Mittwoch, 24. Juni 2015

Franzosen


Irgendwann Ende der 80er, ich vermute kurz nach meinem Abitur war ich mal mit meiner Mutter und ihrem Bruder, also meinem Onkel ein paar Tage in der Dordogne.
Die beiden haben mich die ganze Zeit geärgert.
Immer wenn wir in irgendeinem Lokal oder Geschäft waren, schoben sie MICH nach vorn, um das Reden zu übernehmen – nur so lernt es das Kind, lachten die sich einen.
Ich würde zwar behaupten fließend englisch und deutsch zu können, aber generell bin ich leider etwas unfähig beim Thema Fremdsprachen.
Vermutlich weil ich nicht drauf losplappern kann, sondern immer erst lange überlege, wie es wohl grammatikalisch richtig heißen müßte.
Vier Jahre Französisch-Unterricht in der Schule und dann stelle ich mich so an, wenn ich etwas bestellen soll. Das fanden meine Mutter und mein Onkel absurd und verweigerten sich nur umso konsequenter mir zu helfen. Beide sprachen nämlich fließend Französisch und unterhielten sich dann auch noch in Französisch über mich. Sauerei.
Noch gemeiner war allerdings, als ich am letzten Morgen in der Boulangerie radebrechte und der knorrige Bäcker mich auf einmal auf DEUTSCH verabschiedete.
Der Blödmann hatte die ganzen Tage zugesehen wie ich mich quälte; dabei konnte der perfekt deutsch.
So ist das hier auf dem Lande, meinte mein Onkel.
Das sind stolze Franzosen; die wollen, daß man französisch spricht und tun gegenüber Touristen so, als ob sie NUR französisch sprechen, selbst wenn sie noch andere Sprachen beherrschen.

Kurz zuvor war ich eine Woche in Rotterdam gewesen und da war es genau umgekehrt.
Holländer sind ja ohnehin alle Sprachgenies. In Rotterdam kam ich gar nicht dazu meine paar Brocken Niederländisch auszuprobieren, weil die kleinste Andeutung, daß ich Amerikaner sei reichte, daß auf einmal alle englisch sprachen. Genauso funktionierte es mit Hinweisen darauf, daß ich aus Deutschland käme – sofort sprachen alle deutsch.

Frankreich ist aber als LA GRANDE NATION eine der großen vier Siegermächte.
Die Kulturnation.
Eine der fünf UN-Vetomächte – von 200 Nationen.
Frankreich ist zudem offizielle Atommacht und stolz auf seine Force de frappe (Force de dissuasion nucléaire de la France).

So sehr einem der französisch Nationalismus und die Selbstverliebtheit auf die Nerven gehen, so sehr muß man als Frankreich-Tourist auch zugeben, daß es wirklich eine Kulturnation ist.
Franzosen haben Klasse. Das merkt man im kleinsten Dorf, daß auch alte Männer der einfachsten sozialen Schichten niemals so ein Proletentum wie entsprechende Deutsche vorexerzieren: Kurze Hosen, Sandalen mit Socken, grässliche T-Shirts.
Französinnen laufen niemals rum wie die Flodders.
Genau das was Amerikanerinnen immer falsch machen und weswegen sie überall auf der Welt sofort als Amerikanerinnen erkannt werden (man denke an GOPer-Ehefrauen oder FOX-Moderatorinnen mit greller Schminke, unnatürlichen Zähnen und Betonfrisur), machen Franzosen richtig. Sie sind schick.
Kein Franzose würde solche unförmigen Säcke als Anzug tragen wie einst Helmut Kohl; keine französische Ministerin trüge so schlecht geschnittene Kostüme wie Merkel und erst recht würden sie nicht mit derart ungepflegten Fingern rumlaufen.
Damit hängt es auch zusammen, daß französische Schauspieler internationale Superstars werden, daß französisches Kino weltberühmt ist, während in Deutschland Veronica Ferres und Til Schweiger als die besten gelten.
Paris ist die Traumstadt der Welt, während man von Berlin gerade mal weiß, daß man dort sehr billig saufen kann und die Bewohner den ganzen Tag mit ungekämmten Haare im Trainingsanzug rumschlurfen.
Und natürlich das Essen.
Solche Käse, solche Weißbrote, solche Weine wie man sie in Frankreich auch im letzten Kaff bekommt, muß man in Deutschland lange suchen.
Unbegreiflicherweise.
Die Deutschen reisen doch inzwischen alle und wissen wie frische Weißbrotwaren auch schmecken können. Wieso gibt es dann hier fast nur diese pappsigen, garantiert geschmacksfreien Brötchen/Semmeln/Rundstücke/Schrippen aus in China gefertigten Teigrohlingen?
Müßte es nicht auch in Deutschland ein paar Menschen geben, die bereit sind 10 Cent mehr auszugeben, wenn dafür das Brötchen auch schmeckt?
Amerika mag gods own country sein, aber wie Gott leben, kann er nur in Frankreich.

