Religiöse
werden niemals von selbst tolerant.
Intoleranz
ist schließlich die Apotheose des religiösen Denkens. „Wir sind besser als die,
weil wir auserwählt sind und nur wir die Wahrheit kennen. Wir haben Gott auf
unserer Seite!“
Daher
lässt sich Religion auch so trefflich für machtpolitische Ziele
instrumentalisieren. Wer kann schon den k.u.k.-Monarchen in Frage stellen, wenn
man doch weiß, daß er von Gott eingesetzt wurde?
„Des lo
vult“ lautete in den verschiedensten Varianten immer wieder der Schlachtruf,
wenn ein Herrscher in den Krieg zog.
GOTT MIT
UNS stand auf den Hakenkreuz-Koppelschlössern der deutschen Wehrmacht.
Wer
wollte also bezweifeln, daß Hitler zu Recht in den Krieg zog, als 1939 so gut
wie alle Deutschen christlich waren und sich die offiziellen Kirchen auch
hinter „den Führer“ stellten?
Eine
Entwicklung hin zu mehr Toleranz setzt Apostasie voraus.
Apostasie
geht wiederum mit Informationen einher.
Wer isoliert
lebt, keinen Input von außen erhält und systematisch von Bildung ferngehalten
wird, bleibt religiös.
Aus
päpstlicher Sicht war es daher konsequent gegen Luthers Bibelübersetzung vorzugehen.
Das Herrschaftswissen über die Inhalte der „Heiligen Schrift“ mußte exklusiv
bleiben.
Es ist aus
Sicht des nordkoreanischen Kimismus konsequent das Land komplett abzukapseln
von Informationen aus der Außenwelt.
Und es
war konsequent, daß Europäische Monarchen die Schulbildung ihres Volkes auf ein
Mindestmaß zu begrenzen suchten. Die Schäfchen sollten nicht auf „dumme Ideen“
kommen.
So
erklärt sich auch der Hass auf die sozialdemokratischen Arbeitervereine Ende
des 19. Und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die
Sozis organisierten im großen Stil Bildungsvereine für Arbeiter, die von der
Idee ergriffen wurden, daß ihre Kinder durch Wissen den Aufstieg schaffen
könnten.
Heute,
im Zeitalter von DSDS und BILD-Zeitung, in der Ära der Prekariatsunterhaltung und
des Unterschichtenfernsehens kaum vorstellbar, daß Fabrikarbeiter und
Kohlekumpel mit 70 Stunden Wochenarbeitszeit in großer Zahl und freiwillig in
ihrer knappen Freizeit zu Bildungskursen gingen.
Ich
halte das für ein menschliches Grundbedürfnis. Man kann das sehr schön in wenig
entwickelten Gegenden Afrikas oder Südamerikas sehen, wenn Kinder stundenlange
Schulwege zu Fuß auf sich nehmen, um Lesen und Schreiben zu lernen.
Erst ein
ausgeklügeltes Panem et Circens-System wie in Deutschland kann diesen Trend
stoppen und dazu führen, daß Myriaden Kinder, die es vergleichsweise extrem
leicht hätten zur Schule zu gehen, lieber schwänzen sich nicht um einen
Abschluss scheren.
Tatsächlich
wurde aber damals mit „Volksbildung“ der Erosions-Same für Adelsherrschaft und
Religion gelegt.
Es
brauchte 200 Jahre Aufklärung, um in Europa die Herrschaft der Christlichen
Religion zu brechen.
Jahrtausende
hatten Christen auf Sklaverei, Entrechtung von Frauen und Kindern und vielen
anderen Perversionen bestanden. Die Menschenrechte mußten mühsam gegen die
Religionen erkämpft werden.
In einigen Bereichen kämpfen die Kirchen noch heute verbissen gegen die Menschenrechte (Homoehe, Abtreibung, Sterbehilfe,..).
In einigen Bereichen kämpfen die Kirchen noch heute verbissen gegen die Menschenrechte (Homoehe, Abtreibung, Sterbehilfe,..).
Im 21.
Jahrhundert kann der Prozess der Apostasie durch Globalisierung und Internet im
Vergleich zu früheren Jahrhunderten enorm beschleunigt werden.
Das
Regime in Pjöngjang fürchtet zu Recht mehr die über die chinesische Grenze
massenhaft eingeschmuggelten Datensticks mit westlichen Fernsehserien, als
andere Armeen.
Ultraorthodoxe
Juden geben sich heute die größte Mühe ihre Kinder vom Internet fernzuhalten, amerikanische
evangelikale Christen setzen auf Homeschooling, baden-württembergische Konservative machen
Front gegen „Sexualaufklärung“ in den Schulen, Amish-people in Pennsylavnia
wehren sich gegen Kommunikationstechniken.
Es ist
immer der gleiche Kampf: Religiöse fürchten Einflussverlust durch Bildung.
Ich bin
fest davon überzeugt, daß sich der Iran auch in einem Prozess der Apostasie befindet.
Bis 1979
herrschte der persische Schah mit CIA-Unterstützung als Monarch.
Um das
Regime loszuwerden bediente sich Ruhollah Chomeini der Religion. Die religiösen
Instrumentarien dienten ihm dazu viele revolutionäre Mitstreiter loszuwerden
und die Macht allein auf sich selbst zu konzentrieren.
