Jeder
deutsche Bundespolitiker, der etwas auf sich hält übt so lange das Wort „Subsidiaritätsprinzip“
auszusprechen, bis es ihm in jedem zweiten Satz flüssig über die Lippen kommt.
Wer von Subsidiarität
spricht, erweckt den Eindruck sich im Dschungel der Zuständigkeiten auszukennen
und zudem das Fach „politische Theorie“ belegt zu haben.
Mit so einem schönen Begriff im Wortschatz klingen
selbst unterbelichtete Blitzbirnen wie Alexander Dobrindt fast intelligent.
Der Zungenbrecher wirkt zudem latent
ehrfurchteinflößend und erstickt damit die Frage danach, was das eigentlich
bedeutet im Keim.
Dabei bedeutet „Subsidiaritätsprinzip“
im politischen Sinne einfach nur, daß die Leute möglichst selbst entscheiden
sollen und dementsprechend wenige Befehle von ganz oben kommen sollen.
Angewendet wird es insbesondere auf Entscheidungshierarchien; beispielsweise Kommune
-> Kreis -> Bundesland -> Bund -> EU.
Die EU soll also nicht über Dinge entscheiden, die ein
Kreistag selbst regeln könnte.
Üblicherweise wird das „Subsidiaritätsprinzip“ abhängig von der eigenen
Position in der Hierarchie angewendet. Je weiter unten man steht, desto
wichtiger ist einem die Regel.
Zudem
ist das „Subsidiaritätsprinzip“ themenabhängig.
Lange
Zeit galt es Konservativen als Ehrensache nicht in die Familien
hineinzuregieren. Vergewaltigen in der Ehe oder das Schlagen von Kindern wollte
die Rechte in Deutschland möglichst lange nicht unter Strafe stellen. KITAs
galten als Teufelszeug.
Bei
Homoehe und Abtreibung argumentieren Konservative genau umgekehrt; da sollten
gerade staatliche Regeln von ganz oben durchgesetzt angewendet werden.
Besonders
schön läßt sich das „Subsidiaritätsprinzip“ beschwören, wenn man gleichzeitig
auf zwei, drei oder mehr verschiedenen Hierarchieebenen sitzt.
Dann
kann man sich für alles Gute selbst loben und das was beim Urnenpöbel nicht gut
ankommt auf „die da oben schieben“.
Horst
Seehofer bestimmt als CSU-Chef die Personalien bis hinunter in die Bezirke,
prägt die Landespolitik, ist einer der großen drei Entscheider in der
Bundespolitik und bestimmt als solcher auch über das Brüsseler Personal mit.
Die
bösen Brüsseler Beamten lassen sich in Bayerischen Wahlkämpfen trefflich
verdammen und verulken, wenn man dabei verschweigt, daß die meisten dieser
Beamten aus Deutschland kommen und maßgeblich von Führungsfiguren wie Merkel
und Seehofer ausgesucht wurden.
Ebenso
schön poltert es sich gegen die Bundesregierung in Berlin, wenn man in
niederbayerischen Festzelten dezent verschweigt, daß die CSU diese
Bundeskanzlerin gewählt und diesen Koalitionsvertrag ausgehandelt hat.
Gurkenkrümmungsverordnungen
wurden auf Druck der deutschen Gemüsegroßhändler von deutschen Politikern
durchgedrückt.
Es war
die erste Merkel-Regierung, die Brüssel dazu zwang das Glühbirnenverbot zu
exekutieren.
Es ist
nicht die Schuld Europas oder des Bundes, daß es keinen flächendeckenden
Breitbandinternetzugang gibt.
Wer sich
tagtäglich über das Rumpel-Internet ärgert und sich beim Downloaden den Hintern
platt wartet, kann dafür geradezu grotesk plastisch die Schuldigen ausmachen.
Es sind
auf Bundesebene Alexander Dobrindt (im Kabinett Merkel III Bundesminister für
Verkehr und digitale Infrastruktur) und auf Europaebene Günther Oettinger designierter
EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.
Beide
zeigen ihre Eignung für das Thema schon durch ihre exzellenten
Englischkenntnisse.
Solche
Typen fallen aber nicht vom Himmel, sondern sind die klassischen Resultate
davon, daß der Urnenpöbel massenhaft CDU und CSU auf den Wahlzetteln ankreuzt.
Letztlich
ist es die beliebteste Kanzlerin aller Zeiten, die solche Personalien
verbricht.
Ihr
Händchen für extrem ungeeignete Personen ist legendär. Man erinnere sich nur an
Verteidigungsminister Jung, Familienministerin Schröder, Gesundheitsminister
Gröhe, diverse CDU-Generalsekretäre oder die Fehlgriffe im Bundespräsidialamt.
Wer
Merkel wählt oder sie dadurch in den Sattel hebt, daß er nicht zur Wahl geht,
darf sich nicht über die Pfeifen Oettinger und Dobrindt beklagen.
Tatsächlich
ist Subsidiarität (von lat. subsidium „Hilfe, Reserve“) auf der alleruntersten
Ebene verankert. Es ist der einfache Wähler, der sich bei Bundes- und EU-Wahlen
erbärmliche Funktionäre wie Juncker aussucht, die dann in so grotesker Weise
Lobbyinteressen gegen die kleinen Wähler durchsetzen, daß man die
Funktionsfähigkeit der Demokratie wirklich bezweifeln muß.
