Donnerstag, 30. Oktober 2014

Danke Helmut Schmidt


Beerdigungen können würdig ablaufen, sind aber übelicherweise nicht gerade angenehm, wenn man emotional beteiligt ist.
Ich habe diese Erfahrung früh gemacht.

Die meisten Jungs haben in der Grundschule einen besten Freund.
Meiner hieß Mark und a posteriori bin ich der Meinung, daß wir uns wirklich sehr gern mochten.
Ich jedenfalls wollte immer möglichst viel Zeit mit ihm verbringen.
Obwohl, oder vermutlich eher „weil“ wir so unterschiedlich waren, ergänzten wir uns perfekt.
Ich war 1 ½ Jahre jünger, aber besser in der Schule und der kontemplative Typ.
Er war mehr der klassische „Rabauke“, der sich immer selbstlos vor mich stellte, wenn irgendjemand gemein zu mir war.
Marks Elternhaus war…. nun ja, das würde zu persönlich werden.
De facto wohnte Mark teilweise bei mir.
Kurzfristig verloren wir uns etwas aus den Augen, nachdem ich mit neun Jahren die Schule wechselte.
Es würde mich brennend interessieren, was aus ihm geworden wäre - wenn er nicht mit 14 bei einem Verkehrsunfall gestorben wäre.

Am Tag der Beerdigung hatte ich meine erste prägende Erfahrung mit der Kirche.
Von der Bibel hatte ich schon im Konfirmandenunterricht gehört, aber den Kurs hatte ich bereits abgebrochen - trotz der Drohung des Pfarrers dann keine Geschenke zu bekommen.
Da meine Eltern aber beide schon lange aus der Kirche ausgetreten waren, schreckte mich das wenig.
Mark hingegen wollte sich unbedingt konfirmieren lassen - WEGEN der Geschenke. Ob er an Gott geglaubt hat, weiß ich nicht. Die Beerdigung war jedenfalls kirchlich.

Man setzte mich neben Marks Mutter, die nicht gerade überraschend die ganze Zeit heulte und immer wieder stammelte, daß ihr Sohn genauso groß wie ich wäre.
Dem Pfarrer, der bei seiner Rede soeben Marks tiefe Gläubigkeit anhand des Konfirmationsspruchs „bewiesen“ hatte, missfiel es außerordentlich gestört zu werden.
Daher herrschte er die weinende Mutter während der Trauerrede an, sie solle sich gefälligst zusammenreißen - schließlich bewiese der frühe Tod ihres Sohnes, daß Gott ihn besonders geliebt habe.

„Whom the gods love, die young“ - das ist ja das was man in der Situation am liebsten hört.

Das ist lange her und nach einigen weiteren miesen Beerdigungen, glaube ich zu wissen wie man es besser macht.
Ich habe auch schon Beerdigungen als nächster Angehöriger geplant und durchgeführt und wage zu behaupten, daß ich in dieser Disziplin weit besser bin.
Einer der Tricks ist mit den engen Angehörigen und Freunden zu Lebzeiten das Thema zu besprechen, so daß man als „Hinterbliebener“ genau weiß, was der Tote gern gehabt hätte.
Noch besser ist natürlich seine Beerdigung selbst zu planen.
Meine eigene Beerdigung ist seit fast 20 Jahren detailliert festgelegt. Ich habe einen Vertrag mit einem Institut abgeschlossen und trage stets eine Kontaktkarte bei mir.
Wenn mir also morgen auf der Straße ein Ziegelstein auf die Birne fällt, muß wer immer mich findet, nur diese Nummer anrufen und alles läuft von selbst, ohne daß ein Verwandter noch Entscheidungen treffen müßte.
Man kann die Aktion auch ohne Brimborium und Peinlichkeiten durchführen.

Unpraktisch ist natürlich, wenn der unter die Erde zu Bringende anders als ich eine Berühmtheit ist.
Dann müssen möglicherweise Fans und Presse berücksichtigt werden.
Dennoch könnte sich eine berühmte Sängerin oder ein großer Sportler dem Rummel entziehen.
Ich kann keine Notwendigkeit erkennen einen Robert Enke unter Beteiligung Zehntausender in einem Stadion aufzubahren. Widerlich taktlos.

Ganz schwierig wird es bei toten Staatsmännern oder Ehrenbürgern. Dann gibt es tatsächlich eine Pflicht des Staates oder der Nation eine entsprechende Würdigung durchzuführen.
Wer allerdings eine Ehrenbürgerschaft annimmt oder als Regierungschef fungiert, akzeptiert damit auch ein solches Ende.
Manch einem gefällt es. Maggie Thatcher soll mehrere Jahre ihre eigene Beerdigung geplant haben und war peinlich darauf bedacht den Aufwand, der um die 1997 in Paris zerschellte Prinzessin betrieben wurde, noch deutlich zu übertreffen.

