Samstag, 28. November 2015

Barmherzigkeit und Vergebung


Als West-Gewächs, das die DDR vor allem vom Durchfahren her kannte – und das war super: Nirgendwo konnte man so günstig legal Zigaretten und Alkohol kaufen, wie in den Transitshops – habe ich 26 Jahren nach Maueröffnung den Eindruck, daß es sich eben auch um ein heterogenes Willkür-Regime handelte.
Die Freiheiten, die sich Person A in der Gemeinde B durchaus nehmen konnte, hatten für Person C in der Gemeinde D schwerwiegende Konsequenzen.

Angela Merkel engagierte sich in der FDJ, um studieren zu dürfen – so die offizielle Lesart. So wurde sie Dr. rer. nat.

Regine Hildebrandt hingegen war von Anfang an oppositionell und verweigerte der FDJ beizutreten.
Dennoch gelang es ihr sogar in der Hauptstadt des Regimes, an der Berliner Humboldt-Uni Biologie zu studieren. Auch sie wurde Dr. rer. nat. und bekam einen guten Job beim VEB Berlin-Chemie.
Über Jahrzehnte engagierte sie sich in oppositionellen Gruppen, sang eifrig im von der SED nicht akzeptierten Kirchenchor.

Ebenso wie Regine Hildebrandt und anders als die angepasste Angela Merkel verweigerte auch Sahra Wagenknecht die Mitgliedschaft in der FDJ.
In ihrem Fall hatte das allerdings Konsequenzen. Ihr wurde verboten zu studieren. Sie fand keine Arbeit.

Joachim Gauck, der Altersgenosse Hildebrandts, hielt es wie Merkel. Auch er eckte nicht mit dem SED-Regime an, durfte studieren und Karriere machen.

Über Gauck darf rechtskräftig behauptet werden, er sei "Begünstigter der Stasi" entsprechend der Verhandlung vom 22. September 2000 vor dem Landgericht Rostock (AZ 3 O 245/00). Vgl. "Der Verfügungskläger (Gauck) hat gegen den Verfügungsbeklagten (Diestel) auch keinen Anspruch auf Unterlassung der Äußerung, er sei 'Begünstigter' i.S.d. Stasi-Unterlagengesetzes."
(Wikipedia)

Die letzte „DDR-Biographie“, die ich in diesem Puzzle erwähnen möchte ist die von Günter Schabowski, dem Mann der als derjenige bekannt wurde, der aus Versehen die Mauer öffnete.

Schabowski (1929-2015) war am Ende des 2. Weltkrieges 16 Jahre alt und trat ob seiner Erfahrung mit der Nazi-Diktatur 1952 der SED bei.
Er studierte Journalismus, leitete das „Neue Deutschland“ und stieg im SED-Apparat bis ins Politbüro auf. 1990 wurde er aus der SED-PDS ausgeschlossen und schließlich bei den Politbüroprozessen im Zusammenhang mit den Mauertoten zu drei Jahren Haft verurteilt, die er 1999 antrat. Anders als seine ehemaligen Kollegen erkannte er seine moralische Schuld an und legte keine Rechtsmittel ein.

Er machte sich ehrlich und schonte sich nicht. Er tat genau das, was Myriaden Apparatschiks aus den anderen Blockparteien nicht taten.

Die fünf Parteien des „Demokratischen Blocks“, die zuvor alle Pfründe untereinander aufteilten, zerfielen in Rekordtempo.

    SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
    CDU Christlich-Demokratische Union Deutschlands
    LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
    DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands
    NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands

CDU und DBD wurden von der West-CDU wegfusioniert; LDPD und NDPD riss sich die FDP unter den Nagel.
Vier von fünf tragenden Säulen ersparten sich also jede Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Die Namen verschwanden, das Parteivermögen kassierten West-CDU und West-FDP.

