Donnerstag, 5. Oktober 2017

Mitleid



Manchmal geht ja ordentlich was schief im Leben eines Politikers. Natürlich ist auch nicht alles planbar.
Man denke an den armen François Hollande, der oft Pech mit dem Wetter hatte, triefnass gefilmt wurde.
Je mehr seine Umfragewerte sanken, desto mehr Spaß hatten die Journalisten daran ihn wie einen begossenen Pudel abzulichten.

[….] Kein französischer Staatschef wurde so oft im Regen fotografiert wie François Hollande. Von seinem Amtsantritt im Mai 2012 bleibt das Bild eines frisch gewählten Präsidenten, der im offenen Wagen über die Champs-Elysées fährt – im nassen Anzug und mit beschlagener Brille. Solche Szenen haben sich inzwischen unzählige Male wiederholt, das Fotoalbum der Legislaturperiode ist voll mit Regenbildern. Im Pariser Politbetrieb amüsiert man sich schon lange darüber, und auch Hollande versucht, es mit Humor zu nehmen. [….]

Der Mann konnte einem leidtun, weil die Regenbilder eine perfide Methode waren ihn immer mehr der Lächerlichkeit preiszugeben.
Andererseits war er französischer Präsident und damit Inhaber eines sehr mächtigen Amtes, das er einfach nicht zu nutzen wußte. Er konnte seine Politik nicht durchsetzen und blieb auf völlig unerklärliche Weise blass und ratlos.
Bei einem erfolgreichen Präsidenten hätte die schreibende Zunft schnell die Lust verloren ihn immer wieder klatschnass zu zeigen.

Zuletzt schien Mrs. May geradezu vom Pech verfolgt. Ihre Minister debakulieren bei jeder Gelegenheit, für ihre Brexit-Vorstellungen wird sie in Europa ausgelacht und nun sägt auch noch ihre eigene Partei an ihrem Stuhl. Beim Parteitag wollte sie sich mit einer großen Rede stärken, aber dann ging alles schief.

[….] Die Rede der britischen Premierministerin May auf dem Tory-Parteitag verlief katastrophal. [….]
Ein Komiker hat die Rede der britischen Regierungschefin Theresa May beim Parteitag der Konservativen in Manchester unterbrochen. Der Mann überreichte May während ihrer Ansprache am Mittwoch ein P45-Formular, das in Großbritannien üblicherweise bei einer Entlassung ausgehändigt wird. Er wurde von Sicherheitsleuten aus dem Saal geführt.
May, die während der Rede immer wieder mit einer trockenen Kehle zu kämpfen hatte und der mitunter die Stimme versagte, ignorierte den Zwischenfall weitgehend. [….] Die kurze Unterbrechung war nicht der einzige kuriose Vorfall bei den Tories während Mays Rede. Hinter der Premierministerin bildeten Buchstaben an der Wand den Slogan der Partei "Building a country that works for everyone" (deutsch: "Ein Land aufbauen, das für jeden funktioniert"). Kurz vor dem Ende von Mays Rede fielen mehrere dieser Buchstaben zu Boden. [….]

Man möchte die arme Frau bemitleiden.
Allerdings ist sie keine unschuldige vom Pech Verfolgte, sondern die vermutlich schlechteste Premierministerin aller Zeiten.
Sie fügt ihrem Land schweren Schaden zu, belügt ihr Volk, verhält sich unsolidarisch und verantwortungslos gegenüber dem Rest Europas und ist zudem auch noch von persönlicher Machtgier zerfressen. Ihre Entscheidung den Brexit-Prozess über Monate zu blockieren, weil sie ohne Not Neuwahlen ansetze, war sicherlich ein Meisterwerk der Morialogie. Ihre Partei verfügte über eine absolute Mehrheit, die May in völliger Verkennung der Realität durch die vorgezogenen Wahlen verspielte, so daß sie nun in einer Koalition mit Ultrarechten regieren muss.

Mitleid empfinde ich langsam auch mit Martin Schulz.
Der Pech-Magnet versemmelte erst vier Wahlen in Folge und nun schießen sich die alten Parteigrößen Franz Müntefering, Gerd Schröder und Klaus von Dohnanyi auf ihn ein.

