Der CDU-Politiker Michel Friedmann, 67, steht in seiner Partei so weit entfernt von Hans-Georg Maaßen, daß sie kaum noch Gemeinsamkeiten haben.
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman ist Geschäftsführender Direktor des Center for Applied European Studies (CAES) an der Frankfurt University of Applied Sciences. Das 2016 gegründete Zentrum widmet sich der wissenschaftlichen und anwendungsfokussierten Reflektion des Themas Europa. Ein wichtiges Tätigkeitsfeld des CAES ist der Dialog mit der Öffentlichkeit im Rahmen von Symposien und Vortragsreihen.
Eine CDU mit mehr Friedmännern wäre für mich trotz der unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Vorstellungen, eine Wohltat, weil der Mann klare humanistische und demokratische Grundsätze vertritt. Ich könnte mich mit so einer CDU politisch streiten, müßte sie aber nicht fürchten. Eine Annäherung an die AfD stünde nicht zur Debatte. Bedauerlicherweise geben statt ihm aber die Zündler wie Friedrich Merz den Ton an, die immer wieder ganz braun blinken, ihre Abscheu gegenüber Ausländern, Queeren oder Dunkelhäutigen zum Ausdruck bringen.
Man kann Friedmann demokratisch vertrauen. Merz, Söder, Scheuer, Linnemann oder Amthor aber eben nicht.
Die Republik Österreich ist Deutschland in Hinsicht des schwindenden demokratischen Anstandes und der offenen Anbiederung an den Faschismus Jahrzehnte voraus. Die offen rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) war als kleiner Koalitionspartner bereits viermal Teil der Bundesregierung: 1983–1986, 2000–2003, 2003–2005, 2017–2019.
Auf Wikipedia gibt es eine unvollständige Liste rechtsextremer und neonazistischer Vorfälle in der FPÖ; bisher 84. Das Mauthausen Komitee listet allein für die Jahre 2013 bis 2017 rund 60 rechtsextreme "Einzelfälle" in der FPÖ auf.
Das wirklich Gruselige daran ist, wie sich die Gesellschaft Österreichs an eine faschistische Partei gewöhnt hat. Sie wird als „normal“ akzeptiert. Die Kurz-ÖVP wirkt gelegentlich wie ein FPÖ-Abklatsch. Weite Teile Österreichs sind verbraunt. An die Opfer der Rechtsextremen denkt kaum noch jemand. Das gruselige West-Ungarn ist das Paradebeispiel, wie mit fortwährenden Grenzüberschreitungen eine ganze Gesellschaft demokratisch abstumpfen konnte. Ein Konzept, welches große Teile der CDUCSU auch verfolgen und immer größere Schnittmengen mit der AfD bilden.
So war es in vielerlei Hinsicht ein Kuriosum, als zum Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am 05.05.2023 ausgerechnet das CDU-Mitglied Michel Friedmann, als Ausländer das österreichische Parlament besuchte und den erstaunten Alpenparteien mitteilte, nein, es sei eben nicht normal Seit an Seit mit Antidemokraten zu sitzen.
Mut hat er, der Friedmann.
[….] "Jeder ist jemand" - dieser Satz des Schriftstellers George Tabori sei eine "wunderbare Übersetzung einer juristischen Sprache in eine kulturelle", begann Friedman, 67. Dieser Anspruch auf die Achtung jedes Menschen werde in Österreich aber heute von einer Partei missachtet, die stattdessen sage: "Einige sind niemand - oder jedenfalls Menschen zweiter und dritter Klasse". Die von ihm nicht explizit beim Namen genannte FPÖ - "demokratisch gewählt, was die Partei aber noch nicht zu einer demokratischen macht" - setze auf "Wahlkämpfe, die eindeutig mit rassistischen Narrativen bespielt werden". Aber das allein sei noch nicht der Grund, weshalb er, Friedman, sich lange überlegt habe, "ob ich die Einladung annehme" ins heutige österreichische Parlament.
