Manchmal
verkommen Begriffe zu platten Schlagworten oder Kampfbegriffen.
Die
Mittelmeerinsel Lampedusa ist die größte der vier Pelagischen Inseln (neben Linosa,
Lampione und der Isola dei Conigli) und das erste Eiland auf das man von
Tunesien aus kommend stößt, wenn man das Europäische Sizilien ansteuert.
Mit 20
Quadratkilometern ist Lampedusa einen Tick größer als Hiddensee und um etwa ein
Drittel kleiner als Borkum.
Die
wärmste Mittelmeerinsel ist eigentlich von 4500 Menschen bewohnt, welche durch
rabiate Rodungen die ganze Insel ziemlich verdorren lassen haben.
Aber wen
interessiert das noch?
Für
Millionen Menschen, die perspektivlos im nordafrikanischen Elend hocken, zählt
nur die vergleichsweise geringe Entfernung von 160 km. Lampedusa bedeutet für
sie der schnellste illegale Weg von Tunesien in die EU.
(Noch
schneller geht es nur in die Spanischen Enklaven Melilla und Ceuta, aber der
Grenzzaun ist unerbittlich. Nur wenige überwinden das mehrfach mit Nato-Draht
gesicherte Monstrum. Dabei ziehen sie sich aber manchmal lebensgefährliche
Schnittverletzungen zu und müssen damit rechnen trotz ihrer Bitte um Asyl
illegal von Spanischen Sicherheitskräften einfach wieder rausgeworfen zu
werden. Auf der anderen Seite des Zaunes warten dann von Europa bezahlte
Marokkanische Grenzschützer, die jeden Flüchtling zunächst einmal grausam
verprügeln und dann hunderte Kilometer gen Süden fahren, wo sie dann in
Unterwäsche und jeder Habseligkeit beraubt rausgeworfen werden.)
Für
Millionen um ihren eigenen Wohlstand fürchtende Europäer, die ihren Wohlstand
freilich auch durch Ausbeutung Afrikas erlangten, steht Lampedusa hingegen für
ein lästiges Einfallstor.
Immer
mal wieder geht eine leichte Empörung durch die EU-Öffentlichkeit, wenn mal
wieder hunderte oder tausende Menschen auf dem Weg nach Lampedusa elend
verreckt sind. Aber wie die letzten EU-Wahlen deutlich gezeigt haben, besteht
die Forderung an Brüssel die Elenden aus dem Süden noch konsequenter
abzudrängen.
Für
Hamburger steht der Begriff „Lampedusa“ dagegen für ein linkes Aufreger-Thema.
Piraten
und Linke regen sich gar fürchterlich über den Hamburger SPD-Senat auf, weil er einigen Dutzend afrikanischen Flüchtlingen keinen gesicherten
Aufenthaltstitel geben will.
„Lampedusa“
ist der Kampfbegriff der schwarz Vermummten geworden, wenn anlässlich
irgendwelcher Daten vorzugsweise in der Schanze-Gegend zum Marsch gegen die
Regierung geblasen wird.
Wenn
Böller, Flaschen und Steine fliegen, die Bannmeile um das Hamburger Rathaus
gestürmt wird, tun die wurfstarken Demonstranten das vorgeblich zum Wohle der
„Lampedusa-Flüchtlinge“.
(Hafenstraße
ist schon zu lange befriedet und bei der Roten Flora kann man dem Senat nicht
recht etwas vorwerfen, weil er geradezu vorbildlich deeskalierend gegen den
dubiosen Privateigentümer der Flora vorgeht. Da braucht es einen neuen
Schlachtruf auf der Suche nach Ärger.)
Wieso
gibt sich der SPD-Senat diese offene Flanke? Kann er nicht bei den paar
Menschen ein Auge zudrücken und sie hier akzeptieren?
Um es
vorweg zu nehmen: Nein, kann er nicht. Der Senat handelt richtig.
Da ich
mich als Undeutscher selbst immer um einen Aufenthaltstitel bemühen muß und in
meinem Leben schon sehr viele Stunden im Ausländeramt mit Asylbewerbern
verbracht habe, ahne ich wie unangenehm diese bürokratische Prozedur ist. Man
wird von sichtlich genervten und überlasteten Beamten schlecht behandelt und
muß Geduld mitbringen. Dabei habe ich im Vergleich zu einem „Lampedusianer“
noch leicht reden, da ich a) Obdach und b) eine Lebensgrundlage habe und zudem
auch noch deutsch spreche.
Ich will
und kann mich wirklich nicht mit einem Asylbewerber vergleichen.
