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Dienstag, 18. Februar 2025

Lügen im Wandel der Zeit

In den 1980ern hatte der Flick-Konzern ein Milliarden-schweres Steuergeschenk bekommen, indem er die CDU und FDP schmierte. Dazu verschob Flick über die "Staatsbürgerlichen Vereinigung 1954 e.V." Millionen D-Mark Bestechungsgeld als „Parteispende“ an CDU-Parteichef Kohl. Es hatte sich gelohnt; denn dafür wurden Flick Steuerzahlungen von 986 Millionen DM erlassen, die er nach dem Verkauf eines 1,9-Milliarden DM Paketes Daimler-Aktien an die Deutsche Bank hätte zahlen müssen.

Damals, wie heute, lagen Schwarze und Gelbe ultrarechten Milliardären mit Nazi-Vergangenheit stets willig zu Füßen.

Es gab dazu sowohl im Landtag von Mainz (wo Kohl 1969-1976 Ministerpräsident war), als auch im Bundestag, Untersuchungsausschüsse, die Kohl befragten. Kohl log bei seinen Antworten; gab vor, die Funktion der "Staatsbürgerlichen Vereinigung 1954 e.V." gar nicht gekannt zu haben. Eine Lüge eines Parteichefs war ein derartiger Skandal, daß der (damals) Grüne Bundestagsabgeordnete Otto Schily den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage verklagte. Die Wellen schlugen hoch; die Parteispendenlügner Kohl (Bundeskanzler) und Schäuble (Kanzleramtsminister) schickten den wortgewaltigen Generalsekretär Geißler an die TV-Front, der die legendäre Erklärung ausbreitete, Kohl habe bei seiner Lüge einen Blackout erlitten.

Kanzler und Kanzleramtsminister schäumten vor Wut.

In den 1980er Jahren verachtete ich Helmut Kohl für seine tumbe anti-intellektuelle Art. In meinen Augen war er ein peinlicher Saumagen-fressender bräsiger Provinzler, der auf der Weltbühne nichts verloren hatte. Andererseits lebte er schon  immer im vergleichsweise bescheidenen Oggersheimer Bungalow, machte jedes Jahr den gleichen kleinen Urlaub am Wolfgangsee. Große kriminelle Energie traute ich ihm auch nicht zu. Da änderte sich tatsächlich erst 1999, als man im Zuge der hessischen und bundesdeutschen CDU-Spendenaffäre von den schwarzen Kohl-Kassen erfuhr, die mit perfidesten Lügen („jüdische Vermächtnisse“) getarnt wurden. Kohl hatte zudem auch persönlich die Hand aufgehalten. Die Republik wurde erschüttert, Kohl fiel in Ungnade, verlor seinen CDU-Ehrenvorsitz und auch sein Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, Wolfgang Schäuble, musste Amt und Ambitionen an Angela Merkel abgeben.

Durch den Zufall ihrer ostdeutschen Herkunft, hatte sie nie Kontakt mit dem toxischen Andenpakt und stand für einen moralischen Neuanfang. Offiziell. Tatsächlich setzte sie als Kanzlerin den Mann, der vor der versammelten Presse vom Rednerpult des Bundestages aus, das Volk über Koffer voller „Spendengeld“, die er angenommen hatte, belog, als Minister ein. Unter ihren C-Ministern wurden die Lügen normalisiert. Insbesondere Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière und eben jener Wolfgang Schäuble, logen nicht nur nachweislich, sondern auch immer häufiger. Es setzte ein Gewöhnungsprozess ein, weil so oft über de Maizières ausgedachte Zahlen und Leyens Schwindeleien berichtet wurde, daß der Souverän abstumpfte. Vorher kannte man das nur aus dem bayerischen Amigo-Sumpf: Die Bajuwaren nahmen es mit geradezu anerkennenden 'A Hund is er fei scho' hin, wenn die Bestechungen und Sexorgien ihrer verehrten CSU-Herren bekannt wurden. Anders im Rest der Republik: In den 1980ern führte es noch zu Empörungsbeben, wenn Rita Süßmuth sich außerhalb der Dienstzeit mal drei Meter in ihrer Dienstlimousine bewegte. Durch die moralische Laissez-Faire-Führung des Merkel-Kanzleramtes, welches Doktortitel-Betrügereien stoisch hinnahm und Lügen-Mann de Maizière mit immer neuen Ministerposten beehrte, stumpfte die Moral vollkommen ab. Lügnerin Von der Leyen stieg zur EU-Chefin auf, Lügner Schäuble wurde Deutschlands beliebtester Minister. Das deutsche Wahlvolk kann sich, ebenso wie das Amerikanische, nicht aus der Verantwortung stehlen. Pauschale Politiker-Empörung „die lügen doch eh alle!“ steht dem Souverän nicht zu, wenn er ausgerechnet den Lügnern immer zu Mehrheiten verhilft und die Ehrlichen – Peer Steinbrück zum Beispiel – am Wahltag bestraft.

In den 1980er war ich überzeugt: Wähler wollen nicht bewußt angelogen werden, weil sie ernst genommen werden möchten. Eine aufgedeckte absichtliche öffentliche Lüge sollte die Politkarriere beenden. Der hessische Ministerpräsident Koch (1999 bis 2010) bewies durch seine Wiederwahlen 2003 und 2008, daß auch wirklich dreiste Lügen vom Urnenpöbel verziehen werden. Man hielt den „Hessen-Hitler“ (Titanic) mehrheitlich für einen kompetenten Wirtschaftspolitiker, der das notwendige rechte Korrektiv innerhalb der CDU zu Angela Merkel darstellte. Sein radikal xenophober Kurs kam gut an; was machten da seine Flunkereien zu den Parteifinanzen? Wie so oft bei CDU-Männern vom ganz rechten Rand, wird Verachtung von Minderheiten und Dehnung des legalen Rahmens, automatisch und fälschlicherweise mit ökonomischer Kompetenz gleichgesetzt. Wie Merz, versilberte auch Koch, nach seinem Scheitern an Angela Merkel, seine politischen Kontakte in der Wirtschaft. Wie Merz, scheiterte auch Koch an seiner eigenen Unfähigkeit im Kampf mit der harten Realität. Als Ministerpräsident hatte Koch den Bau der neuen Landebahn Nordwest und anderer Bauprojekte des Frankfurter Flughafens an den Baukonzern Bilfinger Berger vergeben, der ihm sechs Monate nach seinem Austritt aus der Politik, für rund 2,5 Millionen Euro Jahresgehalt zum Vorstandsvorsitzenden berief. Das Gehalt bezog er bis Ende 2016, musste aber schon Mitte 2014 den Vorstand wieder verlassen, weil er durch drastische Managementfehler den Konzern fast in den Ruin geführt hatte.

Auch das eine Parallele zu Fritze Merz, der in seinen letzten beiden Blackrock-Jahren zwar noch bezahlt wurde, aber intern wegen seiner Unfähigkeit, längst kaltgestellt war. Mit Merz sind wir auch im Jahr 2025 angekommen. 