Denn da sei auch noch die ÖVP, die konservative Volkspartei, die mit den Rechtspopulisten schon zweimal koaliert habe. [….] Das trage dazu bei, diese Partei zu "koschern", sagte Friedman, also ihr den Stempel der Unbedenklichkeit zu verleihen. Schon vor zwanzig Jahren war Friedman, damals Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Redner bei einer Protestkundgebung auf dem Wiener Heldenplatz gegen die damalige Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ am Wiener Kabinettstisch gewesen - erfolglos. In den Jahren seither haben sich viele daran gewöhnt, wie es scheint. Und einige nicht.
Nur verhaltenen Applaus gab es im Nationalrat für Friedmans Aufforderung, "dass wir uns gegenseitig anschauen" - bei der FPÖ also genauer hinschauen und härter ins Gericht gehen - "weil wir ja die Zeugen unserer Zeit sind". Auch grüne und rote Spitzenpolitiker, neben FPÖlern sitzend, sind mit der ÖVP ja in Koalitionen verbunden. Gehässigkeiten gab es auf der anderen Seite reichlich. Und zwar schnell. Per Twitter giftete etwa der Wiener FPÖ-Landeschef Dominik Nepp gegen den "koksenden Paolo Pinkel" […..]
Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt jemals in diesem Blog seit 2007, einen CDU-Politiker rundherum für einen Auftritt gelobt zu haben.
[….] "Es ist mir die höchste Ehre, Ihnen, die Antidemokraten sind, das ins Gesicht zu sagen. Wenn ich die Erinnerungskultur ernst nehme, dann erwarte ich, dass dieses Haus glaubwürdiger ist, als es ist." […..]
(Michel Friedmann, 05.05.2023)
Aber das war ganz
stark, Michel Friedmann!
[…..] Er habe lange überlegt, ob er die Einladung ins österreichische Parlament annehmen solle, sagte der Philosoph Michel Friedman. Dafür gesprochen habe, dass es Millionen Österreicher:innen, vor allem der jüngeren Generation, gebe, die sich der Geschichte stellen und für die Demokratie engagieren. Allerdings gebe es auch eine andere Seite. George Tabori habe einmal mit dem Satz "Jeder ist jemand" ein sehr wichtiges Prinzip kurz zusammengefasst, den Respekt vor der Würde jedes Menschen. Im österreichischen Parlament gebe es jedoch auch Vertreter:innen einer Partei, die anderen Menschen diesen Respekt nicht gewähren würden. Trotzdem sei diese Partei bereits zweimal in die Regierungsverantwortung geholt worden. Für ihn stehe die moralische Glaubwürdigkeit der Politik und des Hohen Hauses auf dem Spiel, wenn Wahlkämpfe mit Hass und rassistischen Narrativen arbeiten würden und darauf angelegt seien, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Diese politische Realität treffe den Kern der Erinnerungskultur, betonte Friedman. Er erwarte sich, dass "dieses Haus glaubwürdiger wird".
Natürlich gebe es einen Prozess der Erinnerungskultur, denn er begrüße und unterstützen wolle, hielt Friedman fest. Zentral sei dafür die Weitergabe der Erinnerung zwischen den Generationen. Diese Weitergabe habe nicht immer richtig funktioniert bzw. fragwürdige Narrative erzeugt. Jetzt habe aber die vierte Generation die Möglichkeit, einen Neuanfang zu machen. Was die Zeitzeug:innen angehe, solle nicht vergessen werden, dass es neben den Opfern auch Millionen Zeug:innen der Verbrechen und Mittäter:innen gegeben habe. Wolle man verstehen, wie es überhaupt zum Holocaust kommen konnte, müsse man sich mit den vielen kleinen Verbrechen auseinandersetzen, die das große Verbrechen erst möglich gemacht hätten. Die Arbeit von Yad Vashem sei vor allem auch deshalb besonders wichtig und verdienstvoll, weil sie den Opfern ihre Biographie zurückgebe. [….]