Samstag, 12. März 2016

Prophet Tammox

Als ich kürzlich ausführlich ZANZU-Texte über Analverkehr und Homoehe zitierte, dazu auch die ZANZU-Piktogramme zeigte, ging es mir um die ins Auge springende Heuchelei der Konservativen.
Daß ausgerechnet solche Typen wie Steinbach, Trägerin des Rassismus-Oscars 2016, voller Pathos Homo- und Frauengleichberechtigung anpreisen, nur weil es gegen Flüchtlinge geht, erschließt eine ganz neue Dimension der Heuchelei.
Nein, natürlich ist es keine Überraschung, daß Erika Steinbach über keinerlei Schamgefühl verfügt, aber wenn die ihre Dreistigkeit mal wieder derart stolz vorführt, beindruckt es schon.

Meine Meinung zu ZANZU hatte ich bisher noch gar nicht formuliert.
Ein bißchen unfreiwillig komisch sind die Zanzu-Bildchen schon, ebenso die durchaus noch verkrampften Artikel-Überschriften in den Zeitungen.


Das Problem an sexueller Aufklärung ist, daß sie meistens aus der Sicht derjenigen beurteilt wird, die längst aufgeklärt sind.
Wesentlich ist doch aber, wie es auf die Menschen wirkt, die eben noch nicht Bescheid wissen, weil sie noch Kinder sind oder aus ganz anderen Kulturen stammen.

Ich hatte nie Sexualkundeunterricht in der Schule. Aber von meiner Mutter weiß ich, daß auf Elternabenden durchaus wohlwollend das Thema angesprochen wurde. Es waren eher die Lehrer, die sich drücken wollten.
Richtig ist das nicht, aber menschlich verständlich.
 Wer hat schon Lust mit Pubertierenden im Hormonrausch ein Thema zu behandeln, das unweigerlich zu Lachattacken und Vulgarität führt?

Es ist sicher kein Zufall, daß die sexuelle Aufklärung der eigenen Kinder immer wieder zum Gegenstand von Sketchen wird. Der Zeitpunkt ist nie richtig und fast immer wird es peinlich. Deswegen schieben es konservative Eltern gern bis zum St. Nimmerleinstag auf.
Relativ typisch dürfte das Verhalten meiner amerikanischen Großmutter gewesen sein, die ihre Jungs in den 1930er und 1940er Jahren allein aufzog, weil ihr Mann urplötzlich gestorben war. Sie war keineswegs so verklemmt, daß sie ihre Kinder nicht aufklären wollte. Dafür hatte sie auch viel zu viel Angst vor ungewollten Schwangerschaften. Aber sich selbst traute sie diese Gespräche nicht zu und tat das was damals in ihrem Umfeld alle taten: Die Jungs wurden zum Pfarrer geschickt, damit er sie über die „Pflichten in der Ehe“ belehre.
Die Absurdität dessen, für diesen Aspekt der Menschlichkeit ausgerechnet einen Typen auszusuchen, der im strengen Zölibat lebt, wird auch heute nicht jedem offensichtlich. Auch im 21. Jahrhundert gelten katholische Geistliche noch als „Moralexperten“ und Ehe-Koryphäen.
Die Männer, die keinerlei Erfahrung mit Sex haben, fühlen sich gerade für das Thema kompetent.
Religiotie.

Sexuelle Aufklärung ist immer mit Peinlichkeit verbunden, weil auch das Spannungsverhältnis zwischen sexuell Aktiven und noch nicht Praktizierenden berührt ist. Unter Gleichaltrigen sind die Gespräche einfacher.
Thomas Brussig brachte das in „Helden wie wir“ kongenial auf den Punkt: Daß seine Eltern Sex miteinander gehabt hatten, schockte Klaus Uhltzscht derart, daß er einen Minderwertigkeitskomplex entwickelte. Nur durch seine Existenz war seine Mutter zu so einer Abscheulichkeit gezwungen worden. Erfahren hatte er das ganze Elend erst spät im Ferienlager von anderen Jungs.

So wurde ich aufgeklärt: Bumsen ist Kindermachen, erklärte mir einer, um dann ungerührt fortzufahren: „Der Vater muß seinen Pisser in die Muschi der Mutter stecke.“ Was? „Vater-Pisser-reinstecken-Muschi-Mutter?“ Unmöglich! So eine Sauerei würden meine Eltern niemals tun! Niemals! Nie! Nie und nimmer! Welches kranke Hirn konnte sich bloß solche Ungeheuerlichkeiten ausdenken? Was haben die Kinder denn für Eltern? Was mein Vater nie herzeigt und meiner Mutter ein besonderes Stück Seife wert ist, das stecken deren Eltern sich gegenseitig rein?