Aber man
kann die Lampedusa-Flüchtlinge mit 10.000 anderen vergleichen, die genau in der
gleichen Situation sind und sich nicht dem legalen Weg entziehen.
Ich
verwahre mich ausdrücklich gegen kirchliche und linke Kräfte, die vom Senat
verlangen einer bestimmten kleinen Gruppe von Flüchtlingen eine
Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen, weil diese sich vorher besonders
unkooperativ und zudem illegal verhalten haben.
Sie
weigern sich bis heute einen Asylantrag zu stellen und ihre Personalien zu
offenbaren. Aber das soll der Rechtsstaat goutieren und einen Präzedenzfall
schaffen?
Das
Bündnis der Menschen, die vom Senat verlangen Tausende ehrliche Flüchtlinge zu
hintergehen ist lang und beeindruckend.
Angeführt
wird sie vom Ex-RAF-Terroristen Karl-Heinz Dellwo, der an der Geiselnahme in
der deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt war und zu zweimal lebenslanger
Haft verurteilt wurde. Während der Besetzung erschoss das RAF-Kommando die
Diplomaten Andreas von Mirbach und Heinz Hillegaart.
Zahlreiche Prominente
haben ein Manifest für die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg unterzeichnet. Zu
den ersten Unterzeichnern gehören unter anderem die Musiker Bela B. und Jan
Delay, die Intendantinnen des deutschen Schauspielhauses und von Kampnagel,
Karin Beier und Amelie Deuflhard, sowie der Filmemacher Fatih Akin und der
Publizist Roger Willemsen. In dem Papier mit dem Titel "Hier eine Zukunft!
Manifest für Lampedusa in Hamburg" erklären sie ihre Solidarität mit den
afrikanischen Flüchtlingen, die seit einem Jahr in der Hansestadt leben und ein
Bleiberecht fordern.
In dem Papier, das am
Mittag vorgestellt wurde, kritisieren die Unterstützer Innensenator Michael
Neumann (SPD). Seine Behörde habe deutlich gemacht, dass die Flüchtlinge in
einem Asylverfahren kaum eine Chance hätten. Es sei daher auch völlig
unpassend, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Hansestadt erst kürzlich
bei einer programmatischen Rede als kosmopolitisch und weltbürgerlich
bezeichnet habe.
Über die Motive der
Unterzeichner heißt es in dem Manifest: "Wir unterstützen den Kampf dieser
Gruppe aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen sind aus christlicher
Nächstenliebe dabei, andere aus humanitären oder politischen Gründen (...). Was
uns eint, ist die Überzeugung, dass diese Menschen eine Zukunft haben müssen – und
zwar hier in dieser Stadt". […]
Aber wie
und auf welcher Rechtsgrundlage sollte ein Innensenator sagen, daß für eine
exklusive Gruppe von ca 70 Flüchtlingen ausnahmsweise keine Regeln und Gesetze
gelten?
Und was sollte der SPD-Senat dann den anderen Flüchtlingen sagen? Tatsächlich werden in Hamburg zehntausende Flüchtlinge untergebracht und das ist gerade in einer reichen Stadt wie Hamburg nicht so einfach für den Senat, da sich das fehlgeleitete und von Piraten plebiszitär verseuchte Wutbürgertum gegen jeden Unterbringungsort wehrt.
Und was sollte der SPD-Senat dann den anderen Flüchtlingen sagen? Tatsächlich werden in Hamburg zehntausende Flüchtlinge untergebracht und das ist gerade in einer reichen Stadt wie Hamburg nicht so einfach für den Senat, da sich das fehlgeleitete und von Piraten plebiszitär verseuchte Wutbürgertum gegen jeden Unterbringungsort wehrt.
Welcher
Standort auch immer erwogen wird; sofort ist eine St. Florians-Bürgerinitiative
zur Stelle, die mit Prozessen und Volksentscheiden droht: Man habe ja nichts
gegen Flüchtlinge, aber doch bitte nicht genau in unserer Nachbarschaft. Dabei
hat der Senat bereits auch einen Standort mitten in einem der reichsten Viertel
Hamburgs, nämlich in der Sophienterrasse
in Harvestehude durchgedrückt. (Richtig so!) Die Anwohner wehren
sich. Allerdings nicht alle. Es gibt durchaus auch
Solidarität unter Harvesterhudern, die ihre neuen Nachbarn mit offenen Armen
empfangen wollen.
Damit es
keine Missverständnisse gibt: Ich bin ausdrücklich dafür Flüchtlinge
aufzunehmen, ich denke Hamburg könnte und sollte noch mehr Flüchtlinge
aufnehmen. Und ich bin entsetzt darüber, wenn man zum Beispiel durch eine Wallraff-Sendung erfährt wie
schlecht diese Menschen behandelt werden.
