Freitag, 22. September 2023

Populistisch gegen die Zukunft

Rechtspopulismus ist eine feine Sache, wenn man Wahlen gewinnen will. Rechtspopulismus ist nämlich für Doofe attraktiv, weil er immer andere Schuldige findet und dem Urnenpöbel den „du machst alles richtig und brauchst dich nicht ändern“-Honig ums Maul schmiert. Wer doof ist, hört das gern und wählt diejenigen, die ihm die simplen angenehmen Botschaften bringen. Eins ist sicher; an Doofen gibt es keinen Mangel. Social Media, Infoblasen und unverantwortliche konservative Bildungspolitik – die US-Republikaner verbieten Schulbücher, ja verbrennen sogar öffentlich Bücher – lassen das Heer der Doofen immer mehr anschwellen.

Für sich im Wahlkampf befindliche Politiker ist also der Rechtspopulismus eine naheliegende und erfolgversprechende Strategie. Da in westlichen Demokratien fast immer Wahlkampf ist, erleben wir mehr und mehr Rechtspopulismus. Er kann sich für jeden Wahlkämpfer als der entscheidende Joker erweisen.

Man muss nur zwei einfache Voraussetzungen erfüllen, um sich ebenfalls an rechtspopulistischen Strategien zu bedienen:

1)   Man darf über keinerlei Schamgefühl verfügen, weil man auf maximal amoralische Weise lügen muss.

2)   Es muss einem herzlich egal sein, daß man die eigene Nation damit auf jeden Fall langfristig in den Abgrund reißt.

Wer diese Bedingungen, wie zB Aiwanger, Söder oder die AfD-Hobby-Höckes Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm, erfüllt, kann Erstaunliches erreichen.

So glaubt die Mehrzahl der Bayern inzwischen an eine ganze Fülle von Verboten, welche die offenbar schon ewig in Bayern regierenden Grünen den armen freiheitsliebenden Bayern aufgezwungen hätten. Aber nun gäbe es da die ganz neu erschienene Söder-Opposition, die sich mutig traue, den allmächtigen Grünen zu widersprechen.

Natürlich ist an diesem Narrativ wirklich alles gelogen. Es gibt die von Söder und Aiwanger behaupteten Verbote nicht, die Grünen haben noch nie regiert und die CSU hat immer regiert.

Södewanger bläuen aber in hunderten Bierzelten, den feisten rotnasigen Wählern mit den durchschnittlich fünf Promille Blutalkohol derartig viel rechtpopulistischen Unsinn ein, daß der Urnenpöbel nun begeistert davon ist, über keine Stromtrassen und keine erneuerbaren Energien zu verfügen und dem Klimawandel nichts entgegen zu setzen.

[….] Egal in welches Bierzelt die Grünen in Bayern gerade kommen: Die Verachtung ist schon da. Sie werden angebrüllt, ausgepfiffen, jetzt fliegen sogar Steine.   […..] „De Greana“, sagen sie auf dem oberbayerischen Land. Möchte die CSU ein Bierzelt so richtig in Wallung bringen, müssen ihre Leute nur dieses Wort sagen. Oder diesen Namen: Katharina Schulze. [….] Cem Özdemir müsste längst da sein, der Bundeslandwirtschaftsminister. Besuch aus Berlin im Bauernland Bayern, im Sommer 2023 ist das ein Sicherheitsrisiko. Drinnen 2500 Leute, viele Grünen-Fans, noch mehr Grünen-Feinde. Draußen überlegt die Polizei, Özdemirs Rede abzublasen. [….] Vor dem Bierzelt haben Männer einen Marktstand aufgebaut. Tomaten liegen da in Holzkisten, Eier – und Steine. Wurfgeschosse? Ach, sagt einer, man verkaufe die Steine gar nicht wirklich, das gehe alles „in die lustige Richtung“. Und ja, die Leute lachen sich kaputt. Manche fragen nach besonders schweren Steinen, nach faulen Eiern, „dafeide Oa“, sagen sie hier. [….] Man muss an dieser Stelle kurz erwähnen, was Markus Söder über die Grünen gesagt hat, auch im Bierzelt, weil Wahlkampf in Bayern nur noch in Bierzelten stattfindet, irgendwo muss es da jetzt ein Gesetz geben, das andere Formate unter Präventivhaft stellt. „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern“, sagte Söder, er sagt ja vieles über die Grünen. Dass die Grünen das Heizen mit Öl verbieten wollten, das Kurzstreckenfliegen, das Fleisch, das Böllern. Dass Söder da gern zuspitzt, muss man nicht erwähnen. [….]