Hamburger Ehrenbürger werden traditionell im „Michel“ verabschiedet. Obwohl wir eine sehr säkulare Stadt sind, in der Gläubige eine Minderheit stellen, ist die imposante Hauptkirche St. Michaelis das Wahrzeichen Hamburgs. „Der Michel“ prangt auch auf der 2-Euro-Münze Hamburgs.

Ich selbst war Zaungast als am 25.11.2002 im Michel der Staatsakt zum Tode des Hamburger Ehrenbürgers Rudolf Augstein stattfand.
Helmut Schmidt, sowie der amtierende Bundeskanzler Schröder und der amtierende Bundespräsident Rau fuhren in einem Kleinbus vor, während Augstein-Tochter Franziska ebenfalls unprätentiös zusammen mit Heribert Prantl im Taxi vorfuhr.
Sie war es auch, die nach der unbeholfenen Rede des amtierenden Bürgermeisters von Beust die in Erinnerung bleibenden Worte "Den toten Löwen ziehen auch die Hasen an der Mähne" sprach. Spätestens seit diesem Auftritt verehre ich Franziska Augstein.

Auch am 24.03.2002 sah ich am Michel vorbei, als die große Hamburger Ehrenbürgerin Marion Gräfin Dönhoff mit einem Staatsakt verabschiedet wurde.
Diesmal war Raus Rede gut, aber es war Helmut Schmidt, der brillierte, als er seine enge Freundin würdigte.

Der Michel kann einen würdigen Rahmen bieten.
Unpraktisch ist nur, daß es sich dabei immer noch um eine Kirche handelt.
Bei Trauerfeiern meldet sich daher gerne ein Bischof zu Wort und den allgegenwärtigen Michel-Pastor kann man ohnehin nicht vermeiden.
Dazu muß man wissen, daß der „Michel-Pastor“ in der Hamburger Society so etwas wie der heimliche Bischof des Nordens ist.
Einen prächtigeren Job gibt es nicht für Evangelen in Hamburg.
Es gab in den letzten hundert Jahren nur sieben Hauptpastoren von St. Michaelis.

August Wilhelm Hunzinger 1912–1920
Simon Schöffel 1922–1954
Hans-Heinrich Harms 1960–1967
Hans-Jürgen Quest 1967–1987
Helge Adolphsen 1987–2005
Alexander Röder seit 2005

Dagegen sind selbst Pontifikate kurzlebig. Niemand gibt den Job freiwillig ab.
Insbesondere Helge Adolphsen war in einem Maße promigeil, daß er öfter in den Boulevardblättern auftauchte als heutzutage Judith Rakers – und die drängelt sich bekanntlich vor jede Kamera und geht zu jeder noch so abstrusen Veranstaltung, wenn für sie in Bild in Abla, Mopo oder BILD rausspringt.
Adolphsen war diesbezüglich extrem unhanseatisch. Man sagte ihm nach, daß er sogar an roten Ampeln sofort anfing zu grinsen, weil er das Rotlicht für eine Fernsehkamera hielt. Es ist kaum möglich ein Bild von ihm zu ergooglen, auf dem er nicht manisch breit grinst und sich in die Bildmitte gedrängelt hat.


Die Wege der Hamburger Hauptpastoren in die Politik sind kurz; 2005 wurde der Hauptpastor Lutz Mohaupt von St. Jacobi Senatssprecher des CDU-Oberbürgermeisters Ole von Beust.

Diese Selbstbegeisterung des Hauptpastors korrelierte ganz wunderbar mit der grotesken Maximalhalskrause, die Pfaffen in Hamburg tragen.
Sie wirken damit immer wie eine umgekehrte Klobürste und sind schon deswegen so schlecht ernst zu nehmen.

Bischöfin Fehrs



Adolphson durfte gefühlte 10.000 mal seine Ansichten in Kolumnen des Hamburger Abendblattes ausbreiten und obwohl ich wirklich extrem abgehärtet gegen religiotischen Blödsinn bin, haute der Ober-Michelaner mich mit seiner fast an Käßmann heranreichenden Dummheit immer wieder um.

