Montag, 17. November 2025

Jetzt geht DAS wieder los.

In meiner Kindheit hatten wir Bundeskanzler, mit denen meine Familie richtig zufrieden war. Sie parlierten wunderbares Englisch, wurden in der Welt respektiert, geschätzt, mit Ehren überhäuft (Friedensnobelpreis) und man konnte sich auf eins verlassen: Sie machten immer bella figura.

Und dann ab 1982 das Pfälzer Grauen. Dieser überdimensionierte Klops, der immer grinste, kein Wort englisch sprach, in schlimmen Sandalen und Strickjacken auftrat, über keinerlei intellektuellen Hintergrund verfügte, mit Kunst und Kultur nichts am Hut hatte und diese hochnotpeinliche Fettnapf-Affinität auslebte.

Egal, ob er Staatsgäste in Deutschland empfing, oder selbst auf Reisen ging: Stets tat er irgendetwas so Unangemessenes, daß man sich entsetzt mitschämte.

In Indien erkannte er seine Gesprächspartner nicht und fragte die Dolmetscher immer „wer ist das denn?“, die arme Thatcher trieb er bei endlosen Saumagen-Fressgelagen zur Verzweiflung und, mein absolutes Highlight: Kohl in Japan, als er den greisen, als Gott verehrten Tenno Hirohito traf und jedes Tabu verletzend zu ihm stapfte und jovial seine Prankte auf dessen Schulter legte, so daß ganz Japan vor Entsetzen über den Frevel erstarrte.

[….] Helmut Kohl, Freund großer Versöhnungsgesten, hat schon vor seiner Polen-Reise die Gastgeber verärgert. Er wählte wieder einmal - wie im Eifelstädtchen Bitburg beim Besuch von US-Präsident Reagan - den falschen Ort zur falschen Zeit. [….] Er kann es nicht.« Heiner Geißlers bündiges Urteil über Kanzler Kohl hat sich einmal mehr bestätigt. Noch ehe der CDU-Regierungschef in dieser Woche nach Polen aufbricht, ist der Erfolg der Reise vertan.

Der Kniefall des SPD-Kanzlers Willy Brandt im früheren Warschauer Getto war von den Polen als Sühnegeste angenommen und von den Deutschen gebilligt worden, auch wenn die Empörung unter Reaktionären groß war.

Der Einfall von Helmut Kohl, ausgerechnet den Annaberg, für die Polen Symbol des Behauptungswillens gegen die Deutschen, mit einem Abstecher zu beehren, hat antideutsche Ressentiments im Gastland aufwallen lassen.

Auch wenn Kohl beteuerte, es sei ihm um eine »Demonstration nach vorn« gegangen - bei den Polen mußte, solange ein klares Kohl-Wort zum Verzicht auf die ehemals deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße ausbleibt, der Annaberg-Besuch den Argwohn nähren, der deutsche Kanzler wolle dort Flagge zeigen.

Kohls Umfall bringt nun die Rechten zu Hause auf. Der Kanzler weicht vom oberschlesischen Annaberg auf das niederschlesische Gut Kreisau aus, auf dem sich von 1938 an Hitler-Gegner und Widerstandskämpfer getroffen hatten, der sogenannte Kreisauer Kreis. »Jetzt sagt der deutsche Mensch«, beklagte ein enger Kohl-Mitarbeiter das Ungeschick seines Chefs, »da bringen wir die Milliarden, und dann darf der Kanzler nicht auf den Annaberg.«

Den Verdacht, daß die Polen nur am Geld der Deutschen, nicht aber an Versöhnung interessiert seien, verstärkte Kohls Polen-Unterhändler Horst Teltschik noch, als er öffentlich jammerte: »Die Kontroverse zeigt eigentlich, wie weit weg wir noch von der Aussöhnung zwischen unseren beiden Völkern sind.«

Seit Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation 1985 für eine Nachkriegsgeneration das Geschichtsbild prägte, versucht Kohl unablässig seine Korrekturen anzubringen - für die Vorgestrigen. Das Ergebnis: Peinlichkeiten, Pannen und politische Verwicklungen, wann immer sich der Historiker Helmut Kohl anschickt, deutsche Geschichte zu bewältigen.

Das stimmungsvolle Bild in der Kathedrale von Reims vor Augen, wo Konrad Adenauer und Charles de Gaulle das Kapitel deutsch-französischer Feindschaft abschlossen, greift der Enkel gierig nach jeder Gelegenheit, nun auch seinerseits Versöhnungen zu inszenieren.