Die fast
80 Millionen Iraner sind aber ein junges Volk, das mit 7,9% eine niedrigere Analphabetenquote
als beispielsweise Deutschland hat.
Schon
1997 votierte das Iranische Volk für einen klaren Kurswechsel, indem es
Mohammad Chātami zum Präsidenten machte.
Ich bin
weiterhin davon überzeugt, daß der Prozess der Liberalisierung des Irans auch
nach den beiden Amtsperioden Chātamis weitergegangen wäre. Der Iran bot Amerika
nach dem 11. September 2001 Hilfe und Kooperation an.
Die Tür
zu einer Westöffnung war offen, die vielen Millionen Studenten hätten es
gewünscht.
Es ist
GWBs iranophober Wahnsinnspolitik („Iran ist die Achse des Bösen“) und dem
Angriff Amerikas auf gleich zwei Nachbarländer des Irans zu verdanken, daß sich
2005 der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad mit seiner konfrontativen Außenpolitik
und der repressiven Innenpolitik zum Präsidenten aufschwingen konnte. In den
ersten vier Jahren seiner Herrschaft besetzte Ahmadinedschad systematisch
Schlüsselstellen mit fundamentalistischen Hardlinern. Dennoch kam es 2009 zu
gewaltigen Protesten gegen ihn und seinen zweiten Präsidentschaftswahlsieg erreichte er sicher nicht mit korrekten demokratischen Methoden.
Der seit
Juni 2013 amtierende Staatspräsident Hassan Rohani stößt nun wieder die Türen
einen Spalt auf.
Sehr zum
Missfallen der Konservativen, die demonstrativ ihre harte Linie durchsetzen
wollen, um die inneriranische Opposition in Schach zu halten.
So
erklärt sich der heutige Tod Reyhaneh Jabbaris. Im Hinrichten von Menschen sind
sich die USA und der Iran bemerkenswert einig. Aber in Teheran entwickelt sich
Widerstand.
[…]
Reyhaneh Jabbari sei im Morgengrauen
gehängt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna unter
Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Teheran.
[…]
Die
26-Jährige war wegen Mordes an dem Geheimdienstmitarbeiter Mortesa Abdolali
Sarbandi verurteilt worden. Dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im
Iran, Ahmed Shaheed, zufolge war Jabbari von Sarbandi als Innenarchitektin
engagiert worden. In seiner Wohnung soll er versucht haben sie zu
vergewaltigen, woraufhin sie ihn in Selbstverteidigung erstochen habe.
Neben iranischen
Schauspielern und anderen Prominenten gab es auch im Westen zahlreiche Stimmen,
die eine Aussetzung der Todesstrafe für die junge Frau gefordert hatten. […]
Das
harsche Durchgreifen gegen „sündige“ Frauen hat auch damit zu tun, daß den
Konservativen in Teheran die Knie schlottern. Sie haben Angst vor den Frauen,
da diese besser gebildet sind und sich dementsprechend zunehmend emanzipieren.
[…]
Nun müssen die obersten Geistlichen sich
noch mehr grämen: Iranische Frauen trennen sich immer häufiger von ihren
Ehemännern und schmeißen zur Feier des ersten Tages ohne Gatten auch noch ausgelassene
„Scheidungspartys“.
„Satanisch“ war das
Einzige, was einem der Islam-Gelehrten zu der Tatsache einfiel, dass die Frauen
im schiitischen Gottesstaat auch im Eheleben eigene Wege gehen und diese nicht
den Vorstellungen der Männer entsprechen. Die Scheidungsrate ist auf 20 Prozent
gestiegen in einem Staat, in dem die Ehe die einzige rechtmäßige Form von
Partnerschaft ist, die Lebensgemeinschaft häufig von den Eltern arrangiert wird
und die Regierung eine hohe Kinderzahl „im Interesse der starken Nation“
einfordert. Scheidung auf Wunsch der Frau ist da nicht gern gesehen.
Dass dennoch immer
mehr Frauen aus der Ehe flüchten und den Abschied auch noch feiern, zeigt: Das
Selbstverständnis der Iranerinnen hat sich in den vergangenen Jahren verändert.
An den Unis sind 60 Prozent der Studenten Frauen, im Arbeits- und
Geschäftsleben spielen sie eine andere Rolle als in betont konservativen
Gesellschaften wie Saudi-Arabien, Kuwait oder Jordanien: Viele Perserinnen sind
finanziell nicht mehr so abhängig von ihren Ehemännern. „Früher heiratete die
Frau und fügte sich“, zitiert die Agentur Reuters einen Soziologen. „Heute geht
sie, wenn sie unglücklich ist.“
Iran mag eine
Islamisten-Republik sein, aber das Land ist der Moderne gegenüber weit
aufgeschlossener als die arabische Welt, und seine Rechtsprechung ist in Teilen
liberaler als die islamische Lehre. Das zeigt sich im Scheidungsgesetz. […]
Freiheiten,
von denen die Frauen von unseren Waffenpartnerländern in Saudi Arabien oder den
VAE nur träumen können.
Das
religiöse System in Persien bröckelt.