Inzwischen tolerieren Wähler nicht nur Politiker-Lügen, wie zu Kochs aktiven Zeiten, sondern sie wollen belogen werden. Sie feiern die Dauerlügner. Wer, wie Robert Habeck und Olaf Scholz, dem Urnenpöbel harte Wahrheiten zumutet, wird an der Wahlurne abgestraft.

Alice Weidel, Markus Söder und Friedrich Merz hingegen, die täglich von Factcheckern überführt werden und zum Scheitern verurteilte Gaga-Politik propagieren, die selbst von Wirtschaftsverbänden entsetzt abgelehnt wird, erklimmen immer neue Höhen der Demoskopie. Dauerlügen und permanente Millionenspenden-Affären, werden mit Rekordwahlergebnissen belohnt.

34.000 Lügen Trumps wurden in seiner ersten Amtszeit dokumentiert. Daraufhin dachten sich im Jahr 2024 mehr als 77 Millionen US-Wähler „ein toller Mann; der soll wieder Präsident werden!“. Das deutsche Wahlvolk ist leider ähnlich brandolinisiert.

Freitag, 17. Februar 2023

Überflüssige Studien – Teil XI

Politiker müssen andauernd reden, werden dabei andauernd aufgezeichnet und ebenso sicher, andauernd von einer anonymen social-Media angegriffen. Verständlicherweise entwickeln sie aufgrund dieser Anforderung, die Fähigkeit inhaltsfreie, aber intelligent klingende Satzfetzen immer aufs Neue zu kombinieren. „Wir gehen davon aus, dass…“  „unser gemeinsames Interesse….“  „ein Eckpunkte-Dialog abstecken…“ Dadurch können sie flüssig daher plaudern, ohne etwas zu sagen, auf das man sie festnageln könne.

Angeblich wünschen sich die Deutschen keine Schwafler, sondern „Klartextpolitiker“.

Das ist aber eine große Selbsttäuschung, denn in Wahrheit werden Meister der endlosen und zweckfreien Schwafelei  - Merkel, Kohl – immer wiedergewählt, weil man alles auf sie projizieren kann und sie niemanden Angst machen. Wer den Bürgern reinen Wein einschenkt (Lafontaine 1990), oder ihnen klar sagt, was notwendig ist und wie er konkret Politik betreiben wird (Steinbrück 2013), kommt gar nicht erst ins Kanzleramt. Steinbrücks schnörkellose Art, direkt die Wahrheit auszusprechen, kam nie an.

Wer nichts zu sagen hat, oder nichts sagen will, beginnt Statements gern mit einem Random Zitat.

Der junge Hugo von Hofmannsthal sagte einmal, daß …. Von Oscar Wilde stammt die berühmte Erkenntnis,….laut einer Umfrage, sind x von y Deutschen der Ansicht…. Studien besagen, dass….

All das klingt nach Bildung Redlichkeit. Da hat einer sich selbst zurückgenommen und vertraut auf qualifiziertere Quellen. All das ist aber auch Bullshit, der nur dazu dient, sich um einen klaren Satz oder seine wahren Absichten zu drücken.

Jeder Mensch mit einem Klugtelefon, kann sich in Sekunden ein passendes Zitat aus jedem Zusammenhang reißen. Umfragedaten sind volatil und selbst die seriösen Umfragen ersetzen keine Fakten. Und wissenschaftliche Studien werden entweder nicht gelesen, oder nicht verstanden. Oder sind generell überflüssig.

Drei Tage nach meinem Bericht über meine eigene Führerscheinprüfung, poppen Berichte über die aktuellen Durchfallquoten auf.

[….]  Der Wunsch nach einem Führerschein in Deutschland bleibt bestehen - 2022 wurde sogar ein Vor-Corona-Stand gerissen. Nach Angaben des TÜV-Verbands wurde ein Rekord bei der Zahl der Fahrerlaubnisprüfungen erreicht. Auffällig aber auch: Die Durchfallquoten sind kräftig gestiegen.  Demnach bestanden Fahrwillige im vergangenen Jahr 39 Prozent der theoretischen Prüfungen für alle Fahrerlaubnisklassen nicht - zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, zehn Prozentpunkte mehr als noch 2013. Bei den praktischen Prüfungen für einen normalen Autoführerschein waren es - wie bereits 2021 - 37 Prozent.

Suche nach Gründen für gestiegene Durchfallquote. "Jede nicht bestandene Prüfung belastet die Fahrschülerinnen und Fahrschüler mental und finanziell", sagte Richard Goebelt, Geschäftsführer des TÜV-Verbands. Noch sind die Gründe für die gestiegene Quote nicht ganz klar - dazu brauche es mehr Untersuchungen. Einer ist aus Sicht der Prüforganisationen der komplexer und dichter werdende Straßenverkehr.  [….]

(BR24, 17.02.2023)

Als Mensch aus dem Prä-Klugtelefon-Zeitalter, kann ich mir schon denken, wieso heutige Teenager sich beim Fahren so dämlich anstellen: Weil sie als Kinder ungefähr 15 Jahre lang vom dem elterlichen Autorücksitz auf ihren Minibildschirm starren. Für meine Generation hingegen, war es üblich, das Verhalten der Eltern am Steuer und den Straßenverkehr genau zu beobachten. Wir wurden mit einbezogen, guckten hinten raus, halfen beim Abschätzen von Lücken zum Spurwechsel, achteten darauf, wann man losfahren durfte. Als man so alt war, endlich vorn zu sitzen, ließ einen die Mutter auch mal schalten oder einen Scheibenwischerhebel bedienen. Die Fahrer-Sicht auf den Stadtverkehr war also seit vielen Jahren eingeübt und vertraut, während das für klein Leon-Noah und Emma-Sophie des Jahrgangs 2005 eine völlig neue Perspektive und ungewohnte Situation ist.

Eine heute ebenfalls durch die News schwappende Metastudie, berichtet von einem wahrgewordenen Traum der Männerwelt: Auf wundersame Weise verlängerte sich der Durchschnittspenis in den letzte Jahren um in Viertel!

Konnte Mann noch vor 30 Jahren durchschnittlich 12 erigierte Zentimeter, bewundern, sind es nach Erkenntnissen der Stanford University in Kalifornien nun, passend zum Dickpick-Zeitalter, bereits 15 cm.

Wie praktisch. Genau mit der ersten Teenager-Generation, die per Dick-Pick das Flirten praktiziert, fangen ihre Schniedel an, kräftig anzuwachsen.

Ähnlich wie bei den Führerschein-Durchfallquoten, erigiert.., ich meine, eruiert man erstaunliche Erklärungen.