Und natürlich
ist es absurd und krank Asylbewerbern grundsätzlich keine Arbeitserlaubnis zu
erteilen und sie zur Untätigkeit zu verdammen.
Ich
wehre mich aber dagegen dem Senat zu unterstellen, er täte nichts.
Das ist einfach nicht wahr. Allein dieses Jahr
gibt Hamburg über 250 Millionen für die Unterbringung und Betreuung von
Flüchtlingen aus. Um diesen Menschen zu helfen, müssen sie sich aber einmal
melden und sagen „Hallo, da bin ich.“
Die
übergroße Mehrheit der Flüchtlinge tut auch genau das und die Stadt Hamburg ist
keineswegs untätig.
Im
Moment ist der Scholz-Senat damit beschäftigt Unterkünfte für 4000 Menschen zu
schaffen.
Woche für Woche
stranden neue Flüchtlinge in Hamburg. Intensiv sucht die Stadt für sie nach
Unterkünften. Eine Senatsantwort auf Anfrage des CDU-Politikers Roland Heintze
zeigt: Derzeit ist der Bau von elf neuen Einrichtungen geplant.
In den Gebäuden sollen
künftig 2100 Menschen leben. 380 etwa in der Brookkehre (Bergedorf) oder 288 in
der August-Kirch-Straße im Bezirk Altona. Gesamtkosten für die Gebäude-Herstellung:
rund 50 Millionen Euro.
„Weiterhin“ besteht
laut Senat ein „Engpass bei der Unterbringung“. 2014 müssten 4000 neue Plätze
geschaffen werden. Alle Bezirke müssen sich an der Suche nach geeigneten Gebäuden
und Flächen beteiligen. [….]
Es ist
eine Aufgabe, die richtig ist und die getan werden muß, um die man die
SPD-Senatoren aber nicht beneiden kann.
Wo immer
und wie immer Flüchtlinge untergebracht werden. Nachbarn (per se dagegen) und
Linke (per se dafür) kritisieren einen sowieso und Majorität der Hamburger ist
angefeuert von der CDU und der Springerpresse ohnehin leicht xenophob und
betrachtet die Ausgaben für Menschen aus Syrien oder dem Libanon mit
Argusaugen. Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele erklärt im SZ-Interview was
Hamburg tut.
SZ:
Herr Scheele, mitten in Hamburg, in einem
Park in Altona, haben 50 Menschen aus Rumänien über Wochen in Zelten und Autos
campiert, darunter Schwangere und viele Kinder. Erschreckt Sie das?
Detlef
Scheele: Leider passiert das zurzeit
allenthalben in deutschen Großstädten. Besonders stark betroffen sind Mannheim,
Berlin und Duisburg. Dort lassen sich Menschen aus Bulgarien und Rumänien
nieder, die auch in ihren Heimatländern nicht integriert sind, die in der Regel
keine Schulabschlüsse haben, keine Berufsausbildung und teilweise gar nicht
lesen und schreiben können.
SZ:
Was passiert mit diesen Menschen?
Detlef
Scheele: Wir beraten sie in ihrer Muttersprache
und sagen ihnen: Ohne Berufsausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne einen
Rechtsanspruch auf Sozialleistungen oder Wohnraum können wir Euch keine
Perspektive bieten. Ihr müsst zurückfahren. Wir sind in Hamburg ganz
erfolgreich mit dieser Art Rückführung, denn es gibt für diesen Personenkreis
hier keine Integrationsperspektive.
SZ:
Könnten Sie die Menschen, wenn sie einen
Anspruch hätten, überhaupt in öffentlichen Unterkünften unterbringen?
Detlef
Scheele: Wegen der hohen
Flüchtlingszahlen haben gegenwärtig außer in Hotels keine Chance, jemanden
unterzubringen. Gar keine Chance. Wir haben keine Plätze. Wir stehen mit dem
Rücken zur Wand, fest angelehnt.
SZ:
Wie dramatisch ist die Lage?
Detlef
Scheele: Unsere Erstaufnahmestelle ist um
500 Personen überfüllt, weil wir die Flüchtlinge von dort aus nicht in die
Folgeunterbringung abgeben können. Uns fehlen für dieses Jahr 4000 zusätzliche
Plätze. Bei 2400 Plätzen wissen wir immerhin, wo sie entstehen sollen, einige
werden schon gebaut. Bei 1600 Plätzen wissen wir noch nicht einmal, wo wir sie
bauen können.
