Samstag, 6. Juli 2019

Zugreifen, wenn die Gelegenheit günstig ist!


Wie wir schon lange gesehen haben, ist die linke Seite des politischen Spektrums fast nicht in der Lage Talking-Points zu setzen und ergibt sich lieber devot des Agendasettings der Gegenseite.
Das ist sympathisch und spricht für eine gewisse Scheu davor zu manipulieren, andererseits wirkt es jämmerlich und schwach, wenn Demokraten/Sozialdemokraten offensichtlich stets von der Sorge getrieben sind als zu kirchenfern oder zu wirtschaftsfern angesehen zu werden, zu weiche Positionen bei innerer Sicherheit und Militär zu haben.

Würde nicht in Deutschland die Kriminalität explodieren, wenn statt des eisenharten Stahlhelm-Hessens Manfred Kanther ein rotgrüner Chaot Grenzer und Bundespolizei befehligt, fragte man sich besorgt im Jahr 1998.
Daher benannte Gerhard Schröder mit Otto Schily einen „roten Scheriff“ in das Amt, der keinerlei Zweifel daran ließ ein ganz harter Hund zu sein.

Würden nicht Deutschlands Unternehmer kollektiv flüchten wenn die Kommunisten regieren, sorgte man sich 1998.
Daher benannte Gerhard Schröder den Energie- und Kohle-Toppmanager Werner Müller zum Wirtschafts-, sowie den bulligen niedersächsischen Bauern Karl-Heinz Funke zum Landwirtschaftsminister.
(Möglicherweise ein kluger Schachzug. Vielleicht wäre es ohne diese frühen Personalien nie zu einem rotgrünen Kabinett gekommen.)

Barack Obama erlebte im Wahlkampf 2008 wie seine Kirchentreue angezweifelt wurde und zeigte sich daraufhin bald im Gottesdienst als frommer Christ.

[….] Drittens wird ihm ewig sein Satz über Religion und Pistolen aus dem Vorwahlkampf gegen Hillary Clinton nachhängen. Das hätte ihn um ein Haar die Präsidentschaft gekostet-.

Obama was caught in an uncharacteristic moment of loose language. Referring to working-class voters in old industrial towns decimated by job losses, the presidential hopeful said: "They get bitter, they cling to guns or religion or antipathy to people who aren't like them or anti-immigrant sentiment or anti-trade sentiment as a way to explain their frustrations."

Der Guardian drückt es sehr bezeichnend aus; Obama habe völlig untypisch kurz die Kontrolle über seine Worte verloren.
Ihm ist also etwas rausgerutscht, das er eigentlich nie so sagen wollte.

Er brach ein klassisches Wahlkampftabu, indem er etwas Wahres aussprach, das aber viele Wählerstimmen kostet und daher tunlichst von einem, der noch gewinnen will, verschwiegen werden sollte.

Warum reagierten die Amis damals derartig gereizt auf den Obama-Satz?
Einem frommen Christen, der wirklich zweifelsfrei an Gott glaubt und aus voller Überzeugung der biblischen Lehre folgt, kann es völlig egal sein, was jemand anders über seine Glaubensmotive sagt.
Daß sich Amerikas Strenggläubige bis heute über Obama aufregen, ihn wahlweise als Antichristen, Muslim und Atheisten schmähen, liegt vermutlich daran, daß sie zumindest unterbewußt wissen wie Recht Obama hat.

Die ewig zu kurz Gekommenen, die Elenden, die Doofen hängen an Religion. [….]

Hillary Clinton bekam ein ähnliches Problem, da eine andere Frau an ihrem Mann Fellatio verübte und sie ihm verzieh.
Gute Christen gehen natürlich nicht fremd, das sieht man ja am treuen und ehrlichen Donald Trump, dem Helden der Evangelikalen.
Clinton hingegen musste im Vorwahlkampf 2008 das Gerücht ausräumen, sie wäre womöglich nicht streng christlich und legte einen bemerkenswerten tränenreichen TV-Auftritt hin, in dem sie von Emotionen zerwühlt bekannte wie wichtig ihr Glaube für sie wäre. 2016 musste sie diese Bekenntnisse wiederholen.

Vermutlich sind Clinton und Obama beide Agnostiker oder Atheisten; sie sind beide zu intelligent für Frömmigkeit. Ihre Intelligenz ließ sie aber auch erkennen, daß 2008 eine US-Präsidentschaft für einen Nichtgläubigen ausgeschlossen war.
Es gab nicht die Möglichkeit die in den USA extrem negative Konnotation zum Atheismus durch bessere Talkingpoints zu ersetzen.
Die USA wandeln sich aber. 2016 wurde eine Frau Präsidentschaftskandidatin einer der beiden großen Parteien. 2020 könnte ein offen Schwuler Präsidentschaftskandidat werden (Pete Buttigieg ist aber sehr fromm); wer weiß, vielleicht kommt 2024 die Zeit für einen Atheisten.

Die Grünen waren 1998 zu früh dran als sie ehrlich waren und etwas Richtiges forderten. „5 Mark der Liter Benzin“. Das kostete die spätere rotgrüne Bundesregierung fast das Leben.

[….] Im Bundestagswahlkampf '98 kämpfen die Grünen gegen jede Stimme. 5 Mark für Benzin, autofreier Sonntag, teurere Urlaubsflüge. Was heute zum Teil Realität ist, erschien damals als alternativer Selbstmord-Trip.
Die Ökopartei macht im März 1998 mit der ökologisch-sozialen Steuerreform von sich Reden. Die Forderungen empfinden viele als drastisch: europaweite Besteuerung von Flugbenzin, autofreier Sonntag, 3-Liter-Auto oder 5 Mark für den Liter Benzin. Auch wenn an manch grüner Idee vieles richtig ist, wird sie so vorgebracht, dass sie beim Wähler nur noch Horror auslöst - oder Kopfschütteln. [….]