[….] Über die Gründe für den Anstieg können die Forscher, allesamt Männer, nur spekulieren. Möglicherweise spiele eine Rolle, dass immer mehr Menschen sitzende Tätigkeiten ausüben. Und auch Umwelteinflüsse haben die Forscher im Blick.  Schadstoffe wie Pestizide könnten sich auf das männliche Hormonsystem auswirken – die Wissenschaft spricht von sogenannten endokrinen Disruptionen, die gehäuft in der Umwelt und in Nahrungsmitteln oder Hygieneprodukten vorkommen.  [….]

(SPON, 17.02.2023)

Vom bloßen Sitzen metamorphorisiert also eine Ringelnatter zur Boa?

Als Mensch aus dem Prä-Klugtelefon-Zeitalter, kann ich mir schon denken, was los ist. Wir haben als Teenager zum Mädchen-Kennenlernen üblicherweise, ganz wie Maher mahnt, mit den Objekten unserer Begierde gesprochen. Und das auch noch in 99,9% der Fälle, völlig angezogen. In Ermangelung von Klugtelefon und Kopulations-Apps, fotografierten wir zwecks Kontaktanbahnung niemals unsere Phalli, so daß dessen genaues Maß auch nicht zum Kriterium dafür wurde, ob jemand mit uns gehen wollte. Der social-Media-Druck, bei der Ausstattung untenrum kräftig zu übertreiben, ist also neu.

Noch eine dritte Tageserkenntnis: Wer nichts weiß, gelangt schneller zu konkreten Überzeugungen:


[…] Zucker und Salz sind schlimme Gifte. Gentechnik ist des Teufels. Und die Corona-Impfung macht alle krank. Man kennt diese Alles-Checker, die immer genau Bescheid wissen. Schließlich geht nichts über gepflegte Vorurteile, mit größter Selbstsicherheit vorgetragen. Gerade in Zeiten, da Menschen ungefragt zu Ernährungs- und Gesundheitsfragen Stellung beziehen, macht es sich gut, den Anschein profunder Sachkenntnis zu vermitteln. Das Problem daran: Je entschiedener Position bezogen wird, desto weniger Ahnung steckt meist dahinter. Inkompetenz und eine unerschütterliche Meinung sind ein unzertrennliches Paar.

Die krude Kombination aus Unkenntnis und breitbeinigem Sendungsbewusstsein findet sich besonders oft bei Fragen zu neuen Technologien und medizinischen Erkenntnissen. Britische Forscher um Cristina Fonseca haben gerade gezeigt, dass Extrempositionen zu Wissenschaftsthemen häufiger von jenen eingenommen werden, die gar nicht verstehen, worum es geht - aber dennoch der Überzeugung sind, den Durchblick zu haben. Im Fachblatt Plos Biology belegen die Wissenschaftler aus England dies am Beispiel gentechnologischer Anwendungen, darunter der Herstellung von mRNA-Impfstoffen. […]

(Werner Bartens, 17.02.2023)

Dienstag, 10. August 2021

Aufwachen, RRG!

Merkel wurde schon so oft wieder gewählt, daß man sich kaum an die einzelnen Wahlen erinnern kann.

Die vom deutschen Michl adorierte 80%-Zustimmungsfrau war sie nicht immer.

Als die Schröder-Fischer-Regierung 2003/2004/2005 dramatisch von nahezu allen Medien runtergeschrieben wurde, der Jörges-STERN und der Steingart-SPIEGEL unverhohle für eine Merkel-Westerwelle-Regierung warben, wurde die FDP ziemlich nervös, da CDU/CSU soweit davon zogen, daß Merkel schon mit einer absoluten Mehrheit für ihre Kanzlerschaft rechnete.

Allerdings verfügte die SPD über einen entscheidenden Trumpf; nämlich den einzigen überzeugenden Wahlkämpfer des letzten Vierteljahrhunderts: Gerd Schröder, der sich im Gegensatz zu seiner resignierenden Partei voll ins Zeug legte und eine sensationelle Aufholjagd hinlegte. Am 18.09.2005 ging die Union mit 35,2%, dicht gefolgt von der SPD mit 34,2% durchs Ziel. Die demoskopische Dynamik war eindeutig; wäre die Wahl ein oder zwei Wochen später gewesen, hätte die SPD vorn gelegen, Schröder wäre Kanzler geblieben und Merkel hätte nach der derartig vergeigten Chance – Opposition statt absoluter Mehrheit – den Hut nehmen müssen. Damals war der Andenpakt noch so stark, daß er die ihm so verhasste Frau aus dem Osten garantiert aus der Parteispitze verdrängt hätte.

Gerd Schröder rettete seiner Partei die Regierungsbeteiligung und Deutschland sollte dafür ewig dankbar sein, da die Sozi-Minister Steinbrück (Finanzen) und Scholz (Arbeit und Soziales) die Architekten des deutschen Wunders waren – kein anderes westliches Land kam so gut durch die von GWB ausgelöste Mega-Weltfinanzkrise von 2008.

Die SPD-Minister trugen die Regierung, arbeiteten fleißig und ungewöhnlich erfolgreich, während Merkels Leute Glos, Seehofer, Jung, Schavan, von der Leyen, Schäuble allesamt überfordert waren.

Aber ohne den trommelnden Schröder war das Willy Brandt-Haus nicht in der Lage die SPD-Erfolge bekannt zu machen. Die drögen Parteipräsiden nahmen an, Wähler wären rationale, informierte, faire Wesen. Sie würden die Arbeit der SPD schon honorieren. Dazu noch der sehr fromme Christ Steinmeier als Kandidat, der die CDU freundlich verschonte. Das sollte als Konzept für die 2009er Wahl reichen. Das ging gründlich in die Hose. Minus 11,2 Prozentpunkte für die SPD, Steinmeiner erreichte gerade noch 23%. Auch Merkels CDU/CSU rutschte um einen guten Punkt auf 33,8% ab. Immerhin profitierte die Linke von der lahmen SPD, erreichte mit 11,9% ein Topergebnis, wurde eine starke Oppositionskraft.

Verrückterweise profitierte ausgerechnet die FDP mit ihrem Rekordwert von 14,6% am meisten von der guten deutschen Krisenpolitik. Sie trat mit dem Deregulierungs- und Steuersenkungswahn an, der die Weltfinanzkrise erst ausgelöst hatte.

Selten erlebte man die Dysfunktionalität so extrem. Die konzeptionslose Spaßpartei FDP tat das was zu erwarten war: Sie setzte strikt die Interessen ihrer Parteispender durch, schleuste Lobbyisten direkt in die entscheidenden Schaltstellen des Gesundheitsministeriums und richtete so viel Chaos an (die schwarzgelben Koalitionäre bezeichneten sich gegenseitig als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“, gelten als schlechteste Nachkriegsregierung Deutschlands), daß die FDP vom besten Ergebnis ihrer Geschichte bei der Wahl 2013 auf das Schlechteste, nämlich 4,8% stürzten. Raus aus dem Bundestag, Generalsekretär Christian Lindner war in Schimpf und Schande schon zuvor geflohen.

