Sonntag, 5. September 2021

Wahlen haben Konsequenzen.

Wenn ich eins nicht leiden kann, dann ist das die Masse der indolenten und phlegmatischen Politikfernen, die sich vier Jahre lang nicht für die Vorgänge in Parlament und Regierung interessieren, noch nicht einmal die Minister den richtigen Parteien zuordnen können und dann kurz vor Wahltag debil grinsend bei Straßenumfragen in die Kamera plappern, sie könnten sich nicht entscheiden, weil ihnen beide (oder im Falle 2021 alle drei) Kandidaten nicht gefielen.

Ein Blick ins Grundgesetz verrät:

Artikel 21

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

Natürlich kann jeder Bürger Einfluß nehmen, indem er mit anderen diskutiert, Leserbriefe schreibt, zu Demonstrationen geht, Petitionen einreicht, sich bei Bürgerinitiativen engagiert und dergleichen mehr.

Aber letztendlich muss eine parlamentarische Mehrheit gefunden werden und das funktioniert nur, wenn Parteien überzeugt wurden.

Daher empfiehlt es sich als Mitglied eine Partei ganz direkt zu beeinflussen.

[….] Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit, indem sie

    die unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Interessen in der Gesellschaft artikulieren, sie zu politischen Konzepten und Programmen bündeln und Lösungen für politische Probleme suchen,

    in der Öffentlichkeit für ihre Vorstellungen werben und die öffentliche Meinung und die politischen Ansichten der einzelnen Bürger beeinflussen,

    den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit bieten, sich aktiv politisch zu betätigen und Erfahrungen zu sammeln, um politische Verantwortung übernehmen zu können,

    die Kandidaten für die Volksvertretungen in Bund, Ländern und Gemeinden und das Führungspersonal für politische Ämter stellen,

    als Regierungsparteien die politische Führung unterstützen,

    als Oppositionsparteien die Regierung kontrollieren, kritisieren und politische Alternativen entwickeln. [….]

(BPB, 15.12.2009)

Das demokratische politische Spektrum der Bundestagsparteien vom radikal pazifistischen Flügel der Linkspartei bis zum Werteunion-Flügel der CDU ist extrem weit. Wer sich darin nicht wiederfindet, kann unter Dutzenden weiteren zur Wahl zugelassenen Parteien auswählen

Dabei gilt es aber zu bedenken, daß der politische Einfluss der parlamentarischen Opposition bereits sehr gering ist. Die außerparlamentarische Opposition aber, ist nahezu wirkungslos.

Ich mag zum Beispiel das streng säkulare Programm der Partei „Die Humanisten“. Da sie aber keine Chance haben, die 5%-Hürde zu schaffen, wäre die Stimme ähnlich schädlich wie Nichtwählen.

Parteimitglieder beeinflussen auch die personelle Aufstellung einer Partei, wie ich selbst mehrfach schmerzlich erlebte.

1993 war ich ein strikter Gegner Scharpings und großer Befürworter Schröders. Daher war ich von der einfachen Mehrheit für Scharping bitter enttäuscht.

Bekanntlich war ich auch nie ein Schulz-Fan und trommelte vergeblich für Olaf Scholz, als sich die Mehrheit der Partei leider einmal für Andrea Nahles und einmal für NoWaBo und Esken entschied.

A posteriori habe ich offensichtlich Recht gehabt. Mit Schröder 1998 lief die Wahl sehr viel besser als die Scharping-Wahl 1994 und 2021 ist es Olaf Scholz, der nach vielen Leidensjahren die SPD hoffentlich zur stärksten Partei macht.

Aber es ist der Kern der Demokratie, daß nicht ein einzelner die Ausrichtung der Partei anordnet, sondern daß alle Mitglieder beteiligt sind.

Wer in „Die Grünen“ eintritt, kann entsprechend beeinflussen, ob die Partei sich erzkatholisch/CDU-affin (Kretschmann, Palmer), evangelisch-fromm (Göring-Kirchentag) oder progressiv/säkular (Roth, Trittin) ausrichtet.

Bei den Linken geht es von Oberrealo (Bartsch, Pau) über intellektuell (Gysi), pazifistisch (Dagdelen, Jelpke), Finanzexperte (Fabio De Masi) bis außenpolitisch durchgeknallt (Andrej Hunko) und völkisch-AfD-affin (Wagenknecht).

Die SPD bietet allerlei fromme Cis-Heteros, die von „Gendergaga“, Multikulti und Säkularismus nichts wissen wollen (Thierse, Nahles, Griese) bis zu Migranten (Hakverdi) oder schwulen Großstädtern (Kahrs, Kühnert) und linken Frauen (Esken) vielen Mitgliedern eine politische Heimat. Glücklicherweise sind die meisten aber ideologisch nicht verbohrte, sehr sozial und ökologisch denkende Menschen.

Die CDU reicht von liberaleren Norddeutschen (Günther*, Wersich) über völkische Rechtsaußen (Ploß, Maaßen, Amthor, Stahlknecht) bis zu gemütlichen frommen süddeutschen Bauern.

(*Daniel Günther ist erzkatholisch.)

Wem das alles noch nicht reicht, dem steht es selbstverständlich frei, selbst eine Partei zu gründen.

Wer sich beklagt, die Parlamentarier wären überbezahlt, Minister schwelgten im Luxus, ist herzlich eingeladen selbst eine Abgeordneten- oder Minister-Laufbahn einzuschlagen. Die Parteien freuen sich über neue Mitglieder und noch mehr über diejenigen, die sich auch wirklich engagieren, zu allen Basistreffen kommen, sich zu Delegierten wählen lassen und in Wahlkämpfen ihr Gesicht hinhalten.

Jeder sozial denkende und politisch interessierte deutsche Wähler ist in der Lage mit Hilfe der Umfragen, die eine vage Aussicht auf das Ergebnis bieten, eine taktische Wahlentscheidung zu treffen. Schlimmstenfalls muss er das geringste Übel wählen. Aber auch das ist angesichts von Kandidaten wie Laschet und Lindner eine sehr leichte Übung.

Was aber nicht geht, ist vier Jahre die Augen zu verschließen, das enorme parteipolitische Spektrum zu ignorieren, die unendlichen Möglichkeiten sich einzubringen außer Acht zu lassen und dann zwei Wochen vor der Bundestagswahl zu jammern, sie hätten lieber andere Kandidaten als Scholz, Laschet und Baerbock.

Dafür ist es wahrlich zu spät und wer sich über Jahre nie selbst in die Politik einbringt, hat sein Recht verwirkt, sich über diejenigen zu beklagen, die es tun.