Wie wirkt sich das extrem peinliche Strache-Gudenus-Video auf die
Wahlchancen der antieuropäischen Rechtsextremen aus?
Viele rechtsnationale Wähler in Deutschland befürchten
offensichtlich Nachteile, denn sie hetzen, lügen und verschwörungstheoretisieren
in immer stärkerer Frequenz.
Sie versichern sich gegenseitig ihre Treue, euphemisieren
das Fehlverhalten des ehemaligen österreichischen Vizekanzlers („jeder hat doch
schon mal betrunken ein bißchen dick aufgetragen“), betonen die fehlende
strafrechtliche Relevanz und drehen den Spieß um: Die wahren Bösen erkennt der
rechtspopulistische verschwörungstheoretische Hassblogger D. Berger aus Berlin
überall sonst: Bei den deutschen Medien, „den“ Linken, der Justizministerin
Barley.
[….] Im Fall Strache hat sich nicht nur der Fallensteller und Filmer
strafbar gemacht, sondern auch die Medien („Spiegel“ und „SZ“) haben nach
deutschem Recht eine schwere Straftat begangen. Dass die deutsche
Justizministerin das goutiert und Sebastian Kurz auf kriminellen Fundamenten
Entscheidungen trifft, müsste jedem Anhänger unseres Rechtsstaates die Zornesröte
ins Gesicht treiben.
Nach dem Fall Relotius hat der gleichgeschaltete Haltungsjournalismus
mit der Causa Strache ein neues Level erreicht, das einen – zusammen mit der
Reaktion unserer Bundesministerin – erschaudern lässt. [….]
In diesem Fall unterliegt Lügen-Berger einem multiplen
Irrtum auf vielerlei Ebenen.
Natürlich ist die Veröffentlichung des Videos legal und
durch die Pressefreiheit gedeckt, da hier zweifellos ein öffentliches Interesse
vorliegt. SZ-Chefredakteur Kurt Kister nahm dazu in der Samstagsausgabe seiner
Zeitung ausführlich Stellung. Seiner Zeitung liegen mehrere Stunden
Videomaterial vor, das offenbar nur so von für die handelnden Personen
hochnotpeinlichen persönlichen Angelegenheiten strotzt.
Davon wurde aber nichts veröffentlicht, sondern die
Journalisten konzentrierten sich auf die wenigen politisch absolut relevanten
Dinge.
Gerade diese Affäre ist ein gutes Beispiel dafür, daß wir in
Europa dringend den klassischen, seriösen Journalismus brauchen. Gatekeeper,
die diese Materialmassen sichten, bewerten und die relevanten Teile
veröffentlichen. Das ist nichts für Wikileaks.
Den beiden Antisemiten schwant aber was die SZ- und
SPIEGEL-Journalisten, sowie Jan Böhmermann und das „Zentrum für politische
Schönheit“ noch gesehen haben und beugen schon mal vor.
Berger, dem böse Zungen ob des sichtlichen Verfalls seiner
Zähne („Methmouth“) mutmaßlichen Konsum illegaler Substanzen nachsagen ……
– wovon ich mich natürlich empört und schockiert distanziere
– irrt aber auch noch in anderer Hinsicht.
Er befürchtet die Aufdeckung kriminellen und amoralischen
Verhaltens schade den Wahlchancen seiner AfD, in deren Stiftungsrat er zusammen
mit Erika Berger sitzt.
Das träfe aber nur zu, wenn potentielle Rechts-Wähler Rechtstreue
erwarteten.
Das tun sie aber offenbar nicht.
Große Stars der rechten Szene sind kriminell. Lutz Bachmann
saß mehrere Jahre in Haft, wurde immer wieder verurteilt.
Dennoch wurde er zum bewunderten König der rechten
Pegidioten, dem Zehntausende jubelnd hinterherliefen.
Rechtsextreme kennen nicht nur keinen Anstand und Moral, sie verhalten sich auch nicht rechtstreu. Sie müssen es auch nicht, weil ihre Wähler ebenfalls ethisch unterentwickelt sind.
[…..] Die Rechtspopulisten stellen bundesweit 252 Abgeordnete, 92 davon
sitzen im Bundestag. Dennoch hat die Partei ein schwerwiegendes Imageproblem,
unter anderem weil es zahlreiche ihrer Vertreter mit Recht und Gesetz nicht so
genau nehmen. Natürlich gibt es auch strafrechtliche oder dienstrechtliche
Ermittlungen gegen die Volksvertreter anderer Parteien, aber nirgendwo ist die
Quote so hoch wie bei der AfD, wie Recherchen der "Welt am Sonntag"
("WamS") ergaben.