Der schwarze Peter verblieb allein bei der SED, die sich die nächsten 25 Jahre Vorwürfe anhören mußte.
Eine der größten Witze der Vereinigungsgeschichte ist die Kritik an der Umbenennung in „SED-PDS“, bzw später „PDS“, sie würde sich darum drücken die Vergangenheit anzuerkennen. Ihr ginge es nur darum, das Vermögen zu behalten.
Das Geschrei kam ausgerechnet von den „Bürgerlichen“, die selbst das komplette Parteivermögen von vier Blockparteien abgegriffen hatten und überhaupt gar keine Vergangenheit vor 1989 anerkannten.
Die einzige Partei, die sich nicht aus der DDR-Konkursmasse bediente, die keine Immobilien, Bankkonten und Parteimitglieder an sich raffte, war die SPD. Und diese SPD wurde von der CDU über 20 Jahre mit einer Rote-Socken-Kampagne überzogen.

Schabowski ist das Paradebeispiel eines „reumütigen Sünders“, der sich seiner Verantwortung stellte und dazu lernte. Er wurde extrem selbstkritisch.

[…] Schon fünf Tage [vor der Maueröffnung] war es Günter Schabowski, der als Mitglied des Politbüros auf der Großdemonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz vor die Mikrofone trat und mit dröhnender Stimme die „Kultur des Dialogs“ beschwört. […] Mit dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR war auch Günter Schabowskis politische Laufbahn an ihr Ende gekommen. Doch anders als alle anderen Mitglieder durchlebt Schabowski eine Wandlung, eine Läuterung gar, die ihn von allen anderen Mitgliedern des Politbüros unterscheidet. Schabowski setzt sich kritisch mit seiner Verantwortung im DDR-Regime auseinander. […]
Schabowski war […] der Einzige aus der ehemaligen SED-Führungsriege, der sich zu seiner moralischen Verantwortung bekannte: „Als einstiger Anhänger und Protagonist dieser Weltanschauung empfinde ich Schuld und Schmach bei dem Gedanken an die an der Mauer Getöteten. Ich bitte die Angehörigen der Opfer um Verzeihung.“
[…]  Mit der gewendeten Staatspartei PDS ging Schabowski hart ins Gericht. Er habe kein Vertrauen, dass es in der PDS eine wirkliche Abkehr von den Dogmen der Vergangenheit gebe und riet Klaus Wowereit von einer Koalition mit der PDS ab. Vergebens.
[…] Im Rückblick schien das Ende der SED-Herrschaft für Schabowski eine Selbstbefreiung gewesen zu sein. Nicht die Ausführung, nein, die ganze Idee des Sozialismus hielt er später für falsch. Schabowski hat sich immer wieder eingemischt, wenn es um das Erbe der SED-Diktatur ging. Bemerkenswert ist seine Mitarbeit am „Braunbuch DDR“, dem er in der zweiten Auflage 2009 ein umfangreiches Vorwort voranstellt. […]

Joachim Gauck, der ehemalige „Begünstigte der Stasi“, seit 50 Jahren Pfarrer und damit Fachmann für Barmherzigkeit, Vergebung und Nächstenliebe, fungiert heute als Bundespräsident und demonstrierte nach dem Tode Schabowskis was seine christlichen Überzeugungen wert sind:
Gar nichts.
Selbstverliebt und rachelüstern trat Gauck dem Toten nach, briet dessen Witwe mit dem Kondolenzschreiben eins über!

"Meine Erinnerungen an Günter Schabowski sind, wie Sie wissen, zwiespältig. Lange Jahrzehnte war er eine Führungsfigur im Kreis meiner Unterdrücker.

König Gauck hält nur sich selbst für relevant. Abgesehen davon, daß so eine Beleidigung nicht in ein Kondolenzschreiben gehört, gibt es auch keine Sippenhaft in Deutschland, die 26 Jahre nach dem Mauerfall noch Ehefrauen von SED-Mitgliedern trifft.
Und schon gar nicht sind Gaucks persönliche Empfindungen dazu maßstabgebend.
Und schon mal überhaupt gar nicht ist dies der Anlass für Gauck sich selbst als SED-Opfer zu stilisieren, das er nicht war.

