Montag, 10. Oktober 2022

Lindners völliger Realitätsverlust

Es war ganz amüsant, heute die gedruckten Zeitungen zu lesen. Die Analyseartikel zur Niedersachsenwahl gingen gestern kurz nach den 18Uhr-Prognosen in die Schlußredaktion. ARD und ZDF sahen die FDP bei 5,00 Prozent. Also Zitterpartie. Aber mutmaßlich würden es die „Liberalen“ noch schaffen. Zwar flogen sie mit 4,8 am 27.03.2022 aus dem Saarbrücker Landtag, aber am 09.05.22 in Kiel reichte es zu 6,4% und am 15.05.22 in NRW wurden es 5,9%.

Tatsächlich landete Lindner schließlich gestern bei 4,7%. Das war nicht mal haarscharf gescheitert, sondern deutlich unter der Existenzgrenze. Das schmerzte den Porschefan, der in seinem Wahn, der intrakoalitionäre aufrechte Kämpfer gegen zwei stramm linke Parteien zu sein, auf einen Stimmenbonus gehofft hatte.

Wer in gestrigen Phrasen von “linker” Politik schwadroniert, während in Berlin Leute wie Scholz, Habeck, Lindner, Buschmann und Baerbock regieren - der sollte mal gegen seinen Kompass treten, um nicht völlig die Orientierung zu verlieren.

(Konstantin v. Notz, 09.10.22)

Der arme Lindner ist so verwirrt, seine Liste Lindner für eine Art „Edelpartei“ zu halten, die nicht etwa regiere, um etwas für das Land zu tun, sondern der man vielmehr den ganzen Tag dankbar sein müsse, daß sie sich überhaupt in die Niederungen der Bundesregierung hinabgelassen hätte. Besondere Ehre gebühre ihm für den Todesmut, sich mit Linken einzulassen.

[….]  "FDP-Parteichef Christian Lindner sprach entsprechend von einem »traurigen Abend«. Die Liberalen hätten »einen politischen Rückschlag« erlitten, sagte Lindner in der Berliner Parteizentrale. Ziel in Niedersachsen sei gewesen, einen Linksrutsch zu verhindern, dies sei nicht gelungen. Es sei nicht möglich gewesen, von Berlin aus einen politischen Rückenwind zu organisieren."  [….]

(SPON, 09.10.2022)

Von „LINKSRUTSCH“ bei Superrealos wie Weil oder Scholz zu sprechen, zeigt klar, wie weit sich der FDP-Chef von der Realität entkoppelt hat.

Um gegen die „Linksideologen“ zu punkten, setzten Merz und Lindner auf das Knallerthema Atomkraft. Flugs deuteten sie die letzte Landtagswahl 2022 zur Volksabstimmung über Kernenergie um. Das ging gründlich daneben.

[….]  Der Wahlkampf in Niedersachsen war von bundespolitischen Themen dominiert, insbesondere der Energiesicherheit. Die Niederlage der Christdemokraten ist deshalb auch ein persönliches Problem von CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte den Urnengang zur „Volksabstimmung“ über den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland erklärt. Dieses soll nach den Plänen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Ende des Jahres auf jeden Fall vom Netz gehen. Das Kalkül, mit dem Thema Atomkraft zu punkten, ging für die CDU ebenso wenig auf wie für die FDP. […]

(Stuttgarter Nachrichten, 10.10.2022)

 


Lindner empfindet keine Demut vorm Wahlvolk oder der Geschichte, die ihm und seiner Partei vier Ministerposten in der schwersten politischen Krise seit 1949 zutraut, sondern glaubt ernsthaft, alle anderen müssten sich ihm gegenüber demütig verhalten, weil er überhaupt bereit sei, zu regieren. 

Auch der Gedanke, daß die FDP-Minister Fehler machen könnten, scheint ihm vollkommen fremd zu sein. Im Gegenteil, wenn weniger Menschen FDP wählen, gibt es für Kubicki und Lindner nur eine Erklärung: Die Abtrünnigen hätten nicht genug von der großartigen gelben Performance bekommen, also müssten sie zukünftig noch viel mehr die Ampelarbeit talibanisieren.

[….]  Aber wer die FDP-Verantwortlichen nach ihrem schlechten Ergebnis am Sonntag wettern hörte, der muss nun das Schlimmste befürchten. Die Liberalen glauben nämlich – kein Scherz – sie seien nicht für schlechte Politik abgestraft worden. Sondern weil sie nicht ausreichend wahrnehmbar gewesen seien! Und das wolle man nun ändern. [….]

(Maik Koltermann, 10.10.2022)

Ich warte immer darauf, daß sich ein derart tönenden Lindner öffentlich die Maske runterreißt und darunter kommt ein Titanic-Redakteur zum Vorscheinen.“ April April, wir wollten nur mal sehen, wie weit man gehen kann!“

Es scheint aber viele Undercover-Satiriker in der FDP zu geben.

