Samstag, 11. Mai 2024

Unreifes Einwanderungsland

Omid Nouripour wurde 1975 in Teheran in eine wohlhabende Intellektuellen-Familie geboren. Beide Eltern Nouripours sind Luftfahrtingenieure, die Mutter ist außerdem Biologin, der Vater Volkswirt. Mit dem 13-Jährigen Sohn 1988 nach Hessen auszuwandern, war notwendig, da er ein Jahr später wegen des anstehenden Wehrdienstes nicht mehr den Iran verlassen konnte. Omids Onkel war da bereits vom Iranischen Regime hingerichtet worden und seiner Schwester wurde das Studium verweigert.  Schon im Iran hatte der kleine Omid Deutsch gelernt und die Familie besaß eine Ferienwohnung in Frankfurt.

Der intellektuelle Exodus des Irans in Folge der Mullah-Machtübernahme und des Iranisch-Irakischen Golfkrieges (1980-1988) war für die betroffenen Menschen eine Tragödie und für die Islamische Republik eine ökonomische Katastrophe.

Des einen Leid, des anderen Freud: Die muslimischen Einwanderer, die in den 1980ern aus dem früheren Persien nach Deutschland kamen, sind Muster-Migranten, wie man sie sich nicht schöner backen könnte. Fast alles Intellektuelle, die als Ärzte, Architekten und Wissenschaftler, das Land kulturell und ökonomisch bereichern. Iranische Kriminalität in Deutschland ist quasi unbekannt; logisch, denn Kriminalität korreliert nicht mit Ethnie oder Religion, sondern mit Bildung und sozialem Status.

Das Statistische Bundesamt zählt gut „300.000 Menschen mit iranischen Migrationshintergrund im engeren Sinne“ in Deutschland.

Da ist es naheliegend, wenn sich einige von ihnen auch in der deutschen Spitzenpolitik wiederfinden. Nouripour ist seit 2022 Bundesvorsitzender der Grünen, Bijan Djir-Sarai, 1976 in Teheran in eine Akademiker-Familie geboren, amtiert als FDP-Generalsekretär. Niema Movassat, der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken, wurde 1984 in Wuppertal geboren; auch seine Eltern sind beide Akademiker aus dem Iran. Die Sozialwissenschaftlerin Bahar Haghanipour, geboren 1984 in Teheran, amtiert für Bündnis 90/Die Grünen als Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die heutige Vorsitzende des mächtigen Deutschen Gewerkschaftsbundes Yasmin Fahimi, wurde 1967 in Hannover als Tochter eines Iranischen Chemikers geboren, schloß selbst ebenfalls ein Chemiestudium ab, war SPD-Generalsekretärin und Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Nargess Eskandari-Grünberg wurde 1965 in Teheran geboren, flüchtete 1985, wie die Nouripours nach Hessen. Sie wurde in Psychologie promoviert, leitet ihre eigene Psychotherapeutische Praxis, sowie ehrenamtlich eine Beratungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes und amtiert seit 2021 für Bündnis 90/Die Grünen als Bürgermeisterin (Erste Beigeordnete) der Stadt Frankfurt am Main.

Gern zitiere ich in diesem Blog auch die taz-, ARD- und Spiegel-Autorin Gilda Sahebi, die ebenfalls 1984 im Iran als Tochter intellektueller Regimegegner geboren wurde und im Alter von drei Jahren nach Deutschland in Sicherheit gebracht wurde. Auch sie ist eine intellektuelle Überfliegerin, schloß zwei Studiengänge,  Humanmedizin und Politikwissenschaft, erfolgreich ab und ließ sich obendrein zur Journalistin ausbilden.

[…]  Sie hatten ihm Augen und Hände verbunden. Orientierungslos und verängstigt lief mein Onkel im Zelt umher, das die Revolutionsgarde im Gefängnishof aufgestellt hatte. Er war 14 Jahre alt. Seit Monaten war er eingesperrt. Islamische Fundamentalisten hatten Iran nach der Revolution 1979 fest in der Hand und mein Onkel wurde verhaftet, weil er im Frühjahr 1981 Flugblätter einer kommunistischen Jugendgruppe verteilt hatte.  Die Revolutionswächter ließen meinen Onkel so lange blind im Zelt umherirren, bis er gegen einen Samowar mit heißem Wasser stieß und sich den Körper verbrühte. Mein Großvater, den sie auch gefangen genommen hatten, hörte seinen Sohn nach ihm schreien. Er musste hilflos warten, bis seine Schreie verstummten. 

Heute habe ich mit meinem Vater telefoniert. Aufgeregt sagte er mir, er höre Stimmen aus Iran, dass das Ende des Regimes nah sei. Seit fast einer Woche dauern die Proteste dort jetzt schon an. Mein Leben und das meiner ganzen Familie sind von dem Regime bestimmt worden, gegen das gerade demonstriert wird. Ich müsste mich also freuen, dass die Menschen gegen diese Diktatur auf die Straße gehen. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich denken soll.

Als ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal davon las, war ich erst einmal nicht überrascht: Protestieren, das können die Iraner. Sogar mein Vater, der heute Tramübergängen aus dem Weg geht, weil er Angst vor der Kollision mit einer fehlgeleiteten Straßenbahn hat, hat sich 1979 für ein demokratisches Iran in den Kugelhagel gestellt. Und Grund zum Demonstrieren haben die Iraner auch heute noch. Weil Eier inzwischen praktisch zum Luxusgut geworden sind, kursiert der zynische Satz, dass ein iranisches Huhn zur Zeit mehr Wert erzeugt als ein iranischer Mensch. Lebensmittel werden immer teurer, in Apotheken sind die einfachsten Medikamente nicht zu haben. Jeder ist betroffen, je ärmer, desto schwerer. Zensur, Repression, Unfreiheit überall. 

