Dienstag, 23. April 2013

Kavaliersdelikte und demoralisierte Gesellschaft


Nein, ich wundere mich doch nicht darüber, daß die CSU mit Betrügern und Veruntreuern mauschelt. Das ist seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Nein, ich wundere mich doch nicht darüber, daß die CSU versucht für ihre Multimillionärsfreunde maßgeschneiderte Amnestiegesetze zu erwirken.

Nein, ich wundere mich doch nicht darüber, daß die CSU bei kriminellen Millionären alle Augen inklusive Hühneraugen zudrückt. 
Fernsehmagazine berichten schon seit vielen Jahren darüber, daß in Bayern die Steuerfahnder zum Wegsehen animiert werden, daß sie personell grotesk unterbesetzt sind.
 Das liegt an unserer föderalen Struktur und dem Fehlen einer Bundessteuerfahndung. 
Da puzzelt jedes Bundesland vor sich hin und man leistet sich einen „wer hat die lascheste Steuerfahndung?“-Wettbewerb. 
Kriminelle Steuerhinterzieher wissen sehr genau in welchem Bundesland sie die Strafverfolgung am wenigsten zu befürchten haben und konzentrieren sich dort.
So kann das Bundesland mit der unmoralischsten Regierung auf die Ansiedlung von Unternehmen mit hohem Cash-flow hoffen. 
Klar, daß Bayern an der Spitze steht.
„Der Ehrliche ist der Dumme“ ist bis heute das Motto der Amigos südlich des Weißwurschtäquators.
Musterstaat Bayern? In Sachen Steuerfahndung kann davon nicht die Rede sein. Der Fall Hoeneß wirft ein Schlaglicht auf Defizite in der Finanzverwaltung des Freistaats, der Rechnungshof bemängelt sie seit Jahren. […]

 Wo ist eigentlich Horst Seehofer? […] Der CSU-Chef [ist] so gut wie abgetaucht. Zwei Tage ohne eine seehofersche Wortmeldung, das gibt's auch nicht oft.

[…] Der Fall ist für Seehofer vor allem deshalb ärgerlich, weil sich plötzlich eine Menge Leute dafür interessieren, wie es um die Steuerverwaltung im Freistaat steht. Zwischen München und Berlin werden Zahlen und Berichte herumgereicht, die belegen, dass da einiges im Argen liegt. Ja, man könnte sagen, dass Bayern eine Art Steuerparadies auf deutschem Boden ist.

[…] Lange schon beklagt der Oberste Rechnungshof Bayerns die Zustände in der landeseigenen Steuerverwaltung. Im aktuellen Jahresbericht 2013 rüffeln die Finanzprüfer die "unzureichende Personalausstattung", durch die Steuerausfälle "im dreistelligen Millionenbereich" entstünden. […] Besonders gravierend sind die Missstände der Analyse zufolge im Bereich der betrieblichen Steuerprüfung. Dort haben die Experten des Rechnungshofs eine personelle Unterbesetzung von 20 Prozent ausgemacht. Die Folge: Bei mittelgroßen Betrieben klopfen die Fahnder nur noch alle 20 Jahre an die Türen. Bei Kleinbetrieben gar nur alle 40 Jahre.