In den sozialen Netzwerken steht die SPD-Basis noch zu ihrem Vorsitzenden; Nörgler (wie ich) werden weggebissen.

Natürlich verstehe ich die Frustration und den Trotz der Parteimitglieder. Man glaubt (zu Recht), daß Merkel und Lindner den Sieg nicht verdient haben, weil sie keine Inhalte transportierten.
Da freute man sich an Schulz in der Elefantenrunde, als er der geschockten Kanzlerin entgegenwarf, daß sie zukünftig nur noch Widerstand aus der SPD erwarten können. Von uns gibt es nicht noch mal die fehlenden Stimmen zur Kanzlermehrheit. Ätschi.
Je mehr das Ergebnis der Bundestagswahl aber sackt, desto klarer werden die enormen Versäumnisse des SPD-Chefs.
Der Wahlkampf war unprofessionell, thematisch arm und Schulz war nicht willens oder nicht fähig die Diskussion zu bestimmen.

Der Würselener Seeheimer tut mir inzwischen auch schon Leid, weil sich erwartungsgemäß langsam auch die Journaille gegen ihn wendet.

 [….] Der Rückhalt in der Partei für den als Kanzlerkandidaten krachend gescheiterten Vorsitzenden bröckelt. Schon vergangene Woche mehrten sich die Zweifel, ob Schulz der Richtige für die versprochene Erneuerung der Partei ist – oder ob er nicht besser beim Parteitag im Dezember den Weg freimacht.
Jetzt nimmt das interne Gemurre zu, weil Schulz ungeahnt peinliche Einblicke in seinen Wahlkampf erlaubt hat: Eine "Spiegel"-Reportage belegt, dass Schulz schon seit Juli die Bundestagswahl verloren gegeben hatte und von großen Selbstzweifeln geplagt war. Der Text ist ein Dokument der Hoffnungslosigkeit, aber auch eines bizarren Wahlkampf-Theaters, mit dem der Kandidat die eigenen Anhänger täuschte.
[….] Immer wieder äußert Schulz Wut und Selbstzweifel, weil die Umfragewerte für die SPD weiterhin sinken. Wenige Tage nach dem TV-Duell Anfang September sagt er im kleinen Kreis: "Ich muss jeden Tag erklären, dass ich Kanzler werden will, und jeder weiß: Der wird niemals Kanzler. Die Leute finden mich peinlich. Die lachen doch über mich." Nicht nur auf den Marktplätzen erzählte Schulz etwas anderes, auch bei SPD-Funktionären nährte er Illusionen. [….] Insgesamt liegt jetzt ein schonungsloses Protokoll von monatelanger Ratlosigkeit, Unprofessionalität und Wehleidigkeit vor. Schulz mag nun menschlicher erscheinen, aber er hat rapide an Autorität verloren. [….]

Die Selbstzweifel und Sensibilität machen ihn sympathisch.
Aber können wir uns einen Parteichef leisten, der einem Leid tut, weil er nach all der Wahlkampfschufterei nun auch noch um sein höchstes Parteiamt kämpfen muß?
Kann ein Aufbruch gelingen mit einem Chef, der generell mit Begriffen wie „Niederlage“, „Absturz“ und „freier Fall“ konnotiert wird?
Es ist nicht falsch, wenn Schulz nach seiner Mega-Niederlage Gabriel und Nahles eine Mitschuld zuweist, weil diese in den letzten Jahren zu viel versäumt hätten.
Aber es wirkt schon sehr verzweifelt, wenn der Kandidat und Parteichef es nun nötig hat mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Schulz, der arme kleine Mann, der ein Opfer der Umstände wurde und jammerig auf Tu quoque und weiter so setzt?
Mitleid ist eine sehr wichtige menschliche Eigenschaft. Die dafür notwendigen Spiegelneuronen ermöglichen erst friedliches Zusammenleben.
Aber in der Politik sind leider breite Rücken gefragt. Ein bemitleidenswerter Parteichef wird wohl nie als kanzlertauglich gelten.