Demnach laufen gegen 22 AfD-Abgeordnete 24 Verfahren oder sind mit
einer Sanktion abgeschlossen, schreibt die Zeitung. Das ergibt eine Quote von
knapp zehn Prozent bezogen auf alle AfD-Abgeordneten bundesweit - und es
existiert ein Unterschied zwischen Ost und West. Im Osten liegt die Quote bei
elf Prozent, im West bei acht Prozent. Vermutlich liegt die Gesamtzahl der
Verfahren sogar höher. Aber in den meisten Landesparlamenten muss für ein
offizielles Ermittlungsverfahren die Immunität des Abgeordneten aufgehoben
werden. Aber nicht jedes Landesparlament gibt Auskunft über Verfahren zur
Aufhebung des parlamentarischen Rechtsschutzes.
Die mutmaßlichen Delikte haben den "WamS"-Recherchen zufolge
eine erstaunliche Bandbreite: Es geht um Trunkenheit am Steuer, unerlaubtes
Entfernen vom Unfallort, Meineid, Steuerhinterziehung, Untreue, Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung, Verbreitung kinderpornografischer Schriften,
sexuelle Nötigung, Verstöße gegen das Versammlungsrecht, Verwendung
verfassungsfeindlicher Kennzeichen, Beleidigung und Volksverhetzung.
Unter den AfD-Abgeordneten gibt es zahlreiche zwielichtige Gestalten
[….]
Eigentlich wenig überraschend. Wer sich vorstellen kann
NSDAP-affine Politiker zu wählen, nimmt es mit dem Strafrecht nicht so genau.
Wir erleben das in Großbritannien mit Nigel Farage. Nicht
nur, daß sich jedes einzelne seiner Versprechen von 2016 als Lüge erwiesen hat,
nein, er persönlich verhielt sich auch noch besonders hinterhältig, stahl sich
aus der Verantwortung, kassierte in der EU ab. Und fünf Tage vor der EU-Wahl
2019 sehen ihn englische Umfragen als den ganz großen Gewinner.
Das gleiche Bild in den USA: 10.000 Lügen, gebrochene
Wahlversprechen, ein Sumpf von kriminellen Aktivitäten, ein halbes Dutzend
Trump-Berater im Knast und die Massen jubeln ihm immer noch zu.
Würde die Demokratie in unseren westlichen Ländern
funktionieren, wären alle Wähler gut informiert, würden rational abstimmen.
Das sind sie aber nicht. Weite Teile der Wählerschaft sind
phlegmatisch, desorientiert, desinformiert, missgünstig, irrational und
gefühlig.
Wenn Anne Will, Sandra Maischberger, Illner und Plasberg wie
in den letzten Jahren weit überproportional AfD-Themen behandeln, immer eine
AfD-Figur in der Runde haben, dem sie Sendezeit schenken, um für sich zu
werben, nützt es eben gar nichts, wenn auch „einer von der Gegenseite“
widerspricht und auf Fakten hinweist.
Das nehmen ohnehin nur die jeweiligen Anhänger wahr.
Viele potentielle Rechts-Wähler sind so desperat, daß sie
Widerspruch von etablierten und seriösen Politikern geradezu als Argument
verwenden nun erst recht die Meuthengaulandhöckes zu wählen.
[…..] In einer idealen politischen Welt hätte eine Partei wie die FPÖ
abgewirtschaftet. In dieser Welt würde sich einer wie Heinz-Christian Strache
demütig davonmachen. Auf Nimmerwiedersehen. Viele Bürger würden am kommenden
Sonntag bei der Europawahl das Kreuzchen, das sie für die Blauen reserviert
hatten, etwa bei den Roten oder Türkisen setzen. Und auch im näheren Ausland
beschlössen manche Wähler, die nationalen politischen Freunde der FPÖ, die
vielleicht nicht alle charakterlich, aber inhaltlich aus ähnlichem Holz
geschnitzt sind, nicht mehr zu unterstützen.
Die politische Welt ist aber nicht ideal, wie unter anderem der Brexit,
eine Entscheidung wider jegliche Vernunft, und vor allem Donald Trump gezeigt
haben. Die Lehre aus dem Wirken des US-Präsidenten ist doch diese: Er kann nach
Herzenslust Frauen begrapschen, Gegner diffamieren, Unsinn erzählen, lügen,
Hasard spielen mit den Diktatoren der Welt, er kann sich alles, wirklich alles
bis zu der Schwelle erlauben, die zum Impeachment oder ins Gefängnis führt. Und
er wird dennoch gewählt. Nein, schlimmer: deswegen. [….]