertum eine Rolle spielen?
[….][Auch]
die Sprache der Bürokratie kann den
Horror nicht mildern. Ein Priester, heißt es im Bericht, habe im Krankenhaus
ein Mädchen vergewaltigt, nachdem diesem gerade die Mandeln entfernt worden
waren. Ein anderer Priester habe sein Opfer gefesselt und mit Lederriemen
geschlagen. In Pittsburgh habe es einen Ring von Priestern gegeben, die ihre
Opfer untereinander austauschten, um sie zu vergewaltigen. Ein Priester habe in
Amt und Würden bleiben dürfen, nachdem er ein Mädchen geschwängert und dann zu
einer Abtreibung gezwungen hatte. [….] Pennsylvanias
Generalstaatsanwalt Josh Shapiro, dessen Behörde die Untersuchung initiierte,
sagte, ranghohe Kirchenbeamte in Pennsylvania und im Vatikan hätten den
Missbrauch systematisch vertuscht: "Sie haben ihre Institution um jeden
Preis beschützt. Die Kirche zeigte ihren Opfern gegenüber reine
Verachtung."
Wohl nur in zwei
Fällen wird es aktuelle Anklagen geben. [….] Die Kirche
hat sich bisher nach Kräften[gegen Änderungen an der Verjährungsregel] gewehrt. [….] "Priester vergewaltigten kleine Jungen und Mädchen", heißt es
in dem Report, "und die Gottesmänner, die für sie verantwortlich waren,
blieben nicht nur untätig, sie vertuschten das alles. [….]
[….]
Die katholische Kirche in den USA sieht
sich seit mehr als 15 Jahren Vorwürfen des umfassenden Missbrauchs ausgesetzt.
Zehn Untersuchungen von Grand Jurys gab es bisher im Land. Amerikanische
Bischöfe mussten einräumen, dass landesweit mehr als 17 000 Menschen von
Priestern oder anderen Kirchenverantwortlichen belästigt oder missbraucht
wurden. [….]