Dienstag, 2. Dezember 2014

Luschen


Nein, wie gesagt, ich finde nicht, daß „die Politiker“ übertrieben ehrlich sein müssen.
Auch wenn es viele Urnenpöbler anders sehen mögen; ich verstehe durchaus die komplexen Interessengeflechte und weiß, daß Abgeordnete taktieren müssen, um sich durchzusetzen. Wenn sie immer nur stur die reine Lehre vertreten, setzen sie am Ende gar nichts durch.
Der Kompromiss macht’s.
In einer Koalitionsregierung aus drei unterschiedlichen Parteien mit drei unterschiedlichen Wahlprogrammen ist es sogar systemimmanent politische Positionen mittragen zu müssen, die man vorher sogar bekämpft hat.
Ich verstehe nur nicht wieso Parteiführungsfiguren mit der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag davon besessen sind sich als harmonische Einheit zu präsentieren.
Wie peinlich war es, als Westerwelle 2009 nach dem Abschluss der schwarzgelben Verhandlungen verkündete, der CSU-Chef und er sagten nun „Horst und Guido zueinander!“
Offenbar verwechseln Wähler und Journalisten Harmonie zwischen den handelnden Ministern mit guter Regierung.
Dabei ist das weitgehend irrelevant, wie gut sich Minister privat miteinander verstehen.
Mit dem Schmusekurs soll doch offensichtlich Wählerwohlwollen generiert werden. Das zahlt sich aber ebenso offensichtlich nicht für die SPD aus.
Warum also sagen die Sozen dann nicht offen und deutlich welches die Konfliktpunkte sind und wieso sie gezwungen sind gegen ihre Überzeugungen zu stimmen?
Ich bin überzeugt davon, daß man diese Abwägung öffentlich transportieren  könnte.
Herr Oppermann könnte an das Rednerpult des Bundestages gehen und dort eines Tages verkünden:

„Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kollegen!
Heute wird meine Fraktion für den Koalitionsentwurf der Antiausländermaut nach den Vorstellungen des Verkehrsministers Dobrindt stimmen. Wir als SPD halten das Vorhaben für Europa-feindlich, finanzpolitisch irrsinnig und schon ob des Verwaltungsaufwandes für nicht zu rechtfertigen. Unsere Zustimmung erfolgt wider besseres Wissens aus Koalitionsraison. Nur als Teil der Regierungskoalition war es uns möglich mehrere Ministerposten zu besetzen und damit die weitaus bedeutenderen Themen Mindestlohn, Rentenreform und Staatsbürgerschaftsrecht zu bestimmen. Als Gegenleistung für die Gaga-Maut besetzen wir ferner den Posten des Außenministers und können somit mäßigend auf eine kriegsfreudige Stimmung in NATO Und Russland einwirken. In diesen entscheidenden Fragen um Krieg und Frieden mitzuwirken halten wir für so bedeutend, daß wir dafür in Kauf nehmen kontraproduktive Gaga-Gesetze wie die Herdprämie mit durchzuwinken!“

Einige Angesprochene würden sicherlich Zeter und Mordio schreien.
„Wer hat uns verraten?  - Sozialdemokraten!“
Aber wer so borniert denkt, wählt ja ohnehin nicht (mehr) die SPD.
Also braucht man auf sie auch keine taktische Rücksicht zu nehmen.
Besser wäre es stattdessen zu versuchen durch offenes Bekenntnis zur Taktik neue Wähler anzusprechen.
Und außerdem wüßte der Bürger wem er was verdankt.

Warum wollen sich so viele hinter einem scheinbar monolithischen 80%-GroKo-Block verstecken?
Soll doch jede Partei klar sagen, daß sie mit der Groko stimmt, weil sie a, b und c rausgeholt hat, dafür aber leider x, y und z zustimmen musste.

Nicht zielführend ist es hingegen, wenn SPD-Groko-Minister plötzlich Dinge vertreten, die niemand an der Parteibasis will und nicht begründet wird, wie es zu dem Sinneswandel an der Spitze kam.
Gabriel oder Nahles könnten einerseits durch Fakten zu einer anderen Beurteilung gelangt sein. Dann sollen sie diese Fakten vorlegen.
Oder aber es ist ein politisches Geschäft wie bei Maut und Herdprämie: Man hebt sein Händchen dafür, weil man etwas noch wichtigeres der CDU/CSU dafür abgehandelt hat.

Aber wieso schwenkte Gabriel in der Ceta-TTIP-Frage auf Merkel-Kurs um?

Wieso ist die Bundesregierung plötzlich nicht mehr gegen Gentechnik auf den Äckern?

