Es kam,
wie es kommen mußte.
Wenn ein
religiös motiviertes Verbrechen die Weltöffentlichkeit in Atem hält, stecken
die Doofen und Vernagelten aller Couleur ihre Köpfe hervor und versuchen Kapital
aus der Situation zu ziehen.
Am
Schnellsten war die braune CDU-Pestbeule Erika Steinbach,
die einen Smiley-Tweet absetzte und es
unmittelbar nach der Tat angebracht fand Witze zu reißen.
So eine
sitzt im Fraktionsvorstand der mit riesigem Abstand beliebtesten Partei im
Bundestag; jener Partei, mit der die Wähler so zufrieden wie nie zuvor sind.
Die ganz
braune Pest à la Elsässer und Gauland
war ebenfalls auf Zack und nutzte die Toten als Werbematerial für ihre Pegida
aus.
Die
Abscheulichkeit der Vertreter des rechten Randes überrascht kaum und ist daher
immerhin erträglicher, als die Heuchler, die sich nun als Hüter des Friedens
und der Meinungsfreiheit inszenieren.
HuffPo entblödete sich noch nicht mal den ultrakonservativen katholischen
Fundamentalisten Sean Hannity (FOX) für seine Pöbeleien gegen einen Iman zu
feiern. Ausgerechnet FOX, der Sender, der 24h/day Hass und Rassismus
verbreitet, wird nun indirekt als Kämpfer für den links-atheistischen Charlie
Hebdo gelobt. Geht es noch?
Ein
Lichtblick ist, wie immer, taz-Kommentator Yücel.
Die Leichen in Paris
waren noch nicht kalt, als die Ersten in Deutschland versuchten, sie für ihre
Zwecke zu vereinnahmen: Pegida, Alexander Gauland von der AfD, einschlägige
Webseiten, am Ende sogar die NPD, die auf ihrer Facebookseite erklärte, nun ebenfalls
Charlie zu sein. Diesen Leuten sind ein paar linksliberale Karikaturisten
scheißegal, sie freuen sich nur wie Bolle, ihre Ressentiments bestätigt zu
sehen.
Darum, Spackos, hört
zu: Wagt es nicht, die Toten von Paris zu instrumentalisieren. Denn für euch
hätten die Satiriker von Charlie Hebdo zur „Lügenpresse“ gehört. Ihr könntet
ahnen, was die für euresgleichen übriggehabt hätten. Was sie für euresgleichen
in Frankreich übrighatten. Was die Titanic, der Postillon oder die „heute-show“
für euch übrighaben: nüscht. Absolut nüscht. Außer Kritik, Spott und
Verachtung.
Ihr habt kein Recht,
euch der ermordeten Satiriker zu bemächtigen.
[…]
Kein
Aber
Damit wären wir bei
der anderen Seite: Ich wünsche jedem islamischen Vorbeter und seinem Nachbeter,
der der Verurteilung des Mordes ein „Aber“ hinterherschiebt, lebenslang Dresden
an den Hals.
Dieses „Aber“ war am
Mittwoch nicht in offiziellen Stellungnahmen in Deutschland zu hören, dafür
umso mehr in sozialen Netzwerken. Und es sind weniger irgendwelche Salafisten,
nicht mal allein Muslime, die sagen: Ja, schlimm. Aber die haben ja provoziert.
Aber man müsse die religiösen Werte und Gefühle respektieren. Aber die
Islamophobie. So formulierte es beispielsweise der türkische Außenminister
Mevlüt Çavuşoğlu. Es ist exakt dasselbe verlogene und beschissene „Aber“, wie
man es von den Klemmrassisten von der AfD und Pegida kennt: „Ich habe nichts
gegen Ausländer, aber ...“ […]
Ich lobe
ausdrücklich die Zeitungen wie beispielsweise die Hamburger Morgenpost, die nun
die Charlie-Hebdo-Karikaturen nachdrucken und sich damit a posteriori auf die Seite
der Meinungsfreiheit stellen.
Schöner
wäre es natürlich gewesen, wenn sie früher entsprechend mutig gewesen wären,
dem Jyllands-Posten beigestanden hätten, als er von radikalen Irren wegen der
Mohammed-Karikaturen angegriffen wurde.
Wenn
sich all die jetzt mutigen Zeitungen jedes Mal genauso ins Zeug gelegt hätten,
wenn eine Satire-Postille von Kirchenvertretern angegriffen und verklagt wurde.
Wieso
sind es wieder einmal nur der einsame hpd zusammen mit einigen atheistischen
Gruppen, die eine Abschaffung des Einfallstors für religiöse Gewalt, den
Gotteslästerungsparagraphen fordern?
Mit dem
§166 StGB wird die Schwere einer Tat in Abhängigkeit von dem Erregungspotential
eines Religioten bestimmt.
Jemand
kann für eine Meinungsäußerung bis zu drei Jahre in Haft kommen, wenn sich nur
ein Inselverdummter findet, der sich genügend dadurch beleidigt fühlt.
Es ist
ein Willkür-Paragraph, der jeder Objektivität abschwört.
Der Mist
gehört SOFORT abgeschafft, wenn wir es tatsächlich ernst nehmen mit unseren
westlichen Werten.
Es sind
aber gerade auch Christen, die in unserer Gesellschaft wider die
Meinungsfreiheit kämpfen und die gestern Ermordeten nun noch besprucken.