That said, komme ich zum Thema NSA.
Wenig überraschenderweise wurde gestern geleakt, daß Washington auch die letzten drei französischen Präsidenten, sowie engste Berater der Präsidenten, weitere Diplomaten, Kabinettsmitglieder, Regierungssprecher, hohe Beamte und Abteilungsleiter in Ministerien und den Botschafter Frankreichs in den USA abhören ließ.
Merkel hatte das ja schon 2013 erlebt und daraufhin in Merkel-Manier reagiert; nämlich gar nicht.
Business als usual und jedes Mal, wenn sie seitdem direkt auf Obama traf, hatte sie den Hosenanzug viel zu voll, um ihn darauf anzusprechen.
Besonders augenfällig wird das rückgratlose deutsche Verhalten bei der Selektorenliste, die das Kanzleramt auf Wunsch der Amerikaner nicht den eigenen Parlamentariern zeigen will.
Man stelle sich die Situation umgekehrt vor: Der BND hätte Washingtoner Politiker ausgeforscht, es käme heraus, daß Obama dazu eine deutsche Interessenliste vorläge und Merkel würde dem amerikanischen Kongress sagen: „ich will aber nicht, daß Ihr Euch damit befasst!“
Der Gedanke ist völlig absurd. Um nichts und niemand in der Welt würden sich amerikanische Abgeordnete des House oder US-Senatoren  von Europäern sagen lassen, was sie tun dürfen.
Diese extreme Form des deutschen Duckmäusertums gegenüber Washington ist durchaus atemberaubend.

Und die Franzosen?

Wie sie langfristig reagieren kann man noch nicht sagen, aber immerhin sind sie in Gegensatz zu Merkels müder Mannschaft in der Lage sich ordentlich zu ärgern und dies auch auszudrücken. Unterwürfig vor den Amerikanern auf dem Boden zu robben, so wie es Berlin durchexerziert, ist für die grande nation natürlich unmöglich. Premierminister Manuel Valls polterte er sei "wütend über die inakzeptablen Praktiken eines befreundeten Staates" und verlangte von den USA, den angerichteten "Schaden zu reparieren.“

Es handelt sich um Tatsachen, die inakzeptabel sind und die bereits Ende 2013, nach den ersten Enthüllungen, Gegenstand von Erläuterungen waren", so die ebenso dürre wie bittere Mitteilung des Élysée nach einer Sondersitzung des Verteidigungsrates. "Diese Vereinbarungen gehören strengstens beachtet."
"Spionage unter Alliierten ist schlicht nicht hinnehmbar", ergänzt Regierungssprecher Stéphane Le Foll trotz der Versicherungen aus den USA, dass sich die Kommunikation von Hollande nicht "im Visier" der NSA-Lauscher befände. Für den Nachmittag wurde der US-Botschafter in Paris ins französische Außenministerium einbestellt.
Präsident François Hollande telefonierte inzwischen US-Präsident Barack Obama über die Vorwürfe. Dabei habe Obama seine Zusage bekräftigt, "mit Praktiken zu brechen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben können und die zwischen Verbündeten inakzeptabel sind", teilte der Élyséepalast mit.[….]
"Die Amerikaner schulden uns Entschuldigungen und die Garantie, dass diese Praktiken vorbei sind", schimpft Éric Ciotti, Berater von Nicolas Sarkozy und bei den Republikanern zuständig für Sicherheitsfragen. "Frankreich ist zum Protektorat der USA verkommen", so ein Kommuniqué von Frankreichs Souveränisten, und der Chef der Linkspartei fordert den sofortigen Abbruch der TTIP-Verhandlungen.
Der Schock sitzt tief, denn die jahrelangen Aktionen richteten sich gegen einen historischen Alliierten, Mitglied im Uno-Sicherheitsrat und Nato-Partner.

Der Präsident macht eine böse Miene, böse Miene zum bösen Spiel. Demonstrativ verärgert blickt François Hollande am Dienstagmorgen in die Runde, als er im Sitzungssaal des Élysée-Palastes den "Conseil de Défense" - sein Sicherheitskabinett - um sich versammelt: Krisensitzung. Das präsidentielle Protokoll hat ein paar Fernsehkameras Zutritt gewährt ins Zentrum der Macht. Die TV-Bilder sollen aller Welt beweisen, wie ernst das Staatsoberhaupt die Lage nimmt.
Ernst, bitter ernst sogar klingen dann auch einige Zeilen, die Frankreichs Präsidentschaft eine knappe Stunde später per E-Mail verbreitet…[….]  Der Palast gibt sich indigniert, im Namen der Nation: "Frankreich wird keinerlei Machenschaften tolerieren, die seine Sicherheit oder den Schutz seiner Interessen infrage stellen."
[….]  Mancher in Paris schäumt gar vor Wut: Yves Pozzo di Borgo zum Beispiel, ein liberaler Senator aus Paris, hat am Morgen in Libération gelesen, dass im obersten Stockwerk der amerikanischen Botschaft gleich neben der Place de la Concorde allerlei Hightech und Spezialmikrophone versteckt seien, mit denen die US-Profis vom Special Collection Service (SCS) in Ministerien hineinhorchen könnten. [….] Nun aber will, ja kann Pozzo di Borgo solcherlei Zustände nicht länger ertragen. Er fordert Taten, und zwar drastische: "Wenn Frankreich sich selbst achten würde", twittert der Senator, "würde es jenen Teil der US-Botschaft, in dem abgehört wird, zerstören lassen." Von heiligem Zorn überwältigt ist auch Jean-Pierre Mignard, ein enger persönlicher Freund von François Hollande: Als "angemessene Antwort" auf die Horch&Guck-Aktionen der NSA plädiert der prominente Rechtsanwalt am Mittwochmorgen dafür, Amerikas Staatsfeinden Nummer eins und zwei - dem Whistleblower Edward Snowden und dem Wikileaks-Mitgründer Julian Assange - endlich Asyl in Frankreich zu gewähren.  [….]