Donnerstag, 22. Juni 2017

Urnengift Politik



Erst die Linken, dann die Grünen Regierungspläne und nun kommt auch noch die SPD immer mehr in die Spur.
Obwohl längst das postpolitische Zeitalter begonnen hat, machen sich die Journalisten daran die Parteikonzepte zu analysieren, nachzurechnen und zu beurteilen.
Meine Sozi-Jungs haben es demnach wieder einmal recht gut gemacht.
Das mit der Rente war zwar nichts, aber das muß man verzeihen; immerhin war Andrea Nahles Co-Autorin und so gab es keine Chance irgendetwas Sinnvolles vorzulegen.

Die Steuerkonzeption aber, die auch das Abschmelzen des Solidaritätsbeitrages beinhaltet wird allgemein gelobt.

[….] Der linke Flügel der SPD fordert vor dem Parteitag am Sonntag programmatische Nachbesserungen. "Martin Schulz hat ein sehr gutes Steuerkonzept vorgelegt - und trotzdem dürfen wir die Vermögensteuer nicht aus dem Auge verlieren", sagte Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken, der Süddeutschen Zeitung. [….]

Sogar der neoliberale Marc Beise, FDP-affiner Wirtschaftschef bei der SZ erwärmt sich für die Sozi-Pläne. Seit 1991 habe der Soli trotz aller Versprechen ihn abzuschaffen weiter bestanden, grummelt Beise.

[….] Nun aber ist er binnen zweier Tagen kassiert worden, jedenfalls perspektivisch. Am Montag hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz angekündigt, dass die SPD den Soli für untere und mittlere Einkommen abschaffen will, später auch für höhere Einkommen. Am Dienstag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nachgelegt und eine Abschaffung für alle (allerdings später) in Aussicht gestellt.
Zwar leidet der SPD-Vorstoß daran, dass er Teil eines wie üblich vorrangig umverteilerischen Steuerkonzepts ist, das den einen nimmt, was den anderen gegeben werden soll. Dass der Staat sich mal bescheide und Wachstumskräfte quer durch die Gesellschaft wecken könnte, steht nicht wirklich zur Debatte. Der CDU-Vorstoß wiederum krankt daran, dass die Union noch gar kein Steuerkonzept fertig hat, geschweige denn ein Wahlprogramm. Was angesichts der Wahl in drei Monaten ziemlich bräsig ist. Auch wenn die Kanzlerin sich wieder größerer Zustimmung erfreut, ein Programm hätte der Wähler schon gern.
Aber wir halten fest, dass beim Soli Pflöcke eingeschlagen sind - endlich. […..]

An einer Stelle staune ich nur wenig:
Die ärmere Hälfte der Deutschen zahlt gar keine Einkommenssteuer, weil sie so wenig verdienen, daß sie unter den Freibeträgen liegen. Streicht man also den Soli, hilft das nur der reicheren Hälfte der Deutschen und da es eine prozentuale Steuer ist, wird man umso mehr entlastet, je mehr man verdient.
Gerecht ist anders.

Viel mehr staune ich aber über Beises Ärger ob des nicht vorhandenen CDU-Konzeptes.

Wo war denn Herr Beise die letzten 19 Jahre seit Angela Merkel ganz oben an der CDU-Spitze steht (erst als Generalsekretärin, dann als Vorsitzende)?
Merkel hat bis auf eine einzige Ausnahme, nämlich den Flattax-Wahlkampf von 2005 mit der Idee von der Kopfpauschale nie mehr irgendeine verbindliche steuerpolitische Aussage getroffen.
Kein Wunder, denn sie erlitt 2005 eine fürchterliche Bauchlandung. Das ganze Jahr prognostizierte man eine absolute CDU-Mehrheit und dann schleppte Merkel sich mit einem hauchdünnen Vorsprung vor den Sozis ins Ziel, so daß es noch nicht mal mehr für Schwarzgelb reichte.

Aber die Frau ist lernfähig. Nie wieder wurde sie konkret. 12 Jahre Kanzlerin und bis heute weiß niemand was sie über Finanz- oder Steuerpolitik denkt.
Genau damit war sie ungeheuer erfolgreich, denn kein Wähler liest Programme, schon gar nicht mehrere. Niemand sieht sich die Zahlen im Kleingedruckten an und wägt dann neutral anhand der Fakten ab, welche Partei das bessere Konzept hat.
Im Gegenteil, Konzepte verwirren den Urnenpöbel und liefern der Presse und den politischen Gegnern Angriffsfläche.
Ein Konzept zu erarbeiten und es auch noch öffentlich vorzutragen ist ungefähr so sinnvoll, wie sich in einem Stellungskrieg nackt auszuziehen und dann unbewaffnet aus dem Schützengraben zu klettern.
Die eingegrabenen Soldaten in den gegenüberliegenden Stellungen werfen dann nicht erfreut ihre Waffen weg und bewundern den Alabasterkörper des nackten Sozis, sondern sie laden durch und knallen ihn ab.