In Israel glaubte Kohl, er könne als Kanzler der Unbelasteten zur politischen Normalität übergehen. Aber sein Wort von der »Gnade der späten Geburt« gilt seither als Synonym für den gescheiterten Versuch einer Flucht vor der Vergangenheit.

In Bitburg wollte Kohl über Gräbern Hand in Hand mit US-Präsident Ronald Reagan die Freundschaft der einstigen Kriegsgegner besiegeln - auf einem Friedhof, wo auch Soldaten der Waffen-SS begraben sind. Kohl brachte Freund Reagan in die größten innenpolitischen Schwierigkeiten.

Den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow beleidigte der Kanzler durch einen Vergleich mit dem NS-Propagandisten Goebbels.

Nun ist geschichtslose Tolpatschigkeit mit einem neuen Namen verbunden: Annaberg. Was als große Geste angelegt war, endete in großer Verlegenheit - für Gastgeber und Gast. [….]

(DER SPIEGEL, 05.11.1989)

Was haben wir gelitten!

Umso extremer war der Unterschied zur folgenden Fischer/Schröder-Regierung, die bald in Ost und West, bei Arabern und Israelis gleichermaßen hochgeschätzt und als Vermittler gewünscht wurde.

Die unglaubliche Symbolik dessen, daß sich Gerhard Schröder und Jacque Chirac auf verschiedenen EU-Gipfeln gegenseitig vertraten, daß man sich so gut kannte und sich so sehr vertraute, daß Chirac für Deutschland und später Schröder für Frankreich eine Stimme abgab, verursacht immer noch Gänsehaut.

Würden sich heute Paris und Berlin gegenseitig den Krieg erklären, stünde das Volk auf, um die eigenen Regierungen abzusetzen. Kein Soldat würde auf Soldaten des Nachbarlandes schießen.

Merkel hingegen war wieder eine wirklich schlechte Außenpolitikerin, die Deutschlands Ansehen in der EU während der Finanzkrise 2008/9 gründlich ruinierte und in 16 Jahren bei zahllosen Staatsbesuchen immer wolkig und vage blieb. Niemand wird sich an bedeutende internationale Begebenheiten erinnern, die mit dem Namen „Merkel“ verbunden bleiben. Aber, immerhin; sie trat persönlich bescheiden und gut vorbereitet auf. Man musste nie befürchten, daß sie, wie der hysterische Westerwelle oder der Provinzler Kohl, irgendetwas so dämliches tun würde, um sich weltweit für sie zu schämen.

Olaf Scholz war viel zu kurz Kanzler, um viele internationale Pflöcke einzuschlagen, aber er setzte immerhin eine globale Mindestbesteuerung durch und hielt nach dem russischen Übergriff auf die Ukraine bemerkenswert gut die EU zusammen.

Auch Scholz konnte auf Reisen gehen, ohne irgendjemanden in Deutschland in Spannungen zu versetzen. Er war viel zu fleißig, zu intelligent und zu besonnen, um sich massiv zu blamieren.

Mit dem Fritzekanzler hingegen, knüpft Deutschland wieder an 1998 an. Die Kohlschen Peinlichkeiten sind wieder da.

Der Mann hat sich absolut nicht im Griff und ist jederzeit zu einem Satz der höchsten Idiotie fähig, weil er die Konsequenzen des von ihm Gesagten, nicht abzuschätzen weiß.

[….] Nach der Jungen Union kritisiert nun auch eine zweite Parteivereinigung das Politikmanagement der Regierung Merz hart. Der Arbeitnehmerflügel zieht dabei sogar einen Vergleich zu einem Hühnerhaufen.

[….] „Jeder, der es gut mit der Union und dieser Regierung meint, ist jede Woche aufs Neue erstaunt und entsetzt über die Fettnapfquote“, sagt der CDA-Bundesvorsitzende Dennis Radtke im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. „Kaum ist die Debatte über das Stadtbild beendet, diskutieren wir über die Frage, bis zu welchem Alter welche Medikamente genehmigt werden sollen oder ab wann wir wieder russisches Gas kaufen können – und das, während in der Ukraine jeden Tag Zivilisten durch Putins Raketen sterben.“ Es gebe kein Leitmotiv, keinen roten Faden, klagt Radtke. Stattdessen scheine sich „eher das Prinzip Freestyle durchzusetzen, wo jeder einfach mal irgendwas raushaut“. Es wäre ratsam, diese ständige Fortsetzung von „einfach mal machen“ zu stoppen. „Aktuell wirkt jeder Hühnerhaufen im Vergleich wie ein strukturiertes Gebilde mit klarem Kompass.“

„Einfach mal machen“, das ist das Motto von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Die Debatte über Energie aus Russland hatte CDU-Vize Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, vom Zaun gebrochen. Und es war der Drogenbeauftragte der Regierung Merz, Hendrik Streeck, der die Frage aufgeworfen hatte, ob man sehr alten Menschen noch besonders teure Medikamente verordnen sollte. [….]