[…] Bundespräsident Joachim Gauck hat eine ganz neue Form der Ehrung eingeführt: Der verstorbene frühere SED-Funktionär Günter Schabowski gehört jetzt ganz offiziell zum "Kreis seiner Unterdrücker".
[…] Seine Majestät Joachim Gauck hat nun eine neue Form der Ehrung eingeführt, eine, die allerdings nicht gerade zur Ehre gereicht: die Aufnahme Verstorbener in den "Kreis seiner Unterdrücker", eine Art Un-Ehrenlegion also. Dem früheren SED-Funktionär Günter Schabowski wurde als erstem diese bislang unbekannte Form der Herabwürdigung zuteil, postum.
Joachim Gauck hat Schabowskis Witwe dies schriftlich wissen lassen. […]

Man muß offensichtlich Pfaff sein, um eine derartige Herzlosigkeit und Selbstverliebtheit an den Tag zu legen.

Ein anderer prominenter Geistlicher demonstrierte ebenfalls posthume Charakterlosigkeit.
Auch der Passauer Bischof Stefan Oster schert sich einen Dreck um Barmherzigkeit, Vergebung und Takt.
Es geht um den Fall des Passauer Pfarrers Josef S., der durch den kirchlichen Zölibat, den sein Bischof Oster von ihm forderte, so verzweifelt auf der Suche nach physischer Erotik war, daß er im Internet Pornos guckte.
Eine Sünde nach kirchlicher Auffassung, aber auch eine tragische seelische Bredouille, die durch die Kirchenobrigkeit, die nach unnatürlicher Sexlosigkeit verlangt, erst entsteht.
Man wird schon mal fragen dürfen, welcher erwachsene Mann nie Sex mit anderen Menschen hat, nie onaniert und auch nie Pornos ansieht.
Pfarrer Josef S. war also „ganz normal“ veranlagt, jedoch durch seinen Job und seine Vorgesetzten in so unhaltbare Situation geraten, daß er sich schließlich aus Verzweiflung den Zölibat nicht einzuhalten, umbrachte.
Bischof Oster sollte angesichts dieses Suizids erhebliche Schuldgefühle entwickeln und falls er dazu nicht in der Lage ist, wenigstens im Angesicht dieses durchaus tragischen Todes still sein.
Aber weit gefehlt. Wie Joachim Gauck trat Oster in seiner Trauerrede kräftig nach, ruinierte noch a posteriori das Ansehen Josef S.s und lieferte ihn zum Ausgelacht werden der BILD-Zeitung aus.

[…] Wenn sich ein Pfarrer Pornofilme anschaut, schafft er es nach Vorstellung der Katholischen Kirche möglicherweise nicht in den Himmel, dafür aber in die Bild-Zeitung. Das […] beschreibt […] worum es im Fall Josef S. geht. Vor acht Tagen hat der Passauer Pfarrer Suizid begangen, aber Schlagzeilen hat der Fall erst gemacht, als […] öffentlich wurde, was Josef S. so verzweifeln ließ.
Die Details hat ausgerechnet der Passauer Bischof Stefan Oster bei der Trauerfeier […] verraten. In Briefen habe Josef S. geschrieben, "im Internet immer intensiver Bilder und Filme gesucht zu haben, die seinem priesterlichen Gelübde der Keuschheit deutlich widersprechen", sagte Oster laut Redemanuskript und sprach in diesem Zusammenhang von einer "sehr großen moralischen Schuld", der sich der Pfarrer bewusst gewesen sei. Die Bild-Zeitung titelte daraufhin: "Suizid im Bistum Passau - Pfarrer verzweifelte an Verlangen nach Pornos."
[…] Es hat für Aufsehen gesorgt, dass der Bischof in aller Öffentlichkeit über intime Details aus dem Privatleben eines toten Pfarrers spricht - und das auch noch bei der Trauerfeier. […]
 Den Ärger über Bischof Oster, der in Bezug auf den Pornokonsum nicht nur von moralischer Schuld des toten Pfarrers gesprochen hat, sondern auch davon, "dass wir trotz allem nicht von der Hoffnung lassen wollen, dass auch er von unserem barmherzigen Gott in sein Reich geholt wird".
[…] Diese Aussage sei "absolut nicht nachvollziehbar", sagt der Passauer Pfarrer. Es sei zwar "kein Geheimnis, dass unser Bischof ein besonders konservativer ist", aber darüber zu spekulieren, dass einer nicht in den Himmel komme, weil er Pornos geschaut habe - "das ist eine Haltung, die ich überhaupt nicht verstehen kann" und die "in keiner Weise" der Lehre der katholischen Kirche entspreche. […]