Sonntag, 16. Juni 2019

Ein Herz und eine Seele


Nach dem Abgang der SPD-Chefin und der eifrigen Sägearbeiten an Kramp-Karrenbauers Stuhl, wird mal wieder das brutale Klima in der Politik beklagt, der raue Umgangston, die Intrigen.
Da wäre es kein Wunder, wenn sich kaum noch geeignetes Personal für die Bundesregierungen und Parteispitzen finde.
Wer wolle sich den Tort antun?

Nun ja. Durch Internet und soziale Medien erfahren wir mehr von den heftigen Kämpfen der Toppolitiker untereinander.
Die Härte, der Ellbogeneinsatz untereinander, die Arbeitsbelastung bis zur totalen Erschöpfung, den Karriereinstinkt, die Seilschaften und Netzwerke, den Killerinstinkt, die Eitelkeiten, Selbstüberschätzung und Populismus gab es aber immer.
Das liegt partiell am Wesen der Demokratie, die einen Ausleseprozess bis an die Staatsspitze beinhaltet.
In einer absoluten Monarchie ist man Herrscher von Geburt an und so könnte per Zufall auch ein schüchterner, höflicher, rücksichtsvoller Mensch Staatschef werden.
(Wenn es eine überschaubare Anzahl von Prinzen gibt; in Saudi Arabien hingegen muss man trotz königlicher Geburt gewaltig die Ellbogen ausfahren, um die anderen Prinzen weg zu boxen.)
Parlamentarische Demokratie in großen Nationen bedeutet aber automatisch viel Wahlkampf in eigener Sache.
Die netten, bescheidenen, nachdenklichen, stillen, kontemplativen Typen, die mir viel sympathischer als machtgeile Alphamännchen sind, schaffen es gar nicht durch die Ochsentour ganz nach oben in die Führung einer Bundestagsfraktion oder eines Ministeriums.
Bedenkt man wie unbedingt erforderlich Durchsetzungskraft und Selbstdarstellung für einen Minister oder Parteichef sind, finde ich es verblüffend wie viele Sympathische dennoch darunter sind.
Es ist unredlich in einer Demokratie aus 82 Millionen Individuen einem Dutzend Ministern Karrieregeilheit oder Selbstüberschätzung anzukreiden.
Denn das gehört zur Jobbeschreibung. Wer will schon einen furchtbar lieben Innen- oder Sozialminister, der immer das Richtige tut und sich nie in den Vordergrund drängelt, der sich aber nicht durchsetzen kann?
Also, ein gewisser Arschloch-Anteil ist für eine gute Politikerpersönlichkeit immanent.

Politiker können aber erstaunlicherweise nicht nur privat nett sein, sondern durchaus auch über Parteigrenzen hinweg enge persönliche Freundschaften führen.
Im klassischen Spektrum der Regierungsparteien liegen Grüne und CSU mutmaßlich am weitesten auseinander.

Gerade in Bayern sind Union und Ökos recht weit voneinander entfernt.

(….) Nachdem Claudia Roth in München an der Anti-AfD-Demonstration teilnahm, ergriff die CSU-Landtagsfraktion Partei – für die AfD.
Der CSU-Abgeordnete Florian Herrmann (nomen est omen…) bepöbelte daraufhin Roth und monierte, sie trage "zur Radikalisierung der Gesellschaft" bei.
Diese Darstellung gefiel der CSU-Fraktionsführung so gut, daß sie die Einschätzung sogleich auf ihre Facebookseite stellte.
Wie gewünscht, fand sich sofort der braune CSUNPDAFD-Mob ein und hetzte rasend vor Wut wider die Vizepräsidentin des Bundestags.
Neben den üblichen „Argumenten“ wider ihre Haarfarbe/Frisur/Figur/Kleidung wurde ihr auch der Tod angedroht.
Der übliche kotdampfende Verbalsumpf, den CSU-Granden so gerne beschwören.
Diesmal ließ die CSU-Fraktionsführung dem Treiben freien Lauf.

Grüne zeigen CSU-Fraktion wegen Mordaufrufen auf Facebookseite an
[….]  Die Grünen im Landtag haben gegen die CSU juristische Schritte eingeleitet. Fraktionssprecherin Margarete Bause erstattete am Montag bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige "gegen die Verantwortlichen für die Facebook-Page der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag". Als Adressat dürfte damit CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer gemeint sein. Bause stellte Anzeige wegen diverser Delikte, insbesondere wegen Beleidigung, übler Nachrede, Verleumdung und Bedrohung.
[….]  Am Freitagnachmittag forderten die Grünen die CSU-Fraktion und ihren Vorsitzenden Kreuzer schriftlich auf, "beleidigende Kommentare sowie Gewaltandrohungen unverzüglich zu löschen" und sich bei Roth zu entschuldigen. Seitdem sei nichts geschehen, sagte Bause am Montag. Es handele sich um "Hass-Beiträge" von "unfassbarem Ausmaß". Bis Montag, 15 Uhr, hatten die Grünen der CSU ein Ultimatum gestellt, die Beiträge zu entfernen. Danach erstatteten sie Strafanzeige. [….]

CSU-Rechtsaußen Günther Beckstein, bundesweiter Abschiebe-Radikaler und bayerischer Ministerpräsident und die so gescholtene ehemalige Grünenvorsitzende und jetzige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth verstehen sich privat prächtig und demonstrieren das herzlich in einem Doppelinterview des SZ-Magazins.