(Robert Roßmann, SZ, 17.11.2025)

Die enorme Fettnapfquote des Fritzekanzlers ist nicht gut. Schon gar nicht in einem international so komplexen Umfeld.

Aber es führt kein Weg an der grundsätzlichen Erkenntnis (die ich auf diesem Blog lange vor seiner Kanzlerschaft immer wieder darstellte) vorbei: Merz kann es einfach nicht. Er ist mit seinem Job hoffnungslos überfordert. Intellektuell und charakterlich.

Nein, natürlich bin ich nicht überrascht zu sehen, wie Merz an seiner Aufgabe scheitert. Das war abzusehen. Offen war nur, ob er mit der Zeit ein wenig dazulernen könnte, ob er begreift, sich zu zügeln und auch den übernächsten Schritt zu antizipieren. Das kann man aber nach sechs Monaten Fritzekanzlerschaft beantworten: Nein, Merz ist nicht lernfähig. Im Gegenteil; es wird schlimmer.

[…] Es war Friedrich Merz, der Angela Merkel einmal vorgeworfen hat, das Erscheinungsbild ihrer Regierung sei „grottenschlecht“. Und es war ebenfalls dieser Friedrich Merz, der Olaf Scholz den Satz entgegengeschleudert hat: „Sie können es nicht.“ Scholz sei ein „Klempner der Macht“, der sein Handwerk nicht beherrsche. Ganz unabhängig von der Frage, ob Merz damit recht hatte: Wer andere derart harsch kritisiert, sollte sein eigenes Handwerk beherrschen. Merz tut das aber offensichtlich immer noch nicht.

Seit einem halben Jahr ist der CDU-Chef nun Kanzler. Aber man bekommt den Eindruck, dass der Abstand zwischen den Pannen nicht größer, sondern kleiner wird. Beinahe im Wochentakt geht etwas schief. Zuletzt der Umgang mit den Syrien-Äußerungen des Außenministers und die Stadtbild-Debatte, die Merz spontan, angreifbar unpräzise und ohne Strategie losgetreten hatte. Und jetzt das Fiasko auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Mit seinem grottenschlechten Agieren im Rentenstreit hat Merz die Koalition in die nächsten Turbulenzen geführt. Wobei „führen“ hier eigentlich das falsche Verb ist. Er hat sie hineinschlittern lassen.

Seit Monaten hatten die Jungen in der Union darauf hingewiesen, dass ihrer Ansicht nach der Rentengesetzentwurf der Sozialdemokratin Bärbel Bas über den Koalitionsvertrag hinausgeht. Und dass es dabei um enorme Mehrkosten von 115 Milliarden Euro gehe. Die Jungen haben ihren Ärger darüber erst intern, dann in aller Deutlichkeit auch öffentlich kundgetan. Jeder wusste, dass es auf dem Deutschlandtag zu einem Showdown kommen würde, wenn Merz, sein Kanzleramtsminister Thorsten Frei und Unionsfraktionschef Jens Spahn den Streit nicht vorher eindämmen. Aber das Trio hat auch dieses Mal versagt. [….]

(Robert Roßmann, 16.11.2025)

Es passiert nicht häufig, aber ich füge mich der Mehrheitsmeinung und bezweifele, daß diese Koalition mit diesem Kanzler bis 2029 hält.

Das Quintett an den CDU-Scharnieren der Macht – Kanzler Merz, Fraktionschef Spahn, General Linnemann, Kanzleramtsminister Frei, Staatsminister Meister – erweist sich als zu dumm. So schlicht muss man es leider ausdrücken.

JU-Chef Johannes Winkel und Redding führen bei einer Koalitionsmehrheit von 12 Stimmen eine Gruppe von 18 Abgeordneten an, die unter keinem Umständen dem Rentenpaket zustimmen will, während Merz sich festgelegt hat, nichts zu ändern. Das dumme Quintett ist, wieder einmal, völlig unvorbereitet und ratlos, wie der Zug gegen die Wand, aufgehalten werden soll.

