Das Kind dahinten hat
ja einen riesigen Wasserkopf!
- Was fällt Ihnen ein; das ist mein Sohn!
- Was fällt Ihnen ein; das ist mein Sohn!
Steht ihm aber
ausgezeichnet.
Vermutlich
war es im Fernsehen, daß mir zuerst diese richtig dummen Menschen aufgefallen
sind, die in Reality-Shows damit prahlen „immer ehrlich“ zu sein. Sie sind
stolz darauf anderen ihre Meinung immer direkt ins Gesicht zu sagen.
Diesem
Irrglauben liegt die bizarre Selbsteinschätzung zu Grunde, es fürwäre das
Gegenüber immer relevant und wichtig wie man ungefiltert denkt.
Jemanden
zu sagen „man, hast du da eine ekeligen großen Pickel auf der Stirn“ ist
polterig-aufdringlich und unhöflich. Das läßt sich nicht damit glattbügeln „eben
immer ehrlich“ zu sein.
Ich
halte mich für einen recht guten Lügner und bin stolz drauf.
Wenn
meine 94-Jährige Nachbarin an meinen Geburtstag denkt und mir einige Mon-Chéri
Sweet Cherries in den Briefkasten legt, sage ich ihr natürlich, daß ich mich
darüber wahnsinnig gefreut habe und nicht das was ich ehrlich denke, nämlich,
daß diese widerlichen Branntwein-Billigschokolade-Dinger sofort in den Müll
gehören.
In
Pflegeeinrichtungen und geriatrischen Abteilungen passiert es mir immer wieder,
daß ich auf total vereinsamte Menschen treffe, die ein ganz starkes
Mitteilungsbedürfnis haben.
Oft
trauen sie sich aber nicht, selbst wenn sie die Gelegenheit bekommen, „Nein,
ich will ihnen nicht ihre Zeit stehlen und sie langweilen.“
Dann ist
es wichtig sehr gut lügen zu können und den Eindruck zu erwecken, man
interessiere sich wirklich brennend für eine Geschichte.
Was
kostet es mich schon mir mal eine Stunde Zeit zu nehmen, wenn es einem anderen
Menschen so gut tut?
Spontan
gut lügen zu können, ist einerseits wichtig um sich aus lästigen
Verpflichtungen zu winden, aber es ist noch bedeutender als Fähigkeit
Komplimente zu machen und einfach höflich zu sein.
Lügen im
privaten Umfeld ist gut.
Natürlich
muß man eine Balance finden. Es ist tragisch, wenn man nach 50-Jähriger Ehe
feststellt morgens immer den labberigen Kamillentee getrunken zu haben, weil
man dachte der Partner verabscheue Kaffee-Geruch, obwohl es ihm umgekehrt genauso
ging.
Die
Literatur ist voll von diesen Geschichten. Mutter quält sich Jahrzehnte damit
ab dem Sohn zum Geburtstag Karpfen zuzubereiten, obwohl sie Fisch nicht
ausstehen kann und der Sohn traut sich die ganze Zeit nicht zu sagen, daß er
auch keinen Fisch mag, aber immer so tat, als ob es sein Leibgericht wäre, weil
Muttern den offenbar so gerne kocht.
Im
offiziellen Umfeld sind Lügen noch heikler.
Man lügt
natürlich bei ernsthaften physischen Beschwerden nicht seinen behandelnden Arzt
über den eigenen Drogenkonsum an!
Das gilt
auch für das schreckliche Kreditgespräch in der Bank, wenn man ein
Immobiliendarlehen haben möchte. Hier heißt es wirklich brutal ehrlich zu sein,
denn sonst kommt man irgendwann in große finanzielle Schwierigkeiten.
Alles was man sagt,
muß wahr sein.
Aber man muß nicht
alles sagen, was wahr ist.
(Egon
Bahr)
Sie sind
wichtig, um diplomatisch zu sein.
Aber es
kann auch in grob undiplomatisches Verhalten umschlagen, wenn sich das
Gegenüber zu offensichtlich verarscht fühlt.
Ein
hohes offizielles Amt wie das eines Ministers oder eines Bundeskanzlers bedingt
es allerdings, daß man gemäß dem Bahrschen Axiom immer ehrlich ist.
Toppolitiker,
die wie Ursula von der Leyen, Finanzminister Wolfgang Schäuble oder Thomas de Maizière immer wieder
deftiger Lügen überführt werden, sind eine echte Schande für ihren Beruf.
Allerdings,
das gebe ich zu, nützen ihnen ihre Lügen bei der Karriereplanung
offensichtlich, da der Urnenpöbel zu phlegmatisch ist, um sich an den
Pinocchio-Nasen zu stören.
Dennoch
bin ich überzeugt, daß diese permanente Unehrlichkeit insgesamt mehr Schaden
anrichtet, weil sie die gesamte politische Klasse in Verruf bringt und somit zu
einer echten Demokratie- und Staatsverdrossenheit beiträgt, die sich
letztendlich in AfD-Wahlergebnissen und Pogromstimmungen zeigt.
Daß
Helmut Kohl über seine Spender und den finanziellen Schwarzgeldsumpf seiner
Partei lügt, wundert mich natürlich nicht.
Erstaunlich
und irgendwie amüsant ist aber, daß Kohl als Bundeskanzler auch im Zwiegespräch
mit Staatsgästen offenbar wie gedruckt log, ohne daß dafür irgendeine Notwendigkeit bestand. Es liegt ihm im Blut.
Märchenonkel im
Kanzleramt.
Helmut Kohl hat in
seiner Zeit als Kanzler (1982 bis 1998) im Ausland ein merkwürdiges Bild von
der Bundesrepublik verbreitet. Argentiniens Präsident Raul Alfonsín erzählte
er, die Bundesrepublik sei von Spionen durchsetzt ("circa 20 000 Agenten
auf allen Ebenen"). Der britischen Premierministerin Margaret Thatcher
vertraute er an, die 2,3 Millionen westdeutschen Erwerbslosen suchten gar nicht
alle Arbeit ("Es wird hier viel Missbrauch getrieben"). Und
US-Präsident Ronald Reagan berichtete er, es gebe hier Linke, die sich
antiamerikanisch äußerten und gleichzeitig "über eine Ranch in Kalifornien"
verfügten.
Das muß
eine Spezialität der C-Politiker sein.
Es sind schließlich fast ausschließlich konservative
Politiker,
die bei ihren Dissertationen schummeln.