Dienstag, 22. März 2016

Mein persönliches „Projekt 18“

Die letzten dreieinhalb verbliebenen vernünftigen US-Republikaner haben es offensichtlich aufgegeben einen Präsidentschaftskandidaten Trump zu verhindern. Der einzige Weg das noch zu verhindern wäre tabula rasa beim Clevelander Nominierungsparteitag. Aber dort nicht Trump auf den Schild zu heben, hätte womöglich Aufstände zur Folge. Trump selbst kündigte schon „riots“ an und Millionen seiner fanatisierten Fans sähen sich in ihren „die da oben betrügen uns“-Vorurteilen gegen die Partei bestätigt.
Die GOP böte so ein chaotisches Bild, daß Hillary Clinton Präsidentin würde.

Wer es gut meint mit den US-Republikanern muß sich eigentlich wünschen, daß Trump nominiert wird, sich die Partei einmütig hinter ihn stellt und er im November krachend gegen die Demokraten verliert.
Man müßte anschließend bis 2020 Clinton aussitzen und während der Zeit die Partei erneuern und von den Teebeutlern reinigen.
Immerhin hätte man dann das Argument es mit einem Extremisten versucht zu haben, aber damit auf die Nase gefallen zu sein.

Auch wenn der folgende Vergleich reichlich stark hinkt, so befürchte ich, daß ein ähnliches Szenario für die SPD in Deutschland notwendig ist.
Heute gelang es der ältesten Partei unter der Führung Sigmar Gabriels auf 20% bei der Sonntagsfrage zu schrumpfen. In weiten Teilen Ostdeutschlands rutscht sie damit hinter die Storch-Höcke-Pest.

"Diese Aufmerksamkeit beschert nun der AfD und den Grünen auch einen bundesweiten Sympathie-Zuwachs", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Bei bundesweiten 13 Prozent erreicht die AfD in Ostdeutschland flächendeckend 22 Prozent, in Bayern 15 und in Baden-Württemberg 13 Prozent – im Rest der Republik allerdings nur 8 Prozent.

Meine politische Ausrichtung ist klar. Ich hatte 2013 gegen die große Koalition gestimmt, sehe meine Befürchtungen sogar noch bestätigt.

Absolut gesprochen heißt das:
Jemand, der so agiert wie der Vizekanzler Gabriel hat es nicht verdient wiedergewählt zu werden oder gar Bundeskanzler zu werden.
Relativ betrachtet gilt aber auch:
Natürlich ist die SPD immer noch das kleinste Übel in der GroKo. Gabriel hat durchaus auch seine lichten Momente; kein Vergleich zu seinem Groko-Kollegen Seehofer, der nie etwas Vernünftiges sagt oder fordert. Hieße die Alternative CDU/CSU/FDP-, CDU/CSU/AfD-, oder CDU/CSU-Regierung würde ich dennoch empfehlen die SPD zu wählen, weil sie das kleinere Übel ist.

Was wird passieren bei der Bundestagswahl 2017?
Schon jetzt mehren sich die Stimmen in der SPD, die Gabriel ermuntern Kanzlerkandidat zu werden.
Ein ziemlich vergiftetet Lob, denn zu gewinnen gibt es nichts. Irgendeiner muß den Job ja machen. Die anderen SPD-Minister sind zu feige, faul oder uninspiriert, um sich als Prügelknabe zur Verfügung zu stellen. Nahles zB will auch ihre Chancen für 2021 bewahren und nicht vorher beschädigt werden.
Gabriel auf den Schild zu heben ist zudem eine Aktion, die auf wenig Widerstand treffen dürfte. Wie sollte sich Gabriel als Parteivorsitzender halten, wenn er nach 2013 zum zweiten mal kniffe und sich hinter einem anderen Kandidaten versteckte? Schon im Dezember 2015 wurde er nur mit miserablen 74,3% als Vorsitzender wiedergewählt; wie sollte er zukünftig respektiert werden, wenn er sich vor der Kanzlerkandidatur drückte?

Gabriel muß also seinen Kopf hinhalten und wird vom Wähler höchstwahrscheinlich eine üble Klatsche einkassieren.
Erst nach so einer Erfahrung wird er entweder den Parteivorsitz aufgeben, oder aber aus Einsicht umsteuern.

 Im vorletzten SPIEGEL-Heft (Nr. 11/2016) gab es eine vorzügliche Titelgeschichte zum Thema „Die geteilte Nation. Deutschland 2016: Reich wird reicher, arm bleibt arm.