Den gegenwärtigen Amtsinhaber Alexander Röder kenne ich noch aus der Schule; wir haben beide in demselben Gymnasium Abitur gemacht.
Offensichtlich muß das für die Religiosität nichts bedeuten, obwohl auch das Institut für Evangelische Theologie der Hamburger Uni direkt an die Labore grenzte, in denen ich jahrelang studierte, haben wir offensichtlich etwas unterschiedliche Ansichten zur Religion entwickelt.
Röder ist für mein Gefühl nicht ganz so mediengeil wie sein Vorgänger und ich lese auch deutlich weniger über ihn – was ich für ein gutes Zeichen halte.

Aber bei den vermaledeiten Staatsbegräbnissen nutzt er natürlich die Gelegenheit sich in Szene zu setzen.

Als 2010 die von mir adorierte Hamburger Ehrenbürgerin Loki Schmidt im Michel mit einem Staatsakt geehrt wurde, war es wieder so weit.

Die Honoratioren kamen…

Unter den rund 2200 Trauergästen im Michel sind Kanzlerin Angela Merkel (kam mit dem Hubschrauber eingeflogen), die Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler mit ihren Gattinnen. Neben zahlreichen weiteren Politikern sind auch Prominente aus Wirtschaft, Kultur und Sport gekommen. Darunter Schriftsteller Siegfried Lenz und Hamburgs Fußball-Idol Uwe Seeler.
(BZ 01.11.2010)

…und mit ihnen Alexander Röder, der sich mit Banalitäten über die Atheistin Loki Schmidt blamierte.

Den kirchlichen Teil der Trauerfeier übernehmen Hauptpastor Alexander Röder und Landesbischof i. R. Professor Eduard Lohse. Er sagt über Loki Schmidt: „Bis zuletzt hat sie viel Gutes bewirken können, mit Warmherzigkeit vielen Menschen geholfen und große Anerkennung und Verehrung erfahren.“
(BZ 01.11.2010)

Scheinbar ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß viel Unsinn und Banales gesprochen wird. Bei Loki Schmidt kam erschwerend hinzu, daß ihr Tod unglücklicherweise in die Miniamtszeit des vollkommen überforderten feisten Heidelbergers Christoph Ahlhaus fiel.
Was muß das für eine entsetzliche Qual für den armen Helmut Schmidt gewesen sein, den pyknischen CDU-Raffke zum Tod seiner Ehefrau anzuhören?
Scheinbar ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß es aber auch immer einen gibt, der die richtigen Worte findet.
In diesem Fall war es Lokis Freund Henning Voscherau, der es anders als sein Nachnachnachfolger Ahlhaus vermochte genau das Richtige zu sagen.

 Es gibt sehr wenig Hamburger Ehrenbürger.

Zu ihnen gehörten Max Brauer Ida Ehre, Gerd Bucerius, Herbert Wehner, Rudolf Augstein, Marion Gräfin Dönhoff und Siegfried Lenz.
Es leben gegenwärtig nur sechs von ihnen; darunter Prof. John Neumeier und Michael Otto.

Da ist es schon außerordentlich bemerkenswert, daß nicht nur die Ehrenbürger Helmut Schmidt und Marion Dönhoff eng befreundet waren und Jahrzehnte zusammen arbeiteten, sondern daß sogar DREI Ehrenbürger, nämlich Helmut Schmidt, Loki Schmidt und Siegfried Lenz zusammen mit Lilo Lenz über ein halbes Jahrhundert eine intensive Freundschaft pflegten.

Daß Lenz am 07.10.2014 starb dürfte ein katastrophaler Schlag für Helmut Schmidt gewesen sein, der mit ihm seinen letzten guten Freund verlor.
Zur Person Lenz muß ich an dieser Stelle nichts sagen.
Es erschienen hunderte Nachrufe, die ihn in den höchsten Tönen lobten.
Ich schließe mich dem an. Lenz war 2001 hochverdient zum Ehrenbürger erhoben worden und ich kann mich den Lobeshymnen nur anschließen. Ein großartiger Mann.

Weniger schön ist es natürlich, wenn ein atheistischer Sozialdemokrat wie Lenz am 28.10.2014 beim Staatsakt im Michel von Hauptpastor Röder für das Christentum vereinnahmt wird.

Und da bin ich wieder bei meinem Schulfreund Mark:
Pfaffen haben keinerlei Schamgefühl und nutzen das Leid anderer in dreister Weise aus, um für ihre Agenda zu werben.
Röder blamierte sich bei Lenz auf ganzer Linie.