(Später lernten wir noch genauer, wie sehr die Flucht vor der Verantwortung, sein Wegrennen zum Kern seines Charakters gehört).

Abgeschreckt von dem Chaos, hatte der Wähler der wie immer unbeteiligt wirkenden in sich ruhenden Präsidialkanzlerin ohne politische Konzeptionen 7,7 Prozentpunkte oben drauf gepackt. Die CDUCSU erzielte 2013 Merkels bestes Ergebnis: 41,5%.

Die SPD hatte diesmal mit Peer Steinbrück einen viel besseren Kanzlerkandidaten als 2009. Er erlebte allerdings einen der unfairsten Wahlkämpfe seit Willy Brandts Zeiten. Fast die ganze Presse war gegen ihn, blies jede Kleinigkeit zu Großskandalen auf. Er trinke keinen Weine für weniger als 5 Euro die Flasche, Stinkefinger, Kein Golf als Dienstwagen. Die total debakulierende Generalsekretärin Andrea Nahles tat im WBH ihre Möglichstes, um Steinbrück zusätzlich zu schaden. Keinesfalls wollte sie ihren Intimfeind gewinnen sehen.

Daß die SPD dennoch immerhin 2,7 Prozentpunkte hinzugewann, ist dem Kandidaten allein zu verdanken. Die Linke verlor an Aufmerksamkeit und stürzte um 3,3 Prozentpunkte auf 8,6% zurück.

Es kam wieder zu einer Groko Anders als acht Jahre zuvor, waren SPD und CDUCSU aber nicht mehr auf Augenhöhe; diesmal waren die Schwarzen fast 16 Prozentpunkte stärker.

Das WBH wiederholte aber dennoch stoisch die Fehler der ersten Merkel-Groko (2005-2009), schlief gemütlich die vier Jahre bis 2017 aus, hoffte einfach, die Wähler würden diesmal aber wirklich die gute Arbeit der Sozi-Minister erkennen und das am Ende belohnen. Das musste schief gehen, da der Urnenpöbel anders als 2005, nun schon lange an Merkels politische Abwesenheit gewöhnt war und ihre wolkige Art über allem zu schweben, ohne sich um die dringenden Probleme zu kümmern, durchaus schätzte. „Keine Reformen“ ist immer noch der oberste Wunsch der Deutschen.

Am Ende der zweiten Merkel-Groko stellte die SPD auch noch den unerfahrenen überforderten Martin Schulz als Kandidaten auf, der brav die Steinmeier-Fehler wiederholte: Keine Kritik an Merkel, immer schön devot auftreten.

Er verspielte 5,2 Prozentpunkte, holte das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten: 20,5%

Seither verharrt die SPD in Dauerkrise, verschliss mehrere Vorsitzende und sank soweit in den demoskopischen Keller – bis auf 14% - daß sie nun statt Häme, eher Mitleid erfährt. Besonders schlechtes Führungspersonal – Kühnert, Esken, Walter-Borjans und Klingbeil – verschlimmerte die Lage zusätzlich.

An dieser Stelle möchte ich aber etwas Whataboutism verwenden. Merkels grandiose Aussitzfähigkeiten haben völlig verschleiert, daß die die CDU/CSU-Liste bei der Bundestagswahl 2017 noch schlimmer als die SPD verlor: 8,6 Prozentpunkte!  Mit 32,9% fuhr die Union das schlechteste Ergebnis seit 1949 ein. Dennoch leistete sich Merkel ihr personell bisher katastrophalstes Kabinett, ließ Faulpelze (Seehofer, Karliczek, Altmaier) genauso ungehindert wurschteln wie die Totalversager (Spahn, Bär, Scheuer, AKK).

Ihre enorme persönliche Popularität resultiert ausschließlich aus ihrem Bekanntheitsgrad. Ihre politische Bilanz ist ein Trümmerhaufen. Energiewende wurde verschlafen. Technologisch ist Deutschland abgehängt, die Infrastruktur zerbröselt, das lahmste Internet Europas, das Bildungssystem hoffnungslos unterfinanziert und ewiggestrig, Universitäten internationale Lachnummern.

Am schlimmsten sieht es aber international aus – nach 16 Jahren als „Führerin Europas“ liegt die EU in Scherben; die Strukturen sind überaltert, GB ist ausgetreten, global spielt die EU kaum noch eine Rolle, Osteuropas Potentaten tanzen Brüssel nach Belieben auf der Nase herum, weil Merkels Abgesandte, Kommissionspräsidentin von der Leyen, bei ihrer Wahl auf die ungarischen und polnischen Stimmen setzte und sich nun nicht traut zu widersprechen, wenn dort LGBTIs gejagt, Pressefreiheit abgeschafft und Justiz gleichgeschaltet wird.

Nach sieben Jahren Schröder erlebte die EU 2005 eine Blütezeit. Frankreich und Deutschland arbeiteten so eng zusammen, daß die Regierungschefs wechselseitig auch das andere Land vertraten. Es gab enge Konsultationen mit Warschau und Moskau, die Politik im Nahen Osten gegenüber der USA war straff abgestimmt und effektiv. Merkel hat all das in 16 Jahren kaputt gemacht. Man misstraut Deutschland in der EU, zieht nicht mehr an einem Strang, die Russland-Politik ist ein Trümmerfeld.

Merkels 80%-Zufriedenheitswerte sind nur mit der Generalverblödung des Volks zu erklären.

Ihre 2017 auf den Tiefststand von 32,9% heruntergewirtschaftete CDUCSU steht hingegen realistischer da.

Wäre am Sonntag Bundestagswahl, verlöre sie noch einmal sechs bis zehn Prozentpunkte, ginge mit 24-26 % mit einem derartig schlechten Ergebnis durchs Ziel, daß von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl sämtliche Ex-Parteigrößen in Lichtgeschwindigkeit in ihren Gräbern rotierten.

Die beiden Volksparteien, die über Jahrzehnte 80 - 90% der Stimmen holten, werden Ende 2021 nur noch bei rund 40% liegen.

Wo sind die rund 45 freigewordenen Prozentpunkte hin; wer profitiert?
Da gibt es natürlich die AfD-Faschisten. Die inhaltsleere Posterboy-FDP von 2009 ist ebenfalls wieder zurück und wird zweistellig werden.

Die Grünen hätten das Potential stärker als CDUCSU zu werden, schrumpfen sich aber durch die fortgesetzte Unfähigkeit ihrer Spitzenkandidatin, sowie die unfassbare Trottelei ihres Wahlkampfteams auf 17-18%. Sie werden mutmaßlich noch, ob der guten Olaf-Scholz-Performance von der SPD überholt.

Besonders erstaunlich ist aber, daß bei all dem gewaltigen Groko-Frust und der so verhagelten Merkel-Bilanz eine Partei, die davon am meisten profitieren  sollte, sich sogar noch blöder als Laschet und Baerbock anstellt: Die Linke dümpelt bei blamablen 6% und könnte aus dem Bundestag fallen.