Unser Sozialstaat droht an der wachsenden Ungleichheit zu kollabieren. Die Undurchdringlichkeit der sozialen Schichten, der fast unmögliche Aufstieg aus der Armut, die eklatante Chancenungleichheit bei der Bildung, die enorm höhere Sterblichkeit von Armen, wird ökonomische Einbußen von über 550 Milliarden Euro bis 2030 bringen.
Deutschland leistet sich ein in Europa einmalig unterfinanziertes schlechtes Schulsystem, weil Schäuble kurzfristige neoliberale PR-Erfolge – „die schwarze Null“ – wichtiger sind, als langfristige Investitionen.
Es ist höchste Zeit umzusteuern, aber die SPD hilft dabei leider nicht, weil Gabriel der Mut fehlt das zu fordern, was inzwischen auch konservative Wirtschaftsforscher, wie die vom DIW mit Nachdruck verlangen.

Die Leute wären jetzt so weit. Aber in Gabriel haben sie einen, auf den sie nicht bauen können. Der SPD-Chef wäscht sich nur, wenn er nicht nass wird. Seine Idee vom Solidarpakt war nicht schlecht: keinen „Flüchtlingswohnungsbau“ und keine „Flüchtlings-Kitas“, sondern bezahlbare Wohnungen und ausreichende Kinderbetreuung für alle. Kritik verdient er nicht für den Vorstoß, sondern für den Rückzug. Gabriel hätte den Populismusvorwurf aushalten müssen. Hat er aber nicht. „Weder sind Steuererhöhungen nötig noch neue Schulden“, versicherte er artig. Den Kampf gegen die magische „schwarze Null“, den ausgeglichenen Haushalt, wagt der SPD-Chef nicht.
Es sind also eine Million Menschen gekommen, aber alles geht weiter wie bisher? Es kommen noch mehr, und wir zahlen das aus der Portokasse? Keine Zumutungen, keine Wahrheiten? Das ist der wahre Populismus.

Nebenbei bemerkt: Wer das ganze Desaster der verfehlten Politik in der eben schon dringend empfohlenen SPIEGEL-Titelgeschichte liest, bekommt zu 100% den toxischen Einfluss der eiskalt-neoliberalen Westerwelle-Doktrin vor Augen geführt.

Wie sich die Zeiten ändern. Vor 15 Jahren war es der damalige SPIEGEL-Starjournalist Gabor Steingart, der den SPD-Kanzler unter Feuer nahm. Schröder solle endlich neoliberal umsteuern. Nur Westerwelle wisse was geschehen müsse daher unbedingt in die Regierung.
Nun haben sich alle Vorzeichen geändert. Die SPD macht die wirtschaftsfreundliche neoliberale Politik, die der SPIEGEL (und 95% aller anderen Medien) damals forderten, aber es ist der SPIEGEL, der dringend fordert auf Keynesianisch umzusteuern.

Wir sind insgesamt noch weit hinter richtig soziale Marktwirtschaft zurückgefallen.
Heute sind beispielsweise ausnahmslos alle Zeitungen voll des Lobes über Nahles‘ Rekord-Rentenerhöhung von fast 5% im Westen.

Daß aber Nahles grundsätzlich nur die Angestellten einzahlen lässt, während Reiche, Selbstständige, Beamte und Bundestagsabgeordnete gar nichts in die Rentenkasse zahlen, wird gar nicht mehr erwähnt, obwohl das eine so eklatante Ungerechtigkeit ist, daß Nahles selbst immer forderte die Renten aus dem Bundeshaushalt zu zahlen – aber da war sie noch nicht Ministerin.

Und was bedeutet überhaupt „5% Erhöhung“? Prozentual heißt, daß diejenigen mit der höchsten Rente auch die größten Aufschlag bekommen.

Eine arme Rentnerin mit 500 Euro im Monat bekommt dann 25 Euro mehr, ist also immer noch richtig arm, während der Luxusrentner mit 10.000 Euro Rente, der also keineswegs eine Erhöhung nötig hätte, gleich 500 Euro dazu bekommt.
Das sind 475 mehr.
Faire Sozialpolitik würde wenn sie etwas zu verteilen hat lieber Pauschalbeträge aufschlagen. 250 Euro mehr für jeden, beispielsweise.

Gabriel ist aber auch der Mann, der

·        Für Rüstungsexporte steht

·        Der TTIP befürwortet und verschleiert


·        Der populistisch blinkt


·        Der den Edeka/Tengelmann-Pakt gegen Monopolkommission und Kartellbehörde durchprügelte.



Ich bleibe zwar auch dabei, daß Gabriel durchaus intelligent ist und seine lichten Momente hat, aber unterm Strich muß er sich ganz grundsätzlich gegen Merkel, die Union und den Neoliberalismus einstellen, um Erfolg zu haben.

Vielleicht braucht er noch eine krachende persönliche Niederlage im Herbst 2017, um zu erkennen, daß sein Schmusekurs mit der CDU-Chefin seiner Partei schadet.
Dafür muß er vielleicht erst mal auf unter 18% bei einer Bundestagswahl rutschen.

So wie es einem Alkoholiker erst mal richtig in der Gosse gelandet sein muß, bevor er einsieht ein Problem zu haben.