Nach Meinung der
US-amerikanischen Lobbyorganisation «Catholic League» ist der Chefredakteur der
französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo», Stephane Charbonnier, nicht
schuldlos an seiner Ermordung. «Wäre er nicht so narzisstisch gewesen, könnte
er noch leben», erklärte der Vorsitzende der rechtskonservativen «Catholic
League», Bill Donohue, am Mittwoch (Ortszeit) in New York. Das Magazin habe
eine «lange und abstoßende Tradition», insbesonders religiöse Figuren zu
verspotten. «Wir sollten aufhören, diese Art von Intoleranz zu tolerieren, die
diese gewalttätige Reaktion hervorgerufen hat», so Donohue. […]
Nun ja,
die katholische Kirche hat gerade im 21. Jahrhundert eine beachtliche Fähigkeit
erlernt Täter in Opfer und Opfer in Täter umzudichten.
Das ist
bei weltweit hunderttausenden Kinderfick-Fällen geradezu ihr
Alleinstellungsmerkmal geworden. Die Täter vor der Justiz schützen, die
Missbrauchten Kinder diffamieren und/oder anderen die Schuld geben - emanzipierte
Frauen, den Schwulen, der liberalen Presse – je nach dem was gerade passt.
Nach
diesem Drehbuch gehen auch die Islamhasser vor.
Sie
haben eine im Kern ähnliche Ideologie wie die drei Charlie Hebdo-Killer: Hass
auf andere.
Und nun
nutzen sie den Hass der mörderischen selbsternannten Rächer, um ihren eigenen
Hass zu etablieren.
Für was, für wen haben
die ermordeten Journalisten von Charlie Hebdo gelebt? Für die Freiheit, öffentlich
nach Belieben ja und nein zu sagen, für den Kampf gegen rechte und linke
Ressentiments, für das Recht auf Verspottung religiöser und politischer
Autoritäten. […]
Und für wen, für was
sind die Karikaturisten gestorben? Für die NPD, für „Pegida“, für Alexander
Gauland von der AfD, die sich der Mordopfer sogleich bemächtigten, als die
Leichen noch warm waren, und sie als Zeugen aufriefen gegen die vermeintliche
Islamisierung Europas, als Helfershelfer ihrer menschenfeindlichen
Ressentiments in Dienst nahmen und zu Komplizen ihres Hasses erklärten.
Gauland, der „Pegida“
als „natürliche Verbündete“ seiner AfD betrachtet, betrieb öffentliche
Leichenschändung, als er wenige Stunden nach den Morden beteuerte: „All
diejenigen, die bisher die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch
Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen
gestraft.“ – so wie natürlich auch die Morde des islamophoben
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die Sorgen der Menschen vor einer
drohenden Gefahr durch die Islamophobie auf blutige Weise bestätigt haben. […]
Ich habe
heute sehr sehr viel Zeitungen gelesen und immer wieder vorgehalten bekommen,
wie groß die Ressentiments der Deutschen gegen „den Islam insgesamt“ sind - was
auch immer das sein mag.
Es liest
sich tatsächlich in weiten Strecken wie eine Werbekampagne für die Peginesen.
Stimmt
es nicht irgendwie doch, daß die Muslime die Agenda bestimmen, daß sie die
Melodie spielen, zu der der Westen tanzen muß?
Haben
die Muslime in Deutschland folglich nicht irgendwie selbst schuld, wenn sie
niemand leiden kann; wenn man sie am liebsten aus dem Land verweisen würde?
Solche Gedanken schwingen jetzt genauso durch die Mainstreampresse, wie durch das Internet.
In
dieser verrückten Zeit lese ich dazu die sinnvollste Relativierung ausgerechnet
in Springers „WELT“.
Der
konservative Atheist, rückt die Furchtidee von der islamischen Weltherrschaft auf
das richtige Maß zurück.
[….]
Eineinhalbtausend Millionen Muslime gibt
es auf der Welt. Ein winziger Bruchteil davon sind Fundamentalisten, und davon
ein Winziger Teil Terroristen. In Deutschland leben vielleicht viereinhalb
Millionen Muslime, die überwältigende Mehrheit von ihnen gemäßigte türkische
und kurdische Sunniten. Aber nach jedem Terroranschlag verlangen die
Islamfeinde von „den Muslimen“ eine Distanzierung, als stünden alle Muslime
unter Generalverdacht.
Noch vor sechzig,
siebzig Jahren gab es so gut wie keine unabhängigen islamischen Staaten, lebten
fast alle Muslime in Kolonien, die von christlichen Ländern seit Jahrzehnten,
wenn nicht jahrhunderten beherrscht worden waren. Zu Recht hätte man von der
„Europäisierung“ oder „Verwestlichung“ der muslimischen Welt reden können. Da
muss es einem Moslem schon merkwürdig vorkommen, wenn nun ausgerechnet Europäer
die „Islamisierung“ ihres Kontinents an die Wand malen – nachdem sie selbst die
Muslime als billige Arbeiter ins Land geholt haben.
Noch in den letzten 20
Jahren haben die Russen in Afghanistan und Tschetschenien, die Serben in
Bosnien und im Kosovo genozidale Operationen gegen Muslime durchgeführt; die
Chinesen unterdrücken seit Jahrzehnten die muslimischen Uiguren; in Indien wird
der Hindu-Nationalismus von Muslimen als Bedrohung empfunden. Von den
westlichen Operationen im Irak und in Libyen und vom
israelisch-palästinensischen Konflikt will ich erst gar nicht anfangen. Wie
muss es einem hier lebenden Moslem vorkommen, wenn nun Menschen grölend durch
Dresden ziehen, „Wir sind das Volk“ rufen – und Politik und Medien, teilweise
jedenfalls, statt von den Ängsten der muslimischen Bürger zu reden, die Ängste
der Rassisten ernster zu nehmen versprechen? [….]