Die Rechten frohlockten und hofften mit dieser Grünen Ehrlichkeit Helmut Kohl zu weiteren vier Jahren Kanzlerschaft zu verhelfen – ohne diesen ganzen Öko-Murks.

ROT-GRÜNEigentor vor dem Endspiel
[….] Mitten im Stimmungshoch gefährden die Bündnisgrünen mit linken Positionen eine Regierungskoalition mit der SPD. [….] Aus heiterem Himmel kommt oft das Unheil: [….] in der Politik die grüne Parteitagsstimme. Mit weltfremden Beschlüssen zu Spritpreis und Außenpolitik torpedierten die Grünen auf ihrem Magdeburger Parteitag die Aussichten auf ein rot-grünes Bündnis in Bonn.
Fraktionschef Fischer steht ramponiert da, Parteisprecher Jürgen Trittin ist angeschlagen und der Altlinke Hans-Christian Ströbele wiederauferstanden. Der 59jährige Jurist gehört zur Gründergeneration der Grünen Ende der siebziger Jahre. Schlagzeilen machte er bis dahin als Wahlverteidiger von RAF-Terrorist Andreas Baader, 1982 verurteilte ihn ein Gericht wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. [….] Das Medienecho auf den Parteitag war verheerend. „Droht das grüne Chaos?“ titelte die Hamburger „Woche“. Die „Bild“-Zeitung druckte: „Benzin 5 DM, Tempo 100, Hasch frei, NATO auflösen“ seien ein „Grüner Alptraum“.
Wer hat Angst vor Rot-Grün? [….]

Die Kohl-Fans bei Springer und Burda behielten fast Recht.
Die Grünen verloren bei der Bundestagswahl von 1998 gegenüber des Ergebnisses von 1994 und kamen mit mageren 6,7% ins Ziel.
Jürgen Trittin und Joschka Fischer wurden dennoch Minister, weil die Schröder-SPD ein sensationelles Ergebnis einfuhr, nach den Gewinnen von 1994 (3%Punkte) noch einmal fast fünf Prozentpunkte zulegten und auf heute unfassbare 41% kamen. Schröders Strategie war goldrichtig.

Die Grünen des Jahres 2019 sind ganz anders als die von 1998. Alle „Querulanten“ sind ausgeschaltet.
Niemals würden Annalena Baerbock oder Robert Habeck, die beide auch gern mit der CDU koalieren ähnlich radikale Forderungen stellen.
Nun sind die Grünen eine Wohlfühlpartei, die keinen SUV-Fahrer mit Horror-Spritpreisen erschreckt oder ihrer wohlhabenden Wählerschaft das Fliegen verbieten will.
Paradox, obwohl das Klimathema noch weit dramatischer ist als 1998, präsentieren sich die Grünen zahmer.
Da die Wähler im Allgemeinen aber doof sind, zahlt sich die weiche Strategie aus. Statt der 6-Komma von 1998 schicken sich Habeck und Co an, stärkste Partei zu werden, würden leicht das vier-fache Stimmenergebnis von vor 20 Jahren holen.

Auch wenn Linke, Grüne und Sozis beim Agendasetting versagen, kann für Großpolitiker und Möchtegern-Kanzlerkandidaten wie Armin Laschet das „Klimathema völlig überraschend“ über sie hineinbrechen.
Greta Thunberg und Rezo sei Dank.
Grüne und Sozis knickten beide in erbärmlicher Weise vor den Abschiebe-Hardlinern à la Seehofer ein, votierten für allerlei Grausamkeiten.
Es waren mutige Flüchtlingsretter wie Carola Rackete, die das Thema in die Öffentlichkeit holten.

Konnte Bundesumweltministerin Svenja Schulze vor einem Jahr mit Klimathemen noch gar nicht durchdringen, weil sie es nicht vermochte das Thema zu besetzen und die scheuen SPD-Wähler immer verschreckter wurden, wirken ihre Vorstellungen im Sommer 2019 auf einmal aktuell und gar nicht mehr radikal.

[…..] Bundesumweltministerin Svenja Schulze lässt nicht locker. Zwar stieß die SPD-Politikerin beim Koalitionspartner, aber auch in den eigenen Reihen auf heftigen Widerstand, als sie vor einigen Monaten für die Einführung eines CO2-Preises plädierte. Dennoch treibt Schulze das Vorhaben unverdrossen voran.
Damit Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2030 erreicht, brauche es jetzt eine „Trendumkehr“ hin zu klimaschonendem Autofahren und Heizen, sagte Schulze am Freitag in Berlin. „Ich bin davon überzeugt, dass Preissignale helfen würden“, betonte die Ministerin und stellte drei Gutachten für einen CO2-Preis vor. Frei nach dem Motto: Wer wenig verbraucht, bekommt Geld zurück.
[…..] Eine „Klimaprämie“ soll klimafreundliches Verhalten belohnen und zugleich Gering- und Normalverdiener nicht belasten. […..] In der Unionsfraktion reagierte man verhalten auf Schulzes neuerlichen Vorstoß. […..]

Eine Chance für die SPD nun gegenüber den übervorsichtigen Grünen Boden gut zu machen.
Die Zeit ist gekommen; mehr und mehr Wähler goutieren jetzt kraftvolle Aktionen gegen Klimagase und Plastikmüll.