(SZ, 22.09.2023)

Noch einmal; die Grünen waren nie auch nur einen Tag an einer bayerischen Regierung beteiligt und Söder schafft es, sich als tapferer Robin-Hood-Rebell gegen die allmächtigen Grünen Gewaltherrscher darzustellen.

[….] Viele haben es bereits geahnt – jetzt ist es offiziell: Die Grünen sind an allem Schuld. Das ergab eine Studie der Dieter-Nuhr-Universität Dresden. Demnach ist die Öko-Partei, die seit zwei Jahren Teil der Bundesregierung ist, für nahezu alles verantwortlich, was in den letzten 20 Jahren in Deutschland schief lief.

"Wir haben ausführlich nach den Ursachen aller aktuellen Katastrophen und Probleme geforscht", erklärt Studienleiter Hans-Josef Berneck. "Dazu haben wir insbesondere Kommentare auf Internetplattformen und Mitschriften von Stammtischen analysiert und ausgewertet. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Grünen sind an allem schuld."

Zu der langen Liste der Missstände, für die die Partei direkt verantwortlich ist, gehören der wirtschaftliche Niedergang, der Krieg in der Ukraine, das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft, der Aufstieg der AfD, nachlassender Sexualtrieb, die Corona-Pandemie, der Klimawandel, Verspätungen bei der Bahn und dieses eine Stück Fleisch, das man seit Tagen zwischen den Zähnen stecken hat und einfach nicht rausbekommt.  [….]

(Postillon, 22.09.2023)

Auf Söders rechtspopulistischen Pfaden wandelt auch Rishi Sunak, der Tory-Premierminister, der mit seiner Brexit-Partei das Vereinigte Königreich mit einer jahrelangen gewaltigen Lügenkampagne in den Abgrund führte.

Der rechtspopulistische Tory-Wahlkampf funktioniert so sensationell gut, daß sie trotz katastrophaler politischer Perfomance und einem nie dagewesenen ökonomischen Niedergang, ununterbrochen seit Mai 2010 regieren – derzeit mit einer breiten absoluten Mehrheit im britischen Unterhaus.

Sunaks neuester Wahlkampfschlager ist sein mutiger Kampf gegen die bürgerfeindlichen klimapolitischen Gesetze und den ausufernden Umweltschutz. Er, der kleine tapfere Oppositionelle Sunak, werde die Bürger von diesem Irrsinn befreien. Schluß mit den von bösen Linken aufoktroyierten viel zu ambitionierten Klimazielen! Unnötig zu erwähnen; auch das sind alles Lügen. Alles, was Sunak nun streicht, stammt von seiner eigenen Partei.

[….] Er verteidigte seine Pläne, die von seinen Vorgängern festgelegten Zielsetzungen der britischen Klimapolitik abzuschwächen. Verbot von Benzin- und Diesel-Neuwagen erst ab 2035 statt 2030; doch kein Zwang, veraltete Boiler auszutauschen: [….] Rishi Sunak hat die Ambition beerdigt.

[….] Am Donnerstag verschickten die Tories per Mail noch einmal Sunaks schlagworthaft vorgetragene Versprechen, er werde Pläne, "von jedem Bürger sieben Mülltonnen" zu verlangen oder eine "Pflicht zum Carsharing" einzuführen, mit sofortiger Wirkung streichen. Nur: Es gab diese Pläne nie. Mit falschen Behauptungen Ängste erzeugen und sich dann als Retter porträtieren - das ist ein politischer Stil, der einem bekannt vorkommt. [….]