Ich bin 33 Jahre alt und kann seit zwanzig Jahren nicht nach Iran zurückkehren. Mein Vater ist politisch verfolgt und könnte nicht mal den kleinen Zeh über die iranische Grenze setzen, ohne sofort eingebuchtet zu werden. Als ich ein Jahr alt war, musste er Hals über Kopf aus Iran fliehen, meine Mutter und mich ließ das Regime erst ausreisen, als ich drei war. Meinem Onkel haben die Mullahs die Kindheit gestohlen. Wer als Dreizehnjähriger ein Jahr lang in ein Diktatoren-Gefängnis geht, kommt nicht als normaler Vierzehnjähriger wieder heraus. Meine Familie in Iran wurde auseinandergerissen. Und mit ihr unzählige andere iranische Familien.  […]

(Gilda Sahebi 2018)

Katajun Amirpur, 1971, als Tochter des damaligen iranischen Kulturattachés in Köln geboren, kennt man als SZ-Autorin und bedeutende Professorin der Islamwissenschaft, die mehrere Lehrstühle an deutschen Universitäten innehat. Sie war verheiratet mit dem deutsch-iranischen Schriftsteller und Journalisten Navid Kermani, der 1967 in Siegen geboren, nicht nur habilitierter Orientalist ist, sondern auch 2015 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Die Leiterin des Weltspiegels, Isabel Schayani, wurde 1967 in Essen geboren und ist studierte Orientalistin. Golineh Atai, gegenwärtig Leiterin des ZDF-Studios in Kairo, wurde 1974 in Teheran geboren. Ihre Familie flüchtete 1979 wegen der Machtergreifung Khomeinis aus dem Iran. Sie machte an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg drei Magister-Abschlüsse in den Fächern Romanistik, Politologie sowie Iranistik.

Deutsch-Iraner bereichern Deutschland nicht nur akademisch, sondern auch als Unternehmensgründer.

[….] Sohrab Mohammad ist einer von vielen Unternehmern in Deutschland mit ausländischen Wurzeln. Mittlerweile gilt das für etwa jeden sechsten Gründer, ergab eine kürzlich veröffentlichte Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (ifm) und der Universität Mannheim. Gerade in der Start-up-Szene fallen immer wieder iranische Namen auf – so wie der von Sohrab Mohammad.  […..]

(Heike Bensch 2017)

Die sogenannte „Mehrheitsgesellschaft“, welche die CDU so gern als „Leitkultur“ darstellt, hat allen Grund den Deutsch-Iranern zu danken. Man sollte ihnen einen eigenen Feiertag widmen. Sie sind die „Kronjuwelen der Integration“.

Aber Leitkultur ist ein reiner Ausgrenzungsbegriff, dessen positiven Inhalte niemand in der CDU definieren kann.

Aber ich kann „Leitkultur“ definieren: Es ist die den Deutschen eigene bornierte Doofheit, die sie so bräsig werden ließ, daß sie intellektuell und technologisch den Anschluss an die Weltspitze verloren.

Leitkultur ist, wenn sich der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripous anhören muss „Du Scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!“

[….] Man könnte einen launigen Leseabend veranstalten mit den Zuschriften, so strotzen manche vor Irrsinn. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour solle sich "erst mal über fünf Generationen" in unsere "germanisch-keltische Mehrheitsgesellschaft" assimilieren, "dann dürfen Sie mal nachfragen", schreibt einer, der sich "Dr. Rückl" nennt und betont: Er sei "Kerndeutscher". Bei der SPD-Vizevorsitzenden Aydan Özoguz seufzt einer: "Ach, die Moslems sind unverschämt." Und wettert weiter: "Wenn Ihnen das Vorgehen des Innenministers nicht passt, dann verlassen Sie doch unser Land!" Und Serkan Tören von der FDP durfte zur Straffreiheit von Beschneidungen lesen: "Ich nehme stark an, Sie haben sich inzwischen Ihren Schwanz abschneiden lassen und dazu beigetragen, dass sich Ihre Sippe nicht weiter vermehren kann."

Eigentlich ist das Kabarett. Wenn nicht so eine Wut dahinterstecken würde. Und wenn da nicht diese Drohungen wären: Wir wissen, wo Du wohnst, Du solltest auf Deine Gesundheit achten. Solche Sätze. Und es ist nicht unbedingt lustig, wenn auf der Internetseite der Abgeordneten und Mutter Özoguz jemand nach dem Stichwort "Kind" sucht. "Da war ich doch alarmiert", sagt Özoguz. [….] Im Netz konzentriert man sich gerne darauf, dass Özoguz Deutsch-Türkin und gläubige Muslimin ist. "Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag", mailt einer. "Unser Trost ist, dass genügend Lampen in den Straßen stehen, an denen wir euch aufknüpfen werden", ein anderer. [….]  Bei Omid Nouripour [….] laufen solche Wellen auf, Dutzende, Hunderte Mails, je nach Anlass. [….] Er darf sich von allen Seiten beleidigen lassen. Von rechts fasst man eine schlichte Botschaft in immer neue Variationen: Ein "Ausländer" darf hier nicht mitreden, er soll gehen, "zurück ins Ali Land".

Am heftigsten reagiert die Klientel, wenn sich Nouripour der deutschen Geschichte annimmt. Wenn er fordert, Kasernen nicht nach dem Wehrmachts-Helden Erwin Rommel zu benennen, "geht die Post ab". Humor hilft, sagt Nouripour, der Deutsch-Iraner hat eine Lieblingsbeschimpfung, die eines Ahnungslosen: "Du scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!" [….] Auch das zählt zum Migranten-Dasein im Bundestag. [….]

(Roland Preuß, 29.06.2013)