Normalerweise
bin ich von internationalen Ballspielmeisterschaften deswegen genervt, weil ich
den allgemeinen Geräuschpegel hasse.
Das kollektive Grölen, das man draußen
überall mit anhören muß, erinnert mich zu sehr an die Primitivität der
Menschen.
Außerdem
hasse ich diese Mode, die es seit der 2006er WM gibt, daß die Autos alle mit
schwarzrotgoldenen Fähnchen bestückt werden.
Das
ist für mich der absolute deutschnationale Overkill.
Aber
das Fähnchenproblem hat sich für mich erledigt, seit ich auf Facebook folgenden
netten Hinweis gefunden habe.
Nun
stelle ich mir immer vor, daß die armen Leute mit den flatternden Wimpelchen
ihre winzigen Dinger anzeigen wollen und das stimmt mich milde.
Und
überhaupt sollte ich mich nicht beschweren.
Immerhin findet der Wahnsinn
nicht in Deutschland statt, sondern gibt sinnigerweise dem neuen ökonomischen
Superstar der EU, nämlich Polen, die Chance sich mal so richtig international
herauszuputzen.
Im
Schlepptau muß dabei das Ukrainische politische System auch mal die Hosen
runter lassen und sich zumindest ein bißchen fragen lassen, wie man es dort mit
Rechtsstaatlichkeit und Toleranz hält.
Kann
ja auch nicht schaden.
Mit
so einem Mega-Ereignis, welches die eigene Nation in den Zenit der
internationalen Aufmerksamkeit rückt, kann man natürlich allerlei Süppchen
kochen.
Neben der Tourismusindustrie gibt es auch jede Menge andere pekuniäre
Trittbrettfahrer, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.
Ganz
vorn dabei die katholische Kirche, die in der großen nationalen Wallung und
Begeisterung plante die riesige neue Kathedrale vonn Warschau endlich fertig zu
bauen.
Die
an den Petersdom erinnernde Hauptstadtkathedrale im Süden der Stadt soll einmal
die fünftgrößte Kirche Europas werden. Baubeginn war vor neun Jahren.
Im
boomenden Polen schwimmt die Bevölkerung geradezu in Geld.
Da kann die
Kathedrale ruhig ein Stück größer sein, dachten sich die Kirche des
Ex-Papstlandes.
Blöd nur, daß die wohlhabender werdenden Polen
nicht nur ökonomische Freiheiten erlangten, sondern bei der Gelegenheit auch
herausfanden, daß man sich sehr gut von der Kirche freimachen kann.
Immer mehr weiß-rote Fahnen hängen an den Balkons in Warschau, immer mehr Fahrer haben ihre Autos beflaggt. Doch der Fahnenschmuck galt am Donnerstag keineswegs der großen Fronleichnamsprozession durch die Innenstadt, sondern der bevorstehenden EM. Früher war das anders: Da waren katholische Kirche und Weiß-Rot untrennbar miteinander verbunden. Nicht einmal jeder zehnte Warschauer hat in diesem Jahr an einer der zahlreichen Fronleichnamsprozessionen teilgenommen, das Eröffnungsspiel der EM gegen Griechenland aber wird fast die ganze Nation am Bildschirm verfolgen. Das ganze Land ist vom EM-Fieber er-fasst, die Kirche aber begeistert immer weniger Polen.(Thomas Urban SZ 08.06.12)
Geld
für die gigantische Kathedrale der göttlichen Vorsehung blieb aus.
Nach
neun Jahren ist das architektonisch fragwürde zukünftige Nationalheiligtum
immer noch im Rohbau.
Vor vier Jahren schon war das Geld endgültig ausgegangen
und die Bauarbeiten ruhen seitdem.
Eine
peinliche Angelegenheit für katholische Kirche in dem so besonders katholischen
Polen.
Und das in wirtschaftlich so erfolgreichen Zeiten.
Als aber im folgenden Jahr Polen und die Ukraine überraschend den Zuschlag für die EM 2012 bekamen, sah auch der national-konservative Flügel der Bischofskonferenz seine Stunde gekommen: Die Vollendung der Kathedrale wurde zur nationalen Aufgabe erklärt, nachdem die Regierung den Bau eines neuen Nationalstadions beschlossen hatte. [….] Immerhin haben die Bischöfe, die vergeblich die Gläubigen zum Spenden aufgefordert haben, mit einem Trick den Staat in die Finanzierung des Projektes eingebunden. Unter dem Dach soll ein 'Museum über die gesellschaftliche Bedeutung des Wirkens Johannes Pauls II.' seinen Platz finden. Dies sei in der Tat ein politisches Projekt, befand der Sejm mit seiner rechten Mehrheit. Eine Fertigstellung von Kathedrale und Museum ist trotzdem noch lange nicht in Sicht. Ursprünglich sollten möglichst viele Fußballfans aus dem Ausland zu dem unfertigen Riesenbauwerk gelotst werden. Doch die Idee wurde wieder verworfen, ein überdimensionaler Fußball auf dem kircheneigenen Grundstück wurde wieder abgebaut. Das Elfmeterschießen, bei dem der Kardinal den ersten Schuss abgeben sollte, wie es die Warschauer Presse ankündigte, fand nicht statt. Die Kirchenleuten sind zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Verknüpfung ihres Projektes mit dem Fußball bei den Landsleuten nicht gut ankäme.(Thomas Urban SZ 08.06.12)
An Phantasiekirchen habe ich rein gar nichts auszusetzen.