Der Statistik der Steuerfahndung 2011 zufolge kommen im Freistaat 29 Fahndungsprüfungen auf 100.000 Steuerpflichtige. Zum Vergleich: Spitzenreiter Rheinland-Pfalz kommt nach Angaben der "Zeit" auf 157 Prüfungen je 100.000 Steuerpflichtige. […] Eike Hallitzky, grüner Finanzfachmann im bayerischen Landtag, sieht die bayerische Regierung gar als "Säulenheiligen der Steuerbetrüger Deutschlands".
Offenbar ist noch nicht bis zur Bayerischen Landesregierung durchgedrungen, daß wir in einer Demokratie und einem Rechtsstaat leben.
Vor dem Gesetz sind alle gleich.
 Die Paragraphen gelten für jeden.
 Man darf nicht aus persönlichen Gründen die Wirksamkeit einzelner Gesetze für sich selbst aussetzen.
Ich kann beispielsweise nicht morgen früh mit vorgehaltener Waffe in meine Bank gehen und 100.000 Euro erpressen, weil ich zufällig der Meinung bin der Strafrecht-§ 249 „Raub“ gehört abgeschafft. 
Ich darf auch nicht meine Frau zu Tode steinigen mit dem Hinweis darauf, daß ich anderenfalls quasi gezwungen wäre in den Jemen auszuwandern, wo derartiges Verhalten erlaubt ist.
Das wäre ein krasses Missverständnis unseres Staates. Jeder muß sich an alle Gesetze halten, die hier gelten – ob es nun gefällt oder nicht.
Gerade konservative und reiche Menschen haben offenbar aber zunehmend das Gefühl Diebstahl müsse nur für den Pöbel verboten sein, sie selbst dürften sich aber darüber hinwegsetzen. 
Ähnlich sieht es bei der Steuermoral aus. 
Steuern zahlen ist in den Augen einiger Superreicher offenbar auch nur was für das gemeine Volk. Für die Angestellten und Arbeiter ohne Vermögen. Sie selbst sind da freier.
Dafür gibt es Gründe. Die Entfesselung der Finanzmärkte und die Auflösung der sogenannten Deutschland AG etwa, die die Gehälter von Bankern und Managern explodieren ließ; die rot-grüne Steuerreform des Jahres 2001, die zwar viele Verkrustungen der Ära Kohl löste, die Steuerlast aber zugleich von den Spitzen- und Gering- zu den Durchschnittsverdienern verschob; die Einführung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge durch die große Koalition. Wer heute viel arbeitet und ordentlich verdient, führt schnell 40, 45, 50 Prozent des Salärs an das Finanzamt und die Sozialkassen ab. Wer so viel Geld hat, dass er von den Zinsen leben kann, zahlt dagegen nur 25 Prozent; wer Millionen erbt und geschickt ist, gar nichts. Das ist wahrlich spätrömische Dekadenz.
Schon quasi-legal muß der Multimillionär also kaum Steuern zahlen, während der hart arbeitenden Krankenschwester und dem Straßenkehrer immer automatisch seine Steuerschuld abgezogen wird.
Die Hoenesse, Zumwinkels, Beckers, Grafs, etc wählen aber zusätzlich noch den illegalen Weg und begehen Diebstahl an der Allgemeinheit.
 Da fände ich es ja noch moralischer, wenn sie wenigstens „nur“ eine Bank überfielen.
In meiner Laufbahn als Steuerfahnder habe ich dies bei allen Berufsgruppen erlebt - und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten: bei Ärzten, Politikern, Ministern, sogar bei Finanzbeamten. Wer mehr Geld hat, der verfügt über einen größeren Hebel bei der Hinterziehung, bei dem geht es um höhere Summen. Die Energie, die dahinter steht - nämlich das Geld der Gemeinschaft vorzuenthalten - ist immer die Gleiche. Es scheint so zu sein, dass der Diebstahl an der Gemeinschaft - und nichts anderes ist Steuerhinterziehung - moralisch anders bewertet wird, als wenn man seinen Nachbarn bestiehlt. Die wachsende Gier spielt natürlich auch eine große Rolle.

Steuervermeidung hat sich zu einem Sport entwickelt, und es gibt ja mittlerweile ganze Branchen, die Menschen dabei helfen, Steuern zu senken oder Steuern zu vermeiden. Das ist nach deutschem Steuerrecht vielfach ganz legal. Eine Person wie Hoeneß hat schier unbegrenzt viele Möglichkeiten, seine Lebenshaltungskosten - Dinge wie Restaurantbesuche, Einladungen, Investitionen, Autos, Reisen - von der Steuer abzusetzen. Dass so jemand dann zusätzlich noch den Weg in die Illegalität wählt, ist wirklich verwunderlich und zeigt die Demoralisierung unserer Gesellschaft.
Bis jetzt bin ich immer noch nicht verwundert. 
Typen wie Hoeneß, die sich von Fußball, Fleisch, Würsten und CSU umkreisen lassen, traue ich ohnehin nichts anderes zu.
Verwunderlich ist schon eher, daß das betrogene Volk ihnen diese Taten kaum übel nimmt.
Wer sich wie Michael Schuhmacher mit seinen riesigen Vermögen in Steuerparadiese absetzt, wird dennoch adoriert.
Dabei gehört ihm zumindest die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.
Diether Dehm: Fall Hoeneß keine Privatsache mehr