Der Grund sind eine paralysierte Parteiführung und der völkisch-nationalistische Kurs Lafontaines und Wagenknechts. Natürlich wählen Menschen aus dem RRG-Biotop eher nicht eine Partei, die wie die AfD klingt und alle drei Tage mit neuen Hetz-Äußerungen auf „skurrile Minderheiten“ eindrischt.

Es ist mir ein Rätsel wieso sich die Linke die Wagenknecht-Destruktion so lange gefallen lässt. Immerhin gibt es jetzt ein Parteiausschlussverfahren gegen sie und einen wütenden Ex-Chef.

[….]  Riexinger sagte auf der Konferenz, es sei »brandgefährlich«, dass Wagenknecht in der Öffentlichkeit verbreite, die Linke würde sich zu wenig um die soziale Frage kümmern, weil es verfangen könnte.  [….]  So vollziehe Wagenknecht eine »Verfälschung der Fakten« und deute die Geschichte um, wenn sie die prekäre Lage der unteren Gesellschaftsschichten den im Buch sogenannten »Lifestyle-Linken« anlaste, die sich nur um Antirassismus, Genderfragen und die Bekämpfung des Klimawandels kümmern würden. Tatsächlich, so Riexinger, sei die neoliberale Politik Anfang der Nullerjahre etwa von Kanzler Gerhard Schröder der Grund für soziale Verwerfungen. »Das waren keine Lifestyle-Linken.« Mit Genderfragen hätte sich Schröder nicht beschäftigt. [….]  Wahlweise nannte Riexinger bei seiner Bewertung Wagenknechts Thesen »irre«, »abenteuerlich«, einiges sei »ziemlicher Quatsch« »völlig falsch«, »ordoliberal«, »weitestgehend faktenlos«, »spießig-reaktionär« und eine »dürftige Analyse«. [….]

(SPON, 10.08.2021)

Montag, 19. Juli 2021

Skandale im Wahlkampf

In Bundestagswahlkämpfen agieren Tausende Politiker, Myriaden Journalisten und Hunderttausende Parteimitglieder.  Auch wenn alle behaupten, fair zu sein, trachtet man in Wahrheit doch immer auch danach, dem politischen Gegner zu schaden.  Es wäre ein Wunder, wenn bei der Masse der Akteure in den Wahlkampfzentralen nicht jeden Pannen und Patzer registriert würden.

Die Skandalresistenz der Kandidaten ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Über Merkel wird meist mit so viel Hochachtung geschrieben, daß ohnehin kaum einer ihr persönlich CDU-Skandale anlastet. Sie hat, ähnlich wie Wolfgang Schäuble eine politische Teflonhaut entwickelt.

Der Bundestagspräsident verdankt seine Skandalresistenz einerseits dem fürchterlichen Attentat auf ihn, welches zu einigen Beißhemmungen der Journalisten führte und inzwischen auch seinem hohen Alter.   Dabei ist Schäuble ein großer Lügner, war ein sehr fauler Minister, ist tief in CDU-Finanzskandale verstrickt und hat auch noch eine ausgeprägt nepotistische Ader. Seine Tochter Christine Strobl wurde als 28-Jährige im Schäuble-Sender SWR Referentin, mit 39 Jahren Filmchefin und nun, mit 49 Jahren sogar ARD-Programmchefin. Dort macht sich die erzkonservative CDU-Frau sofort ans Werk die liberalen Politmagazine PANORAMA und MONITOR einzudampfen. Wolfgang Schäubles Bruder Thomas bekam mehrere Landesministerposten in Baden Württemberg. Schäubles Schwiegersohn Thomas Strobl ist Vizeministerpräsident in BW und Bundes-Vize der CDU.

Merkel hingegen helfen ihr Geschlecht und ihre lange Amtszeit; da bleiben auch keine Skandale heften.

Andere Konservative entwickeln ihre hohe Skandalresistenz  durch die schiere Masse der Affären. Bei Koch, Strauß, von der Leyen, Spahn, Scheuer oder Seehofer stehen schon so viele Rücktritts-ausreichende Skandale zu Buche, daß man schlicht nicht mehr nachkommt, sich das alles zu merken.  Die Skandalmenge, die Jens Spahn in einer Woche produziert, würde ausreichen, um ein Dutzend unbescholtene Landesminister zum Rücktritt zu zwingen.

Für immer unerreichter König der Skandalresistenz bleibt Donald Trump, der jeden einzelnen Tag seiner Amtszeit so ungeheuerliche Lügen von sich gab, daß andere Präsidenten deswegen zurück getreten wären.

Der orange Clown könnte tatsächlich zum Spaß einem New Yorker Passanten in den Kopf schießen, ohne einen Wähler zu verlieren. Das ist eine seiner sehr seltenen wahren Aussagen.

Was eine Baerbock ins Schlingern bringt, wäre bei Trump gar nicht erwähnenswert. Die Grüne Kanzlerkandidatin konnte aufgrund ihrer nicht vorhandenen Regierungserfahrung noch nicht gegen Skandale abstumpfen.

Niemand weiß, wie sie als Ministerin oder gar Kanzlerin wäre, es gibt keine kollektiven Erfahrungen über Art und Häufigkeit von Skandalen eines Baerbock-Ministerium.

[….]  Annalena Baerbock hat sich sehr viel weniger zuschulden kommen lassen als andere politische Führungskräfte. Daher ist und wäre es verständlich, wenn sie und die Grünen sich insgesamt ungerecht behandelt fühlten. Aber ihre Popularität war eben noch nicht gefestigt genug, um diese Affäre aussitzen zu können. Wenn auch nur ein paar Prozent derjenigen abspringen, die sich überlegt hatten, erstmals in ihrem Leben grün zu wählen, dann ist der mögliche Sieg verspielt.    Es ist kühn, ohne jede Regierungserfahrung ins Kanzleramt einziehen zu wollen. Aber das kann – vielleicht – gelingen, wenn ein hinreichend großer Teil der Bevölkerung sich nach einem Kurswechsel und einem politischen Neuanfang sehnt. Das war die große Chance für Annalena Baerbock. Sie musste nur etwas, ein einziges Kleinod schützen: nämlich die eigene Glaubwürdigkeit.   Dieses Kleinod ist verloren gegangen. Andere, die sich mehr vorwerfen lassen müssen, hatten und haben auch mehr in die Waagschale zu werfen als die Kandidatin der Grünen. Der Lebenslauf von Armin Laschet enthält ebenfalls – nennen wir es freundlich: Lücken. Aber er war eben jahrelang Ministerpräsident. Das beruhigt verunsicherte Wählerinnen und Wähler. [….]

(Bettina Gaus, SPON, 10.06.2021)

Ihre Skandal-Resistenz ist daher noch niedrig; es konnte sich noch keine Teflon-Patina ausbilden. Da sind andere, deutliche jüngere Politiker, schon viel weiter.