Man
sollte doch annehmen, daß der Urnenpöbel in den letzten sechs Jahren ein Gefühl
dafür entwickelt haben müßte, daß Investmentbanker und Derivatehändler die
ganze Welt in den Abgrund stoßen.
Es sind
Banker, die halb Europa ruiniert haben. Dafür bluten nun Griechen und Spanier.
Der Steuerzahler ist so doof, daß er die Verluste der Banker verstaatlichen
läßt und die Gewinne privatisiert.
Und
damit es schön so weitergeht, wird die Brüsseler Finanzpolitik gleich direkt
von einem korrupten Bankenlobbyisten gesteuert.
Möglichen
machen es Juncker und die EVP, die vom EU-Pöbel zur größten Macht im Parlament
aufgeblasen wurde. Jetzt gibt es inkarniert von Jonathan Hill die Strafe für so
viel Wählerdoofheit.
[….]
Am Donnerstag hat Jean-Claude Juncker die
neue Kommission vorgestellt. Die Namen waren im Vorfeld bekannt, die
Dossierzuteilungen überraschten dann sogar manchen Experten.
So verantwortet
künftig ein gemäßigter Euroskeptiker den Bereich Finanzen in der EU-Kommission.
Der Brite Jonathan Hill war Camerons erste Wahl, wohl weil er als treuer
Konservativer gilt. [….]
Parlamentspräsident Martin Schulz nannte
den britischen Kommissar einen "radikalen Anti-Europäer". Vor seiner Tätigkeit im Oberhaus, war der
54-jährige Lord Hill Lobbyist und PR-Manager. In Brüssel ist er nun für die
Banken zuständig. Und das, obwohl gerade aus Großbritannien Widerstand gegen
mehr Regeln für den Finanzsektor kommt. Nirgendwo kann ein britischer Kommissar
also die Interessen seiner Heimat besser vertreten als auf diesem Posten. [….] Ebenso als "Fehlgriff" wird der
ungarische Kandidat, der FIDESZ-Politiker Tibor Navracsics, von Lunacek
bezeichnet. Er soll künftig für Bildung, Kultur und Jugend zuständig sein.
Dabei ist besonders die FIDESZ-Regierung in der Vergangenheit immer wieder für
Medienzensur und fragwürdige Kulturpolitik angeprangert worden. Auch der spanische Kandidat, Miguel Arias
Cañete, fiel Anfang des Jahres unangenehm auf. Mit Frauen könne man keine
gleichberechtigte Diskussion führen, soll der konservative Politiker und
künftige Energiekommissar vermeldet haben. Würde ein Mann außerdem seine
intellektuelle Überlegenheit demonstrieren, gelte das gleich als sexistisch,
ärgerte sich Arias Cañete laut Medienberichten. [….]
[….]
Der konservative Brite und ehemalige
Finanzlobbyist Jonathan Hill soll in Zukunft ausgerechnet für die Finanzmarkt-
und Bankenregulierung zuständig sein. Eine Fehlbesetzung, wie sie im Buche
steht. Jonathan Hill gehört zu den
Mitbegründern der britischen Lobbyberatungsfirma Quiller Consulting. Quiller
Consulting hat unter anderem die global agierende HSBC Bank und viele andere
Finanzmarktakteure beraten. Somit ist Hill bestens in der Londoner
Finanzbranche vernetzt. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Londoner
Finanzbranche Hills Nominierung begrüßt und feiert. [….]
[….]
Nach dem monatelangen Poker um die
wichtigsten Ressorts in der neuen EU-Kommission bleibt für Deutschland nur ein
Platz in der zweiten Reihe. Merkels CDU-Parteigenosse Günther Oettinger hat in
der Behörde keinen der sieben machtvollen Vizepräsidenten-Posten ergattert -
und verantwortet auch keines der Schlüsselressorts.
[….] Künftig aber wird er sich um das
Mini-Ressort Digitales kümmern, also Telekommunikation, Netzausbau oder
Urheberrechte. Und wird auch noch von dem Esten Andrus Ansip als Vizepräsident
überwacht. [….] Nichtsdestotrotz regnete es prompt Häme. Der FDP-Fraktionschef
im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, nannte die Personalie eine
»schallende Ohrfeige für die Bundesregierung«. Der grüne Europa-Abgeordnete Jan
Philipp Albrecht sprach von der »größten Fehlbesetzung« der neuen Kommission
unter Jean-Claude Juncker. Das EU-Parlament muss dem Personalpaket noch
zustimmen.
[….]
Am meisten überraschte Juncker mit der
Berufung des konservativen britischen Europaskeptikers Jonathan Hill zum
Finanzkommissar. Ausgerechnet Großbritannien: Die Briten wollen ihre
Bankenmetropole London schützen und bremsen regelmäßig bei EU-Vorstößen. Laut
EU-Diplomaten ist dies ein großes Zugeständnis an Premier David Cameron, damit
das Land in der EU bleibt. Cameron will sein Volk 2017 über einen EU-Austritt
abstimmen lassen. Nun könnte Hill die von Cameron geforderten Reformen der EU im
Londoner Sinne vorantreiben. [….]
Da wird
es in den nächsten Jahren wieder viele Gründe geben, sich gegen „die da oben“
zu empören.