[…] [Die] Bundesregierung. Sie rückt nach SZ-Informationen immer mehr von ihrem Versprechen ab, ein möglichst strenges Anbauverbot in Brüssel durchzusetzen - obwohl 90 Prozent der Bundesbürger Gentechnik in ihren Lebensmitteln ablehnen.
Besonders umstritten ist der Plan der EU-Umweltminister, Agrarkonzernen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer ein Mitspracherecht bei Anbauverboten einzuräumen. Dafür ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen: Beantragt zum Beispiel eine Firma die Zulassung einer neuen Genmaissorte in der EU, sind die Länder am Zug. Erwägt etwa Deutschland ein Anbauverbot, muss die Bundesregierung die Firma auffordern, speziell bei dieser Sorte keine Zulassung für Deutschland zu beantragen. Dem Wunsch kann das Unternehmen nachkommen oder nicht. Die Anfrage ist aber Voraussetzung dafür, dass Deutschland in einem zweiten Schritt den Anbau verbieten kann, sollte der Konzern nicht auf eine Zulassung hierzulande verzichten wollen.
Dieses Prozedere ist ein Novum in der EU-Politik, weil Konzerne so direkt Einfluss auf Regulierungsprozesse nehmen können. Vom EU-Rat, also den Länderregierungen, wird das gebilligt. Doch Gentechnikkritiker und das EU-Parlament wehren sich dagegen. "Es darf nicht sein, dass souveräne Staaten erst bei den Gentech-Multis fragen müssen, bevor sie ein Genmais-Verbot aussprechen dürfen", kritisiert Harald Ebner, Gentechnikexperte der Grünen im Bundestag.
Verhindern will die Bundesregierung in Brüssel zudem EU-Haftungsregeln. Sie sollen diejenigen Länder schützen, die Gentechnik auf ihren Äckern verbieten, aber Gefahr laufen, dass sich Pflanzen aus dem Nachbarland im Grenzgebiet ausbreiten. Diese Haftregeln seien nicht notwendig, heißt es dazu aus dem Agrarministerium in Berlin. Damit verstößt die Bundesregierung ganz klar gegen einen Beschluss des Bundestages vom Mai 2014, der diese Haftungsregelung ausdrücklich fordert. Vorgesehen ist, dass sich EU-Parlament und -Rat am Mittwoch auf einen Kompromiss einigen. Wie der am Ende aussieht, ist allerdings unklar. […]

Wieso stört man sich plötzlich nicht mehr daran finanzielle Belastungen für den kleinen Mann festzuschreiben, während man weiterhin die Milliardäre mit lumpigen 25% Kapitalertragsteuer (KESt) erheblich besser behandelt als die Menschen, die durch Erwerbsarbeit ihr Geld verdienen?
Wieso verabschiedet die linke Sozialdemokratin ein Rentenkonzept, bei dem wieder nur die abhängig beschäftigten Erwerbsarbeiter einseitig über ihre Beiträge belastet werden, während Frau Klatten, Herr Porsche, die Albrechts, die Unternehmer und die Bundestagsabgeordneten keinen Cent bezahlen müssen?
Was kriegen wir als SPD dafür, daß wir sowas mitmachen?
Kann das vielleicht endlich mal jemand im Willy Brandt-Haus erklären?

[…] Und plötzlich ist da ein neues Wort in der Debatte um die Ausländer-Maut der CSU: Einführung heißt es. Das Versprechen nämlich, die Maut werde Deutsche nicht belasten, das gelte ja nur "mit der Einführung" der Maut. So sagte es an diesem Morgen die durchaus mächtige CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt.
Ach so? Nur mit der Einführung? Nie vorher gehört. Bisher hatte es immer geheißen, die Maut werde zu keiner Mehrbelastung für deutsche Autofahrer führen. Egal wann. Das war das Versprechen. Was hätten die Leute auf den Markplätzen von München bis Regensburg und Nürnberg bis Lindau denn gedacht, wenn CSU-Chef Horst Seehofer ihnen da im Bundestagswahlkampf zugerufen hätte: "Liebe Bayern, wir wollen eine Maut für Ausländer, die die Deutschen im Moment der Einführung dieser Maut nicht zusätzlich belastet, aber natürlich für die Jahre danach die Türen sperrangelweit auflässt, um sie dann doch für alle erhöhen zu können!" […] Und weil es so schön ist, kommt gleich die zweite große Lüge hinterher: der Soli. Wenn es nach Hasselfeldt, nach den Ländern, nach der gesamten großen Koalition geht - und es geht nach all denen -, dann wird der Soli wieder nicht abgeschafft. […] Na, na, na, da will doch nicht jemand die Steuern erhöhen? Doch, will. Das ganze Rumgemurkse mit Maut und Soli ist doch nichts anderes, als um wirklich jeden Preis das Igittibäh-Wort Steuererhöhungen zu umgehen. Mit dem Zusatz, dass die Mauthöhe für die Zukunft nicht mit der Kfz-Steuer verrechnet wird, gibt es ein neues tolles Instrument, das Wort Steuererhöhungen zu umgehen. […]