(Michael Neudecker, SZ, 22.09.2023)

Der schwerreiche Sunak belügt damit nicht nur aus purem Egoismus sein Volk, sondern er schadet ihm auch extrem. Schließlich ist der Klimawandel real und im Gegensatz zu der von Merkel gepamperten deutschen Auto-Industrie, die Dank des Schutzes der CDU im Kanzleramt, stets nur auf immer größere Benzinfresser setzte, dadurch den Anschluss an neue Techniken verpasste und nun international abgehängt ist, hatte die britische Industrie das große Glück von der konservativen Regierung mit dem harten Datum „Verbrenner-Aus 2030“ eine klare Perspektive zu bekommen, sich auf umweltfreundlichere Antriebe einzustellen und dadurch einen Weltmarktvorteil gegenüber den zuvor alles dominierenden deutschen Autobauern zu erarbeiten.

Genau diesen Vorteil zerschlägt aber der rechtspopulistische Sunak jetzt. Genau wie den Klimaschutz.

[….] Vor ein paar Tagen war die Welt von Mike Hawes noch in Ordnung. Der Chef des Verbands der britischen Automobilindustrie hatte die Branche am Montag zum E-Auto-Gipfel nach London eingeladen, gleich gegenüber der Westminster Abbey. Die Botschaft, die Hawes loswerden wollte, war eindeutig: Die Autoindustrie steht voll und ganz hinter den Klimazielen der Regierung. Da wusste er allerdings noch nicht, dass ihn ausgerechnet die Regierung ziemlich ausbremsen würde.

Gerade mal zwei Tage nach dem E-Auto-Gipfel verkündete Rishi Sunak bei einer Pressekonferenz in 10 Downing Street nicht weniger als eine klimapolitische Wende. Der Premierminister stellte am Mittwoch klar, dass die Regierung das Verkaufsverbot neuer Autos mit Verbrennermotoren von 2030 auf 2035 verschieben werde. Sunak verabschiedet sich damit von einem ehrgeizigen Ziel, das sein Vorvorgänger Boris Johnson gesetzt hatte. Nun gilt also auch in Großbritannien das, was in der EU vorgeschrieben ist. Für die meisten Autohersteller kommt dieser plötzliche Kurswechsel nicht nur überraschend, sondern auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. So hatte etwa Alex Smith, der Chef von Volkswagen im Vereinigten Königreich, noch am Montag davon gesprochen, dass man nun alles tun müsse, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es wirtschaftlich vernünftig sei, auf E-Autos umzusteigen. Und jetzt? Aus Sicht der Industrie sendet die Regierung ein fatales Signal. Verbandschef Hawes sagte am Donnerstag, dass Sunaks Kurswechsel vor allem zu "Verwirrung" führe. Die Sorge sei nun, dass viele Menschen ihre Kaufentscheidung verschieben - und damit die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen einbrechen könnte. Die Verärgerung in der Autoindustrie ist groß. Am deutlichsten wurde Lisa Brankin, Chefin von Ford in Großbritannien. Sie warf Sunak vor, die Bedürfnisse der Wirtschaft vollkommen zu missachten. "Unsere Branche braucht drei Dinge von der britischen Regierung: Ambitionen, Engagement und Konsistenz", sagte Brankin. Eine Lockerung des Verbrenner-Aus würde alle drei Dinge untergraben. Dabei hatte sich die Wirtschaft gerade von Sunak erhofft, dass die Regierung nach Jahren des Brexit-Streits endlich wieder für das sorgt, was die Industrie braucht: Planungssicherheit. [….] Und so blieb Verbandschef Hawes am Donnerstag nicht viel mehr übrig, als das zu fordern, was er schon zu Beginn dieser Woche beim E-Auto-Gipfel gefordert hatte: mehr Tempo beim Ausbau der Ladestationen. Sunak hingegen sieht das nicht mehr so dringend: Die Verschiebung des Verbrenner-Verkaufsverbots gebe nun allen "mehr Zeit".[….]

(Alexander Mühlauer, SZ, 21.09.2023)