Siegfried Lenz waren viele Talente anvertraut, und er hätte sie noch länger nutzen können. Manches hätte er gern noch weiter durchdacht, bearbeitet und aufgeschrieben. Doch es sollte genug sein für dieses große und lange Leben. Ein großes Leben?
Als wir, liebe Frau Lenz, über einen passenden Psalm für diese Trauerfeier sprachen, zögerten Sie, als ich jenen vorschlug, in dem der Beter zu Gott sagt: "Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin." So hätte er nicht von sich gesprochen. Siegfried Lenz war bescheiden, wenn es um seine Person ging, und darin wohl liegt der Ursprung seiner Größe als Mensch und als Schriftsteller, dass er alles, was ihm an Talenten gegeben war, nutzte und pflegte, um es mit anderen zu teilen. Ein reich beschenkter Mensch, der seinerseits durch die vielen Jahrzehnte seines literarischen Schaffens Generationen beschenkt, zum Nachdenken und zum Suchen angeregt, gerührt und zum Schmunzeln gebracht hat.
[….]  es beglückte ihn, wenn ein Mensch in seinen Werken etwas finden konnte, worin er sich entdeckte, das zu ihm passte, das einen Weg öffnete und das Denken weiterführte. Fünf Zentner oder Talente Silber wurden dem Knecht in der Erzählung aus dem Matthäusevangelium anvertraut. Das war eine unvorstellbar große Summe, mit der der Knecht im guten Sinne "gewuchert" hat, um noch viel mehr daraus zu machen - doch nicht für sich. Als sein Herr nach langer Zeit zurückkehrt, empfängt der Knecht weit mehr als nur ein Lob. Ihm wird ein Weg gewiesen: "Geh hinein in deines Herrn Freude." Dürfen wir diese biblische Erzählung einfach übertragen?
Siegfried Lenz hat viele Talente geschenkt bekommen und hat sie in vielfacher Weise genutzt […] und - ja, ich wage dieses Wort - als ein Hirte, der Weg- und Lebensweisungen gab, ohne stolz voranzugehen und seine Herde gar nicht im Blick zu haben, sondern hinter ihr zu bleiben in aller Bescheidenheit, aber mit größter Wachsamkeit. […] Siegfried Lenz lebt in seinen Werken weiter. Der christliche Glaube sieht noch weiter und glaubt und verkündet ein Leben in der Ewigkeit Gottes hinter der Grenze des Todes. Aus diesem Glauben heraus wächst die Gewissheit, dass Siegfried Lenz das Wort dessen gehört hat, der ihm in diesem Leben so viel anvertraut hatte, dass er Jesus Christus gehört hat, der zu ihm sagt: "Geh hinein in deines Herrn Freude." In solchem Glauben möge Ihre Trauer gewandelt und das Andenken an Siegfried Lenz zum Staunen und der Freude geführt werden, dass er so reich beschenkt war und so reich hat schenken können. Amen.

Die Frechheit Röders sogar trotz des Widerwillens der Witwe Psalmen zu verwenden, nach denen Gott für das Lenzsche Talent verantwortlich war, muß man erst einmal haben.
Wer Lenz‘ Bücher auch nur ein bißchen kennt, dem biegen sich bei der Predigt die Fußnägel hoch.
Scheinbar ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß es aber auch immer einen gibt, der die richtigen Worte findet.
Vorgestern war es wieder Helmut Schmidt, der seinen toten Freund tapfer gegen den Pfaff verteidigte.

Es war aber ebenfalls Helmut Schmidt, der sich einer wohlüberlegten Spitze gegen das christliche Zeremoniell in Hamburgs schöner Hauptkirche nicht enthalten konnte. Michel-Pastor Alexander Röder hatte einleitend von "wir Christen" gesprochen und eine nicht ganz passende Bibelstelle zum Zentrum seiner Rede gemacht: ein Gleichnis über fünf Zentner Silber, deren selbstlose Vermehrung durch uns "Knechte" mit der freudigen Einkehr beim Herrn belohnt werde.
Dieser Eingemeindung von Lenz ins Christliche musste Schmidt im Geiste der Aufrichtigkeit, die er als Kern ihrer Freundschaft beschrieb, widersprechen: Er und "Siggi", wie er Lenz konsequent nannte, seien sich immer darüber im Klaren gewesen, dass sie "keinen metaphysischen Trost erhoffen dürfen, der uns über die Vergänglichkeit hinweghelfen könne".
Keine andere Rede reichte an diese Mischung aus tiefer Betroffenheit und Reserve gegen falsche Trostworte heran. […]

Sehr erfreulich, wenn ein Mann in einer Kirche das Wort ergreift und den Pastor verbal auskontert.