Montag, 14. November 2016

Establishment.



Nein, nein, das habe ich nicht vergessen; am 24.10.2016 hatte ich nach Sigmar Gabriels urplötzlichen Steinmeier-Coup über die BILD-Zeitung prognostiziert, er werde damit scheitern. So wie auch seine vorherige Idee, Margot Käßmann zu küren, idiotisch war.

[….] Glückwunsch, Zickzack-Sigi. Das war mal wieder ein STRIKE! Mit einem Schlag das gesamte politische Porzellan auf dem Tisch zerschlagen.

Gabriel hat sich nun gleich mehrfach blamiert:
Mit der verfrühten Auswahl einer Person, mit dem Lancieren an die Presse und auch noch mit den prompten Absagen und Union und Linker.

Diesen personalpolitischen Meisterstrategen muß Merkel nicht fürchten.

Zum Glück habe ich Gabriels Probleme nicht und bleibe bei meiner Bundespräsidenten-Favoritin, von der ich nach wie vor zu 100% überzeugt bin.

Nachdem heute CDU und CSU ebenfalls auf Steinmeier einschwenkten, stelle ich fest, daß ich mich in dieser Causa offenbar dramatisch geirrt hatte.

Merkels enorme personaltaktische Schwäche hatte ich noch unterschätzt. Erstaunlich, diesmal hat sie es noch nicht mal geschafft einen schlechten und ungeeigneten Unions-Kandidaten zu präsentieren, sondern scheiterte schon vorher.
Es ist offensichtlich; Merkel kann nicht Bundespräsident.
Sehr blamabel. Erst handelte sie sich nur Absagen in der eigenen Partei ein – Schäuble und Lammert zeigten ihr den Stinkefinger – und als sie die Notlösung Grün-Schwarz erwog, indem sie auf den frommen Katholiken Kretschmann setzte, stellte Crazy Horst ihr ein Bein.

Die Kanzlerin zeigt immerhin eine gewisse Klugheit, indem sie einsieht wie sehr sie sich erneut in eine Sackgasse manövriert und aufgibt, bevor sie eine Superblamage in der Bundesversammlung riskiert.
Lieber ein Ende mit Schrecken…

Sigmar Gabriel kann sich heute feiern lassen: Er hatte die Lücke erkannt und dort zugeschlagen, wo es der Kanzlerin wehtut.
Seine Genossen werden begeistert sein, daß er mit seinen 20,x% unerwartet einen der ihren ins höchste Amt des Staates bugsierte.

Der Freudentaumel sollte aber nicht übertrieben werden:

·        Die Bedeutung der Bundespräsidentenwahlen wird generell überschätzt. Weder hatten wir bisher besonderes Glück mit den Personen, noch deuteten die Amtsinhaber auf künftige Bundesregierungen hin.

·        Gabriel setzte ein starkes GroKo-Signal und hilft somit am Ende mehr den Kanzlerambitionen der Frau Merkel als der eigenen Partei, weil weder Linke noch Grüne aus die SPD-Seite gezogen wurden.

Und die Person Steinmeier?

Frank-Walter Steinmeier ist derzeit der beliebteste Politiker Deutschlands und so jubiliert die Presse.

Das ist auf jeden Fall eine sehr gute Wahl, Frank-Walter Steinmeier jetzt zu nominieren! [….] Und selbstverständlich hatten wir auch eine sehr erfolgreiche Präsidentschaft mit Joachim Gauck… [….]
(Sebastian Fischer, SPON, 14.11.16)

Erstaunlich, wie Gauck immer noch pawlowsch mit Lob überschüttet wird.

In den fünf Jahren der Gauck-Präsidentschaft erreichte er außenpolitisch rein gar nichts.
Die Beziehungen zu den wichtigsten politischen Partnern – England, Frankreich, Russland und der Türkei – haben sich dramatisch verschlechtert.
Die internationalen Krisen und Konflikte weiteten sich katastrophal aus, ohne daß es jemals irgendeine diplomatische Vermittlungsinitiative des Präsidenten gegeben hätte.
Das Klima in Deutschland verschlechterte in abscheulicher Weise. Wir haben inzwischen jährlich über 1.000 rechtsradikale Übergriffe und alle paar Tage wird eine Flüchtlingsunterkunft angezündet.
Die AfD sitzt in zehn Landesparlamenten, PEGIDA formte und radikalisierte sich; pöbelnde „Wutbürger“ entwickelten einen solchen Hass auf „die Politik“, daß weite Teile Ostdeutschlands inzwischen zur No-Go-Area für Bundespolitiker geworden sind.  Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit grassieren offen und ungeniert.
So wenig Menschen wie nie vertrauen unserer parlamentarischen Demokratie.
Die „Altparteien“ sind inzwischen vielerorts so schwach, daß noch nicht einmal mehr „große Koalitionen“ zu Mehrheiten auf Länderebene reichen.
Gauck fiel dazu rein gar nichts ein, er gefiel sich im Gauck-sein an sich und hinterlässt nach fünf Jahren im Amt ein politisches Scherbenhaufenklima.
Er fand nie einen Draht zur Opposition, zu den Minderheiten, den Abgehängten und schon gar nicht zur Jugend.

Darin sehe ich auch die große Gefahr einer Steinmeier-Präsidentschaft.
Sicherlich wird er in den üblichen ARD- und ZDF-Rankings genau wie Gauck hohe Beliebtheitswerte einfahren.
Aber was sagt das schon?
Auch mit dem beliebten Steinmeier rutschte die SPD auf Minimalwerte ab, auch mit ihm erreichte die Politikerverdrossenheit Rekordwerte.
Steinmeier ist sicherlich persönlich fleißig und integer, aber wir sollten nicht vergessen, daß er als Außenpolitiker chronisch erfolglos ist und als Kanzlerkandidat das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten holte.

Steinmeier steht wie kaum ein anderer für das Establishment.
Seit zwei Jahrzehnten sitzt er an entscheidenden Hebeln der Macht und führt das fort, was wir fast immer im Amt des Bundespräsidenten hatten:

1.   Alt
2.   Mann
3.   Weißhaarig
4.   Ausgesprochen fromm und christlich.

Ich hatte so sehr gehofft, daß mal kein klerikaler Geront ins Schloß Bellevue einzieht, der einmal mehr die Abgehobenheit des politischen Betriebs repräsentiert.

1.   Mit Steinmeier, der schon als nächster Präsident der Synode der Evangelischen Kirche gehandelt wurde, zieht schon wieder ein hardcore-Religiot ins höchste Amt der Bundesrepublik ein.

2.   Im Juli 2016  erhielt er den „Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie Bayern“ für die "Kraft seiner christlicher Überzeugung."

3.   Steinmeier focht engagiert für die diskriminierende „Pro-Reli“-Initiative gegen seine eigene Berliner Partei.

4.   Steinmeier predigte am 12.November 2014 beim Eröffnungsgottesdienst der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.“

5.   Laudator und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm überreichte im September 2016 den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing an Steinmeier.

6.   Frank-Walter Steinmeier gehört dem Präsidium des Kirchentages an.

7.   Steinmeier forderte beispielsweise 2012 vehement und verfassungswidrig die Einmischung der Kirchen in die Politik.

8.   Steinmeier eröffnete im November 2014 die Synode der Brandenburgischen Kirche.

Zu fromm für meinen Geschmack.

Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß er eine Art von Aufbruchsstimmung generieren könnte, die auch bisher Politikferne für unsere Demokratie begeistern wird.

Wer jetzt abgehängt ist, wird sich denken, daß wieder das Establishment einen der ihren befördert hat.