[…..] SZ-Magazin: Frau Roth, Herr Beckstein, Sie beide sind seit vielen Jahren befreundet. […..], Frau Roth, was mögen Sie an Herrn Beckstein?
Roth: Der Günther bleibt sich treu, das schätze ich. Da gibt es andere in der CSU, die legen eine hohe Flexibilität an den Tag, da weiß man nicht, woran man ist. Vielleicht ist es das, was uns verbindet: die Treue zu Auffassungen. Aber unsere Freundschaft hat erhebliche Irritationen in meiner Partei ausgelöst. […..]
Wir führen keine Freundschaft, bei der man sich jeden Tag sieht oder ständig telefoniert. Aber wir können etwas unter vier Augen besprechen und müssen nicht befürchten, das morgen in der Zeitung zu lesen. Oder dass es sofort per SMS weiterverbreitet wird.
Beckstein: Stimmt, da besteht ein Vertrauensverhältnis. […..]
SZ: Herr Beckstein, warum haben Sie ihr damals das Du angeboten?
Beckstein: Für mich ist Claudia Roth eine ganz starke Marke. […..] Seit ich die Claudia kenne, hat sich bei mir einiges geändert. Ich nehme die Grünen jetzt ernst. […..] Ich fand die Claudia sehr sympathisch. In einem anständigen Abstand, sage ich jetzt mal. Es gefällt mir, dass sie so spontan ist. Das liegt mir.
Roth: Vielleicht kamen wir uns auch näher, weil wir über all die Jahre so viel miteinander zu tun hatten, immer wieder. Konfrontativ, hart in der Sache, aber auch vertrauensvoll. […..]
Beckstein: Ich versuche zwar, als Christ zu leben. Aber das Alte Testament, Auge und Auge, Zahn um Zahn, wird von mir hoch verehrt.
Roth: Also du gehst in die Offensive?
Beckstein: Ja! Jede Gemeinheit wird mit einer größeren Gemeinheit beantwortet.
Roth: Da muss ich mal Nachhilfe nehmen. […..]

Ebenfalls ein Herz und eine Seele sind die beiden tiefgläubigen MPs Markus Söder und Winfried Kretschmann. Söder, der so rechts ist, daß er sogar Horst Seehofer mit seinen ständigen xenophoben Attacken in den Schatten stellte, ist dem Grünen Nachbar-MP vor allem politisch nahe.
Mögen sich die  Sozis sträuben die Seehoferschen Schweinereien des „geordnete Rückkehr-Gesetzes“ mitzumachen, auf das Mitglied des Zentralrates der deutschen Katholiken Kretschmann kann sich die CSU verlassen. Menschen in Not in Kriegsgebiete abzuschieben ist ganz nach dem Geschmack des Grünen Landesvaters.

[…..] Zu dem Vorstoß der unionsgeführten Länder und Baden-Württembergs, neben Gefährdern und Schwerverbrechern auch andere Flüchtlinge verstärkt abzuschieben, werde es zumindest so lange keine Zustimmung der SPD-Ressortchefs geben, bis der Lagebericht des Auswärtigen Amtes eine akzeptable Sicherheitslage erkennen lasse, hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zuvor erklärt. "Das ist ein Vorschlag, den wir aktuell ablehnen werden", sagte der Sprecher der Gruppe der SPD-Innenminister. […..]

Die Sozis solidarisieren sich mit den Heimatvertriebenen und Menschenrechtsorganisationen, die BW-Grünen stehen an der Seite von CSU und AfD, wollen humanitäre Politik abschaffen.

[…..] Die Kritik an Seehofers Abschiebegesetz reißt nicht ab: Als unverhältnismäßig und uferlos bezeichnen 22 Organisationen das geplante Gesetz in einem offenen Brief. Ein SPD-Politiker wird sogar noch deutlicher.
Ein Bündnis von 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen will die geplanten Verschärfungen im Abschieberecht verhindern. In einem offenen Brief fordern sie die Abgeordneten des Bundestags auf, das von Innenminister Horst Seehofer so bezeichnete "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" nicht zu verabschieden.
Das Gesetz würde viele Flüchtlinge "dauerhaft von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgrenzen, sie unverhältnismäßigen Sanktionen und einer uferlosen Ausweitung der Haftgründe aussetzen", heißt es in dem offenen Brief, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. [……]

Anders als zwischen Roth und Beckstein, bei denen es in erster Linie menschlich so schön passt, sind Kretschmann und Söder auch politisch einig.
Auf dem Rücken tausender auseinander gerissener Familien, die sie in Todeszonen schicken, zelebrieren sie ihre Liebe.

[….] Der 71-jährigen Kretschmann sagt [….]: Man habe schnell bei Sachthemen "auf derselben Wellenlänge gelegen" und so zusammengefunden. Die Unterschiede zwischen seiner Partei, den Grünen, zur Union seien immer noch gravierend, aber man müsse "vom ideologischen Podest ein paar Stufen hinabsteigen, dann lockert sich manches auf". Auf die Frage, ob er gemeinsam mit Kretschmann regieren könnte, antwortete Söder: Mit Kretschmann sei das möglich, der sei pragmatisch. [….]