[….]  So twitterte der FDP-Finanzpolitiker und Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler: »Die Ampel-Koalition hängt wie ein Mühlstein um unseren Hals. Wir verlieren zunehmend unseren marktwirtschaftliche Glaubwürdigkeit. Die FDP muss mutiger werden und den Rücken gerade machen.« Der frühere parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Thomas Sattelberger, schrieb ebenfalls auf Twitter: »Die Ampelkoalition ist politische Vergewaltigung der FDP.« Doch Rot-Grün zu zähmen, sei unumgänglich gewesen, um die Republik vor Schaden zu bewahren. Er würde »jetzt aber die Koalition auf Spitz und Knopf stellen!« [….]

(SPON, 10.10.2022)

Wer in dieser ultra-angespannten höchstgefährlichen außenpolitischen Lage meint, es wäre an der Zeit schmollend parteipolitische Spielchen zu spielen, um die eigene Regierung zu beschädigen, demonstriert damit natürlich klar seine Regierungsunfähigkeit.

Unglücklicherweise ist die FDP rechnerisch unverzichtbar, solange es keine Neuwahlen gibt. Aber niemand kann inmitten dieser Monsterkrise ernsthaft wünschen, die deutsche Regierung mindestens ein halbes Jahr durch einen Bundestagswahlkampf lahmzulegen.

So bleiben uns nur Appelle an die wenigen zurechnungsfähigen FDPler wie Christian Dürr. Statt auf Distanz zur Ampel zu gehen und mehr FDP-Tänzchen um sich selbst zu veranstalten, sollte die Partei das diametrale Gegenteil machen.

[…..]  Das Verhalten der FDP in der Ampelkoalition ist nach Einschätzung des Politologen Andreas Busch eine Hauptursache für die Wahlschlappe der Partei in Niedersachsen. Die FDP spiele in der Ampel »eine Art Innerregierungs-Opposition«, sagte Busch der Deutschen Presse-Agentur. Dieses Verhalten sei offenkundig nicht besonders populär. »Wir können sagen, dass die Unterstützung für die FDP vor allem als Bundespartei stark zurückgegangen ist.«  Der Professor für Vergleichende Politikwissenschaften und Politische Ökonomie an der Universität Göttingen hält es für wichtig, dass Parteien gerade in der gegenwärtigen Krise über ihren Schatten springen. Das habe die FDP allerdings kaum getan. »Bei den Grünen ist das bestimmt nicht einfach gewesen, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen, jetzt auch der Streit um Weiterführung der Atomkraftwerke«, sagte Busch. Bei der FDP sei es hingegen schwer zu sagen, wo sie der Krise entsprechend bestimmte Positionen geräumt habe.FDP-Chef Christian Lindner hatte das enttäuschende Wahlergebnis seiner Partei in Niedersachsen auf die Koalition mit SPD und Grünen im Bund zurückgeführt. »Viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer fremdeln mit dieser Koalition«, sagte Lindner.  Busch hält diese Analyse für unzulänglich: »Weiter so zu tun, als ob man nur zu Gast ist in dieser Regierung, das, glaube ich, wird niemandem helfen.«  […..]

 (SPON, 10.10.2022)

Um das zu verstehen, müssten Lindner, Kubicki und Co aber erst einmal aus ihrem hepatitisgelben Wolkenkuckucksheim herabsteigen und die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen.

[…..]  Der FDP-Chef schlingert zwischen Staatsräson und Krawall. Doch es gibt nur einen guten Weg – für das Land und die Partei.  […..]  Zwei Lager kristallisieren sich heraus.  Das eine wird angeführt von Wolfgang Kubicki. Der stellvertretende Parteivorsitzende sagte dem SPIEGEL am Wahlabend: »Ich würde intern den Wahlkampfstil versuchen zu ändern: Nett wird nicht gewählt«. Er jedenfalls werde, wenn die Menschen im Winter frieren sollten, »alle Zurückhaltung fahren lassen und sagen, wer daran schuld ist – die Grünen«.  Kubicki steht für eine Rhetorik, die auch vor persönlichen Angriffen nicht haltmacht. Den Ärztepräsidenten verglich er mit Saddam Hussein, den türkischen Staatspräsidenten nannte er eine Kanalratte und über SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach lästerte er: »Isst kein Salz, isst keinen Zucker, trinkt keinen Alkohol, hat keine Freundin.«  […..]  Die einen nehmen einen Bruch der Ampel in Zeiten des Krieges in Kauf, die anderen warnen davor, Parteitaktik vor Staatsräson zu stellen und damit Wladimir Putin und der AfD ein Geschenk zu machen.  Das Problem der FDP ist, dass Parteichef Christian Lindner seit Monaten den Eindruck vermittelt, er könne sich zwischen Koalition und Opposition nicht entscheiden. Im Niedersachsen-Wahlkampf ging er auf maximale Distanz zu SPD und Grünen. Er stellte die Regierungsbeteiligung im Bund so dar, als habe man durch eine unfähige CDU/CSU keine Wahl gehabt als das Bündnis mit den linken Grünen und der linken SPD.  Der ehemalige Staatssekretär Thomas Sattelberger formulierte es drastischer: Die Ampel sei eine »politische Vergewaltigung der FDP.« Aber im Kern ist es dieselbe Botschaft.  Wenn ein Parteichef so redet – wie soll dann ein einfaches Parteimitglied am Wahlkampfstand die Regierungsbeteiligung der FDP verteidigen? [….]

(Christoph Schult, 10.10.2022)