CDU-Rechtsaußen Philipp Amthor ist gerade mal 28 Jahre alt und hat schon so viele Großskandale angesammelt, daß ihm das heute bekannt gewordene Gruppenbild mit zwei Neonazis kaum etwas anhaben kann.

[…..] CDU-Politiker Amthor posiert mit Neonazis

Ein in den sozialen Medien kursierendes Foto des Bundestagsabgeordneten Amthor sorgt für Aufregung. Das Bild zeigt ihn lachend an der Seite zweier Neonazis. [….]

(Julius Geiler, TS, 19.07.2021)

Da zuckt der Urnenpöbel nur ganz kurz mit den Schultern; Amthor eben.

Der ganze Skandalkosmos um die Themen Antisemitismus, Zusammenarbeit mit der AfD, Rechtsradikalismus, völkisches Denken entwickelt sich ohnehin zu einem Skandalon niederen Aufregungspotenzials. Die Laschet-CDU ist durch Maaßen, die Werte-Union und die Ost-Landesverbände so sehr nazifiziert, daß kein Hahn mehr danach kräht, wenn der CDU-Parteivorsitzende völkische Verschwörungstheorien in seiner Partei zulässt oder bei antisemitischen Sprüchen gar nicht dran denkt einzugreifen.

Abgesehen davon, wie gelassen das Wahlvolk reagiert, spielt die Beißlust der Medien eine große Rolle.

Angela Merkel konnte dreiste Lobbyskandale in ihrem engsten Umfeld aufführen, ohne daß sie jemals in der Presse als „bestechlich“ dargestellt wurde. Für Deutsche-Bank-Chef Ackermann richtete sie eine private Geburtstagssause im Kanzleramt aus, setzte sich gegen Millionenspenden an die CDU persönlich für maßgeschneiderte KfZ-Gesetze ein, verhinderte strengere Abgasregeln bei der EU und gab ihre Kanzleramts-Staatsminister direkt an die Auto-Konzerne als Cheflobbyisten weiter.

Das wurde zwar in liberalen Periodika berichtet, aber nie zu den großen Skandalen hochgeschrieben, wie es nötig gewesen wäre. Die mächtigen Medien-Patinnen Liz Mohn und Friede Springer hielten immer ihre schützende Hände über Merkel, so daß die Blätter ihrer Imperien die Kanzlerin in Ruhe ließen.

Auf Schröder/Fischer 2002 und insbesondere Steinbrück 2013 hatten sich die Medien hingegen kollektiv eingeschossen.  Die mussten nur einmal ein falsches Kleidungsstück tragen, eine flapsige Geste machen und wurden schon niedergemacht.

Manchmal gab es regelrechten Kampagnen-Journalismus. In den 1990ern verging kaum ein Tag, an dem nicht extrem negative Artikel über Gregor Gysi und Manfred Stolpe erschienen. Sie wurden von den nahezu ausschließlich westdeutschen Medien fast immer mit ihren Stasi-Kürzeln IM NOTAR und IM SEKRETÄR bezeichnet.

Die politischen Gegner waren noch perfider – hatten doch CDU und FDP gleich vier Mauer/Schießbefehl-Blockparteien einfach wegfusioniert - und überzogen ausgerechnet Grüne und SPD, also die einzigen Parteien ohne SED-Erbe, mit Rote-Socken-Kampagnen.

Daran sollten sich auch Annalena Baerbock, die Grünen und ihre grünliberalen Social-Media-Freunde erinnern. Ja, Baerbock wird mit strengeren Maßstäben als Laschet bewertet, ja das ist ungerecht, ja das gehört nicht zu einem sachlichen Wahlkampf.

Aber erstens ist es dämlich von den Grünen, irgendetwas anderes zu erwarten und nicht auf solche unfairen Attacken vorbereitet zu sein.

Und zweitens übertreiben es die Grünen maßlos, wenn sie aufschreien, noch nie wäre eine Kandidatin so schlecht behandelt worden, oder gar, es läge daran, daß sie Frau und/oder Mutter wäre.   Das ist natürlich blanker Unsinn.

[…..] Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, selbst alles andere als die Verkörperung des gepflegten politischen Kammertons, spricht von einer "Dreckskampagne", andere beklagen einen "Rufmord". Die Kritik an der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach selbstverschuldeten Fehlern und Pannen wird im Lager der Grünen und ihrer Nahesteher gern als Ausdruck einer bösartigen Kampagne gewertet, als Zeichen für einen besonders schmutzigen Wahlkampf. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Davon kann keine Rede sein. Früher waren Wahlkämpfe geprägt von heftiger Polarisierung, aggressiven Kampagnen und einer politischen und persönlichen Diffamierung, die heute undenkbar wäre.

Konrad Adenauer, der erste Nachkriegskanzler, konnte noch im Wahlkampf 1957 den Delegierten eines CSU-Parteitages einhämmern, die SPD dürfe "niemals" an die Macht kommen, weil "mit einem Sieg der Sozialdemokratischen Partei der Untergang Deutschlands verknüpft ist". Da war die Bundesrepublik längst ein stabiler Staat. Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle: "Lebhafte Zustimmung und anhaltender Beifall." […..] Stoiber hat als CSU-Generalsekretär den wahrscheinlich giftigsten Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik orchestriert: die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß gegen Helmut Schmidt im Jahr 1980. Strauß polarisierte Politik und Gesellschaft in Deutschland wie kein Zweiter. Glühende Bewunderung auf der einen Seite, entschiedene Ablehnung auf der anderen, dazwischen gab es nichts.

Die Kundgebungen von Strauß lockten Tausende Anhänger an - und zugleich eine meist noch größere Zahl von Gegendemonstranten. Auch die beiden Kontrahenten schenkten sich nichts. Strauß schmähte den SPD-Amtsinhaber als "Friedensschwätzer" und "Kriegskanzler", für Schmidt war sein Herausforderer ein "Kraftwerk ohne Sicherungen". Schmidt, einer der besten politischen Redner, konnte sich des Jubels seiner Anhänger gewiss sein, wenn er in seinen Wahlkampfreden rief: "Dieser Mann hat keine Kontrolle über sich", um dann, nach einer kleinen Kunstpause, mit erhobener Stimme hinzuzufügen, "und deshalb darf er erst recht keine Kontrolle über unseren Staat bekommen".[…..]  Im Jahr 1976 versuchte die CDU mit dem Slogan "Freiheit statt Sozialismus", die SPD/FDP-Regierung aus dem Sattel zu heben. Der CSU war das noch nicht aggressiv genug, sie machte daraus "Freiheit oder Sozialismus", ganz so, als drohe dem Land bei einem Sieg von SPD und FDP der Weg in die Knechtschaft. […..]  Kaum einer wurde so in den Schmutz gezogen wie Willy Brandt, der als uneheliches Kind Herbert Frahm hieß, vor den Nazis nach Norwegen emigriert und im Widerstand aktiv war. Dort hatte er sich den Namen Willy Brandt zugelegt, die Namensänderung wurde ihm 1949 auch ganz offiziell zuerkannt. Trotzdem sprach Adenauer 1961, als Brandt erstmals SPD-Kanzlerkandidat war, von "Brandt alias Frahm", und Strauß polemisierte in einer Rede tief unter der Gürtellinie gegen Brandts Jahre im Exil. "Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben." Auch Brandts Privatleben war immer wieder Gegenstand genüsslicher Spekulationen in den konservativen Medien. […..] Unablässig attackierte Geißler die "Sozen", wie Kohl die SPD gern nannte, mal waren sie die "fünfte Kolonne der anderen Seite", mal die "Anti-Nato- und Neutralisierungsgruppe". […..]