Und später:

Ich lag lange wach und dachte diese Geschichte mal zu Ende. Meine Eltern haben gefickt. Meine Lehrer haben gefickt. Die ganze Menschheit war ein Produkt zahlloser Ficks – und ich, Klaus das Titelbild, wissenschaftlicher Nachwuchs, der täglich dem ihm bestimmten Nobelpreis ein Stück näher kam, wußte nichts davon! Wenn das kein Grund war, die Bumsthese anzuzweifeln! Also: Haben die Urmenschenmänner etwa freiwillig ihre Urpimmel in Urmösen gehalten?

Noch später:

Ich hatte nie ein Problem mit der These, daß der Mensch vom Affen abstammt, aber ich sträubte mich beharrlich dagegen von fickenden Eltern abzustammen. Oder, um genau zu sein, von fickenden Erziehungsberechtigten. Eine ganze Weile lang, bestimmt drei Jahre, war einer meiner geheimen Wünsche, ein Adoptivkind zu sein. Meine Eltern sollten mir endlich offenbaren, daß sie mich aus einem Heim geholt hatten, um nicht miteinander vögeln zu müssen.

Schließlich:

….eingeräumt, daß sogar meine Eltern fickten. Allerdings – sie meinten es nur gut mit mir und wollten nur mein Bestes – fickten sie nur, weil sie mich wollten.
Ihr Wunsch, mich zu haben, war größer als der Skrupel vor der größten Ferkelei, die mir je zu Ohren kam. Natürlich wollte mein Vater seinen Pisser – sofern er tatsächlich einen hatte – nicht in die Muschi meiner Mutter stecken, und auch meine Mutter wird nicht begeistert gewesen sein – aber es mußte sein. Diese Umstände hatten sie nur meinetwegen!

So ist Aufklärung. Erschreckend bis peinlich, wenn man das erste mal davon hört, aber lustig, wenn man später als Erwachsener darüber nachdenkt.

Das Internet allgemein bietet da einen willkommenen Ausweg, weil man sexuelle Aufklärung ohne die Peinlichkeit des persönlichen Gegenübers erreichen kann.
Und Zanzu speziell ist die Adresse im Internet, die solche Informationen seriös und verständlich in 13 verschiedenen Sprachen präsentiert, ohne zu kompliziert zu werden.

Also, ja, ich begrüße dieses Projekt der Bundesregierung und bin überzeugt davon, daß viele Menschen froh sein werden auf Zanzu verweisen zu können und noch mehr Menschen die Gelegenheit nutzen werden sich endlich genau über das zu informieren, was sie andere womöglich nicht fragen können.

Zanzu gut.

Jetzt kommen aber wieder die Braunen und der frömmelnde Rand der Union ins Spiel, also jene Typen, die effekthascherisch Homotoleranz von Flüchtlingen erwarten.

Man stelle sich vor, die SPD würde so eine Aufklärung in Bayern, Sachsen oder Baden-Württemberg betreiben.
Die CDU/CSU würde Amok laufen und kreischen wie sehr diese Frühsexualisierung den Kindern schade.
Aber bei den Flüchtlingen gilt das Gegenteil, denn sie sollen nach CDU/CSU-Logik offenbar mit sexueller Freizügigkeit abgeschreckt werden.
(…..)
Das würde sicher lustig, wenn man diese Erklärungen in sächsischen und bayerischen Schulen verwendete…

Inzwischen ist es soweit, auch die deutschen Tumb-Bürger haben Zanzu entdeckt und laufen, wie prognostiziert, Amok.

[….] Shitstorm gegen Sexualkundeportal
[….] Die Webseite Zanzu wird von Rechten mit Droh- und Hassmails überschüttet. Der Grund: Sie bietet sexuelle Aufklärung für Flüchtlinge.
Die Vorwürfe sind unglaublich. Es gehe um die durch die deutsche Bundesregierung geförderte „Zerstörung der weißen Rasse durch Rassenmischung“, behauptet die rechtspopulistische US-Zeitschrift „The New Observer“. Unter einem Artikel der ebenfalls rechtspopulistischen deutschen Wochenzeitschrift „Junge Freiheit“ findet man garstige Kommentare über die „bebilderte Anleitung zum Geschlechtsverkehr“. Und die AfD in Bayern prangert an, dass nach Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit bei der Integration von Asylsuchenden das Wissen um die richtige Stellung beim Sex mit einheimischen Frauen an erster Stelle stehe.
[….] Dabei werden Fakten bewusst aus dem Zusammenhang gerissen. Das gilt vor allem für die Piktogramme. Besonders am Bild, das einen dunkelhäutigen Mann beim Sex mit einer weißen Frau zeigt, entzündet sich die Wut der Rechtspopulisten. Dass Zanzu bei den Zeichnungen auch komplett weiße und komplett schwarze Pärchen zeigt oder eine schwarze Frau beim Sex mit einem weißen Mann, wird verschwiegen. [….]