Merkel wäre nie so dumm. Sie liegt eingegraben in der sicheren Deckung und schlummert im Kanzleramtbunker bis zum 24.09.2017, um dann einmal kurz ihr Haupt zu erheben und befriedigt festzustellen, daß sich alle Konkurrenten wieder einmal gegenseitig zur Strecke brachten.

Es hat etwas rührend-naives, wenn nach all den Jahren immer noch Journalisten klagen und jammern wie sich Merkel dem Wahlkampf entzieht.
Weshalb sollte sie so verrückt sein das ultimative Erfolgskonzept der „asymmetrischen Demobilisierung“ zu ändern?

Das ist das Schöne daran grundkonservativ zu sein – es braucht keine lästigen Konzepte, es reicht die Macht zu haben und Minderheiten zu demütigen.

Bei SPON beklagt Herr Tietz, daß Frau Merkel mit so einer Inhaltsleere keine vierte Amtszeit verdient hätte. Haha, als ob es in der Politik darum ginge, was einer verdient, haha, als ob Wahlen gerecht wären.

Merkel ohne Programm: Keine Ideen, kein Aufbruch, nichts!
Ihre Partei gähnt vor Langeweile, sie selbst glänzt derzeit durch Nichtstun - und trotzdem sind CDU und Angela Merkel wieder obenauf. Doch die Kanzlerin hat keine weitere Amtszeit verdient. […..] Dass die internationale Presse sie feiert und sie als Führerin der freien Welt geachtet ist, verstellt den Blick darauf, dass sie zu Hause nicht viel mehr liefert, als regelmäßig schöne Bilder.
Welches große politische Projekt bringt man mit Merkel in Verbindung? Welchem Gesetzesvorhaben hat sie ihren Stempel aufgedrückt? Was will sie, außer weiter an der Macht bleiben? […..] Bei Helmut Kohl kam nach zwölf Jahren Amtszeit auch keine Wechselstimmung auf. Danach saß er seine Zeit bis 1998 nur noch ab. Die Nachfolger hatten Jahre damit zu tun, seine Versäumnisse aufzuarbeiten.  Das kann man natürlich eine politische Strategie nennen. Oder trostlos. [….]

Kollege Fischer befindet sich gedanklich sogar auf noch bizarreren Abwegen, indem er tatsächlich eruiert mit welcher inhaltlichen Ausrichtung die SPD noch Chancen hätte.

[……] Generalsekretär Peter Tauber lästert derweil über Schulz: Der mache "Dalmatiner-Politik", man sehe nur Punkte. "Hier mal ein Fünf-Punkte-Papier, da mal eine Zehn-Punkte-Rede", so Tauber in der "Saarbrücker Zeitung".
Bei der CDU gibt es keine Punkte. Keine Kanten, keine Reibung, die Kanzlerin auf Schleichfahrt.
Die Union verteile "Merkel-Bonbons ohne Füllung", kommentiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Und die "Zeit" bemerkt, die Kanzlerin "ignoriert alle inhaltlichen Debatten". An diesem Mittwoch hat Generalsekretär Tauber schon mal die Wahlplakate vorgestellt, ein paar Schlagworte, viel Schwarz-Rot-Gold und der Slogan: "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben." Die Inhalte kommen dann ja später.
Und doch ist Angela Merkel für die SPD bisher nicht zu fassen. Längst verflogen ist der Schulz-Hype vom Jahresanfang, jüngsten Umfragen zufolge könnte es sogar neuerlich für Schwarz-Gelb reichen.
Was tun? Im SPIEGEL kündigt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil die rote Gegenoffensive an, will Merkels Nicht-Wahlkampf zum zentralen Thema machen: "Das ist ein Stück weit Demokratieverachtung, die hinter dieser Taktik steckt." […..]

Für eine linkere Opposition in Deutschland gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie bietet einen Strahlemann wie Emmanuel Macron auf, in den sich alle verlieben. Karl Theodor von und zu Baron Freiherr hat schließlich beweisen, daß man ganz ohne irgendeinen politischen Plan auf eine 90%-Zustimmungsrate klettern kann.

Oder aber man puzzelt weiter vor sich hin, streichelt der Basis den Bauch, zankt sich ein bißchen mit den anderen R2G-Parteien und wartet einfach Niederlage um Niederlage ab, bis Merkel nach 16 oder 20 Jahren keine Lust mehr hat.