(Peter Fahrenholz, 16.07.2021)

Wer wie Annalena Baerbock ganz ohne irgendeine Regierungserfahrung und dann auch noch mit aufgehübschtem Lebenslauf, meint als Regierungschefin der viertgrößten Industrienation des Planeten zu taugen, darf sich nicht wundern, wenn scharfer Gegenwind kommt.

Dabei hat sie es im Jahr 2021 schon leichter als frühere Generationen und vor allem leichter als Frauen früherer Generationen.

Donnerstag, 15. August 2019

Abstieg der Wirtschaftsminister, Teil II


Ein Minus vorm Komma des Deutschen Wirtschaftswachstums?
Das muss man nach einer Dekade Dauererektion erst mal hinbekommen.
Chapeau, Wirtschaftsminister Altmaier! So fehl am Platze war seit den FDP-Mann-Tagen keiner mehr auf dem Sessel.

(….) Ich erinnere mich noch an eine Generalaussprache, als [Ingrid Matthäus-Maier] auf die Vorstellung des Haushalts von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt Mitte der 1990er klagte:
„Wir hatten einen Bangemann, wir hatten einen Haussmann, wir hatten einen Möllemann – wann bekommen wir endlich einen Fachmann?“

Erhört wurde ihre Klage freilich nie.
Fünf Bundeswirtschaftsminister von der FDP in Folge hatten das Amt abgewirtschaftet.

Rexrodt war nicht nur wie seine Vorgänger überfordert, sondern wurde gar nicht mehr ernst genommen. Die Presse beschrieb ihn als peinlichen „Grüßaugust“, den noch nicht mal Industrielobbyisten beeinflussen mochten, weil zu offensichtlich war wie desinteressiert und machtlos er war. (….)

Im Gegensatz zu den anderen EU-Staaten galt die robuste deutsche Exportwirtschaft eigentlich als unkaputtbar.
Aber eine völlig untätige Bundesregierung, die den völlig aus dem Ruder laufenden Branchen (debakulierende Auto-Hersteller, kriminelle Banken, subventionshungrige Bauern) keinerlei Vorgaben macht, kann auch das was Gerd Schröder mit der Agenda 2010 aufgebaut hat, wieder einreißen.
Breitbandausbau? Glasfasernetz? Die Mehrheit der Krankenhäuser bildet gar nicht aus? Energietrassen?

Während Trump Handelskriege anzettelt, ist die deutsche Kanzlerin international gar nicht mehr vorhanden.

Natürlich wird Deutschlands Wirtschaft bei so einer geballten Ladung demonstrativen Hände-in-den-Schoß-legen irgendwann abgehängt.

Im Jahr 2018 behauptete der Wirtschaftsminister noch, das deutsche Wirtschaftswachstum werde 2019 etwa zwei Prozent betragen.
Ende Januar 2019 erkannte er, den Mund zu voll genommen zu haben.

[….] Zwar befinde sich die deutsche Wirtschaft das zehnte Jahr in Folge auf Wachstumskurs, so Altmaier. Die Bundesregierung erwartet für 2019 aber nur noch eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 1,0 Prozent. In ihrer Herbstprognose war die Regierung noch von einem Plus von 1,8 Prozent ausgegangen. Im Gesamtjahr 2018 hatte Europas größte Volkswirtschaft nach einer ersten Schätzung des Statischen Bundesamtes um 1,5 Prozent zugelegt, nach jeweils 2,2 Prozent in den beiden Vorjahren. [….]

Dem Fachkräftemangel begegnete Altmaier mit gezieltem Weggucken und festen Ohren zuhalten.
Die zerfallende Infrastruktur gehen Scheuer und Altmaier mit maximalem Phlegma, Indolenz und Apathie an.
Dazu noch die internationalen Handelskabale, denen Frau Merkel mit einem kräftigen Nickerchen begegnet. Die Folge: Im zweiten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt leicht zurück.

[…..] Das reale (preisbereinigte) Bruttoinlandsprodukt in Deutschland war im 2. Quartal 2019 saison- und kalenderbereinigt um 0,1 % niedriger als im 1. Quartal 2019. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hat sich die deutsche Wirtschaftsleistung somit etwas abgeschwächt. Im 1. Quartal 2019 hatte es noch einen Anstieg von 0,4 % zum 4. Quartal 2018 gegeben. [….]

In Phasen der Schrumpfung, insbesondere wenn sie durch staatliche Untätigkeit eingeleitet wurde, tut eine vernünftige Regierung genau das Gegenteil des von blanker Unkenntnis zeugenden Austeritäts-Wahnes à la Schäuble und Merkel.

[…..] Die Griechen sparen bekanntlich dermaßen, daß es quietscht. 
Große Teile Athens mutieren zu Slums, Nierenpatienten können sich ihre Dialyse nicht mehr leisten und Hunger wird wieder alltäglich.
Es trifft, wie immer im Kapitalismus, diejenigen, die nichts dafür können.

Deutschland ist der große Profiteur der Schande von Griechenland.
 Dort wird das einfache Volk ausgepresst nachdem die griechische Regierung Deutschen Rüstungsfirmen Milliarden-Aufträge erteilt hatte, hunderte Panzer kaufte, U-Boote bestellte. 
Deutsche Anleger freuen sich über die Dividenden, die ihnen griechische Staatsanleihen bringen. Deutsche Banken, als die griechischen Kreditgeber verdienen üppig am Hellas-Desaster. 
Ganz Griechenland fungierte als Absatzmarkt für deutsche Waren, die mit hartem Euro bezahlt wurden. 

Aber der Krug ist inzwischen doch gebrochen.
 Nun breitet sich Elend aus, während es Deutschland gut geht.

Nachdem immer mehr Berichte aus griechischen Schulen auftauchten, in denen Kinder vor Hunger in Ohnmacht fielen, war die Athener Regierung gezwungen Essensmarken auszugeben.

 Das griechische Bildungsministerium will arme Schüler und Familien mit Lebensmittelmarken unterstützen. Von kommender Woche an sollen an 18 Schulen in neun Arbeitervierteln kostenlos Coupons für Milch, Früchte und Kekse verteilt werden, sagte die Staatssekretärin im Bildungsministerium, Evi Christofilopoulou, dem Parlament nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur ANA. Die Marken bekommen dabei nur jene, die von den staatlichen Sparmaßnahmen am härtesten betroffen sind.
 Seit Monaten steht die Regierung unter Druck diesbezüglich zu handeln. Denn Medien hatten über unterernährte Schüler berichtet, die im Unterricht vor Entkräftung in Ohnmacht fielen.