„Es geht nicht alleine um einen steuerhinterziehenden CSU-Fan, um jemanden wie Beckenbauer oder Schumacher, die durch Wohnsitz in Österreich Steuern vermeiden – zum Schaden deutscher Krankenhäuser, Schulen und Straßen“, so Diether Dehm, Mittelstandspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, zur anhaltenden Steuerdebatte über den Fall Hoeneß. Dehm weiter:

„Es geht auch um die Steuerhinterziehungsmodelle der Deutschen Bank, die im Dezember Staatsanwaltschaft und Polizei beschäftigten und um andere Konzerne, die mit ihrer Raffgier die europäische Wirtschaft dahin gebracht haben, wo sie jetzt ist.

Deutschland muss sich entscheiden: Für die vielen pünktlich ihre Lohnsteuer Zahlenden, für ein solides Handwerk, für sozial und solidarisch steuerzahlende Unternehmen und Selbständige oder für die ‚Kreativität‘ und  Niedertracht, mit der Konzerne wie Bayern München, die Deutsche Bank und andere Unternehmen ihre Konkurrenz an die Wand drücken und sich anschließend wundern, dass für die Produkte nicht mehr genügend zahlungsfähige Kundschaft übrig bleibt. Insofern ist das Fehlverhalten von Ulli Hoeneß nicht seine ‚Privatsache‘, sondern Ausdruck bestimmter ‚wirtschaftlicher‘ Mentalität.“
(Linke, PM 23.04.13)
Fordert man aber eine Ikone der Mediengesellschaft wie Hoeneß dazu auf doch bitte wie alle anderen NICHT kriminell zu sein, kommen die Betrügerbeschützer von der FDP daher und warnen vor „einer Jagdgesellschaft“.
Wir reden hier von der Partei, die den verurteilten Steuerhinterzieher Otto Graf Lambsdorff nachdem er vorbestraft war zum Vorsitzenden erkor.
Otto Friedrich Wilhelm Freiherr von der Wenge Graf von Lambsdorff wurde 1987 im Zusammenhang mit der Flick-Affäre wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt.
Von 1988 bis 1993 war er Bundesvorsitzender und seit 1993 Ehrenvorsitzender der FDP. Von 1991 bis 1994 war Lambsdorff Präsident der Liberalen Internationale. Von 1995 bis 2006 war er Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung.
(Wiki)
Daß einer der Allgemeinheit Geld stiehlt stört offenbar in schwarzgelben Kreisen wenig. 
Auch Roland Koch blieb im Amt. 
Vor Gericht gestellt und gekündigt werden stattdessen die Verkäuferinnen, die nach 35 Jahren Betriebszugehörigkeit beschuldigt werden einen Getränkecoupon im Wert von 25 Cent „gestohlen“ zu haben.
Es kriechen sogar neoliberale Blogger aus ihren Löchern hervor, die Uli Hoeneß noch beglückwünschen und speichelleckend auf seine Kritiker eindreschen.
Sehr geehrter Herr Hoeneß, […] Bevor ich jedoch darauf eingehe, möchte ich mich zunächst bei Ihnen bedanken. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mein BAföG bezahlen, meine Studiengebühren übernehmen, […]

Herr Pronold von der bayrischen SPD bezeichnet ihre Tat  als schlimmste Form asozialen Verhaltens. Ja, sie mögen gegen das Gesetz verstoßen haben, dagegen kann ich Sie nicht verteidigen, denn ich bin kein Anwalt. Was ich aber tun kann, ist das Gesetz zu hinterfragen und Ihre moralische Integrität zu verteidigen.

