Samstag, 30. Mai 2020

Im nationalen Abwärts-Taumel


Ja, die böse Globalisierung ist anstrengend und schafft harte Konkurrenz.
Die Leute sind genervt, wenn ihr Fabrikjob wegfällt, weil das von ihnen hergestellte Produkt 4.000 Kilometer entfernt besser und billiger hergestellt werden kann.
Aber wenn sie nicht gerade selbst auf diese Art von der Globalisierung gebissen werden, treiben sie die Globalisierung weiter an, indem sie fleißig billige Produkte aus anderen Teilen der Welt kaufen, die sie sich sonst gar nicht leisten könnten.
50 Millionen Trumpster bejubeln die Attacken ihres cult-leaders auf China und gehen anschließend zu Wal Mart, um sich an dem fast vollständig aus China stammenden Produkten zu erfreuen.

So wie es in Deutschland den Multikulti-Bundesländern mit hohem Migrantenanteil ökonomisch viel besser geht – man vergleiche Hamburg und Sachsen – wählen gerade die Bürger, die kaum etwas anderes als weiße Deutsche um sich herum sehen lieber xenophobe Parteien.
Die AfD wurde bei der Bundestagswahl stärkste Partei in Sachsen und fuhr in Hamburg ihr schwächstes Ergebnis ein.

Typischerweise sind die Staaten mit homogener Bevölkerung, die weniger ökonomische, touristische und kulturelle Kontakte mit dem Rest der Welt haben, in jeder Hinsicht ärmer; oft sogar direkt abhängig von Zahlungen aus dem Ausland oder anderen Regionen.
Die östlichen Bundesländer mit sehr niedrigem Migrantenanteil und sehr hohem AfD-Potential sind gleichzeitig die Nehmerländer aus dem Bundesfinanzausgleich.
Das gleiche Bild in den USA: Die ärmsten Bundesstaaten sind allesamt republikanisch und begeistern sich am meisten für Trumps Mauern und Abschottungspolitik, während die mit Abstand reichsten Bundestaaten wie Kalifornien und New York ethnische und kulturelle Schmelztiegel sind, die demokratisch regiert werden.

Der Impuls auf Abschottung zu setzen, wenn man in ökonomische Schwierigkeiten gerät ist also nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch noch dumm und kontraproduktiv.

Die nationalistisch gesinnten Regierungen zeigen gerade mustergültig ihre Schwierigkeiten.
Nachdem Trump so ziemlich jede internationale Kooperation aufkündigte, Dutzende Verträge brach, Zölle verhängte und gegen Migranten hetzt, geht es bergab. Zuletzt stieg er aus der WHO aus und sorgte dadurch für einen großen Machtgewinn Chinas und torpedierte die internationale Zusammenarbeit bei der Pandemie-Prophylaxe.


Ähnlich verblödet verhielten sich die Briten. Die Regionen des Landes, die am stärksten von Zahlungen aus den EU-Strukturfonds und von europäischen Agrarhilfen profitierten, stimmten für den Brexit; das multikulturelle und wirtschaftlich starke London dagegen.
Genauso war das Wahlverhalten bei den Parlamentswahlen, das den Nationalisten Johnson als Premier bestätigte. Ein Regierungschef, der schon aus Prinzip auf Erkenntnisse anderer europäischer Länder bei der Corona-Bekämpfung verzichtete, seinen nationalen Weg der Herdenimmunität ging und nun ein Vielfaches der Toten aufzuweisen hat.


 Eine der nationalistischsten Regierung Europas sitzt in Warschau; dort wird seit Jahren geradezu mit Schaum vorm Mund gegen Brüssel gehetzt, während man ähnlich wie Budapest besonders viele Zahlungen aus der verhassten EU erhält.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der als Marionette des polnischen PiS-Paten und stellvertretenden Sejmmarschalls Jarosław Kaczyński handelt, setzt auf besonders strenge Abschottung in Coronazeiten.
Was unter Seuchenschutzgesichtspunkten sinnvoll erscheinen mag, passt so schön in sein Weltbild. Polen den Polen.

Dabei ist gerade der erstaunliche ökonomische Erfolg Polens gar nicht denkbar ohne die Hilfen aus Brüssel und die offenen Grenzen, die es den vielen fleißigen und findigen polnischen Unternehmern erlauben ihre Produkte und vor allem Dienstleistungen äußerst erfolgreich im westlichen Ausland einzusetzen.

[….]  Jahrelang ging es mit Polens Wirtschaft bergauf. Dann kam Corona und die Grenzen waren plötzlich zu. Seitdem wissen viele Unternehmer nicht mehr weiter. Die sozialen Folgen sind dramatisch. [….] 
Bereits im April fielen in Polen bereits 153 000 Jobs weg, der stärkste Einbruch seit zwei Jahrzehnten. Bis Jahresende könnten Hunderttausende weitere Polen ihren Job verlieren. Ökonomen befürchten, dass die Arbeitslosenrate von zuvor fünf bis Ende 2020 auf bis zu fünfzehn Prozent explodieren könnte.
Polen verdankte den ungebrochenen Aufschwung der letzten Jahrzehnte vor allem seiner Rolle als Werkbank für deutsche, französische oder englische Firmen. Fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung entfällt auf den Export, mehr als zwei Drittel der Ausfuhren auf Unternehmen mit ausländischem Kapital. Über 5000 deutsche Firmen beschäftigten der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer zufolge bis zur Krise 391 000 Polen. [….]  Volkswagen etwa gehört mit Werken in Posen zu den großen Arbeitgebern. Wie viele der fast 11 000 Jobs dort und bei etlichen Autozulieferern bestehen bleiben, weiß niemand. Ähnlich unsicher ist die Lage für Zehntausende Polen in den vor allem für ausländische Märkte arbeitenden Holz- und Möbelfabriken. [….]  Gut die Hälfte der polnischen Wirtschaft entfällt auf Dienstleister, die von der Krise ebenfalls stark betroffen sind. [….]  Hunderttausende Polen mussten seit Mitte März auf ihren Verdienst in Deutschland, England oder Tschechien verzichten und konnten kein Geld mehr in die Heimat schicken. [….]