Die Lehrer können ihren Schülern kaum behilflich sein. Der Durchschnitts-Jahreslohn eines griechischen Lehrers sank aufgrund der Sparanstrengungen von rund € 20.000 auf € 12.000.

Die zynische Reaktion der christlichen Bundeskanzlerin:
Es werde eben noch nicht genug gespart; Athen solle ein EU-Sparkommissar zur Seite gestellt werden.

An dieser Stelle betone ich immer wieder, daß die Merkel/Steinmeier-Regierung für das eigene Volk genau die gegenteilige Kur durchführte. 

Am 05. November 2008 legten Steinbrück und Co das Konjunkturpaket I (Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“) auf, welches Dutzende Maßnahmen umfasste - darunter die wichtige Verlängerung des staatlichen Kurzarbeitergeldes.

Finanz- und Wirtschaftsministerium betonten stolz:
„Die Maßnahmen der Bundesregierung fördern in den Jahren 2009 und 2010 Investitionen und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer Größenordnung von rd. 50 Mrd. €. Darüber hinaus gewährleisten Maßnahmen zur Sicherung der Finanzierung und Liquidität bei Unternehmen die Finanzierung von Investitionen im Umfang von gut 20 Mrd. €. Zusammen mit den vom Kabinett am 7. Oktober 2008 beschlossenen Maßnahmen werden allein in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt rd. 32 Mrd. € aus den öffentlichen Gesamthaushalten zur Verfügung gestellt.“
(BMWi und BMF Nov 2008)

Der hyperaktive Bundesfinanzminister Steinbrück ruhte aber auch anschließend nicht und schob sofort ein weiteres staatliches Ausgabenprogramm an.

Das Konjunkturpaket II („Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes“) wurde im Januar 2009 beschlossen und hatte sogar einen noch größeren Umfang. 

Es umfasste 13 Beschlüsse - darunter die berühmt-berüchtigte „Abwrackprämie“, den „einmaligen Kinderbonus“ von 100 Euro, massive Investitionen in den Breitbandnetzausbau und einen zehn Milliarden-Euro-Zuschuss für kommunale Investitionen.

Fast alle Parteien und Wirtschaftswissenschaftler sahen die Maßnahmen als notwendig an - außer der FDP, die heftig gegen die Maßnahmen wetterte.

Schließlich führten die staatlichen Ausgaben dazu, daß kein anderes EU-Land (außer Polen) so gut wie Deutschland durch die Krise kam.

Die damaligen Wohltaten gönnte Merkel aber nur den Deutschen. Von den anderen EU-Problemstaaten verlangt sie das diametrale Gegenteil.

 Sie meint, daß man die Verhungernden am besten durch Essensentzug heile.  (…………………)

Die Konjunkturpakete von vor elf Jahren waren sehr teuer, zahlten sich aber aus.
Angesichts der Trumpschen Schockwellen, die sich in Form von Zollschranken, Zerschlagung von Handelsabkommen und Anheizen von Kriegen zeigen, wären 2019 Konjunkturpakete erst recht angezeigt.
Diesmal müsste Deutschland noch nicht mal Zinsen zahlen, sondern bekäme wegen der Negativ-Zinsen („Kapitalismus kaputt“) sogar Geld dafür!

[….] Es ist der Moment, da der Staat als Stabilisator eingreifen muss – mit einem mindestens auf fünf Jahre angelegten Programm zum Ausbau der Infrastruktur. Und das wäre erheblich mehr als ein Stimmungsaufheller. Vielmehr können nur so die Klimaschutzziele erreicht, die Wohnungsnot bekämpft und schnelles Internet überall zur Verfügung gestellt werden. Zudem sind die Finanzierungsbedingungen so gut wie nie. Wenn sich der Staat heute Geld leiht, muss er nicht nur keine Zinsen zahlen, er bekommt sogar noch eine Gebühr von den Investoren dafür, dass sie ihr Kapital zur Verfügung stellen dürfen. […]
(FT Wenzel, RND, 15.08.19)

Sogar die staatsfernste Stimme Deutschlands, der Arbeitgeberpräsident fordert von der Groko Konjunkturprogramme.

[….] Diese Woche forderte selbst Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer - als solcher sonst ja eher der Kategorie Markt-vor-Staat zuzuordnen -, dass sich die Regierung auf den derzeit nahenden Ernstfall einstellen und eine subventionierte Kurzarbeiterregelung vorbereiten sollte, wie es sie 2009 neben anderen Maßnahmen gegeben hat. […..]

Aber mit dieser Union ist vernünftiges Handeln hoffnungslos.
Entweder sie sind fest eingeschlafen (wie Altmaier/Merkel), oder aber grundsätzlich verblödet (Seehofer/Scheuer/Klöckner).

Wie Kaninchen in Todesangst starren Deutsche auf das böse Wort „Schulden“, dabei funktioniert Ökonomie gar nicht ohne Schulden. Schulden sind etwas Gutes.

[….] Die Tücke ist, dass beim Moralisieren die Vernunft schon mal aussetzt. Zwar dürfte der Eifer dazu beigetragen haben, dass Deutschlands Finanzminister seit Jahren sinkende Staatsschulden vermelden. Hauptsächlich liegt es allerdings viel schnöder daran, dass die Wirtschaft wuchs, es immer weniger Arbeitslose und niedrige Zinsen gab und gibt.
Die Kehrseite sind jedoch jahrelang ausgebliebene Investitionen in Straßen, Streckennetze, Bahnhöfe, S-Bahn-Ausstattung, Schulgebäude, Lehrer, Kita-Erzieher, Notaufnahmen, Breitbandnetze, Tankstellennetze für Elektroautos, Gebäudesanierungen zum Klimaschutz, vernünftige Mindestrenten und die flächendeckende Ausstattung mit Internet. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Weil für alles angeblich kein Geld da war. In Wirklichkeit wurde eben nur politisch die Priorität auf den Abbau der bösen Schulden gelegt. Und das auch noch mit dem irren Argument des einen oder anderen Chefapostels, dass wir unseren Kindern doch nicht so böse Schulden hinterlassen dürfen. Jetzt hinterlassen wir ihnen die oben genannten Mängel. Und einen Planeten, der droht, mangels klimaschützender Investitionen auf Katastrophen zuzusteuern - wogegen bemühte Kinder nicht ganz zu Unrecht freitags Protest kundtun - nicht gegen Schulden.
Selbst eher liberal-konservative Ökonomen wie der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, schlagen mittlerweile Alarm, dass es kein Selbstzweck und sogar gefährlich ist, die Schuldenquote immer weiter abzubauen. [….]