[…]  Florian Pronold hat im Jahre 2002 sein zweites Staatsexamen abgeschlossen, ebenfalls seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. Seine Leistung für das Land, um das er ihretwegen so besorgt ist, lässt sich nicht einmal ansatzweise mit dem vergleichen, was Sie bereits an Steuern gezahlt haben.   […] Uns geht es nicht ansatzweise so gut, wie es uns gehen könnte. Und die Hauptschuld trägt die politische Klasse, die alles dafür tut, Leistungsträger aus Deutschland zu vertreiben, keine ausländischen Leistungsträger ins Land zu holen und stattdessen selbst immer fetter und gieriger wird.  […] Dass Sie sich lieber selbstständig in einer Stiftung engagieren, anstatt mit (noch mehr) Steuergeld ungefragt Theater, Museen und Opern zu finanzieren, halte ich für alles andere als unlogisch.
Dieses unfassbare Anbiedern an die Reichen und Mächtigen dieses Landes erwartet man von FDP-Freunden.
Aber bei weitem nicht nur Hepatitisgelbe stören sich nicht an den kriminellen Machenschaften des hochverlogenen Bayern mit der Wurstfabrik.
Die Bewunderer des großen Bayern sind trotzdem milde gestimmt: Jeder Mensch macht doch Fehler, wird zu seiner Verteidigung vorgebracht, etwa in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und überhaupt: Die anderen sollen mal nicht so tun, als wären sie besser. Bezahlen doch alle ihre Handwerker, Putzfrauen und Autoschrauber schwarz.

Ja, und hat Uli Hoeneß etwa nicht genug getan für den Staat und die Gemeinschaft? […]  Kümmert er sich etwa nicht vorbildlich um die FC-Bayern-Familie, lässt keinen gestrauchelten Ex-Spieler hängen, hilft schnell und ohne große Worte? […]Hoeneß verkörpert mit dieser Doppelmoral den insbesondere in Bayern noch weitverbreiteten Typus des Patriarchen, der unter der Woche am Familientisch unhinterfragt die Regeln von Zucht und Anstand diktiert, um dann (wenn überhaupt) beim Kirchenbesuch dem Pfarrer seine Verfehlungen zu beichten.

Es ist dieselbe Geisteshaltung, die es auch der Staatspartei CSU ermöglicht, trotz zahlreicher Skandale kaum angefochten seit 1957 Bayern zu regieren. Im Freistaat zählt Stallgeruch und Erfolg mehr als die Frage, ob dieser Erfolg auch regelkonform erlangt wurde. Zuletzt war es der CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg, der so lange von Anstand und Ehre schwadronierte, bis man ihm den erschlichenen Doktortitel wegnahm. Die in Bayern gerne zur Schau gestellte, aber im Inneren hohle moralische Überlegenheit und Selbstgerechtigkeit ist das fortdauernde Erbe des bajuwarischen Übervaters Franz Josef Strauß.
In den eilig anberaumten Talkshows zum Thema mag auch niemand wütend zu werden.
Wo leben wir eigentlich?
"Ausgerechnet Hoeneß - wem kann man jetzt noch trauen?", lautete das Motto beim TV-Talk von Frank Plasberg. Doch das große Drama wollte sich in der Debatte partout nicht einstellen, die Abrechnung mit dem prominenten Steuersünder aus München blieb aus. […]  "Ausgerechnet Hoeneß - wem kann man jetzt noch trauen?", lautete das Motto bei Plasberg, was von unfreiwilliger Komik ist. Wenn Joachim Gauck oder Angela Merkel unversteuert Millionen in die Schweiz geschafft hätten - na gut, da hätte man mal kurz an der Menschheit zweifeln mögen. Aber Hoeneß? Ein Mann, der öffentlich über die steuerliche Belastung von Fußballern und ihren Managern klagt? Der sich gegen eine "Reichensteuer" mit dem Argument wehrt: "Wenn die Unternehmer alle in die Schweiz gehen, ist auch keinem geholfen"? Da wäre man fast ja schon enttäuscht gewesen, wenn so ein gewiefter Stratege, so ein Transfer-Genie und Millionenjongleur so gar keine Schwarzgeldkonten gehabt hätte.

Die Dramaturgie des Talkshow-Wesens gebietet es jedoch, den als Gauner Enttarnten zum vormaligen "Vorbild" zu stilisieren, das jetzt vom Sockel gestürzt ist. […] Der ehemalige CSU-Vorsitzende und Hoeneß-Spezl Erwin Huber mochte nicht verzichten auf den ranzigen Bibelspruch vom ersten Stein, den werfen möge, wer ohne Sünde. Zwar sei Steuerhinterziehung - Achtung, wieder Platituden - "kein Kavaliersdelikt". Aber "an den Pranger" dürfe man den Hoeneß deshalb nicht stellen, schließlich habe er sich selbst angezeigt.  Das wollte aber auch partout keiner machen.