[…] Winkel und Pascal Reddig, Vorsitzender der Jungen Gruppe der Union im Bundestag, wissen im Rentenstreit die Junge Union geschlossen hinter sich. Die Delegierten der größten deutschen Nachwuchsorganisation beschlossen den Leitantrag zur Generationengerechtigkeit am Wochenende mit 100 Prozent Zustimmung. Reddig bekam den meisten Applaus für den Satz, mit dem er das Nein zum Rentenpaket ohne Änderungen bekräftigte: »Ihr könnt euch darauf verlassen: Wir bleiben in dieser Frage stehen.«

Und nun? Die Lage ist verfahren, alle Akteure beharren auf ihrer Position – auch Winkel und Reddig können jetzt eigentlich nicht mehr einknicken. Damit steuert die Koalition auf einen Abgrund zu. Einen einfachen Ausweg gibt es nicht mehr für Merz.  Am Montag nutzte der Kanzler den Wirtschaftsgipfel der »Süddeutschen Zeitung« für die nächste Spitze gegen Winkels Leute. Er stellte fest, dass er bei der »SZ« freundlicher empfangen worden sei als bei der Jungen Union. [….]

(SPIEGEL, 17.11.2025)

Der Fritzekanzler hat keine Mehrheit mehr und keine Rückendeckung in der Partei. Nach sechs Monaten. Das dürfte Rekord sein. Die Stimmung wird sich weiter verschlechtern. Denn die großen politischen Brocken kommen noch. Die fünf Landtagswahlen in 2026 kommen noch. Aber schon jetzt ist die Lage innerhalb der CDU maximal verfahren.

[….] Für Dagmar Schmidt, Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, ist der Rentenstreit das Problem der Unionsfraktion. Die Junge Gruppe trete als „eigenständig agierende Kraft auf, die Machtspiele treibt, statt Verantwortung für Deutschland zu übernehmen“, so Schmidt zur taz. Die SPD erwarte, dass die Unionsfraktion, „wie im Koalitionsvertrag vereinbart, zum schwarz-roten Rentenkompromiss steht“. [….] Unterstützung erhält Merz von CSU-Chef Markus Söder. „Verschieben ist Unsinn“, so der bayerische Ministerpräsident. Söder bangt um die Mütterrente, ein Herzensanliegen der CSU. Die gehört zu dem Rentenpaket ebenso wie die Aktivrente, mit der Rentner*innen zum freiwilligen längeren Arbeiten bewegt werden sollen, und die Frühstartrente für Kinder. Beides will die CDU unbedingt umsetzen. Merz will das Rentenpaket, das vom Kabinett bereits beschlossen ist, schnell durch den Bundestag bringen. Am Samstag hatte er das auch der JU noch einmal deutlich gemacht. Merz zeigte klare Kante.  […]

(taz, 17.11.2025)

Das Kernproblem ist das Quintett der Dummen; Merz verbockt es selbst immer wieder, weil er nicht regieren kann!

[…] Ein Debakel mit Ansage

Kanzler Merz demonstriert wieder einmal, dass er die Kunst der Regierungsführung nicht beherrscht. Für die Reformfähigkeit verheißt das nichts Gutes.

Friedrich Merz dürfte der „Deutschlandtag“ der Jungen Union (JU) lange in Erinnerung bleiben. Noch nie wurde dem Kanzler in Anwesenheit und auf offener Bühne so klar vorgeführt, dass er dabei ist, seine größten Unterstützer zu verlieren. Die JU, das waren bislang mehrheitlich Merz-Ultras. Noch vor einem Jahr war Merz hier als künftiger Kanzler frenetisch gefeiert worden. Jetzt: kritische Nachfragen, kein Beifall, eisiges Schweigen. Aus zwei Gründen kann einen das nicht kalt lassen: Merz hat diese Mischung aus Wut und Enttäuschung und die damit eingehende Verhärtung bei der Jungen Union erstens selbst mit produziert. Und damit, nur kurz nach Stadtbild-Äußerungen und Syrien-Debatte, wieder einmal gezeigt, dass er das Handwerk des Regierens nicht beherrscht.  Was in diesem Fall zweitens die ohnehin angeschlagene Koalition in eine fulminante Regierungskrise führen könnte. [….]

(Sabine am Orde, 17.11.2025)