SZ:
Falls alles klappt, hätten Sie am Ende
14000 Plätze. Reicht das überhaupt?
Detlef
Scheele: Das weiß ich ehrlich gesagt
nicht. Wir gehen von den Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
aus, die für dieses Jahr eine Steigerung der Flüchtlingszahlen um etwa 30
Prozent melden. Aber Innenminister de Maizière nannte kürzlich in einem
Interview schon wieder deutlich höhere Zahlen. Da würden wir finanziell und
räumlich vor unglaublichen Problemen stehen.
SZ:
In Irak und Syrien sieht es nicht so aus,
als würde sich die Lage entspannen.
Detlef
Scheele: Auch in Eritrea, Somalia und
Süd-Sudan sehe ich nicht, dass Ruhe einkehrt. Und den Menschen muss man helfen.
[…]
(SZ
vom 20.06.2014)
Bei den
Bürgerkriegsflüchtlingen geht es um Kranke, Traumatisierte, Schwangere und Verletzte.
Ich kann
nicht einsehen, wieso sich Hamburger Prominente hinstellen und vom SPD-Senat
verlangen, diese Menschen hätten alle erst mal zurück zu stehen, weil die 70 –
80 in einer Kirche gut versorgten überwiegend jungen gesunden Männer aus Afrika
nun Vorrang hätten. Soll der Senat klein beigeben, weil die Unterstützer einer
kleinen besonderen Gruppe von Flüchtlingen kriminell werden; gegen das
Bannmeilengesetz verstoßen und Anschläge auf mehrere Büros von SPD-Abgeordneten
verüben?
Der
Senat handelt richtig, indem er „die Lampedusaflüchtlinge“ jetzt ultimativ
auffordert sich bei den Behörden zu melden.
Eigentlich sollte es
in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft um Rechtsverstöße wie die Verletzung
der Bannmeile um das Rathaus bei einer Demonstration von und für die
Lampedusa-Flüchtlinge gehen. Doch ein Satz von SPD-Fraktionschef Andreas
Dressel an die Adresse der Lampedusa-Gruppe ließ aufhorchen. "Nutzen Sie
bis zum 30. Juni noch die Chance, auf Basis des Verfahrensangebots einen
Asylantrag zu stellen", sagte der SPD-Politiker mit energischer Stimme.
Darum geht es nach
Informationen des Abendblatts: Am 2. Juni hatten sich die Innenbehörde und die
Nordkirche auf ein Verfahren verständigt, wie mit den verbliebenen rund 80
Männern der Lampedusa-Gruppe umgegangen werden soll, die noch keinen Asylantrag
gestellt haben. Wer bis zum 30. Juni einen Antrag stellt, der für den Senat die
Voraussetzung für einen legalen Aufenthalt ist, für den gelten noch die
gleichen Vorzüge im Asylverfahren, die den früheren Lampedusa-Asylbewerbern
eingeräumt wurden.
[…] Der
Konflikt um die Flüchtlinge beeinflusst das politische Klima der Stadt seit
Monaten. Zuletzt hatten Lampedusa-Männer und Unterstützer auf dem Rathausmarkt
gegen die Flüchtlingspolitik des Senats protestiert. Weil die Protestaktion in
unmittelbarer Nähe des Sitzes der Bürgerschaft einen Verstoß gegen das
Bannmeilengesetz darstellt, begann die Polizei den Platz zu räumen. Dabei kam
es zu Auseinandersetzungen mit den Demonstranten. […] Die Grünen-Politikerin Antje Möller wies die Vorwürfe in der
Bürgerschaft zurück: "Die Bannmeile ist für uns ein wichtiges
Arbeitsinstrument. Aber wer sie durchbricht, tut das, um auf sich aufmerksam zu
machen."
Das sei zwar eine
Ordnungswidrigkeit, schrecke die Menschen aber nicht ab, "weil es die
einzige Lösung ist, um auf sich aufmerksam zu machen." Dieser Satz löste
heftigen Protest bei den Abgeordneten von SPD und CDU aus, die den Grünen
vorwarfen, das Bannmeilengesetz zu relativieren.
In einem Punkt waren
sich jedoch alle Fraktionen einig: Die Anschläge auf Büros und Privatwohnungen
von Abgeordneten, die sich in den vergangenen Monaten gehäuft haben, wurden
einhellig verurteilt. Zum Teil wurden die Attacken mit der Flüchtlingspolitik
des Senats begründet. "Scheiben wurden eingeworfen, Büros von innen
verwüstet. Das macht wütend", sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit
(SPD) zu Beginn der Sitzung. "Aber wir werden uns davon nicht
einschüchtern lassen", sagte Veit unter dem Beifall des gesamten Hauses. […] (Peter Ulrich Meyer 19.06.14)